21

Edgar nippte am Lambrusco und sah aus dem Fenster seines Büros. Draußen war es bereits dunkel, im Wohnhaus gegenüber brannte in einigen Wohnungen Licht. Dort, wo die Vorhänge nicht zugezogen waren, lief der Fernseher, wurde zu Abend gegessen, oder man lief streitend durchs Zimmer. Obwohl Edgar durch zwei Glasscheiben, eine Straße und Betonwände von diesen fremden Menschen getrennt war, hatte es eine merkwürdig tröstliche Wirkung, ihnen bei ihrem normalen Leben zuzusehen.

Der Wein war erstaunlich köstlich. Es war ihm gar nicht bewusst gewesen, es fiel ihm jetzt erst auf: Seit dem Vorfall mit Kurt hatte er keinen mehr getrunken. Was absurd war, denn es stand damit gar nicht im Zusammenhang. An jenem Abend vor einem Jahr war Edgar völlig nüchtern gewesen. Aber vielleicht war es auch mehr der Genuss, den er sich seither versagt hatte. Alkohol mochte er nur zu gutem Essen, er vollendete die Komposition einer perfekten Mahlzeit. Als Zuflucht hatte er ihn äußerst selten in seinem Leben genutzt, und wenn, dann nur, um etwas zu überwinden, was er nicht empfinden wollte. Seine Schüchternheit bei einer ersten Verabredung, den frischen Trennungsschmerz einer eben gescheiterten Beziehung oder die gähnende Langeweile einer Einladung, bei der man sich ständig danach sehnte abzuhauen, es einem das Gebot der Höflichkeit aber verbot.

Dieser heutige Abend erfüllte keine dieser Kriterien. Edgar hatte die Flasche Wein auch gar nicht mitgenommen, um sie selbst zu trinken. Sein Instinkt hatte ihn davon abgehalten. Diesem Felix war nicht zu trauen. Und sie sollte bei dieser Unterhaltung nüchtern sein. Er ignorierte, dass er sich gerade Gedanken über eine Situation machte, die ihn nichts anging. Sein Magen knurrte, die zweite Pizza war für ihn bestimmt gewesen.

Die zwei Portionen Tiramisu wieder mitzunehmen, war dagegen gar nicht seine Absicht gewesen. Er hatte einfach vergessen, ihr das Plastiksackerl zu geben, in das der Kellner sie gepackt hatte, und erst beim Einsteigen ins Auto gemerkt, dass es noch an seinem Handgelenk baumelte. Eine Frau gegenüber trat ans Fenster und zündete sich eine Zigarette an. Bevor sie ihn entdecken konnte, drehte Edgar seinen Stuhl wieder Richtung Schreibtisch.

Im Schein der Schreibtischlampe lag das aufgeschlagene Tagebuch, das ihm noch immer keine passende Antwort lieferte. Er nahm einen weiteren großen Schluck Wein und verdrängte die Frage, ob Alkohol sich mit seinen Medikamenten vertrug. Der prickelnde Lambrusco verlieh ihm eine angenehme Schwere, während er sich zu erinnern versuchte, was Sybille Steiner bei ihren Besuchen zu ihm gesagt hatte. Gab es irgendeinen Hinweis, dass sie selbst die Verfasserin des Tagebuchs sein könnte? Aber warum? Um ihren Mann in Misskredit zu bringen? Oder wusste sie etwas über den Abend, das sie nicht preisgeben konnte? Und legte so die Spur zu Alexander Steiner, indem sie – scheinbar ahnungslos – das Motiv lieferte? Vielleicht war der Wein doch keine so gute Idee gewesen, seine Gedanken schweiften immer wieder ab.

War es wirklich richtig gewesen, Toni Lorenz mit diesem Kerl alleine zu lassen? Was, wenn der nur zurückgekommen war, weil er noch etwas brauchte, das er zu Geld machen konnte?

Nachdem Edgar gegangen war, hatte er eine halbe Stunde vor ihrem Haus in seinem Auto gewartet, wie früher bei Observationen. Nichts war passiert, das Licht in ihren Fenstern blieb unverändert an. Er hatte ihr eine SMS geschickt: Sie können mich die ganze Nacht erreichen.

Ihre Antwort kam prompt: Danke.

