46.

„Ich habe die Auswertung der Handydaten von Sina Lindell.“ Sven hielt die Ausdrucke mit einer triumphierenden Geste in die Höhe. „Die Zahlen lügen nicht, dafür zeigen sie, dass einige unserer Zeugen wie gedruckt gelogen haben.“

„Dann berichte mal und spann uns nicht länger auf die Folter.“ Alva rückte ihren Stuhl näher an den Tisch. Rurik nickte zustimmend, er sah elend aus und seine Augen glänzten fiebrig, eigentlich gehörte er ins Bett.

„Interessant ist die letzte Meldung, die von dem Handy von Sina Lindell verschickt wurde. Das war am Montagabend um 19:30 Uhr. Sie ging an ihren Mann Udo Lindell.“

„Demnach hat er gelogen und Smilla Sundin hat die Wahrheit gesagt“, stellte Alva fest. „Er hat abgestritten, eine Nachricht von seiner Frau erhalten zu haben.“

„Stimmt, aber so ganz die Wahrheit hat Smilla Sundin auch nicht gesagt. Ihrer Darstellung nach wurde die Nachricht aus dem Ferienhaus in Lidköping abgeschickt und sie will dabei gewesen sein. Tatsächlich war das Handy aber am Stadtrand von Göteborg eingeloggt.“

„War Sina Lindell demnach gar nicht in Lidköping?“, fragte Jördis.

„Entweder war sie nicht da oder nur ihr Handy nicht. Das müssen wir schleunigst herausfinden.“

„Einmal das und zum Zweiten, weshalb Lindell uns angelogen hat“, ergänzte Alva. „Wir fangen mit Smilla Sundin an. Ich will möglichst genau wissen, was da abgelaufen ist.“

„Macht das, aber vorher will ich noch mitteilen, was die Spurensicherung in dem Ferienhaus gefunden hat.“ Rurik hustete hinter vorgehaltener Hand, bevor er fortfuhr. „Jemand hat dort gewohnt und ist offenbar überstürzt aufgebrochen. Es handelt sich bei dieser Person mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit um Sina Lindell, auch wenn wir uns nach Auswertung der Handydaten fragen müssen, in welchem Zeitraum sie sich tatsächlich dort aufgehalten hat. Für einen Aufbruch in aller Eile sprechen zurückgelassene Lebensmittel und das ungemachte Bett. Am Kissen wurden lange blonde Haare sichergestellt, ein DNA-Abgleich ist jederzeit möglich. Einen interessanten Fund haben die Kollegen unter der Treppe gemacht. Dort lag eine aufgezogene Spritze. Was sie enthält, wird noch untersucht. Ebenso, ob darauf DNA sichergestellt werden kann.“

„Das Ganze ist merkwürdig.“ Sven fuhr sich mit der Hand durch seine kurzen roten Haarstoppeln. „Was wollte Frauke Roos dort? Sina Lindell einen Besuch abstatten? Waren sie verabredet? Und ist die Arzthelferin dann versehentlich abgestürzt oder haben die Frauen gestritten und Sina Lindell hat sie gestoßen? Die Flucht von Sina Lindell spricht für die letztere Annahme.“

„Wir wissen noch zu wenig, um Schlussfolgerungen zu ziehen. Im Wagen von Frauke Roos haben wir ihr Handy gefunden, das übrigens nicht eingeloggt war. Sie hatte den Akku entfernt.“

„Demnach sollte man nicht rückverfolgen können, wo sie sich aufhielt. Das wirft ein anderes Licht auf die Vorgänge. Und dann noch die Spritze ...“

„Es ist zu früh für Hypothesen“, bremste Rurik den Redefluss von Sven und bekam sogleich den nächsten Hustenanfall.

„Du solltest nach Hause gehen und dich hinlegen“, sagte Caroline mitfühlend.

Rurik winkte ab. „Falscher Zeitpunkt, jetzt mitten im Fall“, schniefte er.

„Ich habe auch noch was recherchiert.“ Caroline sagte es in einem fast entschuldigenden Tonfall. „Angesichts der neuesten Ereignisse hat es aber keine Priorität.“

„Das kann man vorher nie genau sagen, alles ist wichtig.“ Alva nickte ihr zu.

„Ich habe mit dem Hausarzt von Marie Granlund gesprochen, der Patientin, bei deren Obduktion die Hysterektomie festgestellt wurde“, sagte Caroline. „Er war sehr erstaunt, von einem derartigen Eingriff war ihm nichts bekannt. Er meinte, Marie Granlund sei einerseits hypochondrisch gewesen, andererseits habe sie bestimmte Untersuchungen gemieden, darunter die beim Gynäkologen. Er habe sie mehrmals ermahnt, die Vorsorge ernst zu nehmen.“

„Offenbar hat sie seinen Rat befolgt und ist an den Falschen geraten. Nur wissen wir leider nicht, wer das war“, stellte Jördis fest.

Caroline hatte sich auch näher mit der Hedmann-Klinik und ihrem Chef befasst. „Hedmann hat einen eindrucksvollen Lebenslauf, er hat in mehreren bedeutenden Einrichtungen im In- und Ausland gearbeitet und zahlreiche Qualifikationen erworben. Zuletzt war er an einer Klinik in Barcelona tätig, die auch Uterustransplantationen durchführt. In seiner Klinik ist das allerdings nicht der Fall, sie sind auf Risikoschwangerschaften spezialisiert.“

„Danke Caroline, gute Arbeit. Darauf kommen wir später zurück. Jetzt haben die Gespräche mit Smilla Sundin und Udo Lindell Vorrang. Wir sollten uns aufteilen“, schlug Rurik vor.

Alva hob die Hand. „Nein, das sollten wir in diesem Falle nicht tun. Ich möchte erst mehr Details von Smilla Sundin erfahren, mit denen wir Lindell dann konfrontieren können. Anderenfalls belügt er uns nur.“

Ihr Vorschlag stieß auf Zustimmung. Sie und Jördis würden zuerst Smilla Sundin und dann Udo Lindell aufsuchen. Sven und Caroline wollten in die Rechtsmedizin fahren und Rurik zog sich in sein Büro zurück. Er hielt es angesichts seiner Erkältung für angebracht, Kontakte erst einmal weitgehend zu reduzieren.