Als es Juli wurde, war der halbe Mais eingegangen und flatterte auf den Feldern wie brüchiges Papier. Die Weiden verbrannten zu Schlacke. Einmal stolperte ich im Wald, und die Asche aus trockenem Laub flog hoch wie Staub. Die Milch vertrocknete in den Kühen. Die Preise stiegen, wie wir wieder hörten, aber Dad bekam für seine Milch nicht mehr als sonst und weniger für die Kühe, die er verkaufte, weil fast alle anderen Farmer ihre auch verscherbelten. Die Bäche waren da schon karge Felsbetten, heiße Steine, die ein Zittern in die Luft sandten. Die Teiche aufgerissene, mit trocknendem Schlamm überzogene Löcher. Ständig hörte ich die Kälber auf der Weide schreien, weil ihnen zu heiß war und sie Durst hatten, ich ihnen aber nur abends Wasser geben konnte. Wir mussten es aus einem fünf Kilometer entfernten Teich holen, und die Pferde bekamen wunde Stellen, obwohl wir uns Ramseys Maultiere ausliehen, um ihnen Pausen zu gönnen. Die Hitze war so, als hätte man Tag und Nacht eine Hand auf dem Gesicht. Als schließlich alles tot war, dachte ich, wir wären von der Hoffnung erlöst, doch die Hoffnung ist eine Obsession, die niemals stirbt. Vielleicht werden die Teiche sich wieder füllen … die Herbstweiden könnten im Regen zurückkommen … die Zisterne wieder voll werden … Immer noch war da diese furchtbare Qual der Hoffnung, die nur mit dem Leben vergehen würde.

Einzig Merle schien die Hitze nichts auszumachen. Sie arbeitete mit Grant und Dad auf den Feldern und war tief, fast glühend gebräunt. Ich bemerkte, dass sie in jenen Tagen stiller wurde, nicht von dem, was Kerrin aufzehrte, sie ausmergelte wie schwarzer Talg: aber irgendetwas hatte begonnen, ihr die Milde zu nehmen. Eine Art Angst und Verantwortungsgefühl. Sie versuchte, Grant zu meiden, und sprach mit einer eigenartigen Mischung aus Zaghaftigkeit und Freimut mit ihm. Er tat mir leid, und ich fragte mich, ob er jetzt, wie vorher ich, die Taubheit jener Geduld kennenlernte, die nur möglich wurde, indem man blind allen Zweifel von sich schob. Er beklagte sich nie, und manchmal wünschte ich, er würde mehr sagen. Schimpfen oder fluchen. Sein Schweigen wirkte wie ein Schutzwall gegen eine steigende Flut.

Still und matt, wie ich war, achtete ich mehr auf Grant als die anderen, und manchmal schien er sogar mitten im Reden Jahre von uns entfernt und in sich zurückgezogen. Er war immer freundlich, scherzte mit uns und lobte das Essen und bat manchmal um etwas Spezielles – Reisbällchen oder Reibekuchen mit Sauce. Doch obwohl wir Tag für Tag mit ihm zusammenlebten und die banalsten Dinge miteinander teilen mussten, wirkte er unnahbar und ernst und hatte eine Würde an sich, die ich liebte.

Einmal ging mir plötzlich auf, ohne Grund, aber mit einer Gewissheit, die nichts erschüttern oder ändern konnte, dass weder Mutter noch Grant zu irgendjemandem aufschauten, irgendwen beneideten. Das war nicht etwa Hochmut oder das Gefühl, anders zu sein. Überhaupt nicht. Sondern eine Art Glaube an die Würde des menschlichen Geistes. Ich stammle nur bei dem Versuch, es zu erklären. Es ist nichts, was sich in kleinen Buchstaben einfangen und Kindern vorlesen lässt. Ich wusste nur, dass es da war und sie eine Spur über uns erhob und dass sie nie kleinlich oder gar lächerlich waren, obwohl auch sie sich oft durchaus irrten, denke ich.

