In jenem Jahr planten wir seinen Geburtstag drei Wochen im Voraus. Doch um uns herum war alles fremd – das Land und die Menschen –, und wir konnten niemanden bitten, zu uns zu kommen. Vater kannte die Rathmans – den alten Rathman, seine Frau, ihre drei Söhne, die wie drei große Bullen waren, und eine Tochter mit rundem, vollem Gesicht; er ging samstags manchmal zu ihnen zum Essen. Fast immer, wenn er dorthin komme, säßen sie am Tisch, sagte er, begännen oder beendeten gerade eine ihrer fünf Mahlzeiten, Kaffeeduft sei wie ein Teil des Hauses selbst, in die Wände eingedrungen und mit Sauerkrautgeruch vermischt. Die alte Mrs. Rathman verbringe ihr ganzes Leben zwischen Tisch und Herd, und wenn sie hinausgehe, dann nur, um Dinge hereinzuholen, die sie eine Weile auf den Herd stelle und dann auf den Tisch, wo sie sie den drei Jungs und Joseph Rathman und manchmal sich selbst einverleibe. Dad mochte den alten Rathman und nannte sein erstes Kalb nach dessen Tochter Hilda statt nach einer von uns (nicht dass wir uns deswegen grämten, denn es war hässlich, einhörnig und scheußlich violett); aber wir hatten Angst vor dem alten Mann, weil sein Blick uns zu verhöhnen schien und wir glaubten, er wisse irgendetwas Geheimes oder Skandalöses und verachte uns. Heute ist mir klar, dass das nur so seine Art war und dass er uns mochte, weil wir gesund aussahen und Kinder waren. Dennoch scheuten wir uns, ihn einzuladen. Merle sagte, sie würde dann ihr Gedicht vergessen, und Kerrin meinte, er würde vielleicht unser Essen nicht mögen, und ich sagte gar nichts, war aber froh, dass sie so entschieden hatten. Mir graute vor fremden Menschen, nur wollte ich nicht schuld sein, sollte sich hinterher herausstellen, dass es besser gewesen wäre, wenn wir sie eingeladen hätten (so machte ich es immer, weshalb sie glaubten, ich wäre gutmütig, dabei war ich in Wirklichkeit bloß ein Feigling).

Die Rathmans waren nach Norden hin die Einzigen in unserer Nähe, aber südlich von uns, auf einer schmalen, strauchreichen Farm, lebten die Ramseys. Die Ramseys waren Schwarze, und ihr Land machte einen ausgedörrten und steinigen Eindruck. Alle Tiere waren mager und knochig, selbst die Schweine sahen schlaff aus wie Ballons ohne Luft – die Ferkel schwarz und klein, mit riesigen, fuchsspitzen Ohren. Christian Ramsey war lang und dünn und schmutzfarben, und seine Frau hieß Lucia. Sie besaßen ein Rudel gefleckter, geisterhafter Hunde und hatten fünf Kinder, drei eigene und zwei adoptierte – darunter eins, das fast weiß und doch volllippig war, das hatten sie nicht haben wollen, doch da es auch sonst keiner wollte, hatten sie es behalten und behandelten es besser als die anderen, meinte Vater, ob aus Angst oder Mitleid, wusste er nicht zu sagen. Doch die Ramseys konnten wir nicht einladen, noch wären sie gekommen, wenn wir es getan hätten. Und die weiter entfernt lebenden Farmer waren nur Namen.

