36.

Brigitte Wallenius war sofort im Bilde, als Alva telefonisch bei ihr nachfragte. „Marie Granlund? Und ob ich mich an den Fall erinnere. Eindeutig Tod durch Ertrinken. Aber etwas anderes war bei ihr seltsam. Das war die Patientin, deren Hysterektomie nicht in der Akte vermerkt war. Ich kann noch immer nicht begreifen, wie es zu einer derartigen Schlamperei kommen konnte.“

„Lässt sich sagen, wie lange der Eingriff zurücklag?“

Brigitte zögerte. „Kaum, es war alles vollständig verheilt. Auf jeden Fall länger als ein halbes Jahr, aber unter Umständen bereits ein bis zwei Jahre. Ist das wichtig?“

„Es kann unter Umständen sehr wichtig sein, ich erkläre es dir später. Vielen Dank erst einmal.“ Alva beendete das Gespräch und informierte ihre Kollegen darüber. Nachdem Sophie Foss gegangen war, nicht ohne noch einmal ihre Unzufriedenheit über die säumige Arbeitsweise der Rechtsmedizin ausgedrückt zu haben, saßen sie alle um den Tisch herum und berieten.

„Bedeutet das, ihr wurde in einer Operation die Gebärmutter entfernt?“, fragte Sven. „Was, wenn sie nie eine hatte?“

„Was meinst du denn damit?“, fragte Jördis entgeistert.

„So etwas gibt es durchaus. Eine von 5000 Frauen kommt ohne Gebärmutter zur Welt. Die Krankheit hat einen Namen, MRKH-Syndrom.“

„Davon habe ich auch schon gehört“, stimmte Alva ihm zu. „Aber von einer Hysterektomie ist das mit Sicherheit zu unterscheiden. Lass Brigitte deine Zweifel bloß nicht hören, sie würde dich dafür mit dem Skalpell in der Hand einmal quer durch Göteborg jagen.“

„Ich denke auch, Brigitte weiß genau, wovon sie spricht.“ Jördis warf ihren langen Zopf über die Schulter nach hinten. „Aber wieso weißt du über dieses Syndrom Bescheid?“ Sie schaute Sven fragend an. „Seit wann interessierst du dich für Medizin?“

Sven rührte Milch in seinen Kaffee und wirkte verlegen. „Es betrifft eine Kollegin von Gundel. Sie hat es ihr ganz im Vertrauen gesagt und ich hoffe, ihr behaltet für euch, was ich darüber erzähle. Mit so etwas geht man schließlich nicht hausieren.“

Jördis nickte verständnisvoll. „Das muss ganz schön belastend für eine Frau sein. Erstaunlich, dass sie überhaupt mit jemandem darüber geredet hat.“

„Ihr blieb nichts anderes übrig.“ Sven rührte weiter in seinem Kaffee. „Sie bereitet sich auf eine Gebärmuttertransplantation vor und hofft, danach schwanger zu werden. Das bedeutet, sie wird ziemlich lange nicht arbeiten können. Wenigstens Gundel soll wissen, aus welchem Grund.“

Jördis stieß hörbar die Luft aus. „Die Frau hat Mut. Ich weiß nicht, ob ich das auf mich nehmen würde.“

„Warum nicht?“, fragte Sven. „Schweden ist immerhin Vorreiter, was Gebärmuttertransplantationen angeht. Bereits 2012 wurde hier das erste Kind nach einer solchen Operation geboren. Ich weiß gar nicht, wie viele es inzwischen sind. Ist doch schön, wenn Frauen auf dem Wege geholfen werden kann, ein Kind zu bekommen.“

„Du sagst das so leichthin, weil du ein Mann bist.“ Jördis schüttelte den Kopf. „Aber das ist ein ziemlich großer Eingriff. Die Frauen müssen bestimmt Medikamente nehmen, um eine Abstoßungsreaktion zu verhindern, wie bei jeder anderen Transplantation. Und das während einer Schwangerschaft. Ich glaube, dann würde ich lieber ein Kind adoptieren.“

„Für viele Frauen ist das Gefühl, das Heranwachsen des Kindes in ihrem Körper zu spüren, ungeheuer wichtig. Gundel sagt, sie hätte die Schwangerschaften mit unseren beiden Kindern richtig genossen.“

Alva fiel auf, dass Caroline sich mit keinem Wort an dem Gespräch beteiligte. Sie schaute konzentriert in ihre Tasse, als gäbe es dort etwas Interessantes zu sehen. Weil sie sich offensichtlich unwohl fühlte, lenkte Alva die Diskussion in eine andere Richtung.

„Lasst mal die Gefühle beiseite und uns über die Fakten reden“, schlug sie vor. „Könnte diese nicht dokumentierte Operation von Marie Granlund ein Hinweis darauf sein, was in den vier Wochen ihrer Abwesenheit passiert ist? Und kann das auch auf Erika Frans zutreffen? Wurde ihre Leiche deshalb aus der Rechtsmedizin entwendet?“

„Du meinst, sie haben sich die Gebärmutter entfernen lassen, ohne dass es ordnungsgemäß dokumentiert wurde?“ Jördis schaute zu Sven. „Sag mal, woher kommt bei einer solchen Transplantation eigentlich die Organspende? Wie ist das bei der Kollegin von Gundel?“

„Eine Cousine hat sich bereit erklärt, für sie zu spenden. Sie ist Ende vierzig, hat drei Kinder und mit der Familienplanung abgeschlossen. Trotzdem ist das natürlich ein gewaltiges Opfer, das sie da bringt. Denn die Operation ist nicht ohne Risiken für sie. Aus dem Grunde sind Uterusspenden umstritten. Wenn es sich um lebensrettende Transplantationen handelt, ist die Abwägung eine andere. Aber in diesem Falle geht es nur um einen unerfüllten Kinderwunsch. Dafür einen gesunden Menschen den Gefahren auszusetzen, die ihm durch die Operation drohen, finden viele fragwürdig. Deshalb will die Kollegin von Gundel nicht, dass jemand davon erfährt.“

„Könnte es nicht einem illegalen Organhandel Tür und Tor öffnen?“, fragte Jördis. „So wie Leute aus einer Notsituation heraus ihre Nieren verkaufen?“

„Du meinst, Erika Frans und Marie Granlund haben ihre Gebärmutter verkauft?“ Alva runzelte die Stirn. „Dann wäre die entscheidende Frage, welcher Arzt sich zu einem derartig fragwürdigen Geschäft hinreißen lässt.“

„Wir haben zwei in der engeren Auswahl.“ Caroline beteiligte sich zum ersten Mal an der Diskussion. „Ebba Sundin wurde umgebracht, und das Kind von Udo Lindell wurde entführt. Wir sollten gründlicher nachforschen, was dahinterstecken könnte. Es deutet sich da eine völlig neue Spur an, was das Motiv für diese Taten angeht.“