5

Anton kam vor den anderen zum Haus zurück, durchgefroren und mit blauen Lippen.

»Mama, glaubst du, hier gibt es Schlangen?«, fragte er, als Julia ihm den Sand von den Beinen bürstete und ihm seine Kleider reichte.

»Bestimmt. Aber ich habe nur einmal eine gesehen.«

»Wann war das?«

»Als ich klein war und dein Urgroßvater noch lebte. Hinter der Sauna. Das ist schon lange her.«

»War es eine Kreuzotter?«

»Ich denke schon.«

»Was habt ihr mit ihr gemacht?«

»Ich glaube, dein Großvater hat sie mit einem Spaten in zwei Teile gehackt.«

Julia erinnerte sich sehr gut an das Ereignis. Es gab eine Party, die Erwachsenen waren betrunken, sie war sieben oder acht Jahre alt, und einer der Gäste hatte die Schlange hinter dem Haus entdeckt, als er dort pinkeln wollte. Sie waren alle dorthin gegangen, um sie sich anzuschauen, eine ziemlich große Kreuzotter, die ganz still auf einem Stück nackten Fels hinter der Sauna lag. Julia war entsetzt, als ihr Vater plötzlich einen Spaten holte und die Schlange zerhackte, während die anderen ihn anfeuerten und einer sogar Bier auf das Tier schüttete. Sie hatte nicht damit gerechnet, dass ihr Vater sie umbringen würde, und die plötzliche Gewalt ließ sie frösteln.

»Aber das war auch das einzige Mal, dass ich hier eine Schlange gesehen habe, so viele davon gibt es hier also nicht. Trotzdem kann es nicht schaden, vorsichtig zu sein«, sagte sie.

Anton schien über die Antwort nachzudenken und schaute sich auf dem Grundstück um, als stellte er sich vor, überall dort wären Schlangen.

»Mama?«

»Ja?«

»Erinnerst du dich an Valter, der mit mir im Kindergarten war? Der wurde von einer Schlange gebissen und war danach fast gelähmt.«

»Ich weiß. Seine Mutter hat es mir erzählt.«

Der Junge war auf einer Schäreninsel vor Turku von einer Kreuzotter gebissen worden und musste mit dem Rettungshubschrauber ins Krankenhaus gebracht werden. Er saß noch bis in den Herbst im Rollstuhl, und im Kindergarten wurde darüber informiert, wie man sich vor Schlangenbissen schützen könne.

»Wenn man ganz sicher sein will, muss man draußen Gummistiefel tragen. Vielleicht solltest du welche anziehen, wenn du im Wald unterwegs bist«, sagte Julia.

»Ich glaube, dann mach ich das so.«

Eine Weile später kamen Erik und Alice vom Strand.

»Dieser Mann, der dort Tennis spielt, ich glaube, ich werde ihn fragen, ob wir in ein paar Tagen mal miteinander spielen können«, sagte Erik. »Ich glaube, Tennis wäre eine passende Sportart für mich. Vielleicht möchtest du ja auch mal mit mir spielen?«

»Ich glaube, er heißt Leif. Seine Mutter war mit meiner Großmutter befreundet«, erwiderte Julia.

Erik ging in die Küche und schenkte zwei Gläser Wein ein. Er setzte sich und sah schweigend aus dem Küchenfenster. »Du wirst in diesem Sommer bestimmt jede Menge schreiben?«, sagte er, und es klang eher wie eine Behauptung und nicht wie eine Frage.

Julia war dreiundzwanzig, als sie und Erik heirateten. Sie sagte immer, dass Susanne um Eriks Hand angehalten habe. Dass ihre Mutter die Hochzeit vorgeschlagen habe, weil sie ein Kind erwarteten.

»Natürlich müsst ihr heiraten«, hatte Susanne am Heiligabend mit der Autorität der Erwachsenen gesagt, als wären Julia und Erik immer noch zu jung, um eigenständige Entscheidungen zu treffen.

Das waren sie vielleicht auch. Als Julia ein paar Monate später in der Gamla Kyrkan in Helsinki stand und einem Pfarrer lauschte, der Erik hartnäckig Henrik nannte, wusste sie immer noch nicht so richtig, was gerade geschah.

Das Hochzeitskleid war aus champagnerweißer Seide, sie hatte es für fünf Euro im Secondhandladen der UFF auf der Stora Robertsgatan gefunden, am selben Tag, als sie mit Erik beim Arzt war und die ersten Ultraschallbilder gesehen hatte. Das Kleid fiel hübsch über den Bauch, von dem sie glaubte, dass man ihn schon sehen konnte; sie war glücklich und verliebt, aber auch ein wenig verstört, dass alles so schnell gegangen war.

