Kapitel 41
Samantha
Ihr Herz pochte wie wild, und sie konnte sich nicht erinnern, jemals in ihrem Leben so nervös gewesen zu sein, als sie in Mrs. Haymonds Auto auf dem Weg zu Jane war. Die alte Dame hatte sofort zugestimmt, ihr den Buick für einen Tag zu leihen, als Sam sie darum gebeten hatte. Zum Glück hatte sie gelernt, mit Gangschaltung zu fahren, denn der alte Pick-up ihres Dads hatte die ebenfalls noch. Sie hatte in den letzten Tagen immer mal wieder die Gelegenheit zum Fahren ergriffen, einfach um ein bisschen sicherer hinterm Lenkrad zu sitzen. Als ihr Dad am Dienstagabend noch meinte, die Milch sei alle, hatte sie angeboten, neue kaufen zu fahren. Am Mittwoch hatte sie Astor zum Ballett und wieder nach Hause gebracht und sie am Freitag bei ihrer Freundin Nicole abgeholt. Und jetzt war schon Samstag, die Tage waren verflogen wie nichts, heute war es endlich so weit: Sie würde sich auf die Spur ihrer Mutter begeben.
Was sie dabei wohl herausfinden würde?
Sie konnte ihre Aufregung kaum verbergen, als sie Amanda begrüßte. Zum Glück kam dann auch schon Jane herbei, eine Strandtasche über der Schulter, denn Amanda hatten sie das Gleiche erzählt wie ihrem Dad. Dass sie zum Baden zum Sunset State Beach wollten, der sich etwa eine Dreiviertelstunde von Carmel entfernt befand. Jane hatte zuerst vorgeschlagen, dass sie sagen könnten, sie wollten nach Big Sur fahren, doch das lag südlich von Carmel, der Sunset State Beach dagegen nördlich, in Richtung San Francisco. Das erschien ihr sicherer, für den Fall, dass sie unterwegs jemandem begegneten, der sie kannte.
»Wollen wir?«, fragte Jane.
»Ja. Hast du alles?«
»Ich hoffe. Sollen wir was zu essen mitnehmen?«
Sofort mischte sich Janes Mom ein. »Ihr habt vor, den ganzen Tag unterwegs zu sein und habt keinen Proviant eingepackt?«
»Wir können uns auch unterwegs was kaufen«, meinte Jane.
»Ich hab was dabei. Cracker und ein bisschen Obst«, ließ Sam die beiden wissen.
Amanda rümpfte die Nase. »Dann wartet bitte noch fünf Minuten, damit ich euch wenigstens schnell ein paar Sandwiches machen kann.«
»Das ist ehrlich nicht nötig, Mom.«
Amanda sah Jane an, die ein wenig genervt ausschaute. »Okay, dann lasst mich euch aber ein bisschen Geld mitgeben.« Sie nahm ihre Handtasche vom Haken und suchte in ihrem Portemonnaie nach ein paar Scheinen. Die reichte sie Jane mit der Bitte: »Holt euch irgendwas Anständiges, ja?«
»Okay. Danke, Mom. Wir müssen jetzt los.«
Es war schon halb neun, und sie hatten gut zwei Stunden Fahrt vor sich, wenn sie nicht in den Stau kamen, was am ersten Ferientag natürlich möglich war. Eigentlich hatte sie auch noch früher losgewollt, aber Jane hatte gemeint, das wäre zu verdächtig. Denn wer fuhr schon um sieben Uhr morgens zum Strand? Und sie hatte ja recht. Jetzt sollten sie sich aber wirklich beeilen.
»Viel Spaß euch. Meldet euch zwischendurch mal, damit ich weiß, dass ihr gut angekommen seid.«
»Das machen wir, Amanda«, versprach Sam ihr.
»Und fahrt vorsichtig!«, rief sie ihnen hinterher.
Sie liefen zum Auto, und Jane begann zu lachen. »Was ist das denn für ’ne alte Kiste? Wenn wir damit herumfahren, denkt jeder, drinnen befinden sich zwei alte Omas.«
»Mit weißer Dauerwelle und dritten Zähnen«, fügte Sam lachend hinzu.
»Und Gehwagen im Kofferraum.«
»Könnte sogar sein, dass wir da drin so etwas finden.« Sie zwinkerte Jane zu, als sie sich ins Auto setzten und sie den Zündschlüssel reinsteckte.