Danach war er losgefahren. Eigentlich war sein Plan gewesen, mit Toni über ihr Honorar zu sprechen. Darum die Pizzen und der Wein. Sie leistete gute Arbeit, und es war mehr als fair, sie dafür – soweit es ihm möglich war – zu entlohnen. Doch dann hatte er diesen Kerl in ihrer Wohnung angetroffen. Meiers verschreckte Reaktion auf ihn bestärkte Edgar in seinem Verdacht, dass von Tonis gestohlenem Vermögen kein Cent mehr übrig war. Auf jeden Fall änderte Felix Meiers Auftauchen alles.

Edgar war mehr als erleichtert, dass Toni morgen am Filmset in Erfahrung bringen wollte, was es mit der Umbesetzung und mit Steiner auf sich hatte. Dafür brauchte er sie. Doch anschließend müsste er alles andere selbst erledigen. Egal, was sie dazu sagte. Solange der Fall nicht geklärt war, konnte er ihr kein vollwertiges Honorar zusichern.

Ein vertrautes Kratzen kam von der Tür. Natürlich, er hatte das Katzenfutter vergessen. Schwerfällig stand er auf und öffnete. Der Kater schlüpfte herein, blieb in der Mitte des Zimmers stehen und sah ihn an.

„Tut mir leid, Kater“, murmelte Edgar.

Bei dem Gedanken, dass Toni ihn gefragt hatte, ob er den Namen wegen des Films „Frühstück bei Tiffany“ trug, lächelte er wehmütig. Er hatte ihr nicht geantwortet, aber es stimmte. Es war eine Reminiszenz an seine Kindheit. Als Zehnjähriger hatte er den Film zum ersten Mal gesehen. Bevor ihm noch irgendwas klar war, hatte er sich in den Hauptdarsteller George Peppard verliebt und wollte, wenn er groß war, so werden wie Audrey Hepburn. Er sah an sich runter und seufzte.

„Magst du Tiramisu oder Wein?“, fragte er den Kater, der ihn ratlos ansah. Als sein Handy klingelte, dachte er im ersten Moment, es wäre Toni, aber dem war nicht so. „Fernanda“, sagte Edgar mit dem Hauch eines schlechten Gewissens. Ob Vincent Blum den Besuch heute erwähnt hatte? Hätte er es ihr sagen sollen? Nein, in dem Fall war es besser, sie wusste so wenig wie möglich.

„Hab ich dich geweckt?“, fragte sie.

„Nein, gar nicht“, sagte er übertrieben deutlich. Anscheinend hatte er durch das bisschen Wein ein wenig Zungenschlag, dabei war die Flasche noch dreiviertel voll.

„Wollte nur mal hören, wie es dir geht“, sagte sie.

Das „Gut“ lag ihm schon auf den Lippen, doch dann entschied er sich anders. „Ging schon mal besser“, brummte er. „Ich hab mir gerade einen Wein geöffnet. Möchtest du vorbeikommen?“

„Kann nicht“, sagte sie knapp. Sie klang frustriert.

„Was ist los?“

Sie seufzte, im Hintergrund war eine Funkdurchsage zu hören. „Es ist nur … ich hab heute Abend Dienst und gerade ist nichts los und … ich war auf Facebook. Sie haben neue Fotos gepostet. Familienausflug zu den Niagarafällen. Mit der supertollen Stiefmama.“

„Das tut mir leid.“

Am anderen Ende erklang ein erzwungenes Lachen. „Ich versteh einfach nicht, wie das alles gekommen ist. Im einen Moment bist du Teil einer Familie – und im nächsten siehst du deine Kinder Familienfotos posten, auf denen du nicht mehr drauf bist. Und dann sind sie auch noch Tausende Kilometer entfernt. Sie sind glücklich. Und das sollen sie auch sein. Aber …“

Edgar wünschte, er hätte die richtigen Worte, um Fernanda zu trösten. „Manchmal ist es einfach scheißverdammt schwer, das Richtige zu tun“, seufzte er.

Ja, anscheinend hatte der Alkohol mehr Wirkung, als er erwartet hatte – normalerweise neigte er nur bei einem Schwips zum Fluchen. Eine Weile sagte sie nichts, er dachte schon, er hätte sie beleidigt.

„Vielleicht … ich weiß auch nicht. Sollte ich sie einfach mal besuchen?“

„In Vancouver?“

„Ja, ich weiß, ist eh eine blöde Idee.“

„Nein, das finde ich gut“, sagte er und nahm ächzend hinter dem Schreibtisch Platz. Der Kater sprang auf seinen Schoß, stupste ihn mit dem Kopf an die Brust und fing an zu miauen.