Später im Restaurant tranken alle zu viel. Susanne leerte eine Flasche Weißwein, die der Kellner an ihrem Ende des Tisches platziert hatte, rundete sie mit einem Cognac ab und redete laut. Julia konnte hören, dass sie über ihr Kleid sprach, dass es von demselben Modeschöpfer stamme wie viele der Abendkleider, die auf dem Unabhängigkeitsball des Präsidenten im Schloss getragen wurden; dass sie den Designer persönlich kenne und es zu einem guten Preis bekommen habe.

»Er sagte, er habe an mich gedacht, als er es entwarf«, sagte sie, während sie sich den letzten Rest aus dem kleinen Glas einverleibte. »Normalerweise hätte es ein Vermögen gekostet, aber ich glaube, er braucht ein paar High-profile-Kunden …«

Eriks Mutter nickte nur höflich und schaute alle aufmerksam an, ohne viel zu sagen. Susanne redete weiter, legte hin und wieder aber eine kleine Pause ein und ließ ihre Blicke mit leicht angeekelter Miene über die Menschen am Tisch gleiten, als hätte sie gerade erkannt, dass ihre Tochter in eine »Bratwurstfamilie« eingeheiratet hatte, ein Begriff, den Susanne benutzte, wenn sie über Menschen sprach, die sie als gewöhnlich betrachtete.

Eriks Familie war in der Tat eine Bratwurstfamilie. Seine Eltern waren am Tag zuvor mit dem Zug aus Ekenäs gekommen und hatten im Hotelrestaurant zu Abend gegessen. Eine halbe Ewigkeit hatten sie die Speisekarte studiert und dann das einfachste Gericht bestellt, Steak mit Pommes Frites.

Eriks Vater hatte Ende der Sechzigerjahre nach der achten Klasse die Schule verlassen und in Hangö einen Job bei einer Firma angenommen, die Autoreifen wechselte. Er hatte fünfzehn Jahre in der Autobranche gearbeitet, Eriks Mutter geheiratet – die im selben Viertel aufgewachsen war – und sich nach einer Weile mit einer Tankstelle in Ekenäs selbstständig gemacht. Während des Hochzeitsessens trank er beinahe genauso viel wie Susanne, sprach aber die meiste Zeit von einer Wohnung, die die Familie in den Achtzigerjahren in Spanien besessen hatte, ein Versuch, sich zumindest teilweise in dem sozialen Spiel zu behaupten, das am Tisch ausgetragen wurde. Erik und sein Bruder Anders waren stolz auf ihre proletarische Herkunft, und Julia hatte sie in gewissem Ausmaß sogar darum beneidet – dass sie sich hochgearbeitet hatten, während sie einfach nur getan hatte, was alle von ihr erwarteten. Sie strengte sich an und zeigte Leistung und wählte die natürliche Laufbahn, für die sich jedes Kind der Achtzigerjahre mit Selbstrespekt und gut situierten Akademikereltern entschied: eine äußerst prekäre Karriere in der Kulturbranche.

Zum ersten Mal begegneten sich Julia und Erik im Alten Studentenhaus auf einem Fest, das von der Fachschaft des Literaturwissenschaftlichen Instituts veranstaltet wurde. Erik studierte Informatik und hatte ein Zimmer in einem Wohnheim in Otnäs. Julia erbarmte sich seiner, als er den letzten Bus nach Hause verpasst hatte. Nach diesem Abend sahen sie sich fünf Wochen lang fast jeden Tag, ohne dass dabei etwas passierte – sie sprachen sogar darüber, dass sie sich so gut verstanden, weil ihre Beziehung nicht auf Sex beruhte. Zu der Zeit hatte Julia einen Freund, doch es war nichts Ernstes, sodass sie Erik hin und wieder bei sich übernachten lassen konnte. Sie hatte ohnehin auf eine Gelegenheit gewartet, die Beziehung zu beenden. Tomas war Bibliothekar im Literaturwissenschaftlichen Institut und fast zehn Jahre älter als sie, allerdings benahm er sich nicht so. Im Bett war er ungeschickt, und er roch aus dem Mund. Im Grunde hatte sie nur deswegen noch nicht Schluss gemacht, weil er zu den Menschen zu gehören schien, die in ihrem Leben schon zu oft zurückgewiesen worden waren.