»Oh Gott. Müssen wir jetzt etwa auch Alte-Leute-Musik hören?«
»Keine Ahnung. Wie es aussieht, gibt es nicht mal einen CD -Player oder so was. Nur einen … was ist das, ein Kassettenrecorder?«
Jane beäugte das Ding und drückte ein paar Knöpfe. Eine alte, staubige Kassette schoss heraus, und sie erschrak. Beide lachten, dann schob Jane sie wieder hinein, und es ertönte ein steinalter Song, den keiner von ihnen kannte. Darin sang ein Typ mit schnulziger Stimme von spanischen Augen.
Sie saßen beide eine Minute sprachlos da und folgten den Worten des Sängers. Sie schmunzelten, verdrehten belustigt die Augen und schlugen sich dann die Hände vors Gesicht.
»Oh Gott, das ist ja grauenvoll«, rief Sam aus.
»Nicht auszuhalten«, meinte Jane und stellte es aus. Stattdessen drehte sie das Radio an und suchte nach einem guten Song. Als sie auf Raise Your Glass von Pink stießen, bat Sam sie, ihn anzulassen, da er der perfekte Song für ein Abenteuer wie ihres war.
»Du hast recht«, stimmte Jane zu. »Der ist perfekt.«
Sam fuhr aus der Einfahrt und die Straße entlang, die sie hoffentlich dorthin führen würde, wo all die Antworten auf sie warteten, nach denen sie sich so schmerzlich sehnte.
Die Fahrt ging superschnell herum und machte richtig Spaß. Die ganze Zeit über hörten sie coole Songs, sangen sogar mit und unterhielten sich über dies und das. Sam musste zugeben, dass sie Jane all die Jahre über völlig falsch eingeschätzt hatte. Die schwarze Kleidung, die sie auch heute trug, die ungekämmten Haare, die sie zu einem wirren Zopf gebunden hatte, das ungeschminkte Gesicht, das sie inzwischen für ziemlich mutig hielt, und das stille Auftreten sagten rein gar nichts über sie als Menschen aus. In Wahrheit war Jane richtig intelligent, humorvoll und vor allem ehrlich. Sie sagte, was sie dachte, und das wusste Sam zu schätzen, nachdem alle sie immer nur angelogen hatten, wie es schien.
»Was denkst du? Schminke ich mich zu viel?«, fragte sie Jane auf halbem Weg. Sie waren gerade durch Santa Cruz gefahren. Den Sunset State Beach hatten sie längst hinter sich gelassen.
»Soll ich ganz ehrlich sein?«, fragte Jane.
»Immer«, antwortete sie.
»Okay. Also, ich finde, eine Zeit lang hast du dich hinter all der Schminke irgendwie versteckt. So, als wärst du gar kein eigenständiger Mensch, sondern würdest nur mit der Masse laufen. Mit den anderen Cheerleaderinnen. Ich meine, du musst zugeben, dass ihr euch alle ganz schön ähnelt.«
»Ja, darüber hab ich in letzter Zeit auch oft nachgedacht. Jetzt fühle ich mich aber gar nicht mehr, als wäre ich eine von ihnen.«
»Das ist gut. Ich glaube nämlich, dass du so viel mehr bist.«
Sie war berührt, zutiefst. Als eigenständigen Menschen mit eigenen Vorlieben und Ansichten und Gefühlen hatte sie lange niemand mehr gesehen. Viel zu lange war sie einfach nur Jeremys Freundin oder eine von den Cheerleaderinnen gewesen.
»Weißt du, ich glaube, du bist ein bisschen daran schuld, dass ich mich verändert habe«, sagte sie ihr.
Jetzt lächelte Jane sie an. »Gern geschehen.«
Sie lächelte zurück.
»Hättest du gedacht, dass wir uns mal anfreunden würden?«, fragte sie sie, weil sie einfach immer noch total erstaunt darüber war.
»Also, ich würde jetzt nicht so weit gehen, uns als Freundinnen zu bezeichnen«, erwiderte Jane, und sie fühlte schon, wie ihr das Herz in die Hose sackte. Doch da begann Jane auch schon zu lachen. »War nur ein Scherz, Sam.«
»Oh. Na, zum Glück.« Erleichterung pur!
Im Radio erklang Bad Guy von Billie Eilish, und sie fingen beide an, lauthals mitzusingen. Jane tanzte sogar ein bisschen mit, doch das traute Sam sich nicht, da es ihr noch immer ein wenig schwerfiel, sich aufs Fahren zu konzentrieren. Dann aber konnte sie dem Beat einfach nicht mehr widerstehen und wippte ebenfalls zum Takt mit. Sie konnte sich nicht daran erinnern, wann sie sich jemals so ausgelassen gefühlt hatte. Und hoffnungsvoll. Und selbst wenn dieser Tag sonst überhaupt nichts bringen würde, so hätte sie doch wenigstens eine gute Zeit gehabt.