„Wo bist du? War das eine Katze?“

„Im Büro. Und ja. Aber sie ist nur zu Besuch.“ Er kraulte den Kater hinter den Ohren. „Es ist schön, dass du angerufen hast.“ Das meinte er ehrlich.

„Du bist noch immer dran an dem Steiner-Fall, hm?“, fragte sie.

„Keine Sorge, ich komme sowieso nicht weiter.“

„Das kommen die hier auch nicht. Ach, Edgar …“

„Was ist los?“

„Ich weiß auch nicht … irgendwie läuft doch alles verkehrt. Du solltest jetzt schon Kommissar sein, meine Kinder sollten nicht Tausende Kilometer entfernt sein, und diese Idioten sollten nicht einen Unschuldigen wegen Indizien einsperren, nur damit sie in diesem Promifall was vorzuweisen haben.“ Sie seufzte tief.

„Heißt das, auf dem Laptop wurde nichts zu einer Verbindung zwischen Schwarz und Blum gefunden?“

„Woher hast du das jetzt schon wied– … nein, ich will es gar nicht wissen. Aber siehst du, das meine ich. Es ist ein Jammer, dass du nicht mehr bei uns bist, ehrlich.“

Das Drehbuch. Edgar setzte sich so ruckartig auf, dass der Kater empört von ihm heruntersprang. Wenn er es hätte, bestand eine Chance, diesen Fall doch noch zu lösen. „Fernanda …“, raunte er.

„Hör auf. Ich kenne diesen Tonfall.“

Edgar klemmte sich das Handy zwischen Ohr und Schulter, hier irgendwo war doch ein USB-Stick. Wo hatte er ihn nur hingelegt?

„Ich habe Tiramisu.“

„Bitte?“

„Zwei Portionen Tiramisu. Vom Italiener. Im Tausch gegen zwei Minuten mit dem Laptop. Darauf ist sein Drehbuch. Das brauche ich, denn –“

„Edgar, du glaubst nicht allen Ernstes, dass du mich mit zwei Portionen Tiramisu überzeugen kannst, etwas zu tun, bei dem ich meinen Job verlieren kann? Das ist demütigend.“

„Und eine fast volle Flasche Lambrusco.“

„Na klar, weil das alles ist, was Frauen brauchen. Desserts und Alkohol. Lasst uns den Feminismus begraben, wer braucht ihn schon?“

„So hab ich das nicht gemeint, und das weißt du auch. Außerdem würdest du nicht den Job verlieren, weil es keiner erfährt. Ich bringe einen Stick mit, du spielst das Drehbuch rauf, und die Sache hat sich. Wenn ich richtigliege, dann könnte es Vincent Blum entlasten.“ Obwohl er da nach dem, was Toni heute erfahren hatte, gar nicht mehr so sicher war. Aber solange er keinen Gegenbeweis hatte, war er entschlossen, Blum zu glauben. „Außerdem hast du selbst gesagt, dass sie einen Unschuldigen –“

„Ich bin im Dienst, Edgar. Das ist ein laufendes Verfahren.“

Endlich hatte er den Stick gefunden. Er steckte ihn ein, nahm sein Sakko von der Stuhllehne, griff nach den Autoschlüsseln und war schon bei der Tür. „Das weiß ich. Aber manchmal ist es eben schwer, das Richtige zu tun.“

„Scheißschwer“, sagte Fernanda.

„Scheißschwer“, wiederholte Edgar.

Angespannt wartete er auf ihre Reaktion. Es dauerte eine Weile, bis sie endlich etwas sagte. „Ach, verdammt. Okay, komm her. Aber ich kann dir den Laptop nicht rausbringen, du musst schon zu mir rauf in den zweiten Stock. Ich werd versuchen, ihn zu mir zu holen, zum Glück ist eh keiner mehr in den Büros …“

Sie sprach weiter, doch Edgar konnte ihr nicht mehr folgen. Damit hatte er nicht gerechnet. Ihm wurde ein wenig schwindlig; er hatte sich geschworen, nie wieder einen Fuß in dieses Gebäude zu setzen.