Erik und Julia gingen ins Theater und ins Kino, hatten dabei jedoch nur einander im Kopf, sodass sie sich hinterher nicht mehr an die Handlung erinnern konnten.

Eines Abends saßen sie auf einer Parkbank in Havshagen, wo sie nach einem ihrer langen Spaziergänge gelandet waren, und sprachen rein hypothetisch darüber, wie es sein könnte, wenn sie zusammen wären. Die Luft knisterte vor Spannung, und sie zitterten in der Kälte, während sie einen Mann beobachteten, der unten auf dem Eis fischte.

Die Geschichte, die sich Julia und Erik erzählten, handelte davon, dass sie nur Freunde waren, doch wenn sie ihn ansah, spürte Julia, wie es vor Begehren in ihr kribbelte. Erik war einundzwanzig und hatte vor, nach dem Studium in die Handybranche zu gehen: Er war voller Selbstvertrauen und Zuversicht.

»Kannst du dir vorstellen, dass wir ein Paar wären? Wie das funktionieren würde?«, fragte sie und schaute ihn an.

»Es wäre schrecklich«, erwiderte er und lächelte. Wegen der Kälte kam Dampf aus seinem Mund, und er war hübsch, schien sich dessen aber gar nicht bewusst zu sein – was seinen Charme noch verstärkte.

»Grässlich«, sagte sie und lachte.

»Du würdest es nicht mit mir aushalten. Du würdest denken, dass ich langweilig bin und langweilige Freunde habe«, sagte er.

»Du würdest den ganzen Tag studieren, und ich säße zu Hause und würde an meinem Meisterwerk schreiben.«

Julia war fest entschlossen, Schriftstellerin zu werden. Sie war etwas verlegen, als sie es Erik erzählte, weil sie nicht anmaßend klingen wollte, aber er hatte genauso reagiert, wie er sollte: Er hatte ihr Mut gemacht, hatte gesagt, dass sie sich jeden Tag mindestens zwei Stunden für das Schreiben freihalten solle. Er hatte es pragmatisch betrachtet, wie ein Projekt, in das man investieren musste, ungefähr so, als wollte man Arzt werden. Sie bewunderte diese praktische Einstellung, die sie von ihrer Familie nicht gewohnt war, wo man einfach nur erwartete, dass sie auf irgendeine magische Weise ein Buch hervorzauberte.

»Und dann würde ich nach Hause kommen, und du hättest schlechte Laune, weil du nichts geschrieben hast«, sagte er.

»Und am Ende wäre ich so frustriert von meiner Schreibblockade, dass ich anfangen würde, Selbstgespräche zu führen, und dann würde ich eine Axt finden und dich durch die Wohnung jagen wie Jack Nicholson in The Shining«, sagte Julia.

»Großartiger Film«, meinte Erik.

»Nicht wahr, ich habe das Buch schon mit vierzehn gelesen. Ich muss immer daran denken, wenn ich beim Schreiben nicht weiterkomme. All work and no play makes Jack a dull boy.«

»Aber eine Sache wäre gut: Ich würde lecker kochen. Du würdest richtig gut essen«, sagte Erik.

Julia lachte.

»Das wäre prima. Ich hasse kochen.«

»Dann könnte es vielleicht doch funktionieren.«

»Vielleicht.«

Als er jetzt in der Küche saß und sie fragte, ob sie hungrig sei und er den Grill anwerfen solle, schienen diese Personen Existenzen in einem alten Fotoalbum zu sein, und sie war gerührt und verlegen zugleich, wenn sie daran dachte, wie jung sie damals waren.

Julia bewunderte Erik und wusste, dass er ein guter Vater war, konnte sich an seiner Seite jedoch sehr einsam fühlen. Oft betrachtete sie andere Paare und dachte, dass sie nicht in einer solchen Einsamkeit zu leben schienen, dass sie irgendwie zusammengehörten, so selbstverständlich war die Liebe zwischen ihnen, und sie bekam ein schlechtes Gewissen, weil sie sich mit Erik nicht so fühlte, und das machte sie noch einsamer, weil sie niemanden hatte, mit dem sie reden konnte. Sie dachte, dass dies der schlimmste vorstellbare Verrat war: sich fortzusehnen. Und sie war sich nicht einmal sicher, dass es so war, vielleicht ging es bei ihrer Einsamkeit um etwas ganz anderes, etwas vage Existenzielles; der unheilbare Überdruss der Moderne. Sie dachte oft an Madame Bovary, das Buch, das sie im ersten Semester an der Universität gelesen hatten. Vielleicht war sie kein Stück besser als Emma Bovary, hatte dieselbe naive Sehnsucht, verfiel dem Reiz eines eingebildeten Abenteuers, das die Monotonie des Alltags unterbrach? Doch Madame Bovary war kaum erwachsen, Julia hingegen bereits sechsunddreißig. War sie nicht zu alt, um sich fortzusehnen, müsste sie aus dieser Phase ihres Lebens nicht längst herausgewachsen sein?