Drei Stunden später erreichten sie endlich San Francisco. Sam hatte den Verkehr am ersten Ferientag völlig unterschätzt. Zum Glück fingen die nicht auch noch in jedem County gleichzeitig an, doch es schienen sich wirklich viele Menschen auf nach San Francisco gemacht zu haben.
Ob die wohl alle jemanden suchten?
»Sollen wir wirklich mit dem Auto in die Stadt reinfahren?«, fragte sie ein wenig ängstlich. Die Straßen waren hier so überfüllt mit Autos und Menschen, das verunsicherte sie total. San Francisco war schon etwas ganz anderes als Carmel-by-the-Sea.
»Wir können es auch irgendwo abstellen und dann den Bus ins Zentrum nehmen. Oder die Straßenbahn«, schlug Jane vor.
Und genau das taten sie dann auch. Sie parkten den Buick in einer Seitenstraße und machten sich auf die Suche nach der nächsten Bushaltestelle. Dabei fotografierte Jane ein paar Straßenschilder.
»Damit wir nachher wieder zurückfinden«, erklärte sie.
»Gute Idee.«
Mit dem Bus fuhren sie dann zur Market Street, und von dort aus machten sie sich zu Fuß auf. Jane gab das Ebony Hotel bei Google Maps ein, und sie folgten den Anweisungen.
Zuerst überquerten sie den Union Square mit seinen Palmen, den die ganzen großen Kaufhäuser und Hotels praktisch einrahmten. Dies war einer der Touristen-Hotspots überhaupt, und schon gleich sollten sie zum nächsten kommen. Bereits von Weitem sahen sie das rote Tor, durch das man Chinatown betrat, und sobald sie darunter durchgegangen waren, staunten sie über die vielen asiatischen Menschen, die Restaurants und die chinesischen Klänge, die aus den Läden und von den Straßenmusikern kamen.
»Mein Gott, man fühlt sich, als wäre man in China«, meinte sie.
»Allerdings. Wollen wir mal in einen der Läden gehen?«
»Klar.«
Zehn Minuten später kamen sie beide mit einem großen Plastiktrinkbecher mit Deckel und Strohhalm wieder
heraus, auf dem I
SAN FRANCISCO
stand. Jane hatte sich einen schwarzen, sie sich einen weißen ausgesucht.
»Oh Shit«, sagte Jane, als sie wieder auf der Straße waren. Sam entdeckte Schweißperlen auf ihrer Stirn; es war wirklich heiß an diesem Tag.
»Was ist denn?«
»Was sagen wir unseren Eltern, wo wir die herhaben?«
»Erica hat sie uns von ihrem San-Francisco-Trip mitgebracht, den sie mit ihren Großeltern unternommen hat«, sagte sie, ohne groß zu überlegen.
Jane runzelte die Stirn. »Wer ist Erica?«
»Eine Mitschülerin an der Montgomery. Sie ist schon einen Jahrgang über uns.«
»Oh. Cool. Du hast dir also schon ein paar Ausreden überlegt?«
»Jede Menge. Normalerweise lüge ich nämlich nie. Ich dachte mir, ich sollte mir ein gutes Alibi zurechtlegen. Spontan kriege ich das nämlich sicher nicht hin.«
»Du lügst sonst nie?« Erstaunt sah Jane sie an.
Sie schüttelte den Kopf. »Nein.«
»Du solltest dringend ein bisschen lockerer werden«, riet ihre neue Freundin ihr. »Versteh mich nicht falsch, ich will dir nichts vorschreiben, aber …«
»Du hast ganz recht. Also …« Sie sah sich um. »Wollen wir hier irgendwo was essen gehen? Auch auf die Gefahr hin, dass wir Katze oder Meerschweinchen serviert bekom men?«
Jane lachte. »So locker ist dann doch nicht gut. Außerdem esse ich kein Fleisch. Aber wir können gerne gucken, ob wir was Leckeres finden. Da vorn, siehst du? Da steht Büfett für 6,99 auf dem Schild. Da finden wir bestimmt was Genießbares.«
»Alles klar. Auf geht’s!«
Sie fanden tatsächlich ein Büfett mit den köstlichsten Speisen vor und befüllten sich die Teller. Nachdem sie sich die Bäuche mit Bratnudeln, Wan Tan und Frühlingsrollen vollgeschlagen hatten, gingen sie weiter ihres Weges, und Sam wurde still.
»Bald sind wir da, oder?«, fragte sie ein wenig ängstlich.
