52.

Malena zeigte ihre Enttäuschung deutlich, wodurch Smilla sich gleich noch mieser fühlte. Sie hatte ihr alles erzählt, von ihrer ersten Begegnung mit Sina angefangen.

Malena saß auf dem Sofa, die Beine elegant überkreuzt und das klassisch schöne Gesicht zu einer Maske erstarrt. Als Smilla geendet hatte, schwieg sie.

„Sag doch was“, bat Smilla kläglich. „Vielleicht hätte ich früher mit dir darüber reden sollen.“

„Ja, das wäre besser gewesen.“ Malena beugte sich nach vorn. „Ich verstehe nicht, wie du mir das verschweigen konntest. Du hast diese Frau aufgesucht, dich immer wieder mit ihr getroffen und sie am Ende in deinem Ferienhaus versteckt. Jetzt wurde dort eine Leiche gefunden und Sina Lindell ist verschwunden. Hast du überhaupt eine Ahnung, in was du dich da hast hineinziehen lassen?“

„Nein, natürlich habe ich keine Ahnung und ich grübele die ganze Zeit darüber nach, was eigentlich passiert ist. Ich dachte, du kannst mir helfen.“

Eine steile Falte bildete sich zwischen Malenas dunklen Augenbrauen. „Es wäre hilfreich gewesen, wenn du mich von Anfang an eingeweiht hättest. Hast du überhaupt kein Vertrauen zu mir? Ich dachte, wir sind Freundinnen.“

Smilla schluckte und wusste nicht, was sie darauf erwidern sollte. Sie schätzte Malena sehr und niemand hatte ihr nach dem Tod ihrer Mutter mehr geholfen. Aber als Freundin würde Smilla sie nicht bezeichnen. Malena war eine Respektsperson, jemand, zu dem sie aufsah, obwohl sie nicht viel älter war als sie. Sina war im gleichen Alter, doch bei ihr war es anders gewesen. Mit ihr hatte Smilla sich auf einer Stufe gefühlt und sofort einen Draht zu der sensiblen Frau gefunden, die ihre Gefühle offen zeigte.

„Ich habe Sina zuliebe geschwiegen“, verteidigte sie sich halbherzig. „Sie wollte unsere Verbindung geheim halten, vor allem vor ihrem Mann. Sie hatte den Verdacht, von ihm manipuliert zu werden.“

„Ich wäre wohl kaum damit hausieren gegangen.“ Malena wirkte aufgebracht. „Und die Geheimhaltung hat nicht besonders gut funktioniert. Schließlich hat die Arzthelferin ihres Mannes Sina Lindell sehr schnell im Ferienhaus aufgespürt.“

„Ich begreife nicht, wie das passieren konnte.“ Smilla kam ein Gedanke. „Möglicherweise glaubt Sina jetzt, ich hätte sie verraten. Deshalb meldet sie sich nicht mehr bei mir.“ Die Vorstellung, es könnte so sein, war erschreckend und tröstlich zugleich. Erschreckend, weil Sina sich dann von Smilla hintergangen fühlen musste, und tröstlich, weil sie in dem Falle noch am Leben wäre.

„Wie habt ihr überhaupt Kontakt gehalten?“, fragte Malena.

„Sina hatte sich ein gebrauchtes Handy und eine nicht registrierte SIM-Karte besorgt und konnte damit anonym telefonieren. Angerufen hat sie mich nur ein einziges Mal, das war am Dienstagabend. Danach nicht wieder.“

Malena nickte. „Du kannst nichts weiter tun als abwarten.“

„Ich möchte aber etwas tun.“ Ihre Anspannung brach sich Bahn, Smilla begann zu weinen. „Ich könnte herausfinden, was Sinas Ehemann jetzt unternimmt und ihn im Auge behalten. Sina hatte Angst vor ihm. Frauke Roos ist tot, aber er ist noch am Leben und jetzt vielleicht erst recht hinter ihr her.“

„Nein!“ Die Antwort von Malena kam laut und entschieden. „Du unternimmst überhaupt nichts weiter. Du hast der Polizei alles gesagt, was du weißt“, fuhr sie in einem sanfteren Ton fort. „Die werden wissen, was zu tun ist und Udo Lindell mit Sicherheit beobachten. Aber du hältst dich ab sofort vollständig aus der Sache heraus. Smilla, das sind gefährliche Menschen, die du durch deine Aktivitäten herausfordern könntest und vielleicht sogar schon herausgefordert hast. Ich möchte nicht, dass dir auch noch etwas passiert. Ab sofort stimmst du dich in jeder Beziehung mit mir ab. Sollte sich Sina Lindell bei dir melden, gibst du mir sofort Bescheid. Versprichst du mir das?“

„Ich verspreche es“, sagte Smilla. Sie empfand eine gewisse Erleichterung darüber, dass Malena nun die Verantwortung übernahm.

„Außerdem halte ich es für besser, wenn du vorübergehend zu mir ziehst. Du solltest jetzt nicht allein in deiner Wohnung bleiben.“

Smilla stimmte auch diesem Vorschlag zu. Zwar wohnte Malena am gegenüberliegenden Ende der Stadt, doch ihr Arbeitsweg wäre genauso lang wie von ihrer Wohnung aus. Es machte keinen großen Unterschied.

„Dann pack alles Notwendige zusammen, ich kann dir dabei helfen. Wir fahren anschließend sofort zu mir“, legte Malena fest.

„Wie, jetzt sofort?“, fragte Smilla entgeistert.

„Ja, je schneller, desto besser. Ich möchte dich keine weitere Nacht hier allein lassen.“