»Weißt du, wann deine Eltern kommen?«, fragte Erik.

»Bestimmt schon in ein paar Tagen«, sagte sie.

»Werden sie hier übernachten?«

»Wohl kaum. Ich glaube, sie haben schon seit Ewigkeiten nicht mehr hier geschlafen. Außerdem hätten sie ja auch keinen Platz.«

»Auf dem Dachboden vielleicht.«

»Mama ist es dort oben zu stickig, sie beschwert sich immer darüber. Sie werden bestimmt nach Hause fahren.«

»Oder sie schlafen hier, und sie läuft die ganze Zeit in Unterwäsche herum, wie damals in Spanien«, sagte Erik.

»Das hatte ich ganz vergessen«, sagte Julia und dachte an den Urlaub in Spanien vor zwei Jahren: Jeden Abend war Susanne in Unterwäsche auf dem Sofa eingeschlafen, müde und betäubt von dem vielen Wein, den sie aus der Bag-in-Box getrunken hatte, die sie vom örtlichen Supermarkt mitgebracht hatte.

Als würde man Urlaub mit einer Naturgewalt machen, mit einem Unwetter, das eigenen Gesetzen folgte. Susanne gehörte zu den Menschen, die die Kinder morgens fragten, was sie unternehmen wollten, um den Tag dann trotzdem ganz nach ihren eigenen Vorstellungen zu gestalten. Für Susanne war die Geschichte, mit ihren Enkelkindern Urlaub gemacht zu haben, wichtiger, als tatsächlich Zeit mit ihnen zu verbringen.

»Wie auch immer, es wird schön, sie zu sehen«, sagte Erik.

»Findest du«, meinte Julia.

»Für die Kinder auf jeden Fall. Und deine Mutter meint es ja gut. Sie kann manchmal ein bisschen anstrengend sein, aber im Grunde ist sie nett.«

»Vermutlich. Besonders lange werden sie trotzdem nicht bleiben«, sagte Julia.

Gegen Abend kam Wind auf. Erik bereitete das Essen auf dem Grill zu, und sie aßen im Haus, weil es auf der Terrasse zu kalt war. Als Julia nach dem Essen ihren Teller spülte, nahm sie einen seltsamen Geruch wahr. Sie drückte ihr Nase gegen die Textiltapete an der Wand, aber sie roch nur nach altem Sackleinen.

»Merkst du das?«, fragte sie.

»Was denn?«, fragte Erik.

»Dass es so komisch riecht«, sagte Julia.

»Ach, das ist doch in allen alten Häusern so«, meinte er.

»Vielleicht ein Wasserschaden?«, fragte sie.

»Kaum. Wo sollte der denn sein?«

»Ich weiß nicht, aber ich finde, es riecht ein wenig feucht. Vielleicht bilde ich mir das aber auch nur ein.«

»Wenn es wärmer wird, können wir mehr lüften«, sagte Erik. »Dann kannst du draußen sitzen und schreiben statt in der Küche. Aber ich werde mal nachschauen. Vielleicht können dein Vater und ich etwas tun, wenn sie kommen.«

Nach dem Essen gingen die Kinder ins Wohnzimmer und versuchten, den alten Fernseher in Gang zu bringen. Julia und Erik blieben am Küchentisch sitzen, und Julia dachte, dass sie jeden Tag schreiben sollte, und sie überlegte, ob sie es einfach tun sollte, sich den Rest des Sommers zurückziehen und alles Erik überlassen.

Erik schaute aufs Display seines Handys.

»Was ist?«, fragte sie.

»Nichts«, sagte er und steckte das Telefon in die Tasche. »Ich wollte nur sehen, ob wir ein Netz haben.«

Erik ging mit dem Handy zum Strand, um in Ruhe seine Mails lesen zu können.

Die Bucht war vollkommen leer, nur die schweren, unruhigen Wolken ließen die Landschaft schrumpfen, und der kräftige Wind sorgte weiter draußen für größere Wellen. Nach einer Weile begann er zu frieren.

