Kapitel 27

Samantha

Mit gemischten Gefühlen begrüßte Sam ihren Dad, als er mit Astor zusammen auf den Schulhof spazierte, den Ku chen in der Hand, den sie beide am Abend zuvor gebacken hatten, während Astor das Puzzle endlich fertiggestellt hatte.

Sie dachte daran zurück, wie fröhlich ihr Dad gewesen war und wie sie sich für ihn gefreut hatte, dass er einen so schönen Tag gehabt zu haben schien – bis er ihr den Grund für seine außergewöhnlich gute Laune genannt hatte. Und dieser Grund war eine Frau!

Es handelte sich dabei um die Erdbeerfarmerin, bei der ihr Dad und ihre Schwester Erdbeeren pflücken gewesen waren. Er erzählte ihr, dass er sie aus der Trauergruppe kannte. Sie hatte erst zweimal teilgenommen, und er kannte sie noch nicht allzu gut, doch er schien sie sehr zu mögen, das sah Sam ihm deutlich an. Und sie wusste nicht, was sie davon halten sollte. Ob es ihr gefiel, dass ihr Dad nach dem Tod ihrer Mom einer anderen Frau näherkam. Andererseits war er nun bereits seit drei Jahren allein, und sie hatte natürlich gewusst, dass der Moment früher oder später kommen würde. Ein bisschen bereute sie jetzt sogar, nicht mit zu der Farm gekommen zu sein. Sie hätte nach dem Spiel dazustoßen können, doch ihr war klar gewesen, dass Jeremy den zu erwartenden Sieg gegen die Salinas Racoons feiern wollen würde – und so war es dann natürlich gekommen. Die Lions hatten die Racoons fertiggemacht, und sie waren feiern gegangen – diesmal nicht in den Stardust Diner, sondern an den Strand, wo eine richtige Party stattfand mit Musik, jeder Menge Alkohol und einem Lagerfeuer, über dem Marshmallows geröstet und Würstchen gebraten wurden. Jeremy hatte sie mit einem Hot Dog in der Hand angestrahlt, als wäre er gerade zum Präsidenten gekürt worden, und er hatte sie vor allen Leuten geküsst, als wäre es der letzte Kuss der Menschheit.

Es war ein schöner Tag gewesen. Sie war froh gewesen, wieder voll dabei zu sein: als Cheerleaderin, als Teil der angesagtesten Clique der Schule und als Jeremys Girl. Ein bisschen aber wünschte sie sich doch, sie hätte diese Frau sehen können, von der ihr Dad mit glitzernden Augen erzählte und deren Kuchenrezept er nachbackte.

Als hätte er ihre Gedanken gelesen, sagte er wie nebenbei: »Du wirst sie übrigens morgen kennenlernen, beim Kuchenbasar. Sie hat auch eine Tochter an der Montgomery.«

»Ehrlich? Wen denn?«

»Hübsches Mädchen, sie ist in deinem Alter. Ihr Name ist Jane Parker. Ich glaube, ihr kennt euch?«

Ihr fiel die Kinnlade herunter.

Jane Parker?

Zombie-Jane?

Das konnte doch nicht wahr sein!

Völlig schockiert versuchte sie sich allerdings, nichts anmerken zu lassen und nickte nur. »Ja, ich kenne sie flüchtig. Wir haben ein paar Kurse zusammen.«

»Das ist doch nett.«

»Ja. Nett.«

»Oh, wow, der ist ja tatsächlich was geworden!«, hatte ihr Dad dann begeistert ausgerufen, als er den Kuchen aus dem Ofen geholt hatte.

Und jetzt stand er strahlend vor ihr.

