Die Dürre dauerte an. Bäume verkümmerten, das Gras wurde zu Heu, selbst die Unkräuter zerfielen zu Asche, und die großen Bäume, deren Wurzeln fünfzig Jahre unter der Erde waren, vertrockneten. Die Kletten und Kornraden in der Nähe des leeren Bachbetts waren grün, aber die riesigen Ulmen begannen zu sterben. Die Limabohnen gingen ein mit Läusen auf ihren Blüten, Winden strangulierten die Stangenbohnensträucher, und die Karotten saßen so fest, dass nichts sie aus der Erde herausbewegte.
An manchen Abenden lief ich durch die Heufelder in der Hoffnung, etwas kühlere Luft zu finden, und die Sehnsucht nach Regen wurde fast zu einem körperlichen Schmerz. Ich konnte die Gewaltigkeit von Nacht und Raum nicht mehr spüren, und jene Erfahrung, dass wir uns klein fühlen vor der Weite der Felder und Sterne, stellte sich nicht mehr ein. Ich fühlte mich immer zu groß und tollpatschig und qualvoll gegenwärtig. Ich konnte nicht schrumpfen.
Und dann eines Mittags, als wir glaubten, wir könnten es nicht länger aushalten, würden vertrocknen und aufplatzen wie die Erde, gab es plötzlich einen kalten Windstoß, und im Norden sahen wir eine enorme Wolkenbank aufsteigen. Die Luft war heiß und reglos gewesen, sturmstill und dunkel; seit knapp einer Woche bedeckten Wolken den Himmel, unheilvoll und aufbrandend, ohne sich zu entladen. Die Sonnenuntergänge waren klar und kristallen wie nach einem gewaltigen Regen, ohne dass ein einziger Tropfen gefallen wäre. Jetzt sahen wir, wie die Wolken sich auftürmten und riesigen Wellen gleich heranrollten, und hörten das Bullengrollen von Donner. Es war schnell und leise gekommen, keine Warnung außer der Ruhe, und wir standen da wie Steinblöcke und starrten. Dann rief Merle: »Er ist da!«, und rannte los wie eine Irre, und überall stachen die Blitze durch die schwarze aufkochende Masse. Dad schaute Mutter an, und ich sah die furchtbare Entlarvung seines Gesichts, als würde all die unterirdische Angst und Verzweiflung von seiner Hoffnung ans Licht gebracht, und wie ein Stromstoß durchfuhr mich Mitleid mit ihm und eine Liebe wie nie zuvor. Mutter schnappte sich einen Eimer und brachte ihn zu den Steinen, halb verrückt vor Sorge, auch nur ein Tropfen könnte verloren gehen oder irgendwo landen, wo er nicht gebraucht wurde. Wir zerrten Eimer und Töpfe nach draußen, griffen uns sogar ein paar Schüsseln und stellten sie auf die Fensterbank, und Merle nahm Grants Trinkbecher vom Nagel. Es wurde dunkler, und ein grimmiger Wind fuhr uns in die Kleider, und Merle war außer sich vor Aufregung und auch von dem kalten Rauschen der Luft. Wir sahen, wie Kerrin aus dem Stall gelaufen kam und hin und her gepeitscht wurde wie eine Weidengerte, und die Schafe ergossen sich in einer klumpigen Menge mähend und blökend auf den Weg zum Stall. Ich wollte losrennen und schreien, Flügel bekommen und flattern wie die umherschießenden Krähen. Grant sah zehn Jahre jünger aus und brüllte und schrie wie ein Junge. Wir sahen uns alle an und fühlten uns frei wie plötzlich losprasselnder strömender Regen. »Ich hol die Zuber rauf«, rief Vater. »Er kommt wirklich! Er ist da, ich sag’s euch!« Er lief zur Kellertreppe, als gerade die ersten Tropfen fielen, hart aufspritzend und in weitem Abstand voneinander. Er kam mit Waschzubern wieder heraufgeschwankt, und die Tropfen schlugen auf deren Boden, ein Geräusch wie von Hämmern auf hohlem Blech. Mutter stand da, Blumentöpfe in den Händen und ein wundervolles helles Leuchten im Gesicht, als scheine ein Licht darin, ein nahezu verzückter mystischer Ausdruck.
Diese ersten Tropfen zerstoben ein paar der toten Blätter am Rebstock und verschwanden in der Versenkung der Erde. Im Norden tat sich ein blauer Spalt auf und dehnte sich mit schrecklicher Geschwindigkeit aus. Die Gewitterwolken türmten sich hoch auf und zogen gen Süden ab. Keine Tropfen fielen mehr, und durch die Wolken drang ein langer Sonnenstrahl. Ein verbranntes, gezacktes Loch in den Wolken, durch das das Auge der Sonne blickte. Wir konnten spüren, wie der Wind schon wieder abebbte und lediglich kühlere Luft daließ. Keinen Regen.
Vaters Knie schienen unter ihm zusammenzusacken, und er ließ sich schwer auf die Treppe fallen.
»Gottes Wille geschehe!«, sagte Kerrin und brach in Gelächter aus. »Wofür sind die Fässer, Grant?«
»Um das Sonnenlicht aufzufangen«, antwortete er, »süßes Licht für die Dunkelheit zu speichern!« Er sah zornig und abgezehrt aus, mit vom Wind getrocknetem Schweiß im Gesicht und einer Schramme wie eine Blitznarbe quer über der Wange. Kerrin fing wieder an zu jubilieren und warf die Arme hoch. Es wirkte eigenartig und lächerlich, und ich bemerkte, wie dünn sie geworden war, ihr Hals wie verdrillter Draht, und der Wind schien durch ihre Knochen hindurchzuwehen. Mir wurde das Herz schwer, wenn ich sie ansah. Grant wandte sich ab und beschirmte die Augen gegen die Sonne. »Verfluchtes altes Zyklopenauge!«, murmelte er. Hasserfüllt und hilflos blickte er zum Himmel.
Die Wolken zogen davon und auseinander. Gewaltige Teile des Himmels waren klar wie Glas. Der Donner klang weit entfernt, fast unhörbar. Nicht das Geringste hatte sich verändert.