Jane sah auf ihr Handydisplay. »Es ist nicht mehr weit.« Dann sah sie sie besorgt an. »Wir müssen das nicht machen, Sam. Wir können auch einfach wieder nach Hause fahren und das Ganze nur als coolen Ausflug betrachten.«
Doch sie schüttelte vehement den Kopf. Kneifen kam nicht infrage!
»Nein! Jetzt sind wir so weit gekommen, da will ich nicht einfach aufgeben. Lass uns das Hotel finden.«
»Da vorn ist es schon«, sagte Jane und deutete mit dem Finger zur anderen Straßenseite.
Ja, da stand es: Ebony Hotel . Es handelte sich um ein ziemlich schickes, neumodisches Gebäude mit gläsernen Fahrstühlen an den Außenwänden, einer dunkelblauen Fassade und sicher fünfzehn Stockwerken.
In dem Gebäude war ihre Mutter kurz vor ihrem Tod gewesen. Auf dieser Straße war sie entlanggelaufen. Sam merkte selbst, wie sie vor Aufregung fast den Halt verlor. Ihre Beine schienen wegsacken zu wollen, doch sie atmete ein paarmal tief durch und überquerte dann die Straße, Jane immer an ihrer Seite.
Keine von ihnen sagte mehr ein Wort. Sie gingen in Richtung Eingang und wurden von dem Portier, der davorstand, schief angeguckt. Sie wusste nicht, ob das der Fall war, weil Jane aussah wie ein Grufti und sicher nicht wie jemand, der in solch einem Hotel nächtigte, oder weil sie selbst so nervös aussah. Vielleicht dachte der Typ, sie hätte eine Maschinenpistole im Gepäck oder etwas Ähnliches.
Sie versuchte ihn anzulächeln und sagte: »Guten Tag.«
Da lächelte er plötzlich zurück und wünschte ebenfalls einen guten Tag. Sie kamen also ohne Probleme rein und gingen direkt auf die Rezeption zu. Eine Frau um die dreißig mit kinnlangem dunklem Haar und einer Brille lächelte sie freundlich an und hieß sie willkommen.
»Hallo«, begann Sam, doch danach brach ihre Stimme ab. So sehr sie sich auch anstrengte, sie kriegte doch kein weiteres Wort heraus.
»Wie kann ich Ihnen helfen?«, fragte die Angestellte.
Sie hörte selbst, wie sie ein paar krächzende Laute von sich gab und wäre am liebsten im Erdboden versunken. Was hatte sie sich dabei gedacht herzukommen? Hatte sie denn wirklich geglaubt, sie könnte hier einfach so hereinspazieren und man würde ihr Auskunft geben?
Zum Glück sprang Jane schnell ein. »Hi. Wir sind auf der Suche nach jemandem«, ließ sie die Frau wissen. »Um genauer zu sein, suchen wir die Mutter meiner Freundin. Der Name ist Jodie Green. Sie war vor etwas über drei Jahren hier in diesem Hotel. Wir wissen, dass sie in Ihrem Restaurant in der Dachetage gegessen hat und sind uns ziemlich sicher, dass sie auch hier übernachtet hat. Und jetzt wollten wir Sie bitten, uns das zu bestätigen. Und vielleicht können Sie uns ja auch sagen, mit wem sie hier war?«
Die Rezeptionistin lächelte jetzt nicht mehr. »Es tut mir leid, aber ich darf Ihnen keine Auskunft über unsere Gäste erteilen.«
»Auch nicht, wenn es ihre Mutter war? Ich meine, sogar Ärzte im Krankenhaus dürften der Tochter Auskunft erteilen, oder? Wenn die Mutter krank wäre oder einen Unfall gehabt hätte«, warf Jane ihr die Fakten hin.
»Das mag sein. Aber ich kann das leider nicht.«
»Bitte«, brachte Sam jetzt endlich heraus, und sie hörte selbst, wie elendig es klang.
Die Frau sah sie an. »Das war vor über drei Jahren?«, fragte sie nach.
»Ja. Kurz vor ihrem Tod. Ich muss wissen, was damals genau passiert ist.« Ihr stiegen Tränen in die Augen.
»Oh. Das tut mir sehr leid. Aber … ich weiß ja gar nicht … Kannst du denn nachweisen, dass du ihre Tochter bist? Warst?« Sie schien sich ziemlich unwohl zu fühlen. In solch einer Situation hatte die Arme wahrscheinlich auch noch nie gesteckt.