Sie konnte sehen, dass er sich auf diese Frau freute. Auf Jane Parkers Mutter. Amanda hieß sie, hatte er ihr verraten. Sie konnte sich nicht erinnern, sie je auf einer Schulveranstaltung gesehen zu haben, wieso auch, Jane war weder Mitglied in einer der Bands noch in einem der Sportteams. Sie war also sehr gespannt, wie diese Amanda aussah und wie sie wohl so war. Sie musste ja wirklich was Besonderes sein, wenn ihr Dad für sie seine Zeit als einsamer Ritter aufgab und zudem ihre Mom hinter sich lassen wollte. Bei dem Gedanken daran fühlte sie einen Stich in ihrem Herzen. Denn es schmerzte, ihn sich mit einer anderen Frau vorzustellen. Sie nahm ihm den Kuchen ab und stellte ihn auf den Verkaufstisch zu den anderen. Kaum einer kaufte jedoch ein Stück von dem schlichten Zitronengugelhupf, viel beliebter waren der Lava-Kuchen mit dem flüssigen Schokokern des Koch- und Backkurses, die dreistöckige Mangotorte, die Cassidys Mutter beigesteuert hatte, die aber sicher nicht mit Liebe selbst gebacken, sondern aus einer überteuerten Konditorei war, und die rosa Glitter-Cupcakes, die Tammy und Holly selbst gemacht hatten, wie Holly ihr stolz erzählt hatte.

Tammy verhielt sich noch immer komisch. Total abweisend, sie sah ihr nicht mal mehr ins Gesicht, wenn sie mit ihr redete, sondern irgendwo anders hin, zu Boden oder auf den Saum ihres T-Shirts. Und sie sprach nur das Nötigste mit ihr, nur um sich danach schnell wieder zu verziehen.

Und Cassidy benahm sich auch nicht normal und nicht nur sie! Sam bemerkte, als sie nun am Kuchentisch stand und auf zahlende Kundschaft wartete, dass Cassidy und Jeremy sich merkwürdige Blicke zuwarfen. Sie konnte sie nicht deuten, hatte aber ein eigenartiges Gefühl. Doch sie kam gar nicht dazu, sich weitere Gedanken zu machen, denn in dem Moment sah sie zwei Personen auf den Hof kommen und ihren Dad, der sich zuvor mit Principal Curry unterhalten hatte, auf sie zugehen. Er begrüßte die Frau, umarmte sie sogar leicht und richtete ein paar Worte an Jane, die er ebenfalls schon persönlich zu kennen schien.

Wann bitte hatte er sie denn kennengelernt? Etwa auf der Farm? Und wenn er sie schon mal in natura gesehen hatte, wieso, um Himmels willen, hatte er sie dann als »hübsch« bezeichnet?

Okay, vielleicht war sie es mal gewesen, aber in diesen schrecklichen schwarzen Outfits, mit den wirren Haaren und ungeschminkt wie eine Zehnjährige, konnte man sie doch nicht ernsthaft hübsch nennen.

Sie konnte das Dreierpack nur anstarren und noch immer nicht begreifen, dass diese Amanda wirklich Jane Parkers Mutter war. Warum musste ihr Dad sich ausgerechnet in sie verknallen? Warum mussten ausgerechnet die beiden Montgomery-Elternteile, deren Ehepartner gestorben waren, in einer Trauergruppe in Monterey aufeinandertreffen? Was zum Teufel dachte sich das Schicksal nur dabei?

Als die drei jetzt auf sie zukamen, merkte sie, wie sie sich versteifte. »Hallo«, sagte sie trotzdem freundlich lächelnd, denn das hatte sie nun mal drauf.

»Hallo«, sagte auch Amanda, die wirklich hübsch war, wie Sam jetzt erkannte. Ganz anders als ihre Tochter. Sie trug ihr braunes Haar zu einem hohen Pferdeschwanz gebunden und hatte ein niedliches gelb-weiß geblümtes Sommerkleid an. »Du musst Samantha sein. Ich habe schon viel von dir gehört.«

Sie schüttelte die Hand, die Amanda ihr über den Tisch reichte. »Sam«, stellte sie richtig. »Ich meine, so werde ich von allen genannt. Freut mich sehr, Sie kennenzulernen.«

»Ich freue mich ebenso. Das ist meine Tochter Jane. Aber ihr kennt euch ja anscheinend schon.« Sie sah zuerst zu ihr, dann zu Jane, dann wieder zu ihr und lächelte dabei freundlich.

