Kapitel 34
Carter
Er saß in der Schulaula und wartete gespannt darauf, dass seine Tochter die Bühne betrat. Sie hatte sich seit Wochen auf diesen besonderen Freitagabend vorbereitet, an dem sie mit ihrer Musikgruppe den Auftritt des Jahres hinlegen würde. Die Monty Lightnings waren keine gewöhnliche Schülerband, sondern eher eine Art Orchester, in dem Sam seit Beginn der Highschool vor zwei Jahren Flöte spielte. Carter war bereits bei einigen Konzerten dabei gewesen und hatte es ziemlich cool gefunden, wie sie moderne Songs im Orchesterstil spielten.
Während jetzt noch der Schuldirektor sprach und die Monty Lightnings ankündigte, warf Carter einen Blick zur Seite und konnte nicht anders, als zu lächeln. Denn neben ihm saß Amanda, und sie hielt seine Hand, was sich einfach nur großartig anfühlte. Dann sah er zu seiner Rechten und entdeckte ein glückliches kleines Mädchen. Astor strahlte vermutlich noch mehr als er selbst, und immer wieder schielte sie zu ihm und Amanda und zu ihren Händen rüber, die sich so perfekt ineinanderschmiegten, als wären sie als Einheit gegossen worden.
Er freute sich, dass Astor Amanda so gernhatte und sie sich so darüber freute, dass sie nun offiziell ein Paar waren. Die Kleine wünschte sich so sehr eine neue Mom, das hatte er schon lange erkannt. Und nun sollte sie diese eventuell sogar bekommen. Wenn alles gut ging. Er hoffte es so sehr.
Auch mit Sam hatte er noch am vergangenen Abend darüber gesprochen, dass er sich in Amanda verliebt hatte und sie es miteinander versuchen wollten. Dass sie einander guttaten und er sich von Herzen wünschte, seine Töchter würden diese Beziehung gutheißen. Er hatte Sam quasi um ihren Segen gebeten, und ihm war natürlich bewusst gewesen, wie schwer es ihr fallen musste, eine neue Frau in seinem Leben zu akzeptieren. Doch wie immer hatte sie gelächelt und ihm gesagt, dass sie ihn unterstützen würde in allem, was er tat. Dass sie sich für ihn freue. Gute Sam. Manchmal fragte er sich, ob sie wohl niemals böse Gedanken hatte oder traurige oder wütende. Es konnte doch nicht immer alles Sonnenschein sein, oder?
Ja, manchmal wünschte er sich, sie würde zu ihm kommen und ihm anvertrauen, wie es wirklich in ihr aussah. Doch vielleicht gab es da ja tatsächlich nur gute Gedanken und nichts, das Sam aus der Fassung bringen konnte. Vielleicht war sie einfach so ein positiver Mensch. Was ja auch gut war. Denn wenn er vergleichsweise an Jane dachte, die weder mit dem Tod ihres Vaters noch mit der neuen Beziehung ihrer Mutter auch nur annähernd so gut zurechtkam wie Sam, sollte er wohl einfach nur dankbar sein.
Jane war heute Abend nicht dabei, und das lag sicher nicht nur daran, dass sie die Woche über krank gewesen war. Er war sich ziemlich sicher, dass sie auch nicht bei dem Konzert erschienen wäre, wenn sie topfit gewesen wäre. Er wusste nicht, wie sie die Situation in den Griff bekommen konnten, wie sie es schaffen sollten, alle zusammen zu funktionieren. Denn Sam und Jane schienen sich nicht sehr gut zu verstehen, und Amanda hatte ihm erzählt, dass Jane seit dem Tod ihres Vaters eine ziemlich schlimme Phase durchmachte. Ihm war klar, dass die neue Beziehung ihrer Mom das alles nicht gerade besser machte. Doch sie würde irgendwie damit klarkommen müssen, so leid es ihm tat, ihr erneute Schmerzen zuzufügen. Mit der Zeit würden die Dinge bestimmt leichter werden. Er würde sich halt besonders anstrengen, um sich mit ihr anzufreunden, und vielleicht würden sie ja eines Tages eine große, glückliche Patchworkfamilie sein.
Er sah wieder zu Amanda, die den Kopf zu ihm gedreht hatte und ihn strahlend anlächelte. Er war so glücklich wie lange nicht. Seit sie vor drei Tagen wie aus dem Nichts in seiner Einfahrt gestanden hatte, hatte sich sein ganzes Leben verändert. Sie war nicht nur plötzlich da gewesen, sie war voll da gewesen, und als sie sich geliebt hatten, hatte er sich zum ersten Mal seit Langem wieder wie ein Mann gefühlt. Nicht nur wie ein Vater und der Versorger seiner Familie, sondern wie ein richtiger Mann, begehrt und geliebt. Seitdem schwebte er auf Wolke sieben.
Das Konzert begann, und sie sahen dabei zu, wie Sam mit den anderen die Bühne betrat. Sie spielten zuerst Paparazzi von Lady Gaga und danach Counting Stars von One Republic. Er war begeistert. Und als sie das Konzert mit Empire State of Mind von Alicia Keys abschlossen, war der ganze Saal am Applaudieren und am Pfeifen, als wären die Rolling Stones höchstpersönlich aufgetreten.
Er bat Amanda, kurz bei Astor zu bleiben, da er schnell zur Toilette wollte, bevor die ganze Menge dorthin strömte, und schlich sich davon, während die Leute nach einer Zugabe verlangten.
Als er dann jedoch durch den Schulflur eilte, erhaschte er etwas und blieb abrupt stehen. Was er sah, war Jeremy – zusammen mit einem anderen Mädchen. Er drückte sie an die Wand, und sie küssten sich wild und leidenschaftlich.
Sofort versteckte er sich hinter einer Ecke, sah noch einmal genauer hin, um sicherzugehen, dass er sich nicht verguckt und Jeremy mit einem anderen Jungen verwechselt hatte. Doch er hatte richtig gelegen. Es war der Freund seiner Tochter, der eine andere küsste.
Beinahe verlegen machte er sich davon, suchte eine Toilette in einem anderen Gang und überlegte dabei die ganze Zeit, wie er das nur Sam beibringen sollte. Denn er musste es ihr sagen, oder? Das war doch seine Pflicht als Vater, nicht? Wie könnte er ihr verheimlichen, dass der Junge, mit dem sie seit zwei Jahren zusammen war, sie hinterging? Und dann auch noch in aller Öffentlichkeit? So ein Schwachkopf! Am liebsten hätte er ihn hier und jetzt zur Rede gestellt.
Doch er wollte keine Szene machen. Nicht an diesem Abend, der so ein großer Erfolg für Sam war. Und deshalb würde er ihr das auch heute nicht antun. Sie sollte den Augenblick genießen und sich wie ein kleiner Star fühlen. Doch morgen würde er es ihr sagen müssen – und ihr damit das Herz brechen. Es schmerzte ihn jetzt schon, ihr das antun zu müssen, doch das war leider Teil dieses Lebens. Manche Menschen waren so, sie betrogen dich und traten deine Gefühle mit Füßen. Ja, im Fall von Jeremy war es vielleicht sogar besser, dass er es herausgefunden hatte und seine Tochter vor noch mehr Kummer bewahren konnte. Der Typ war es doch überhaupt nicht wert. Sam verdiente Besseres, weit Besseres, er hoffte nur, sie würde das verstehen.