Wir planten die Party selbst, wie alles ablaufen sollte und was vorbereitet werden musste, und ich brachte Merle ein langes Gedicht bei und ließ sie jeden Tag eine Stunde im Hühnerhaus auf der Heukiste sitzen und es auswendig aufsagen. Wir nannten es eine Ballade, und es war ein furchtbares Machwerk, doch die Wörter reimten sich an den Versenden, und es gab eine Handlung, also war es vielleicht wirklich eine. Kerrin und ich hatten es uns ausgedacht, und es endete mit einem Tod, doch da Vater jeden Gedanken an den Tod von sich schob und uns nie erlaubte, davon zu sprechen, ließ ich den Schluss weg, als ich es Merle beibrachte. Davon wusste Kerrin allerdings nichts, weil Merle es nicht von ihr lernen oder mit ihr allein sein wollte, seit sie einmal im Kartoffelkeller eingesperrt gewesen war und Stunden im Dunkeln hatte ausharren müssen. Mir dagegen vertraute sie so sehr, dass ich es manchmal wie eine schwere Last auf meinen Schultern empfand, wenn auch eine wunderbare und ein bisschen so, als wäre ich Gott. Es machte ihr nichts aus, das Gedicht zu lernen. Sie saß da mit ihren schwarz gerippten, über den Kistenrand baumelnden Beinen, die dicken Wangen rot vor Kälte, und unter der Mütze mit der großen Bommel schaute eine feuchte Haarsträhne hervor. Neun- oder zehnmal sagte sie es voller Begeisterung auf, die restlichen Male geduldig und präzise. Es handelte von einem Bauern, und wir hofften, Vater würde lachen, denn hier und da sollte es lustig sein, und Mutter würde auf jeden Fall lachen, das wussten wir. Merle war aufgeregt, zählte die Tage und schaute mich oft vielsagend und verschwörerisch an.

Kerrin wollte uns nicht verraten, was sie vorhatte, ging aber jeden Tag allein in den Wald. »Es wird gut«, sagte sie nur. »Ihr werdet alle beschämt sein.« Zwischen dem Melken und dem Abendessen war sie allein unterwegs und kam manchmal singend zurück. Sie hatte eine gute Stimme, die jedoch zu laut und schallend war, weshalb sie nicht gern vor anderen sang und damit aufhörte, sobald sie an der Scheune vorbei war. Ich selbst hatte mir überlegt, Dad einen Korb aus Lehm zu machen, wie die indigenen Völker sie herstellten, und ihn anzumalen – womit, wusste ich nicht genau, vielleicht mit Rote-Bete-Saft oder Tinte –, den könnte er dann anstelle der rostigen Dose benutzen, in der er bisher immer die Eier zum Haus trug. Ich arbeitete tagelang daran, machte ihn zuerst vernünftig groß, mit einem Griff aus Draht und Lehm, der jedoch in Stücke zerbrach, sobald ich den Korb anhob. Danach machte ich ihn noch dreimal neu, jedes Mal kleiner, bis er schließlich stabil war und hielt, auch wenn nun kaum ein Spatzenei hineinpasste. Immerhin sah das Ganze wie ein Korb aus, und ich wünschte, er wäre für Mutter bestimmt, der alles gefiel, was wir selber machten – sogar ein Kissen, das Merle mit unsauberen, muffig riechenden Hühnerfedern gefüllt hatte. Die Vorstellung, dass Dad es bekommen würde, fand ich trotzdem schön, denn es war ein gutes Gefäß, mit einem Muster aus roten Formen bemalt, die so aussahen wie Reiher, nur dass der Saft verlaufen war und ihre Umrisse in alle Richtungen verschwammen; außerdem war er schwerer zu erfreuen und wirkte umso dankbarer, wenn es einem gelang.

Ich mochte die Stunde, die ich jeden Tag dort am Ufer verbrachte, mit dem schwachen, lehmkalten Geruch des Wassers; überall am Rand waren kleine Löcher, vielleicht vom Schnabel eines Spechts, in denen sich Spinnen versteckten und die Kohlweißlinge sich fingen, die in dünnen, gelben Wolken angeflogen kamen, um am Lehm zu saugen. Manchmal ging ich am Vormittag hin und hörte das Eis von den Platanen tropfen und das Klopfen des Spechts an der Rinde, so still war es dort; und zweimal schlich ein Rotfuchs über die Straße.

