20

Toni brauchte eine gefühlte Ewigkeit, bis sie in dem Gewitter Edgar Brehms Auto entdeckte. Er parkte nur ein paar Minuten zu Fuß vom Filmset entfernt, aber der Regen fiel so stark, dass sie nicht erkennen konnte, wo jemand hinter dem Steuer saß. Und dunkelblaue Autos gab es haufenweise. Sie war völlig durchnässt, fröstelte und hielt ihren Oberkörper fest umklammert, als sie endlich in einem der Wagen eine Silhouette erkannte. Die Tür war versperrt, nur das Fenster wurde heruntergelassen.

„Ich bin es“, sagte sie zu Brehm, der sie ratlos ansah.

Ein erstaunter Ausdruck breitete sich auf seinem Gesicht aus, im nächsten Moment klickte die Zentralverriegelung.

„Pardon“, sagte er, als sie eingestiegen war. „Ihre Aufmachung … ich hab Sie nicht erkannt. Das ist beeindruckend.“

Der Regen prasselte auf die Windschutzscheibe, ein Donner krachte. Oder war das ein Blitz, der eingeschlagen hatte? Entgegen der Vorhersage war das schlechte Wetter nicht weitergezogen, im Gegenteil. Was für Steiner eine riesengroße finanzielle Belastung bedeutete, da der Dreh dieser Szene am Ende nachgeholt werden müsste. Toni wischte sich mit der völlig durchnässten Seidenbluse über das Gesicht und nieste.

„Gesundheit“, sagte Brehm.

Hoffentlich wurde sie nicht krank. Er stellte die Sitzheizung auf höchste Stufe und fuhr los. Toni stieß ein tiefes Seufzen aus, als es unter ihrem Hintern warm wurde. Wieso hatte sie den Schirm ausgeschlagen, den Paul Herz ihr angeboten hatte?

„Im Handschuhfach müssten Taschentücher sein“, sagte Brehm.

„Wohin fahren wir?“

Sie schnäuzte sich herzhaft und ließ sich tiefer in den Sitz sinken. Die Scheibenwischer konnten, obwohl sie auf höchste Geschwindigkeit eingestellt waren, die Regenflut fast nicht bewältigen. Die ganze Anspannung wich aus ihrem Körper und machte einer bleiernen Müdigkeit Platz. Oder war das nur die Sitzheizung?

„Ich bringe Sie nach Hause.“

„Danke.“ Sie nieste wieder. „Viel erfahren hab ich nicht.“

Brehm nickte ihr beschwichtigend zu. „Sie haben es zumindest versucht.“

Obwohl er keine Miene verzog, merkte sie trotzdem, dass er enttäuscht war. Er hatte einen Tagebucheintrag ohne Verfasserin, einen toten Drehbuchautor ohne Drehbuch und einen anscheinend unschuldigen Angeklagten.

„Aber ich darf morgen Vormittag wiederkommen“, sagte sie rasch.

„Sie dürfen … wer sagt das?“

„Alexander Steiner. Er hat mich eingeladen. Allerdings nicht mehr hierher, morgen wird im Park in Oberlaa gedreht. Das war schon fix geplant. Den Dreh hier müssen sie nachholen …“

„Sie haben mit Alexander Steiner gesprochen?“

Toni nickte, gähnte und lehnte sich in den warmen Sitz zurück. „Ja. Weil sie erst morgen wieder drehen können, darf ich – also Viennawolf – wiederkommen und Fotos von den Dreharbeiten machen. Steiner hat mich entdeckt, als ich nach der Besetzungsliste gesucht hab. Ich dachte, jetzt ist alles aus, ehrlich. Aber er war irgendwie nicht mal überrascht. Er hat, glaub ich, einfach angenommen, ich würde ein Motiv für meine Instagramfotos suchen.“

„Haben Sie irgendwas erfahren, was uns weiterhilft?“

Sie schüttelte den Kopf. „Vielleicht morgen.“

„Trotzdem, gute Arbeit“, lobte Brehm.

Toni war so müde und erschöpft, dass ihr jeder Knochen im Leib wehtat. Was sie jetzt brauchte, war ein heißes Erkältungsbad, ein Glas Wein, einen großen Teller Spaghetti und anschließend ihr Bett. Bei dem Gedanken an ihre Vorräte würden es wahrscheinlich eher ein Bad mit Duschgel, eine Tasse Kaffee und ein paar Müsliriegel werden. Ob sie Brehm bitten sollte, sie vorher rauszulassen, damit sie noch einkaufen gehen konnte? Bei dem Unwetter war das nicht gerade eine verlockende Aussicht. Doch den Gedanken an einen Lieferservice verdrängte sie bei ihrer finanziellen Lage gleich wieder.

