Hinterher, als ich mich mehr und mehr an den Gedanken gewöhnt hatte, zwangsläufig und aus dem Bedürfnis nach einer harten Schicht Seelenruhe zwischen mir und der gezeitenartig wiederkehrenden Dunkelheit, war ich froh, dass es an jenem Tag passiert war, und immerhin wusste ich, dass ihr Tod die eine gute Sache war, die Gott getan hatte. Es gab keinen Platz für sie. Wenn wir das Geld gehabt hätten, vielleicht hätten wir es dann geschafft, sie fortzuschicken. Sie hatte nie zu uns gehört, und womöglich gibt es auf der Erde keinen Platz für Menschen wie sie. Ich war froh, dass sie gestorben war. Anders konnte ich es nicht empfinden. Irgendetwas in mir war in jenen letzten Monaten hart geworden und vertrocknet. Etwas, was sich schon vorher verhärtet hatte, während unseres ganzen kargen, mühseligen Lebens.

Was uns erschreckte, war die Art, wie wir sie fanden, und die furchtbare Vollständigkeit des Todes. Es war das erste Mal, dass ich Kerrin ganz ruhig sah. Selbst im Schlaf hatte sie sich unablässig bewegt, sich gewunden wie eine rastlose Schlange, und wenn sie wach war, blieben ihre Hände und Augen nie still. Zuckten, flogen hin und her. Aber jetzt war sie vollkommen ruhig … Wir fanden sie erst nach langwieriger Suche hinter dem Schafstall, beim Wassertrog. Manchmal hatte Grant nach ihr gerufen, aber es kam keine Antwort, und wir dachten schon, sie wäre in den Wald gegangen und verschwunden, als wir sie plötzlich an der Stallwand liegen sahen, mit einem Arm über dem Trog, und das Blut aus ihrem Handgelenk färbte das flache Wasser.

Grant kniete sich neben sie und blickte dann hoch. Sie war schon tot, ihre Haut wie Papier straff über ihre Wangen gespannt. So dünn, dass es schien, als hätten wir ihre bloßen Knochen gefunden und der Rest sei schon zu Staub zerfallen. Ich konnte nicht weinen; aber Grants Gesicht war weniger hart, und als er sie aufhob, war kein Widerwille oder Zurückschrecken darin, und er trug sie, wie er ein Kind oder einen kleinen Hund getragen hätte.

Dad nahm es schwer. Mehr wegen der schnellen, effektvollen Art, wie sie es gemacht hatte, ein unerhörter Frevel gegen den Anstand, als aufgrund später Liebe zu ihr. Falls er es als einen letzten, verzweifelten Affront betrachtete oder sich selbst in irgendeinem Maß schuldig fühlte, zeigte er es nicht. Er war wieder draußen im Stall, als wir zurückkamen, und molk mit verbissener Ausdauer. Er hatte nichts gegessen und sich nur die Hände gewaschen, riesig und rot wie Handschuhe am Ende seiner schwarzen Arme. »Verschwinde«, murmelte er Grant zu und sah dann, was er in den Armen trug. »Wer hat das getan, Marget?«, fragte er immer wieder. »Was ist ihr passiert?« Er konnte nicht glauben, dass sie sich selbst umgebracht hatte. So roh und unnatürlich. Kein Mädchen hatte das Recht, so etwas zu tun. Dann wandte er sich Grant zu und beschuldigte ihn, sie betrogen zu haben. Geriet in fürchterliche Rage. Aber Grant blieb ruhig, hörte ihm zu wie einem wütenden Kind, und als Dad fertig war, fragte er, ob er meine, dass Mrs. Haldmarne es wissen müsse, oder ob wir es vor ihr geheim halten sollten.