Sam versuchte, ihr Lächeln ebenfalls aufrechtzuerhalten, obwohl ihr speiübel wurde. »Ja, wir haben ein paar Kurse zusammen.«

Jane grummelte auch irgendetwas in der Art.

Jetzt kam Astor dazu, die mit irgendwelchen anderen Kindern gespielt hatte. Sie warf sich Amanda in die Arme, als würden sie sich seit Jahren kennen. Sam sah Jane an, dass sie sich ebenfalls am liebsten übergeben hätte, weil ihre Eltern was am Laufen hatten.

»Guck mal, wie gut unser Kuchen geworden ist. Willst du ihn probieren?«, fragte Astor aufgeregt.

»Aber natürlich, das lasse ich mir nicht entgehen. Ein Stück, bitte«, sagte sie zu ihr und wandte sich an Jane. »Willst du auch etwas?«

»Nein, danke«, antwortete die angewidert. »Kann ich jetzt zu Cal gehen?«

»Na gut. Wir treffen uns nachher am Eingang und fahren zusammen nach Hause, okay?« Amanda warf ihrer Tochter einen eindeutigen Blick zu, und Sam spürte, dass die beiden Ärger gehabt hatten.

Sie schnitt ein großes Stück vom Kuchen ab, legte es auf einen Pappteller, kassierte einen Dollar ein und wünschte guten Appetit.

Sie sah Amanda, ihrem Dad und Astor nach, wie sie über den Hof gingen, und versuchte, Jane ausfindig zu machen, die sie beim Waffelstand mit Calvin entdeckte. Jedes Mal, wenn sie ihn sah, überkam sie sofort wieder ein schlechtes Gewissen. Denn seine Nase und sein Auge schienen zwar so einigermaßen wieder in Ordnung zu sein, doch die Bilder, wie Jeremy auf ihn eingeprügelt und wie er wimmernd am Boden gelegen hatte, und wie Jane verzweifelt auf die Knie gegangen war und sich über ihn gebeugt hatte, wollten ihr einfach nicht aus dem Kopf gehen. Und dieser Blick, den Jane ihr zugeworfen hatte … ein Blick, der sie fragte, warum zum Teufel sie nichts unternahm!

Und das hatte sie sich seitdem selbst sehr häufig gefragt. Nun, die offensichtliche Antwort kannte sie, und die war, dass sie es sich nicht mit Jeremy verscherzen wollte. Dass es ihr gereicht hatte, einmal ausgeschlossen und von der Clique ignoriert zu werden, allein zu sein und sich erneut verlassen zu fühlen. Doch da war irgendwo tief in ihr noch eine andere Stimme, die ihr sagte, dass das alles nicht richtig war. Erstens, dass sie sich immer auf Jeremys Seite stellen musste, egal, was er auch tat und ob sie es als richtig oder falsch erachtete, und zweitens, dass eine Clique, eine Gruppe von Freunden, einfach so jemanden ausschloss, nur weil er etwas Dummes getan hatte.

Und was, verdammt noch mal, hatte sie denn überhaupt getan, das so dumm gewesen sein sollte? Dass sie nicht mit Jeremy ins Bett gehüpft war? Dass sie nur einmal für das eingestanden war, an das sie glaubte?

Das konnte es doch nicht sein, das Leben, das sie führen wollte.

Sie nahm jetzt Janes und Calvins Blicke wahr, die auf ihr lagen. Sie redeten über sie, das wusste sie. In ihr kam wieder die Scham zum Vorschein, und am liebsten wäre sie rübergegangen und hätte ihnen gesagt, wie leid ihr alles tat. Doch natürlich machte sie das nicht. Jeremy oder Cassidy oder Richie oder Tammy hätten es sehen können, und dann hätte sie sich wieder rechtfertigen müssen.

Nur wusste sie plötzlich überhaupt nicht mehr, vor wem sie sich überhaupt noch rechtfertigen wollte.