„Und wieso … sollte mich wer zu dir rauflassen, Fernanda?“

„Na, warum wohl? Weil du mir das Tiramisu und den Wein bringst.“

Das letzte Mal hatte Edgar vor mehr als zwanzig Jahren einen Fuß in das Polizeigebäude gesetzt, doch er war überrascht, wie wenig es sich verändert hatte. Als wäre dieser Charme der Achtzigerjahre denkmalgeschützt. Der junge blonde Beamte beim Eingang hatte ihn einfach durchgewunken und gesagt, Fernanda hätte Bescheid gegeben. Dabei grinste er verstohlen und hob zweimal die Augenbrauen. Als wäre das ein Code, den Edgar nicht verstand. Er bedankte sich und nahm die Treppe in den zweiten Stock. Schon nach den ersten paar Stufen musste er stehen bleiben und nach Luft schnappen. Während der Fahrt hatte er bereut, etwas von dem Wein getrunken zu haben. Er fuhr streckenweise mit 20 km/h und der Warnblinkanlage, weil ihm immer wieder schwindlig geworden war. Eine Reaktion der Medikamente auf den Alkohol?

Fernanda erwartete ihn bereits bei offener Tür und zog ihn in das verlassene Büro. „Na, du hast dir ja Zeit gelassen. Wieso bist du nicht ans Handy gegangen?“

„Wann?“

„Na, in der letzten halben Stunde, ich hab dich dreimal angerufen.“

Edgar klopfte seine Sakkotaschen ab. Er hatte mit Fernanda telefoniert, war dann in sein Büro zurückgegangen, um für sie das Tiramisu und den Wein … – Oh nein, er hatte es am Schreibtisch liegen gelassen! Er musste sich beeilen. Wenn Toni jetzt versuchte, ihn zu erreichen – er hatte ja nicht mal ihre Nummer mit.

„Du hast echt Glück“, sagte Fernanda und schloss hinter ihm. „Eigentlich haben wir Doppelschicht, aber der Schebesta hat’s im Kreuz, der liegt im Aufenthaltsraum und kann sich nicht rühren.“

Edgar versuchte, keine Reaktion auf diesen Namen zu zeigen.

Georg Schebesta, der Exkollege, der ihm damals unter vier Augen gedroht hatte, was ihm alles passieren würde, wenn Edgar nicht bei der Bestechung durch einen hochrangigen Beamten mitmachte. Doch davon wusste Fernanda nichts, er hatte sie nur gewarnt, aber sie nicht in die Details eingeweiht. Schließlich war sie nicht involviert und musste mit Schebesta weiterarbeiten, auch wenn er selbst nicht mehr da wäre.

„Beim Eingang gab es keine Probleme, oder?“, fragte sie verschmitzt.

„Was hast du dem Jungen unten erzählt, warum ich komme?“

Fernanda grinste. „Dreimal darfst du raten.“ Sie klimperte mit den Wimpern. „Die Jugend hat eben Verständnis für fleischliche Gelüste.“

Er reichte ihr beide Tiramisu und den Lambrusco. „Bitte schön.“

Sie seufzte. „Essen und Wein – der Sex des Alters. Das hat er sicher nicht gemeint.“

„Ich weiß.“ Edgar grinste zurück. „Ich kann ihn ja zu dir hochschicken, wenn ich wieder gehe.“

Der Laptop stand auf dem Tisch unter dem Fenster, die Passworteingabe blinkte.

„Danke, dass du das machst.“

„Wieso brauchst du dieses Drehbuch?“, fragte Fernanda, nahm einen Notizzettel aus der Hosentasche und gab die darauf notierte Kombination aus Nummern und Zahlen ein.

„Sascha Schwarz hatte es an dem Abend dabei, er wollte es dem Regisseur geben. Keiner weiß, was darin steht, wovon es handelt. Und dann war das Drehbuch weg und …“

„… Schwarz tot“, beendete Fernanda den Satz.

„Ganz genau“, Edgar holte den USB-Stick aus der Sakkotasche. Gerade als er ihn Fernanda reichte, hörten sie eilige Schritte am Gang. Sie sahen sich erschrocken an, als auch bereits hastig an die Tür geklopft wurde.

„Fernanda, Fernanda, hörst du mich“, zischte eine Stimme, die Edgar als die des jungen Blonden vom Eingang identifizierte. „Mach auf, bitte. Es ist dringend.“

Blitzschnell nahm Fernanda mit einer Hand die Spange aus ihren Haaren und wuschelte sie durch, während sie mit der anderen Hand ihr Polizeihemd aufknöpfte.