»Besser nicht«, sagte ich. »Nur wenn sie fragt.«

»Was soll das heißen?«, sagte Vater laut, aber nicht mehr ganz so aufgebracht. »Hat sie kein Recht, über ihre eigenen Kinder Bescheid zu wissen? Hat sie kein Recht, zu erfahren, was hier los war?« Dann auf einmal änderte sich etwas in ihm, und er setzte sich. »Egal – macht, was ihr wollt. Lügt sie an. Ist mir egal. Bring mir was zu essen, Marget, ich komm nicht rein.«

Merle weinte, hatte aber keine Angst, sie zu berühren. Sie kämmte Kerrins zerzaustes rotes Haar und bedeckte ihre Handgelenke mit einem Tuch. Wir sagten Mutter nichts. Sie war ohnehin blind und zu krank, um aufzustehen und sie zu sehen, sie hatte noch nicht einmal gemerkt, dass der Arzt da gewesen war.

Später kam der Gerichtsmediziner, aber auch ihn bemerkte sie nicht.

»Kerrin war krank«, sagte ich zu dem Mann, »krank im Kopf. Sie war schon lange so. Und getan hat sie es wegen des Feuers und Mutters Verbrennungen und weil sie dachte, dass Mutter sterben würde.«

Vater sagte nicht viel, saß nur da und sah den Mann mürrisch an, ja schien von ihm zu fordern, dass er mehr herausfand. Grant saß neben Merle und beobachtete, wie er das Formular ausfüllte: Kerrin Haldmarne … Tod von eigener Hand … eingestandener Suizid. Einmal schaute Grant zu Merle, die ernst dasaß und keine Notiz von ihm nahm, so als wäre er gar nicht anwesend, nur darauf konzentriert, dass das Formular unterschrieben wurde, mit dem wir alle entlastet wären, befreit von Skandal und Justiz. Grant sah sie an und dann hinunter auf seine Hände; und im Kopf hörte ich wieder den Klang seiner Stimme, als die Verzweiflung eines Abends unerwartet aus ihm herausgebrochen war: »Marget, gibt es denn nichts, was ich tun kann? Manchmal ist es, wie halb gekreuzigt zu werden!« Wie konnte ich es ihm sagen, die ich nur eine Antwort darauf wusste?

Draußen die heiße, windstille Luft, das tote Ulmengeäst vor dem Himmel, der kleine Punkt eines dahintreibenden Bussards. Selbst jetzt gingen meine Augen aus alter Gewohnheit auf Wolkensuche. Und hier, in dem heißen, stillen Raum, saßen wir alle betreten da, hassten diesen Mann, der uns weder glaubte noch eine Lüge nachweisen konnte. Endlich stand er auf und verstaute seine Papiere, und obwohl Merle ihn verabscheute, fragte sie ihn, ob er etwas essen wolle, denn sie wusste, was Mutter getan hätte. Er sagte ja – wenn es keine Umstände mache. »Keine Umstände«, sagte Merle. »Es ist schon fertig.« Sie nahm die Kaffeekanne vom Herd und schnitt ihm ein Stück von dem Kuchen ab. Er war dunkel und krümelig, und geistesabwesend aß sie selbst ein Stück, leckte sich die Krümel von der Handfläche und reichte dann auch Grant den Teller mit einem unpersönlichen und doch irgendwie mitfühlenden Blick. Grant nahm eine dünne Scheibe, zerrieb sie aber nur zwischen den Händen. Die ganze Situation hatte etwas Schauriges und Unwirkliches, ähnlich einem Trauermahl oder einer Totenwache. Ich wünschte bei Gott, der Mann würde aufstehen und gehen.

Er aß zwei Stücke, und ich konnte nicht umhin zu denken, dass die Melasse fast verbraucht und nur noch wenig Zucker übrig war, und grollte ihm. »Danke«, sagte er zu Merle, stand auf und wischte sich den Mund ab. Wir machten ihn nervös, wie wir da so herumsaßen. Außer Merle sagte niemand viel, nur einmal fragte Vater ihn, ob der Maispreis wohl anziehen würde. »Weiß nicht, ist nicht mein Gebiet«, antwortete er. »Ist schon hoch genug für diejenigen, die ihn kaufen müssen. Ihr Farmer habt ja immer was zu essen. Wenn das nichts ist.«

Als er endlich gegangen war, musste schon wieder gemolken und das Abendessen zubereitet werden; und diese immer gleichen, vertrauten Dinge zu tun hatte etwas Erleichterndes.