„Wie ist Alexander Steiner denn so?“, riss Brehm sie aus ihren Überlegungen.

Sie legte den Kopf in den Nacken und schob die Unterlippe nach vorn. Alles war so schnell gegangen, dass sie sich darüber noch gar keine Gedanken gemacht hatte.

„Eigentlich völlig anders, als ich ihn mir vorgestellt habe.“

„Inwiefern anders?“

Toni schloss die Augen, sah Steiner vor sich, dieses gleichzeitig verlebte und verschmitzte Gesicht, das manchmal mehr an ein Kind erinnerte als an einen erwachsenen Mann. Er war unrasiert gewesen, was Paul Herz angemerkt hatte – für den Fall, dass Viennawolf ihn morgen auf einem Foto haben wollte.

„Als er mich entdeckt hat, hab ich versucht, mit ihm zu flirten“, murmelte sie und zwang sich, die Augen wieder zu öffnen.

„Warum?“

„Na ja, er hat mich ja quasi in flagranti ertappt, und ich dachte, nach dem, was ich aus dem Tagebuch weiß … wäre er dafür anfällig.“

Brehm sah ein wenig schockiert aus. „So etwas sollten Sie nicht tun.“

Toni fand die Art, wie er das sagte, rührend. Machte er sich Sorgen?

„Nein, nein, es war eh nicht ernst gemeint. Ich wollte einfach nicht, dass er mich vom Set schmeißt. Aber er hat es völlig ignoriert. Ich dachte, vielleicht bin ich einfach nicht sein Typ. Dafür war er dann aber doch zu nett.“

„Nett?“ Wie Brehm es sagte, klang es wie etwas Schlechtes.

„Und zwar richtig nett“, bestätigte Toni. „Zu jedem. Zu mir, zu den Leuten am Set – und zwar zu allen. Als gäbe es für ihn da gar keinen Unterschied, ob es jetzt Anna Ferry ist oder die Kostümbildnerin oder der Junge, der die Kabel trägt. Seine Mitarbeiter mögen ihn. Und er mag sie. Der Securitymann zum Beispiel, er malt Bilder vom Meer, und Steiner hat ihm eines abgekauft. Das hängt jetzt bei ihm im Wohnwagen. Und auch sonst …“

Toni bemerkte Brehms Skepsis, und obwohl sie gar nicht wusste, warum, hatte sie den Eindruck, sie müsse Steiner verteidigen.

Vor ihnen tauchten eine Unmenge roter Rücklichter auf, ein Stau hatte sich gebildet. Brehm reihte sich ein und drehte sich zu ihr. „Sonst?“

„Ich bin ehrlich gesagt verwirrt. Es war nicht rasend viel, was ich mit ihm gesprochen habe. Es ist mehr seine ganze Art. Er ist witzig. Aufgeweckt. Man ist gern in seiner Nähe. Zum Beispiel hat er Kreuzschmerzen, und plötzlich fängt er an, vor dir Kniebeugen zu machen und sich zu verrenken. Das ist lustig, wenn so ein Mann vor dir die Kobra macht und erklärt, er muss das alle vierzig Minuten tun, sonst hält er die Dreharbeiten nicht durch.“

Brehm runzelte die Stirn. „Was heißt, eine Kobra machen?“, fragte er schockiert.

„Das ist nichts Unanständiges“, lachte sie. „Nur eine Yoga-Position.“

An seinem Gesichtsausdruck erkannte sie, was er von Yoga hielt, und musste sich den Kommentar verkneifen, dass es vielleicht gar nicht schlecht für ihn wäre.

„Jedenfalls, Steiner war irgendwie … also seine Frau hat ja diesen Glamour, aber er ist ganz anders.“

„Meinen Sie damit, er benimmt sich nicht wie ein erfolgreicher Regisseur?“

„Nein, doch, das tut er schon. Aber … man merkt die ganze Zeit, dass ihm die Arbeit über alles geht. Als würde er sich selbst nicht so wichtig nehmen, aber sehr wohl das, was er tut.“ Toni musste wieder niesen und nahm ein Taschentuch heraus.

„Gesundheit.“

„Danke! Und er hat mich so ungezwungen behandelt, als würden wir uns kennen. Keine Allüren oder so.“ Die Autos bewegten sich endlich im Schneckentempo voran. „Auf jeden Fall ist er wirklich völlig anders, als Sybille Steiner ihn beschrieben hat.“

„Okay?“, sagte Brehm, es klang wie eine Frage.