Einmal aber hörte ich, wie Kerrin, vor sich hin singend, vorbeiging. Sie konnte mich unterhalb der Böschung nicht sehen, und als der Gesang sich etwas entfernt hatte – ein Lied über Rizpa und ihren Sohn, der in Ketten aufgehängt wurde –, nahm ich meine Mütze ab, damit die Bommel mich nicht verriet, steckte den Kopf über die Böschung und sah sie dort laufen und singen. Ihr rotes Haar war wild und nicht bedeckt, wie es hätte sein sollen, denn das Frühlingswetter sei gefährlich, meinte Vater. (Er ging nie ohne Hut hinaus, obwohl ich nicht erkennen konnte, wozu ein Männerhut gut sein sollte – der Wind blies ihm ja trotzdem um die Ohren.) Fast hätte ich sie gerufen und ihr gesagt, sie hätte sich besser etwas aufsetzen sollen, doch die Wörter blieben in meinem Mund, und Kerrin verschwand hinter dem Hügel. Mir war komisch zumute, als ich sie so sah, ganz allein. Irgendetwas an der Art, wie sie da lief und sang, kam mir vor, als wäre sie nicht mehr wie wir. Kerrin war uns nie sehr ähnlich gewesen, schon vorher und in vielerlei Hinsicht nicht. Sie erledigte Dinge abrupt und ungestüm oder gar nicht und aß manchmal wie ein ausgehungerter wilder Hund und murmelte beim Kauen vor sich hin; dann wieder stocherte sie in ihrem Essen herum und starrte aus dem Fenster, während Merle und ich geduldig alles aßen, was uns vorgesetzt wurde. Sie schlief auch zu seltsamen Tages- und Uhrzeiten, lang ausgestreckt wie ein Luchs in der Sonne, und stahl sich nachts aus dem Haus, um in den Sümpfen herumzustreunen. Ich wusste das, weil ich sie im Morgengrauen hatte zurückschleichen sehen, die Füße und Beine halb erfroren und mit eisigem Schlamm bedeckt. Und dieses Mal wirkte sie sonderbarer denn je, als gehörte sie nicht einmal mehr sich selbst. Mir war komisch zumute. Warum genau, wusste ich damals nicht, aber es war der Anfang von Angst. Angst, dass das Leben nicht sicher und behaglich war oder auch nur streng und hart, sondern dass es eine dunkle Seite gab, die weder das eine noch das andere war und niemals zu erklären oder zu verstehen. An jenem Tag ließ ich das Gefäß unvollendet und ging zum Haus zurück, wo zwar nicht immer alles gut war, aber wenigstens einigermaßen eindeutig und nicht schwer zu verstehen.

Dads Geburtstag war im April, am neunten, aber wir waren lange vorher fertig, und die Tage, obschon voll und übervoll, vergingen nicht schneller, als Stein abgetragen wird. Merle fragte zwar nicht jeden Morgen: Ist es heute so weit?, aber Mutter merkte, dass sie sich Sorgen machte, sie würde den Tag verpassen, und brachte ihr bei, wie man jeden Abend die Tage auf dem Kalender auskreuzte. Wir planten, was wir ihm zum Abendessen machen wollten, und wünschten, es könnte etwas Selbstgezogenes sein, doch die Süßkartoffeln und die irische Sorte waren noch nicht herausgekommen und alles Gemüse gerade mal in der Erde. Dafür sollte es bergeweise Maispudding geben und eine dreischichtige Torte mit dickem Zuckerguss und so vielen Kerzen, wie auf ihr Platz hätten, wenn auch nicht siebenundfünfzig, wie es richtig gewesen wäre, denn dann wäre sie in sich zusammengesackt. Merle schlug vor, wir sollten sie rundherum in den Rand stecken, sodass die Torte aussehen würde wie ein brennendes Stachelschwein. Das gehe nicht, sagte Kerrin, sie solle das Backen denen überlassen, die etwas davon verstünden – womit sie seit den stahlharten Apfelteigkugeln, die ich eines Abends fabriziert hatte, wohl kaum mich meinte und auch nicht sich selbst, weil sie, die zwar gern mit dem Spaten zu Werke ging, sich nicht dafür interessierte, was aus der Erde hervorkam, und die Karotten abbrach, anstatt sie mit gutem Zureden und der Pflanzkelle herauszuziehen. Sie meinte wahrscheinlich, dass Mutter es am besten könnte, und das war noch in manch anderer Hinsicht als dem Kochen mehr als wahr.