Nach einer Weile hatten wir weniger zu tun, weil im Garten so viel eingegangen war und der Boden zu hart zum Pflügen. Abends, wenn es zu heiß zum Schlafen und zu dunkel zum Lesen oder Arbeiten war, saßen wir draußen und unterhielten uns. Es gab nicht viel Neues zu lesen, selbst wenn wir genug Licht gehabt hätten. Merle beklagte sich nie, sondern nahm sich wieder und wieder alle alten Bücher vor und behauptete, sie seien beim vierten Lesen noch besser als beim dritten. Nur einmal bekam ich einen entnervten Ausbruch von ihr mit und sah sie irgendein fettfleckiges Buch über vergangene Schlachten in die Ecke werfen. »In Gottes Namen!«, rief sie. »Wieso können wir uns nichts besorgen, das nach dem Tod der Propheten geschrieben wurde! Irgendwas, was nicht nach Adam schmeckt. Ich möchte wissen, was die Menschen jetzt sagen!«

»Das Gleiche, was sie immer gesagt haben, nehme ich an«, sagte Mutter. »Nur dass sie vielleicht jetzt eine neue Art haben, es zu sagen.«

»Eine neue Art könnte ja schon ein bisschen helfen«, hatte Merle da geantwortet. Sie sah müder aus, als ich sie je zuvor gesehen hatte, nahm das Buch nicht wieder zur Hand und lächelte auch nicht. »Es geht doch nicht an, so darben zu müssen, von Gott oder was auch immer in Kisten mit der Aufschrift ›Extra klein‹ gezwängt zu werden! Wir können nicht im Dunkeln wachsen wie Schimmelpilze. Wenn ich denken würde, dass es immer so bleibt, dann –« Sie beendete den Satz nicht, sondern saß da und trommelte hilflos mit den Fingern. Schließlich wusste sie, dass es wenig Zweck hatte, herumzubrüllen.

An diesen Abenden, wenn wir im Dunkeln saßen und uns unterhielten, versuchte sie, Grant auszuquetschen, ihm alles zu entlocken, was er wusste oder je gehört, gelesen, gesehen hatte. »Wie sahen die Leute da aus?«, fragte sie ihn. »Was haben sie gesagt? Was haben sie gelesen? … Wenn der Mann gewonnen hatte, warum haben sie ihm den Preis nicht gegeben? Weil sein Name nichts bedeutete! Sein Name! Das ist merkwürdig. Das ist schwer zu verstehen … Also, was hat er gesagt? Was hat er für ein Gesicht gemacht? Wie nimmt jemand so eine Ungerechtigkeit? ›Schwer nimmt er sie und stumm. Wie ein Stein‹, sagst du! Das geht doch nicht; das geht überhaupt nicht! Ein Mann sollte brüllen, nicht leiden und stumm bleiben! … Und was hatten sie an, als es so weit war? Keine Farbe? Keine Roben? Schwarz! Nur schwarz! Wer würde denn Schwarz tragen, wenn er das Geld für Rot hätte? Du lieber Gott, da könnte man ja ebenso gut gar kein Geld besitzen! Könnte ebenso gut ein Milchbauer sein! … Was gab es zu essen, und wie haben sie es zubereitet? War es Fleisch? Oder Fisch oder was sonst? Du weißt es nicht mehr? Du hast schon vergessen, was es zu essen gab? Du bist ja schlimmer als ein halb geschwärztes Buch. Man sollte sich an alles erinnern, was man sieht. Ein gewaltiger Schwamm sollte man sein!«

»Lass ihn in Ruhe«, sagte Vater dann schließlich. »Bist du denn nie zufrieden, Merle?«

Doch Merle hatte ihre Antwort schon parat. »Nicht, bevor ich nicht taub, stumm und blind bin«, sagte sie triumphierend. »Nicht, bevor ich nicht unter den Mais gepflügt wurde!«

Grant jedoch beantwortete ihre Fragen immer gern und saß ruhig da, mit dem Rücken an die wackligen Säulen gelehnt, und versuchte, all die anderen Jahre seines Lebens noch einmal in Worten nachzuvollziehen. Ich glaube, wenn es möglich gewesen wäre, hätte er sich an die Farbe des Himmels an diesem und jenem Tag erinnert und an den Namen des Bahnwärters in jeder Stadt, durch die er gekommen war. Um Merle zu gefallen, versuchte er, alle Legenden oder Geschichten auszugraben, die er je gelesen hatte, und manchmal traf ich ihn allein an, die Hand selbstvergessen auf einem halb geöffneten Gatter, während er sein Gedächtnis nach Namen und Orten irgendeiner Erinnerung durchforstete, die von einem jähen Geräusch oder Geruch zurückgebracht worden oder durch ein unbedeutendes Wort wiederaufgetaucht war.