„Natürlich kann man sich verstellen, aber wieso reagieren dann seine Mitarbeiter so auf ihn? Und noch was … als klar war, dass heute nicht mehr gedreht wird, haben ein paar Leute eine Flasche Wein geöffnet. Vincent Blum hat doch gesagt, Steiner wäre betrunken gewesen und hätte ihn wegen seiner Stimme aufgezogen.“

„Steiner hat anscheinend großen Eindruck auf Sie gemacht?“

„Das meine ich damit gar nicht. Steiner trinkt nicht. Also keinen Alkohol.“

„Bei der Arbeit?“

„Nein, überhaupt nicht. Vincent Blum war der Barkeeper bei der Party. Das muss er doch gewusst haben.“

„Sind Sie sicher?“

„Ganz sicher. Jeder am Set weiß das. Und morgen kann ich sicher auch herausfinden, was es mit dieser Umbesetzung auf sich hat. Das ist doch alles sehr schräg, finden Sie nicht?“

Brehm nickte, doch er erwiderte nichts mehr.

„Wir sind da.“

Toni schrak hoch.

Brehm hatte das Auto in ihrer Straße geparkt. Sie musste eingeschlafen sein. Der Regen war schwächer geworden, wenigstens was.

„Soll ich Sie morgen abholen und hinbringen?“, fragte Brehm.

„Das ist nicht nötig. Die Dreharbeiten beginnen um sieben Uhr in der Früh, und ich hab gesagt, dass ich von Anfang an dabei sein möchte.“ Sie nieste wieder. Edgar wollte etwas sagen, doch sie war schneller. „Es gibt eine Sache, an die muss ich die ganze Zeit denken. Vielleicht ist es ja völlig absurd, aber … kann es sein, dass Sybille Steiner diese Tagebucheintragung selbst geschrieben hat?“

Sie wischte sich über die Stirn, das Haargel war verlaufen und klebte auf ihrer Haut. Brehm verschränkte die Arme und sah ziellos aus dem Fenster. Sie dachte schon, er würde ihr nun Gegenargumente liefern, warum das unmöglich wäre, doch er zuckte mit den Achseln und öffnete seinen Gurt.

„Möglich ist alles. Aber das müsste man erst mal herausfinden. Ich würde gerne noch was mit Ihnen besprechen. Gehen Sie doch schon mal hoch in Ihre Wohnung und ziehen sich was Trockenes an, ich besorge was gegen den Schnupfen. Haben Sie Hunger?“

Als sie mehr als eifrig nickte, verzog sich sein Mund zu einem leichten Lächeln. „Und falls Sie noch bei einer Flasche Rotwein vorbeikommen …“, sagte sie.

Er nickte ihr zu, und sie nieste erneut.

Kaum war sie in ihrer Wohnung, schlüpfte sie aus den nassen Sachen. Nach der warmen Sitzheizung fühlte sich die Wohnung eisig an. Sie brauchte eine heiße Dusche – und zwar sofort. Toni nahm ihr Handy mit ins Badezimmer, schloss die Tür und drehte das Wasser auf. Endlich stieg sie unter die Dusche, das warme Wasser kribbelte auf der Haut. Es vergingen gefühlt fünf Minuten – höchstens –, sie öffnete gerade die Shampooflasche, da hörte sie Brehm schon läuten. Der war aber schnell. Sie ließ das Wasser laufen, er würde sicher nichts dagegen haben, wenn sie weiterduschte.

„Ich komme!“, rief sie und schlang sich ein zu kurzes Badetuch um den Körper. Es bedeckte gerade die delikaten Stellen. Ihr war das egal, in der Schauspielschule zogen sich ja alle ständig voreinander aus und an. Brehm wäre das wahrscheinlich peinlich. Der Gedanke amüsierte sie. Auf Zehenspitzen tappte sie in den Flur und hinterließ kleine Wasserpfützen.

Doch vor der Tür stand nicht Brehm. Sondern Felix.

Toni sah ihn vor sich und konnte es trotzdem nicht begreifen. Ihr Herz schien ihn eher zu erkennen als ihr Verstand und polterte los. Sie musterte ihn von oben bis unten, als müsste sie sich vergewissern, dass er es wirklich war. Seine Kleidung war völlig durchnässt. Sie sah wieder hoch, in sein Gesicht, das schwach vom Licht im Flur angestrahlt wurde. Er hatte tiefe Augenringe, besonders unter dem rechten Auge. Nein, das war ein Veilchen. Ein blaues Auge, das langsam verheilte. Außerdem hatte er einen Cut auf der Nase. Und er roch nicht gut. Als hätte er sich tagelang nicht gewaschen.

