Es war kalt in jenem ersten März, und gepflügt wurde spät, das weiß ich noch. Manches aus jenen frühen Jahren habe ich nie vergessen; Worte und Tage und Anblicke, die wie Steine im Gedächtnis liegen. Unser Leben ging ohne große Ereignisse weiter, und das Wenige, was geschah, ragt wegen all des Gleichen ringsum völlig unverhältnismäßig hervor. Jener erste Frühling war im Grunde wie die meisten folgenden und doch von einer eigenen Bedeutung getragen.

Kerrin klagte über die raue Kälte, und das Haus war wirklich schwer zu heizen, doch ich erinnere mich, dass endlich ein Tag Gottes kam, an dem wir uns vorsichtig aufs Gras legten, um die Flockenblumen nicht zu zerdrücken, und ihren frühlingszarten Duft rochen. Die Hügel waren an dem Tag von einem blassen, rauchigen Grün, alle Farben verliefen und verschmolzen miteinander, das Rot der Holzapfelzweige etwa mit dem Schattenlavendel, nur die Apfelbäume hatten Rinden aus Blutrot und Gold. Wir gingen zu der Stelle hinauf, wo damals die alte Scheune mit den grauen Schindeln und den durchhängenden Balken stand – alt wie ein erhabener Teil der Erde selbst. Wir aßen unsere Mittagsmahlzeit, an ihrer Südwand sitzend, und saugten die heiße Frühlingssonne auf und den blassen, wässrig blauen Streifen jenseits der Bäume, und selbst Kerrin wirkte weniger fremd und sonderbar. Dad hatte zu viel zu tun und konnte seine Zeit nicht damit verschwenden, uns Gesellschaft zu leisten. Dafür zu sorgen, dass wir genug zum Leben und zum Essen hatten, war schon reichlich Arbeit, und wer etwas beiseitelegen oder für später anhäufen wollte, der behielt noch im Schlaf die Nase in der Ackerfurche und die Hand am Pflug. Mutter aß mit ihm zu Hause, und wahrscheinlich waren sie froh, wenigstens bei einer Mahlzeit unter sich zu sein, ohne dass wir sie pausenlos von oben bis unten beäugten und uns alles merkten, was sie sagten, um es ihnen vorzuhalten, sollten sie sich je widersprechen.

Wir saßen auf dem Hügel und beobachteten einen Hüttensänger, der die Bäume und Zaunpfähle absuchte, und konnten weit in die Tiefebene schauen, mit dem Bach und den Ahornen, die dem Wasserlauf folgten und sich langästig zu ihm hinunterbeugten. In den Holzapfelästen saß ein Neuntöter, und Kerrin sagte, das seien grausame Geschöpfe, die Feldmäuse und Vögel mit ihren Dornen aufspießten, sodass deren Füße steif wie kleine Hände in die Luft ragten. Ich fand nicht, dass es grausame Geschöpfe waren – nur natürliche. Sie erinnerten mich an Kerrin, aber ich war klug genug, es nicht laut zu sagen.

»Bald ist Dads Geburtstag«, sagte Merle. »Er wird siebenundfünfzig. Ich finde, wir feiern eine Party – mit Geschenken.« Sie stand langsam auf und schüttelte sich, von der warmen Sonne und dem Essen schwer wie ein Zotteltier. Dann baute sie sich mit ihrem runden, ernsten Gesicht vor uns auf.

»Wo willst du das Geld hernehmen?«, fragte Kerrin. »Ich hab welches, aber du nicht. Ich hab schon ein Messer gekauft, das schenk ich ihm.«

Ich warf ihr einen schnellen, eifersüchtigen Blick zu. »Wo hast du denn Geld her?«, fragte ich. Ich hatte nicht daran gedacht, dass ein Geburtstag anstand, nicht überlegt, was ich schenken könnte, und das machte mich wütend auf sie.

»Es ist meins, Marget. Ich hab’s selber verdient!«, rief Kerrin. »Du denkst wohl, ich hätte es gestohlen oder geborgt?« Sie stand auf und funkelte mich an. Ihr langes, schmales Gesicht war ganz dunkel, und ich glaube, sie hoffte, dass ich sie tatsächlich verdächtigte, wollte sich dunkler, heimlicher Dinge beschuldigt fühlen. Ich bohrte kleine Löcher in die Erde und grub einen Löwenzahnkopf ein, verlegen und halb in Angst, dass sie mir etwas antun würde. »Hab mich ja nur gewundert«, sagte ich, »weil sonst niemand welches hat.«

Kerrin machte sich steif wie ein Kranich. Fast schienen ihre Augen zu zucken, wenn sie sich aufregte oder meinte, sie hätte das Recht dazu. »Du hältst mal besser den Mund. Du hast doch sowieso keine Ahnung!« Ihre lidschweren Augen weiteten sich wutentbrannt. Sie machte immer Szenen.

