Ich erkannte immer deutlicher, was ich schon wusste, ohne in Gedanken weit genug gegangen zu sein, um es mir einzugestehen. Ich glaube, ich verstand es nicht durch irgendein ausgesprochenes Wort, sondern las es an Grants Gesicht ab in Augenblicken, wenn es nicht geschützt war. Grant war kein einfacher Mann wie Vater. Keiner, dessen Liebe und Hass man nah bei seinen Augen oder seinem Mund fand. Das mochte ich an ihm und war dennoch verwirrt, nicht an Menschen gewöhnt, die ihr Empfinden wie ich so sehr versteckt hielten.

Was Merle damals empfand, weiß ich nicht. Wir sprachen nie direkt oder offen über ihn außer auf ganz gewöhnliche Weise. Sie redete manchmal mit knappem, fast mitleidigem Spott von Kerrins Art und lachte über sie, doch ohne Häme, wie es nur jemand tun kann, der weder hasst noch liebt. Oft sahen wir sie zusammen bei dem Schlangenkletterfarn stehen, den Grant für Mutter ausgegraben hatte und den Kerrin jeden Tag genau zu der Zeit wässern ging, wenn er mit der Milch zurückkam; dann sah Merle mich an und lächelte. Wir hörten ihr schrilles, schwarzes Lachen und sahen, wie Grant in ihr heißes, aufgeregtes Gesicht hinabschaute. Ich war froh, als der Farn einging und wir Kerrin nicht weiter dabei zusehen mussten, wie sie diese Farce veranstaltete, sich allabendlich um ihn zu kümmern. Es ist schwer mitanzusehen, wenn Menschen sich idiotisch aufführen. (Noch schwerer, mitanzusehen, wie sie literweise Wasser auf den Farn schüttete.) Grant wollte auf eine fast Mitleid erregende Weise gefallen und hatte den Farn im Schluchtwald ausgegraben. Als er einging, sagten wir es ihm nicht – außer Merle. Sie zeigte auf das trockene, verschrumpelte Ding und sprach von »frühem Heu«. Grant lachte, wurde aber hochrot. Er ging los, um noch einen zu holen, fand jedoch keinen mehr. »Warum muss er andauernd Sachen aus der Erde ziehen und woanders hinbringen?«, fragte mich Merle. »Warum kann er sie nicht dort wachsen lassen, wo sie nun mal sind? Geht schon genug Zeug ohne sein Zutun ein!«

Auch sonst benahm sich Kerrin so. Als die Männer beim Heumähen gewesen waren, hatte sie ihnen jeden Vormittag zweimal Wasser gebracht. Einmal bot ich ihr an, es für sie zu tun, weil sie müde aussah und ich dachte, sie wäre vielleicht froh, wenn ich es zur Abwechslung mal übernehmen würde, aber sie ging auf mich los wie eine Bergkatze und brüllte fast. »Das hast du doch nie gemacht«, sagte sie. »Wieso jetzt?« Dabei sah sie mich durchdringend an und brach in Gelächter aus. Zu hassen war zwecklos. Ich sagte mir: Wir haben keine Zeit zum Hassen; es ist blinde, schreckliche Verschwendung – aber ich konnte mir nicht helfen. Kerrin begehrte Grant, begehrte ihn mehr als alles, wonach sie je die Hände ausgestreckt hatte. Weil er greifbar war, nehme ich an. Es war nicht wirklich Grant, den sie begehrte oder für den sie etwas empfand, denn sie kannte ihn unter der Oberfläche gar nicht. Ich musste an Aasreben denken, die sich mit hungriger Ziellosigkeit blindlings in alle Richtungen vortasten, bis sie einen Stängel finden, um den sie sich wickeln können.

Also ließ ich sie ziehen – für andere Arbeit taugte sie ohnehin nicht viel – und ging zum Erdbeerfeld hinunter. Die Sonne war so heiß, als hätte man eine Decke aus Feuer über den Schultern, der Wind jedoch kalt. Der Boden aufgesprungen und von Hahnenfuß überwuchert. Das Feld war alt und trug nur wenige Beeren. Es war schwer, sie jedes Jahr am Leben zu erhalten und immer wieder neue zu pflanzen. Ich war müde, aber das Gras roch gut – ein Heugeruch und doch voller Grün. Ich erinnerte mich, wie ich mich vor Jahren auf einen Felsvorsprung unter eine Rosskastanie gesetzt hatte und deren gelbe Blüten wie durch ein Sieb auf die Ameisenhügel herabregneten. Ich weiß nicht, warum mir das jetzt wieder in den Sinn kam, außer dass ich mich erinnerte, wie gut es sich damals angefühlt hatte, nichts zu tun und meine geschwollenen Füße auszuruhen und mich sonst um nichts zu kümmern oder zu sorgen. Ich war müde gewesen, aber es war nicht das gleiche Gefühl wie in diesem Frühling: nicht diese Müdigkeit, die vom langen Warten kam und davon, Monat für Monat alles Mögliche zu tun, ohne dass sich etwas änderte. Noch hatte es damals das Gewicht all dieser Dinge gegeben – ich wünschte, ich wäre zehn Jahre jünger oder älter! Wenn ich jünger wäre, würden sie nicht existieren; und wäre ich älter – dann könnte ich lernen, sie zu akzeptieren. Ich wünschte, es wäre jemand da, dem ich all das hätte sagen können. Einmal ausgesprochen, hätte es mich nicht mehr so belastet. Aber denen, die hier waren, konnte ich es nicht sagen und dann weiter mit ihnen zusammenleben, wissend, dass sie es wussten und darüber nachdachten und immer im Kopf hatten, wenn sie mich ansahen. Sie wären freundlich zu mir gewesen, ich weiß, aber Freundlichkeit ist ein bitterer Trost.