Kerrin gesellte sich an diesen Abenden zu uns und lag halb schlafend im Schatten der Veranda; manchmal ohne ein Wort zu sagen, an anderen Abenden auf ihre schrille Art erregt. Dann unterbrach sie Grant und erzählte uns Dinge, die sie auf den umliegenden Farmen aufgeschnappt hatte. Halb wahre und halb erfundene Skandale, etwa dass der alte Leon Kind, der wunderlich geworden sei, seinen sterbenden Garten mit Milch gegossen hätte – vierzig noch warme Liter habe er aus Kübeln auf seine verschrumpelten Bohnen gekippt. Oder dass sie um Mitternacht in Miss Vigneys Gasse ein Licht habe entlangwandern sehen und bei der Dame, die nach Einbruch der Dunkelheit nie wach blieb, weil sie fürchtete, das Öl und die Kerzen aufzubrauchen, etwas Brennendes im Fenster gestanden habe und auf dem Rouleau sei ihr Schatten zu erkennen gewesen. All das sei wahr, schwor sie uns: Sie habe es von jemandem gehört, der es wisse, es selbst gesehen habe. In ihrer Art der Nacherzählung wirkte alles seltsam und unheimlich und leicht anstößig. Wenn sie von einem Tod oder Unfall hörte, fand sie keine Ruhe, bevor sie nicht jeden Umstand des Hergangs kannte. Und irgendwie entstand aus ihren Worten ein Bild von Rastlosigkeit und Angst, die sich ausdehnte und auf alle Farmen erstreckten. Armut gebar Angst, und Angst führte zu Hass und Hass zu hinterhältiger Gewalt und manchmal zu Wahnsinn oder Tod. Über die Geduld, von der wir doch wussten, dass es sie gab, ging sie hinweg und sprach nie von vernünftigerem Planen, das mit der Zeit unser ganzes geschrumpftes Leben verändern könnte.

Ich war froh über diese Abende, sogar die, an denen Kerrin so schnell und halb ghulisch auf uns einredete. Sie hielten mich vom Schlaf ab, und im Schlaf träumte ich zu viel. Die Träume waren immer gleich, weder so seltsam oder schön wie Merles noch so schrecklich wie ihre, sondern eintönig und wahr. Sie waren nichts weiter als ein Wiedererleben der Tage, nur dass die stummen Sehnsüchte und Ängste laut ausgesprochen und so erfahren wurden, wie es im Leben auch hätte sein können. Nie war in diesen Träumen der Moment des Glücks ganz vollständig oder der Punkt des Irrsinns oder Schmerzes ganz erreicht. Sie endeten immer genau an der Grenze zu irgendeinem großen Übel oder ekstatischen Erlebnis, und wenn ich aufwachte, war mir heiß und kalt und mein Körper steif wie der einer Toten, und ich sah, wie Vater sich im frühen Licht den Flur entlangtastete.

Einen Traum aber gab es, der anders war als die meisten und mir tagelang lebhaft im Gedächtnis blieb. Ich stand allein am Fuß der Weidehügel und konnte Grant über das ausgedörrte Bachbett auf mich zukommen sehen, und überall um uns herum war das Gras bis an den Rand verbrannt. Ich sah ihn deutlich und wusste, dass es Grant war, aber sein Gesicht war verschwommen, und obwohl ich meine Augen anstrengte und zu ihm hochschaute, als er bei mir angekommen war, konnte ich sein Gesicht nicht erkennen. »Bist du’s, Marget?«, fragte er. »Ist Merle fort?« Er sprach, als wäre er blind und erkenne mich nicht. »Sie ist hier«, sagte ich. »Sie ist immer hier. Und wird es immer bleiben, glaube ich.« »Ich sehe sie nicht«, sagte Grant. »Hier sind nur Steine und Schafspuren im Staub.« Ich blickte mich um und sah sie auch nirgends, aber ich sagte ihm, sie sei hier, bei den Steinen, oder nur kurz woanders hingegangen. Da brach Grant wieder auf und sagte, es habe keinen Sinn, dass er warte. »Bleib du hier«, sagte er. »Nimm alles. Akzeptiere und nimm alles. Nimm es und verschließe es fest in dir.« Ich streckte die Hand aus, um ihn aufzuhalten. »Was soll ich nehmen?«, fragte ich. Da drehte er sich um und kam zurück, und ich konnte sehen, dass seine Hände geöffnet waren und er mich direkt anschaute. Einen Moment lang sah ich sein Gesicht so deutlich, als schiene die Mittagssonne darauf. Dann wachte ich auf, und das Haus war still wie ein Grab, dunkel und still, und nur ein Hund bellte in weiter Ferne.

Das war so real gewesen, dass ich Grant den ganzen Tag danach fragen wollte, was es war, was er nicht zu Ende gebracht hatte, und eine Weile noch schien die Seltsamkeit des Traumes selbst an ihm zu haften. Ich hatte das Gefühl, ihn jetzt auf eine Weise besser zu verstehen, als irgendwer sonst es je getan hatte, und eine Zeit lang war es schön, mir das einzureden.