Er starrte auf sein Handy. Kurz überlegte er, ob er es ins Meer werfen, sich unerreichbar machen sollte. Stattdessen rief er die Nummer an, die den ganzen Tag versucht hatte, ihn zu erreichen, und die er nur allzu gut kannte.

»Hallo! Geht’s euch gut?«, fragte Jouni. Er war offensichtlich auf der Arbeit, denn im Hintergrund waren die Geräusche des Warenhauses zu hören.

»Ja, alles super. Richtig schön hier«, antwortete er.

Sie unterhielten sich zwei Minuten und vier Sekunden, wie er nach dem Gespräch sah, als er auf das Display starrte und überlegte, was er tun sollte. Sie hatten ihm eine Abfindung versprochen, ein halbes Jahresgehalt, was keineswegs schlecht war. Das Letzte, was Jouni sagte, war: »Tut mir leid, Erik. Tut mir wirklich leid.«

Als Erik zur Tür hereinkam, hatten die Kinder gerade ihre Bettdecken nach unten geschleppt, um im Schlafzimmer der Eltern zu schlafen. Anton verkündete, dass er Angst vor Schlangen habe, und Alice weigerte sich, allein zu schlafen, weil sie das gruselig fand.

»Dann müsst ihr euch eben das kleine Bett teilen«, erklärte Julia.

Draußen war es immer noch hell, ein gedämpftes und graues Licht, und Julia hängte eine Decke vors Fenster, um das Zimmer abzudunkeln. Anton fragte, ob es im Wald Kaulquappen gebe.

»Bestimmt«, sagte Julia. »Jedenfalls gab es hier welche, als ich klein war. Und jetzt gute Nacht.«

Nachdem sie die Lampen ausgeschaltet hatten und die Kinder eingeschlafen waren, lag Erik noch lange wach.

»Schläfst du?«, fragte er schließlich.

»Nein, noch nicht«, antwortete Julia.

»Wollen wir miteinander schlafen?«

»Jetzt? Hier?«

»Auf dem Dachboden, dachte ich. Dann wecken wir die Kinder nicht.«

Die Stufen aus lackiertem Kiefernholz knarrten, als sie nach oben gingen. Es gab zwei große Räume am Ende der Treppe, beide waren dunkel, weil die Fenster klein und die Decken niedrig waren. In einem Zimmer stand ein Doppelbett, und sie legten sich hinein. Erik hatte die ganze Zeit das Gefühl, dass Julia stärker reagierte als sonst, dass ihr Körper hier empfindlicher für Berührungen war, und er fragte sich, ob es am Ort lag, an diesem dunklen, stickigen Raum und dem Wald vor dem Fenster, am Tiefdruckgebiet, als wäre sie ein Barometer. Für Erik war es genauso; bei jeder Berührung, zu jeder Sekunde war er vollkommen gegenwärtig, und gleichzeitig kam es ihm vor wie ein Film, als könnte er sich selbst zusehen. Sie setzte sich auf ihn, und er schaute nach oben; Julias dunkles Haar, ihre weichen Brüste und die Balken unter der Decke, und er dachte, dass es wahrscheinlich lange her war, dass jemand in diesem Raum Sex hatte, vielleicht war es nie zuvor passiert. Und während er spürte, wie sich der Höhepunkt näherte, dachte er an seine Arbeit, an das Gespräch mit Jouni, an Riina Pitkänen, wie sie vor ihnen im Besprechungsraum stand: Plötzlich sah er sie, nackt, mit einer Reitgerte in der Hand, hohe Stilettos, ein gebeugter Rücken über einem Konferenztisch.

Danach gingen sie die Treppe hinunter, er war seltsam glücklich und warm, und sie gingen im gedämpften Sommerlicht durch das stille Haus, tranken Wasser in der Küche, und er dachte, dass das Leben doch wunderbar war, obwohl er seinen Job verloren hatte und sich vielleicht anders fühlen sollte.

»Das war intensiv«, sagte Julia.

»Das war es«, sagte Erik.

Im Schlafzimmer lagen sie noch eine Weile wach, ohne zu sprechen. Als Julia schließlich eingeschlafen war, kam es Erik so vor, als würde er das Geräusch eines Tennisballs hören, der draußen gegen eine Wand schlug. Zu dieser Uhrzeit würde doch niemand spielen? Und könnte man es tatsächlich bis hier oben hören?