Merle verschränkte ihre dicklichen Hände ineinander. Ihr war beklommen zumute, sie fühlte sich angespannt und fürchtete diese Momente mehr als jede Schlange oder jeden Geist. »Wir sollten jetzt zurückgehen«, sagte sie. »Vielleicht ist es längst Zeit zum Geschirrspülen –«

Kerrin sah sie gereizt und trotzig an. »Na und? Wen kümmert das? Kann sein, dass ich eine ganze Weile nicht zurückgehe!« Sie zerbrach unaufhörlich Zweige in ihren dürren Händen.

»Kerrin«, sagte ich wie eine aufgeblasene Idiotin, »die Dinge, die man uns aufträgt, sind nicht immer die, die wir gern tun wollen.«

»Warum tust du sie dann nicht?«, sagte Kerrin.

Darauf wusste ich nichts zu antworten. Ich scheute mich, noch einmal von dem Messer anzufangen. Nichts hatte sich geändert, und doch wirkte der Nachmittag jetzt kalt und frostig … Merle machte sich auf den Weg den Hügel hinunter. Sie dachte immerzu an Mutter, die mit der Arbeit allein fertig werden musste, und war immer die Erste, die sich den Aufgaben widmete, die gerade zu erledigen waren. Es war etwas in ihr, schon damals, was einen Fuß vor den anderen setzte, auf einem geraden Weg zu einem klaren Ort, und ich wünschte mir damals und wünsche es mir noch heute, dass es auch in mir so etwas gäbe, was stetig auf einer einzelnen Straße entlangmarschieren würde anstatt mal hier, mal dort, mal woanders, während mein Geist ein Netz aus Hasenpfaden knüpfte, voller Windungen, Kurven und Kehren, immer vom Habichtschatten des Zweifels verfolgt. Doch obwohl ich mich geringschätzte, schien die Erde für mich nicht weniger schön, mir nicht weniger zum Geschenk gemacht als Merle, die doppelt so viel Gutes in sich trug. Und das kam mir ungerecht und seltsam vor, aber eines Tages würde es sich wohl ausgleichen.

Ich lief hinter ihr her, und Kerrin, die weder mitkommen noch allein bleiben wollte, folgte uns. »Was schenkst du ihm, Merle?«, fragte ich. Sie sah rot und stolz aus, froh, etwas gefragt zu werden, wenn sie die Antwort wusste. »Ich schenk ihm eine Schachtel«, sagte sie. »Eine große für seine Nägel und Schrauben.«

»Das ist schön«, sagte ich. »Du kannst Fächer für die verschiedenen Größen machen und sie einfärben.« Dabei konnte ich mir nicht vorstellen, wie sie das alles bewerkstelligen wollte.

»Was schenkst du ihm?«, fragte Kerrin mich. »Wir sollten schon alle was haben. Es muss ja nicht viel sein.«

»Das wirst du ja sehen«, sagte ich. In meinem Herzen glaubte ich ohnehin nicht, dass es viel sein würde. Ich war unsicher, ob es überhaupt etwas sein würde. Ich war nicht sehr gut darin, Dinge selber zu machen.

In der heißen Sonne gingen wir langsam dahin. Merle war still, nachdenklich. Ich vermute, sie dachte an all die Hühner, deren Nester noch gefüllt werden mussten, und an das lahme, das alle seine Eier zerbrach, aber so unbeirrbar brüten wollte, dass es einem leidtat, obwohl Merle seine Dummheit und das eiverklebte stinkende Stroh hasste. Es war schon fast zwei, und anscheinend verbrauchte sich die Zeit schneller, wenn man überhaupt nichts tat, und ließ es einen weniger merken, als es bei der Arbeit je der Fall war. Wir liefen den Kuhpfad hinauf, wo der Boden trocken und warm war und am Rand die Disteln sprossen. Wir konnten Dad schon wieder pflügen und Rotkehlchen in den Furchen landen sehen, stets in weitem Abstand zum Pflug. Der Blaurauchgeruch von brennendem Gestrüpp und ein warmer Dunst lagen in der Luft. Merle ging voran, rund und mit reiner Haut, den Mund noch voll von dem übrig gebliebenen Stück Brot, das Haar hinten am Kopf ungekämmt und wollig; dann kam ich, mit nichts Besonderem vergleichbar, im braunen Kleid und mit Bettlerlaussamen in den Strümpfen; und schließlich Kerrin, die hinter uns herzuckelte und so tat, als würde sie uns jeden Moment verlassen. Sie hatte rötliches Haar mit Stirnfransen, und ihre Arme hingen wie zwei flache Holzlatten an ihren Schultern, aber ihr Gesicht hatte schärfere, interessantere Züge als unsere. Sie war auch stärker als wir und glaubte, dass sie pflügen könnte, wenn Vater sie ließe. Doch der meinte, ein Mädchen würde es nie lernen und nur das Feld verhunzen. »Ihr Mädchen helft eurer Mutter.« Er stellte einen Mann ein, der eine Weile für ihn arbeitete, und Kerrin war wütend, fühlte etwas in sich pochen, ohnmächtig und unterdrückt, und schmollte und schaute finster, wie die Jungbullen es tun. »Er denkt, ich könnte nichts!«, schrie sie dann Mutter an. »Er behandelt mich, als wäre ich immer noch zwei. Warum tust du nichts dagegen? Warum sorgst du nicht dafür, dass er es sieht?«