Sam holte ihren Personalausweis heraus und ein Foto ihrer Mutter. »Das war sie. Jodie Green«, wiederholte sie den Namen. »Und sie muss hier gewesen sein am zweiten Wochenende im März 2018. Können Sie sich an sie erinnern?«
»Erinnern kann ich mich nicht, tut mir leid.« Sam sah die Frau, die Adriana hieß, wie sie jetzt erst auf ihrem Anhängeschild las, grübeln und dann tief einatmen. Sie blickte sich nach links und rechts um. »Gut, hört zu. Eigentlich dürfte ich das nicht. Aber ich schau mal kurz nach, okay? Ihr dürft aber niemandem verraten, dass ihr die Infos von mir habt, ja?«
Sie nickten beide, und Sam war unendlich dankbar.
Leider brachte es rein gar nichts. Adriana konnte nichts herausfinden. Im System gab es keinen Übernachtungsgast namens Jodie Green.
»Und was ist mit dem Restaurant?«, wollte Jane wissen. »Gibt es da vielleicht irgendwelche Aufzeichnungen? Eine Reservierungsliste oder irgendwelche Kreditkartenabrechnungen?«
»Nichts, das drei Jahre zurückreicht«, meinte Adriana und sah sie mitleidig an. »Es tut mir leid, dass ich euch nicht weiterhelfen konnte.«
»Schon okay«, meinte Jane. »Trotzdem danke.«
»Ja. Danke«, meinte auch Sam.
»Kleine, du siehst ganz blass aus. Geht es dir gut?«, fragte Adriana besorgt.
Das konnte sie leider nicht beantworten. Denn nun sackten ihre Füße wirklich weg. Wenn Jane sie nicht gehalten hätte, wäre sie sicher auf dem Boden gelandet.
»Bring sie dort zur Couch«, gab Adriana Jane die Anweisung und kam um den Tresen herum, um ihr dabei zu helfen. Dann brachte sie ihr ein Glas Wasser.
»Soll ich irgendwen anrufen?«, fragte sie dann unsicher.
»Nein, danke, es geht schon«, meinte Jane.
»Wirklich?« Adriana sah Sam ins Gesicht.
»Ja«, antwortete sie und nickte, wobei ihr Kopf dröhnte. »Ich glaube, ich muss nur an die Luft.« Sie stand langsam wieder auf.
»Okay. Pass auf dich auf, ja?«
In Janes Arm eingehakt ging sie nach draußen.
»Und Aiden war sich ganz sicher, dass es das Ebony Hotel war?«, fragte sie, ziemlich verzweifelt.
»Ganz sicher.«
»Und was machen wir jetzt?«
Jane überlegte, holte spontan ihr Handy heraus und hielt es dem Portier hin. »Kennen Sie diese Frau?«, fragte sie ihn.
»Nein, tut mir leid«, gab er zur Antwort.
»Können Sie es sich bitte noch mal genauer ansehen?«, bat sie.
Das tat der Mann. »Ich bin mir nicht sicher. Ich sehe hier täglich so viele Menschen. Da kann ich mich unmöglich an alle erinnern.«
»Diese Frau war vor circa drei Jahren hier.«
Der Typ lachte. »Drei Jahre? Oh, Mädchen, das ist, als würdest du mich fragen, ob ich noch weiß, was ich vor drei Jahren zum Frühstück gegessen habe.«
»Komm, Jane, das bringt uns nicht weiter«, sagte sie. Inzwischen hatte sie alle Hoffnung verloren.
Sie entfernten sich ein paar Schritte. »Was ist mit dem Restaurant? Wollen wir da mal hoch und die Kellner fra gen? Vielleicht erinnert sich jemand an sie«, schlug Jane vor.
»Ach, das ist doch alles völliger Schwachsinn. Es ist drei Jahre her. Keiner kann sich an sie erinnern. Wie habe ich nur denken können, dass ich hier etwas herausfinde?«
»Es ist echt komisch, dass sie hier nicht angemeldet war. Oder … vielleicht hat sie einen falschen Namen benutzt.«
»Warum sollte sie?«
»Na, damit man eben nicht herauskriegen kann, dass sie hier war«, meinte Jane und biss sich sogleich auf die Zunge. »Sorry.«
»Alles gut. Lass uns gehen. Es war dumm herzukommen.« Sie marschierte los.
Jane zog sie am Arm, hielt sie fest, sah ihr in die Augen. »Nein, Sam, es war nicht dumm. Du musstest das tun.«
Sie seufzte. »Ja, ich weiß.« Sie sah die Straße hinunter, weit hinten konnte man eine Brücke erkennen. »Also, wo sind jetzt deine Seelöwen?«
Jane lächelte, tippte wieder was in ihr Handy, streckte einen Arm aus und sagte: »Da entlang.«