Sie entließen sie. Nicht nur, wie ich herausfand, aufgrund meines Besuchs bei Bailey, sondern weil die Kinder über sie geredet hatten und die Leute unruhig wurden und sich Sorgen machten. Wir mussten es hinnehmen und Kerrins Wutanfälle still erdulden, nachdem sie wirr vor Zorn und gekränktem Stolz nach Hause gekommen war. Die Tage schienen wie eine lange Reihe ungeschlagener Schlachten, ein Gang zwischen giftigen Dornen, und wir brauchten ein Ausmaß an Geduld, das unsere Kräfte aufrieb. Sie hasste mich, wurde das Gefühl nicht los, dass es so gekommen war, weil ich sie an jenem Morgen aufgesucht hatte, und fragte mich, warum ich die Stelle nicht übernehmen würde, wenn ich sie ihr schon entrissen hätte. »Ich wäre eine schwerfällige Lehrerin, Kerrin«, sagte ich zu ihr. »Ich kann nicht so mit ihnen umgehen, wie du das kannst.« »Vielleicht nicht«, sagte sie, »aber das Geld wäre das gleiche – und deins. Das wolltest du doch, oder nicht?«
Es hatte keinen Sinn mehr, mit ihr zu diskutieren, und sie konnte kaum länger an etwas arbeiten. Die Dinge, um die wir sie baten, hätten wir selbst schneller und sorgloser erledigen können. Vater nahm es ungerührt gut auf. Er hatte genug Anstand oder auch Angst, um sie nicht damit zu sticheln, und ärgerte sich nicht mehr, wenn er sie umherwandern und ziellos in die Gegend starren sah, obwohl es noch so viel zu tun gab und wir ihr nicht mal das Wasserholen anvertrauen konnten. Sie in der Nähe zu haben war schwer, weil man Mitleid empfand; sie sah aus wie ein bis auf die Knochen heruntergekratztes Etwas, getrieben von einer Art ursprungsloser Energie, nicht mehr von ihrer eigenen Kraft.
Grant war in jenen Tagen geduldig mit ihr, mehr als je zuvor. Er selbst arbeitete mit einer verbissenen Stetigkeit, die alle Gedanken und Gefühle ausschaltet, und ging die zehn Kilometern zur Farm seines Vaters jetzt häufiger zu Fuß, übernachtete dort und kam um vier Uhr morgens zurück.
Die Abende waren blass und trist, und Merle sang nicht mehr mit ihm. Nicht dass seine Stimme besonders gut oder melodiös gewesen wäre, aber sie hatte einen kraftvollen Klang, und, gemischt mit ihrer Stimme, erschien sie uns irgendwie schön. Selbst Vater war manchmal dazugekommen und hatte noch mehr hören wollen, wenn sie sich leer gesungen hatten. Grants häufige Abwesenheit machte Vater rastlos und misstrauisch, und einmal fragte er ihn, ob er vorhabe, bald zu heiraten; als Grant das verneinte und sich abwandte, hakte er nicht weiter nach und ließ seine Unruhe woanders heraus, indem er sich über die Hitze beklagte und die wunden Stellen an seinem Hals und seinen Händen.
Unterdessen dauerte die Trockenheit an und war schlimmer denn je. Ein stilles, monotones Sterben. Im Gebüsch brachen Feuer aus, und auf allem lag Staub von der neuen Straße, mit deren Bau einen Kilometer südlich von uns begonnen worden war. Wir konnten ihn hochwehen sehen, und zwischen den Bäumen hing eine Art brauner Nebel, gemischt mit Rauch aus dem Wald, der an den Seiten geschwendet worden war. Feuer im Osten und Westen hatten weite Flächen verkohlt, sich einen Weg durch einen Teil von Rathmans Land gebahnt und seinen ganzen restlichen Mais vernichtet. Nicht dass es viel ausgemacht hätte, war er doch ohnehin schon schwer mitgenommen und von Heuschrecken zerfressen. Und nun noch im Süden dieser heiße Windstrom, konstant und mitunter voll schwarzer Blätterasche.
»Verdammte Idioten!«, sagte Vater. Immer wieder vor sich hin murmelnd oder lauthals zu Mutter: »Verdammte Idioten, jetzt Feuer zu legen!« Nur Magerweiden und Bauholz lagen zwischen uns und der Straße, und es war, als pflügte man Steine, um eine Ackerfurche zu schaffen. Das Unterholz trocken wie Sand.
»Wozu brauchen sie eine neue Straße?«, sagte Merle. »War die alte nicht gut genug? Kam man darauf nicht genauso gut in die Stadt? Wozu müssen sie hier alles abbrennen und verrauchen und Staub aufwirbeln wie ein Zyklon? Da kann sich einem ja der Magen umdrehen!«
»Sie ist breiter«, sagte Dad, sah sie scharf und misstrauisch an und schaute dann zu Grant. »Ist sie nicht viel besser, Grant?«
»Eine bessere Straße«, sagte Grant. Er grinste und hielt die Wörter zwischen ihnen in der Waage, sodass keiner von beiden sagen konnte, wem er recht gab.
»Ein Farmer braucht gute Straßen«, sagte Vater.
»Gute Straßen vielleicht«, fuhr Merle ihn an, »aber durch ein verkohltes Feld fahren müssen, das braucht keiner. Bei Tag ist es da wie in der Wüste! Frag Grant – der weiß das, der muss da jeden Tag durch. Warum übernimmst du das nicht, wenn’s dir so viel Spaß macht?«
»Gibt schlimmere Dinge, über die man sich aufregen kann«, sagte Grant. »Man kann nicht alles hassen und dann noch bei Trost bleiben.«
»Ich schon«, entgegnete Merle. »Ich kann Menschen hassen und Hitze und Selbstsucht und diesen gottverdammten Staub und Farmer, die ihre Hunde verhungern lassen und nicht wissen, wie sie ihre Kinder ernähren sollen, und Läuse und Leute wie dich, die rumstehen und sagen, es lohnt den Versuch nicht! Ich kann so ungefähr alles hassen, was es zu hassen gibt, und trotzdem nicht sterben wollen!« Sie schaute zu Grant hoch, stemmte ihre großen Hände in die Hüften und grinste ihn an, wild und gutmütig und bereit, alles zu zersplittern, was er zu sagen hatte. Ich sah, wie er die Finger in den Fäusten verkrampfte, um Merle nicht zu berühren; dann ging er sich das Gesicht waschen, bloß um nicht länger in ihrer Nähe zu sein, und murmelte aus dem Handtuch heraus, es sei womöglich gut, dass sie so viel Arbeit zu erledigen habe, sonst würde sie mit ihrer Energie noch die ganze Welt in Aufruhr versetzen und loslaufen und Berggipfel behauen, wenn sie Kies brauchte.
Sie wollte es ihm nicht durchgehen lassen, dass er nicht weiter auf sie einging, so als hielte er es für zwecklos, mit einem Kind zu diskutieren, und fügte hinzu, nur lautstarker Hass zähle – Hass, der durch Tat und Handlung geboren werde. »Ein Mann kann innerlich wütend sein und rasen«, sagte sie zu ihm, »aber wenn er es nicht herauslässt, kann er genauso gut lieben, was er hasst!«
»Oder hassen, was er liebt«, sagte Grant. Und ich sah, wie Kerrin sie beide beobachtete.
Da wandte Merle sich ab und ging hinaus, und Grant folgte ihr nicht … Die Luft war ein seltsamer roter Nebel aus Sonne und Rauch, und in all dem staubigen Geschmier und Dunst schien Merle das Einzige zu sein, was klar und fest umrissen war.