„Hallo, Toni.“

Seine Stimme klang rau und fremd. Sein Kinn zitterte. Es war einer dieser Momente, in denen sich die Realität anfühlte wie ein Traum. Das letzte Mal hatte sie dieses Gefühl gehabt, als sie in den leeren Safe ihrer Großmutter gesehen hatte. Es war, als könnte ihr Gehirn nicht verarbeiten, was ihre Augen sahen. Sie stand nur so da, mit der Türklinke in der Hand, tropfend, und starrte ihn an.

Felix senkte den Blick. „Darf ich reinkommen?“, fragte er leise.

Obwohl sich etwas in ihr wehrte, nickte sie ganz automatisch und trat von der Tür weg.

Die Kleidung, die er trug, kannte sie gar nicht – ein Sweatshirt und eine Armyhose. Das passte nicht zu ihm. Seine Haare waren länger geworden.

Er stand in ihrem Flur, den sie nun beide volltropften, und plötzlich vergrub er sein Gesicht in den Händen und fing an zu weinen. „Es tut mir leid, es tut mir so wahnsinnig leid.“

Eine Weile standen sie so da, und Toni kam es vor, als wären sie zwei Fremde, die durch einen Wink des Schicksals in diesen Flur verfrachtet worden waren. Das vor ihr war Felix. Aber es fühlte sich nicht so an.

„Was ist passiert?“, fragte etwas in ihr, über das sie keine Kontrolle hatte.

„Ich wusste nicht, wie gefährlich diese Leute sind. Sie wollten mir was antun. Und dir auch. Wenn ich meine Schulden nicht bezahle.“

„Was für Schulden?“

„Es waren ein paar wirklich sichere Wetten. Nichts Riskantes.“ Er hob den Kopf. „Ich gehe nie ein Risiko ein. Eine Zeit lang konnte ich beim Pokern genug Geld zurückgewinnen. Aber dann …“ Felix biss die Zähne zusammen, dazu sein empörter Blick. „Sie sagen, es war eine Pechsträhne. Aber ich weiß, sie haben mich reingelegt. Nur … ich konnte nichts tun. Sie haben darauf bestanden, ihr Geld zu bekommen.“

„Du bist wirklich ein Spieler?“

Sie sah ihm an, dass er verneinen wollte. Doch dann ließ er den Kopf sinken und nickte.

„Ich hab so oft versucht, damit aufzuhören. Das musst du mir glauben, Toni. Wirklich.“

Obwohl sie es hörte, schaffte sie es nicht, seine Worte mit dem Felix in Verbindung zu bringen, der sie beim Einschlafen immer im Arm gehalten hatte. Der ihr ins Ohr geflüstert hatte, wie wahnsinnig verliebt er in sie war. Der ihr in die Augen sah, wenn er mit ihr schlief, als würde er jede ihrer Regungen in sich aufnehmen. Der sie mit seinen Gnocchi mit Thunfischsauce überrascht, ihr im Wohnzimmer Tango beigebracht, ihr sein Herz ausgeschüttet und geweint hatte, weil er einfach nicht der Sohn war, den sein Vater lieben konnte.

„Ich wollte dir nie wehtun, Toni. Niemals. Es tut mir so unendlich leid. Wenn ich alles ungeschehen machen könnte …“

„Warum?“

Das war alles, was ihr einfiel.

Er schluckte.

„Ich brauche Hilfe.“

„Noch mehr Geld?“

„Nein, ich meine … Hilfe, um damit aufzuhören. Endgültig.“

„Ist das deine echte Antwort? Oder die, von der du glaubst, dass ich sie hören will?“

Er sah sie mit diesem flehenden Blick an, und für einen Moment blitzte etwas von dem Felix auf, den sie so vermisst hatte.

„Ich wollte das alles nicht. Bitte, glaub mir, Toni.“

„Wie kann ich dir überhaupt noch was glauben, Felix?“

Er fasste nach ihrer Hand, doch sie zog sie zurück.

„Die SMS, dass du aufpassen sollst – sie war von mir.“

„Du hast mir diese Drohung geschickt?“ Endlich war da etwas in ihr, das sich wenigstens ein bisschen wie Wut anfühlte. „Bist du noch ganz bei Trost?“

Sein beleidigter Blick war völlig unpassend und machte sie noch ärgerlicher.

„Das war doch keine Drohung. Ich habe mir Sorgen um dich gemacht.“

„Sorgen, ach wirklich? Auf einmal?“

„Weil du doch zu dem Detektiv gegangen bist. Und ich hatte Angst, was passiert, wenn diese Typen das rausfinden.“

Toni wollte ihm schon vorwerfen, dass sie nicht hätte zu einem Detektiv gehen müssen, wäre er nicht mit ihrem Geld abgehauen. Bis sie auf einmal begriff, was seine Worte zu bedeuten hatten.

