Im März dieses Jahres – zehn Jahre nach dem Tag unserer Ankunft – hatten wir blechgraue Wolken und kalte Winde, und die weiße Asche von Obstgartenfeuern wurde gen Osten geweht und verstreut. Doch seit dem ersten Februar war kein Regen gefallen. »Dieses Jahr muss anders werden«, dachte ich. »Wir haben zu lange geschuftet und gebetet, als dass es so endet wie die anderen.« Die Schulden waren immer noch wie ein bodenloser, unaufgefüllter Morast, in den wir Jahr für Jahr Stunden der Hitze und Plackerei auf steinigem Land hineingeworfen hatten, nur um zuzusehen, wie sie verschlungen wurden, und danach zurückzukrauchen und wieder von vorn zu beginnen. Aus irgendeinem Grund war ich überzeugt, dass dieses Jahr anders und besser enden und nicht nur auf eine Verschiebung der Jahreszeiten hinauslaufen würde, die uns in Fesseln hielt und zum Warten zwang. Wir waren zu lange durch einen Nebel der Hoffnung gegangen.

Das Leben meines Vaters war eine Art erbittertes Kriechen, um die Schulden loszuwerden, bevor die Zeit käme, da schon der bloße Versuch zu schwer für ihn wäre. Er wünschte sich ein wenig Sicherheit für uns und dass wir frei wären von jenem Bangen und Zweifeln, das er selbst nur zu gut kannte. Und er wünschte sich Zeit, um zu schauen und still zu sein. Er liebte das Land mit einer Art Besitzerstolz – einfach weil es ihm gehörte und für uns von Bedeutung war; nicht so, wie Merle und ich es liebten und noch immer lieben: um seiner selbst willen, als etwas, was eine Art Ekstase und Heilung schenkt (große Wörter, doch selbst sie sind zu blass). Die Liebe, die wir empfanden, war eine namenlose, nicht völlig verstandene Liebe. Aber für Vater war das Land damals sein Leben. Das ganze Gewicht seines Strebens, die Hoffnung und Gesundheit seines Geistes ruhten auf dem Boden unter seinen Füßen. Die schwere, ihn anstrengende körperliche Arbeit mit ihrem unsicheren Gewinn war fast das einzige sichtbare Zeichen der Liebe, das er uns je gegeben hat. Allerdings eines, an dem ich nie zweifelte.

Vater war insofern wie Kerrin, als er das Meisterwerk einer Larve nicht sehen oder sich über den Schatten eines Blattes nicht freuen konnte; in dieser Hinsicht waren wir älter als er, dafür umso jünger in unserer Blindheit gegenüber der schweren Verantwortung, die er trug, oder jener bohrenden Angst, die ihn auf Kosten unseres Glückes nach Sicherheit trachten ließ. Manchmal denke ich, dass er ein milderer, geduldigerer Mann gewesen wäre, hätte es in unserem Haus Söhne gegeben anstatt immer nur Mädchengespräche und Frauenstimmen. Das Leben ist schon einsam und isoliert genug, auch ohne die dicke Mauer der Geschlechter, die es noch dunkler macht. Später redeten wir nicht mehr so viel, doch in den ersten Jahren waren wir der reinste Haufen Perlhühner, unentwegt gackernd und quackelnd. Es ärgerte ihn, dass wir durch das Leben anderer Menschen staksten und darin herumstocherten und uns erzählten, was wir gehört hatten. »Seid still!«, rief er dann. »Seid still und haltet euch aus den Angelegenheiten anderer heraus!« Und manchmal waren wir ihm deshalb gram gewesen. Auch meinte er wohl, wir machten ihm einen Vorwurf daraus, dass von allem, was er jahrelang angehäuft hatte, nur dieses Land übrig geblieben war; in Wahrheit hatten wir darüber nie nachgedacht und freuten uns, dass das Land alt und steinig und voll ungelichteter Wälder war. Und auch Mutter warf es ihm weder in Worten noch in Gedanken vor. Sie wollte nur dort sein, wo Vater war, sei es der Garten Eden oder Scheol selbst, und welche Gestalt dieser Ort annahm, spielte für sie weiter keine Rolle. Er aber war so groben Sinnes, dass er uns alle verdächtigte.

