68.

Das Fenster in ihrem Zimmer war vergittert. Sina fand das eigenartig und fragte sich, ob das schon immer so gewesen war. Seit sie hier war, hatte sie die meiste Zeit geschlafen und ihre Umgebung kaum wahrgenommen.

„Ich muss zur Toilette“, sagte sie.

„Natürlich, komm, ich stütze dich.“ Malena bot Sina ihren Arm. „Anschließend helfe ich dir, dich ein wenig frisch zu machen.“ Ihre Fürsorglichkeit konnte Sina nicht mehr täuschen. Noch immer stand ihr Bents kleines blasses Gesicht hinter dem Fenster des Turms vor Augen, bewacht von der unerbittlichen schwarzen Dame. Ob er sich ebenfalls hier im Haus befand? In einem anderen vergitterten Raum? Sina war entschlossen, es herauszufinden. Es würde nicht einfach sein, denn Malena schien sie ständig zu überwachen. Sie ergriff den dargebotenen Arm und klammerte sich daran fest. Vom langen Liegen war sie unsicher auf den Beinen, doch gab sie sich absichtlich schwächer, als sie sich in Wirklichkeit fühlte. Sie musste Malena dazu bringen, in ihrer Wachsamkeit nachzulassen. Die Toilette und das Bad befanden sich auf der anderen Seite des Flures.

„Lass die Tür offen“, sagte Malena. „Nur für den Fall, dass dir schwindlig wird.“

Es würde ohnehin nichts bringen, die Tür abzusperren, das Fenster in diesem Raum war zu schmal, um sich hindurchzuzwängen. Außerdem war Sina sich nicht mehr sicher, ob sie fliehen sollte. Zuvor wollte sie herausfinden, wo Bent war. Sie betätigte die Toilettenspülung, für Malena das Signal, zu ihr hereinzukommen und ihr beim Duschen behilflich zu sein. Apathisch ließ Sina alles mit sich geschehen. Danach wurde sie von Malena wieder ins Bett gebracht.

„Sollte ich nicht versuchen, ein wenig aufzustehen?“, fragte sie. „Ich habe das Gefühl, immer schwächer zu werden.“

„Nein, dazu ist es zu früh. Du hast eine Lungenentzündung, da ist strenge Bettruhe angesagt. Und ganz viel trinken. Ich bringe dir gleich Tee und spritze dir dein Antibiotikum.“

Malena ging aus dem Zimmer. Sina setzte sich im Bett auf und atmete tief durch. Es bereitete ihr keine Mühe. Weder hatte sie Husten, noch litt sie unter Atemnot. Fieber schien sie ebenfalls keins mehr zu haben. Wenigstens eines dieser Symptome sollte bei einer Lungenentzündung vorhanden sein. Sie war sich sicher, dass Malena ihr etwas vorspielte, sie mit ihren Spritzen in einen künstlichen Dämmerzustand versetzte, um sie wehrlos zu machen. Irgendwie musste sie es schaffen, es zu verhindern.

Malena kam ins Zimmer zurück, in den Händen hielt sie ein Tablett, auf dem neben einer Thermoskanne und einer Tasse die bereits aufgezogene Spritze lag.

„Mach mal den Arm frei“, sagte sie. Sina schob den Ärmel des Nachthemds hoch, das ihr zu groß war, weil es Malena gehörte. Malena strich mit einem Alkoholtupfer über Sinas Oberarm, die gerade protestieren wollte, als nebenan das Telefon klingelte. Malena stutzte, sie wirkte angespannt. „Moment, ich muss schnell rangehen“, sagte sie und eilte aus dem Zimmer, ohne in der Eile die Tür richtig hinter sich zu schließen. Sina hörte Fetzen des Gesprächs.

„Was, wieso das denn? ... Das geht nicht, ich bin krank. ... Nein, das ist nicht nötig, ich komme lieber vorbei, aber nicht sofort. Ich habe gerade ein Medikament eingenommen und muss mich hinlegen. ... 16 Uhr, das geht.“

Sina griff nach der Spritze und drückte den Kolben nach unten. Sie hielt sie zwischen Bett und Wand, bis alle Flüssigkeit heraus war. Als Malena wieder ins Zimmer kam, lag sie flach auf ihrem Kissen und gab sich schläfrig. Sie sah, wie Malena angesichts der leeren Spritze auf dem Tablett stutzte.

„Hab ich dir schon das Antibiotikum gespritzt?“, fragte sie unsicher.

„Ja, es brennt ein bisschen.“

„Das gibt sich gleich wieder, ruh dich aus.“ Malena tätschelte Sinas Wange. Ihr kurzzeitig aufgeflammtes Misstrauen schien verschwunden zu sein. Sie ging aus dem Zimmer, und diesmal wagte es Sina, sich zur Tür zu schleichen und zu lauschen. Gleich darauf hörte sie Malena erneut telefonieren.

„Smilla? Du musst heute unbedingt pünktlich nach Hause kommen. Ich muss spätestens um halb vier hier weg, die Polizei will mich sprechen.“

Sina hörte Malena näherkommen und huschte hastig ins Bett zurück. Danach führte Malena noch ein zweites Telefonat, von dem sie leider kein Wort verstand. Doch Malenas Tonfall klang gehetzt und sehr eindringlich.