»Er wird es irgendwann sehen«, sagte Mutter. »Ich denke, er wird es sehr bald sehen.«

»Warum sagst du es ihm nicht trotzdem?«, rief Kerrin dann. »Warum wartest du immer so lange mit allem? Du behandelst ihn, als wär er Gott persönlich!« So endete es jedes Mal, und dann knallte sie mit der Tür, während wir so taten, als hörten wir es nicht, und einfach weitermachten, elend und hasserfüllt nur in unserem Inneren. Und für Mutter, die alles schwernahm und still ertrug und im Leben der anderen lebte, als wäre es ihr eigenes, war es jedes Mal, als würde sie innerlich verwundet. Ich hörte dann, wie sie Vater leise und zaghaft dies und jenes vorschlug; wenn er müde war, wurde er ärgerlich, und wenn er sich, was selten vorkam, freute – über Merles pralle Wangen, die im Wind zu leuchten schienen, oder eine kluge Bemerkung von ihr –, dann lachte er, doch willigte er nie sofort ein oder ließ sie wissen, dass sie ihn umgestimmt hatte. Es war schwer für sie, etwas anzusprechen, wenn er sich gerade freute oder ruhig dasaß, hatte er doch nur wenige solcher Pausen, und es kam ihr dann vor, als würde sie ihn quälen. Wir verhielten uns leise, beteten, dass der Moment länger andauern, sich zu einer Stunde dehnen würde, und manchmal ließ Mutter die Gelegenheit um des Friedens willen verstreichen, obwohl es so vieles gab, was sie als ungerecht empfand, und sie eigene zersetzende Sorgen hatte, die sie gerne bei ihm abgeladen hätte.

Als wir an jenem Tag zurückkamen, hatte Mutter alle alten Kartoffeln auf der Zisterne ausgebreitet und war dabei, sie für die Saat klein zu schneiden. Sie sah dünn und plump aus und hatte ihre Haare zu einem geflochtenen Knäuel aufgewickelt. Doch ihre Wangen waren rund, ihr Gesicht jung, und sie freute sich, uns zu sehen – was mich manchmal wunderte, schon damals, weil ich dachte, vierzehn Jahre in unserer Gesellschaft hätten sie zurückhaltender und skeptischer machen müssen.

»Wir hatten’s schön«, sagte Merle, »und das Essen war auch gut.« Sie streckte ihr ein paar klebrige, mit Spucke zusammengedrehte Löwenzahnstängel entgegen und befestigte sie unten an Mutters Dutt.

»Die sehen ja wunderhübsch aus«, sagte Kerrin. »Wie Würmer.« Sie fing an, Kartoffeln zu schneiden, flink und säuberlich, doch Merle reagierte nicht, und auch sonst beachtete sie niemand. Ich fand, das geschah ihr recht, und Mutter lachte nur. Mutter sprach selbst nie viel, lauschte aber auf alles, was gesagt wurde, und gab uns das Gefühl, dass es einen Sinn hatte zu reden, weil sie da war und es hörte. Niemand sonst, den wir kannten, interessierte sich so sehr für alles, was es zu wissen gab und worüber man sprechen konnte – das Kreisen der Planeten und die Bedeutung von Aktien oder die verschiedenen Arten von Salz, die Schweine brauchten, und die Namen der großen viktorianischen Dichter.

Eine lange Zeit häckselten wir schweigend die Kartoffeln. Die Sonne war noch warm und wanderte langsam. Ich dachte über Kerrin und das Geld nach, fragte mich, wann sie es für das Messer verdient haben konnte, und hielt es für sehr wahrscheinlich, dass sie es sich einfach genommen hatte (was auch so war), vergaß es dann aber, weil ich einen grauen Falken beobachtete, der an den Eichen entlangglitt, vergaß es auch über dem Gedanken, was es wohl zum Abendessen geben würde. Es war, als hätte die Sonne alles verlangsamt und uns ausgepresst, uns ruhiger und sanfter gemacht. Für eine kleine Weile wenigstens.