Wir schienen nie in die Lage zu kommen, viel Überschuss zu erwirtschaften. Alles, was wir über die reinen Lebenskosten hinaus sparen konnten – ein Leben einzig durch den Mund und den Geist, ohne je etwas Neues außer den Jahreszeiten oder unseren Gedanken –, floss in die Abzahlung der Hypothekenschuld. Es wäre so wenig nötig gewesen, uns glücklich zu machen. Etwas mehr Ruhe, etwas mehr Geld – das Quälende war die Nähe eines solchen Lebens, wie wir es uns wünschten. Und Dinge, die mehr gekostet haben, als sie wert sind, hinterlassen einen bitteren Nachgeschmack. Einen Geschmack von Salz und Schweiß.

Der Frühling pirschte sich langsam an in diesem Jahr und wich gezeitenähnlich zurück. Die Farne kamen wieder, grüne Krummstäbe und Alraunen, die sich wie Giftpilze aus dem Gras wölbten. Ich war manchmal ganz ausgelaugt und hätte nichts dagegen gehabt, von einem Robiniendorn aufgespießt und den Würgern überlassen zu werden. Wozu letztlich das Ganze? Die endlos strapazierte Hoffnung … die nie erfüllte Sehnsucht … vier Uhr früh und ein eisgrauer Morgen … Kühe und Dunkelheit … die Kannen im nebligen Lichtschein gewaltig … ein kalt und windig angebrochener Tag … Max, düster wie ein roter Lehmklumpen … das unablässige Kochen … der saure Rand der Kübel … Vaters graue Hemden, die den ganzen Tag im Wasser weichten … Es schien keine Antwort zu geben, und so lag die Antwort einzig im Vergessen.

Doch manchmal waren die Tage schon warm. Der Frühling kam zuerst in die Luft und dann ins Leben der Dinge. Die Ulmen waren grün wie Schwefelrauch oder wie Staub aus einem trockenen alten Pilzgeflecht; die Haselwurz war noch auf ihren Wurzeln festgedrückt, wenn auch grün mit silbernem Schimmel, und in der Schlucht entdeckte ich eine Mokassinschlange, zusammengerollt und hasserfüllt, während ihr ununterbrochen das kalte Frühlingswasser über die Haut floss, bis mir vom bloßen Zuschauen selber ganz kalt wurde. Der Boden war hart. Pflanzen kämpften sich mit gebeugten Köpfen aus ihm hervor. Vater begann zu pflügen und nahm in diesem Jahr mehr vom Wald weg. Einige Hektar wilder Phlox wurden zu Mais. Es hatte keinen Zweck, irgendetwas dagegen einzuwenden. Nicht einmal Merle versuchte es noch. Vier Bäume wurden gefällt, zwei Nadeleichen und zwei Ahorne, und die Eichen hatten einen seltsamen öligen Geruch. Keine Pfirsiche dieses Jahr. Die Blüten spärlich, nur ein oder zwei pro Ast; doch die Apfelknospen waren dick, die Birnbäume reich bedeckt. »Ein gutes Jahr«, sagten wir, »- wenn nichts passiert.« (Ich fragte mich, ob es irgendwo auf der Welt Menschen gab, die sagen konnten, so und so wird es kommen, mit Gewissheit. Kein Bauer konnte das.) Ein gutes Jahr – und das Land gehörte wieder uns. Ich stellte mir ein Leben ohne diese Last vor, so herrlich, dass einfach am Leben zu sein schon genug wäre. Doch Hoffnung war damals alles, was wir hatten; nicht einmal glauben konnten wir – es sei denn, eine Hoffnung, so stark und hartnäckig, dass nichts sie entwurzeln kann, heißt Glaube.

Es war seltsam, wie wenig Regen in jenem Monat fiel, und wir dachten, der nächste würde eine Flut bringen.