„Woher hast du das gewusst?“

Jetzt lächelte er fast. „Ich hab doch gesagt, ich hab mir Sorgen um dich gemacht. Manchmal hab ich auf dich gewartet, vor dem Haus oder dem Konservatorium, und bin dir nachgegangen.“

Das war Felix. Die unzähligen Male, als sie schon gedacht hatte, ihr Verstand spielte verrückt. Dabei hatte sie es sich nicht eingebildet – er hatte sie tatsächlich beobachtet.

Entschuldigend hob er die Hände. „Ich habe dich vermisst und wollte einfach nur sichergehen, dass es dir gut geht.“

„Sichergehen, dass es mir gut geht?“ Ihre Stimme überschlug sich. „Hast du deshalb das ganze Geld genommen? Das Geld meiner Oma? Wo ist das? Ist wenigstens noch irgendwas da? Der Schmuck?“

Toni erahnte die Antwort in seinem Blick, bevor er sie ausgesprochen hatte. Der Kloß in ihrem Hals wurde riesengroß. Felix zuckte erschrocken zusammen, als es an der Tür läutete. Ohne auf seine Reaktion einzugehen, trat sie an ihm vorbei und öffnete so schwungvoll, dass ihr die Türschnalle aus der Hand glitt und die Tür aufflog.

„Hoppala“, sagte Brehm.

Er hatte eine Flasche Wein unter den Arm geklemmt und schaute auf die zwei Pizzakartons, auf denen er ein paar Medikamente aus der Apotheke balancierte. Außerdem hing ein weißes Sackerl an seinem Handgelenk.

„Ich wusste nicht, was Sie …“, begann er und stoppte, als er Felix sah.

Am liebsten wollte Toni ihn reinbitten, aber dann würde Felix abhauen. Und sie brauchte Antworten. Denn Felix war ganz sicher nicht zufällig gerade jetzt aufgetaucht.

„Danke“, begann sie und schlang das Handtuch enger um sich. „Es tut mir leid, Herr Brehm, aber ich kann gerade nicht.“

„Ist alles in Ordnung?“, fragte er.

„Ja. Felix ist da.“

Sie deutete hinter sich, als ob Brehm das nicht wusste. Oder sagte sie es wegen Felix?

„Das sehe ich. Können wir kurz alleine reden?“

Sie nickte und bat Felix, im Wohnzimmer zu warten. Er schien fast froh zu sein, aus Brehms Blickfeld zu verschwinden, und schloss sogar die Tür hinter sich.

„Ist wirklich alles in Ordnung? Wenn Sie wollen, kann ich im Nebenraum bleiben, wenn Sie mit ihm re–“

„Das ist nicht nötig“, unterbrach sie ihn. „Aber danke.“

„Verstehe.“ Edgar schien etwas sagen zu wollen, sah an ihr vorbei, schnaufte und schüttelte den Kopf.

„Was?“, fragte sie.

„Ihnen ist klar, dass er Ihnen jede Menge Ausreden auftischen wird.“

So zornig hatte sie ihn noch nie erlebt. Was gleichzeitig irritierend und irgendwie rührend war.

„Darauf bin ich vorbereitet“, sagte sie sachlich.

„Gut. Ich möchte nur nicht, dass Sie …“ Er beugte sich ein bisschen runter, um ihr in die Augen zu sehen. Er schien ihr etwas sagen zu wollen, doch dann wandte er den Blick ab und kam wieder hoch. „Egal“, winkte er ab. „Jedenfalls, unser Vertrag ist hiermit hinfällig.“

„Auf keinen Fall!“ Es war ihr lauter rausgerutscht als beabsichtigt. „Also, ich meine, ist er nicht.“ Sie sah ihm an, dass er ihr widersprechen wollte. „Das wäre doch dumm, ganz ehrlich. Jetzt bin ich schon so weit gekommen. Wie wollen Sie denn sonst an Informationen gelangen? Ich bin morgen früh dort und rufe Sie an, wenn ich beim Filmset fertig bin.“

Brehm schien nicht so recht einverstanden zu sein. Er reichte ihr die Pizzakartons mit den Medikamenten. Die Flasche Wein hielt er weiter unter seinem Arm geklemmt und ignorierte ihren sehnsüchtigen Blick darauf.

„Also, einverstanden. Ich melde mich“, sagte sie, als wäre es abgemacht.

„Nein“, sagte er und drehte sich um. „Ich hole Sie morgen Früh um halb sieben ab und bringe Sie hin.“