„Zieh dein Hemd aus und mach die Hose auf“, wisperte sie Edgar zu und ging zur Tür. Sie öffnete nur einen Spalt. Atemlosigkeit imitierend sagte sie: „Was ist denn los, Herrgott?“

Edgar verstand nur Bruchstücke dessen, was der Beamte sagte: „Schebesta … Klo … Meldung … Zufa–“

Weiter kam er nicht, denn eine laute, donnernde Stimme hallte durch den Gang: „Was machst du da, Görner? Wieso bist du nicht beim Eingang? Macht denn heute jeder, was er will?“

Das war Schebesta. Edgar würde ihn unter Tausenden erkennen. Ein Schlurfen und etwas, das klang wie ein Stock, war zu hören.

„Aua, verdammter Schaß. Görner, runter mit dir auf deinen Platz, aber zack.“

Kein Zweifel, Schebesta war unverändert der Dreckskerl von damals, so wie er mit dem jungen Kollegen sprach. Nach unten treten, nach oben buckeln, so war er schon immer gewesen. Edgar war hin- und hergerissen zwischen dem Wunsch, Schebesta eine reinzuhauen – was er schon vor Jahren hätte machen sollen –, und sich zu verstecken.

Tatsache war, wenn Schebesta Edgar, den Stick und den Laptop sah, dann drohte nicht nur ihm eine Anzeige, die ihn mit ziemlicher Sicherheit seine Lizenz kosten würde. Auch Fernanda und der junge Beamte konnten sich gleich einen neuen Job suchen. Edgar sah sich um. Hier gab es ja nicht mal einen Aktenschrank, geschweige denn eine zweite Tür. Blieb also nur die dritte Möglichkeit: Er musste das alles plausibel erklären. Aber wie? Toni hatte angegeben, dass sie für ihn arbeitete, als sie bei Steiners Villa aufgegriffen worden war. Und Schebesta war im Gegensatz zu anderen Exkollegen leider kein Trottel. Das machte ihn umso gefährlicher. Edgar schnürte es die Kehle zu. Er hätte darauf bestehen sollen, Fernanda draußen zu treffen und ihr den Stick zu geben. Er bekam kaum Luft. Fernanda sagte etwas, sie schien mit Schebesta zu streiten, aber ihre Worte verklangen zu einem Rauschen, das in seinen Ohren immer lauter wurde.

Nein, bitte nicht jetzt. Nicht in diesem Moment. Doch da spürte er bereits, wie seine Arme taub wurden. Er biss die Zähne so fest zusammen, dass sein Kiefer knirschte, zog sich die Hose hoch. Raus, er musste raus aus dem Zimmer, bevor er zusammenbrach. Damit Schebesta den Laptop nicht sah. Er zwang sich zu atmen. Es war ein Gefühl, als läge ein zentnerschweres Gewicht auf seiner Brust. Kalter Schweiß trat ihm auf die Stirn, seine Beine zitterten und wollten ihm kaum gehorchen. Sein Blick fiel auf den Wein, er hätte ihn niemals trinken dürfen. Und in dem Moment fiel es ihm ein. Der Wein.

Er griff nach der Flasche Lambrusco, schlug den Korken herunter. Torkelnd bewegte er sich zur Tür, stieß gegen Fernanda, deren Körper nachgab, und stolperte auf den Gang. Der sehr überraschte Schebesta stand gebeugt auf einen Regenschirm gestützt.

„… besoffen …“, war alles, was Edgar verstand.

Er versuchte, ein Lallen zu imitieren, aber es kam nur ein heiseres Krächzen aus seinem Hals.

Edgar zwang sich weiterzugehen, schob Schebesta zur Seite, der angewidert das Gesicht verzog.

Jeder Schritt fühlte sich an, als steckten seine Füße fest im Boden. Aber er durfte nicht stehen bleiben. Etwas klirrte, er wusste nicht, was es war. Süßherber Geruch stieg ihm in die Nase. Der Wein. Während er sich weiterschleppte, hörte er noch seinen Namen, Fernanda schien nach ihm zu rufen. Weiter, weiter. Nur weg von dem Büro.

Da stand jemand am Ende des Ganges. Er konnte ihn kaum sehen, mit jedem Schritt wurde er größer. Das war Kurt. Er musste zu ihm. Er musste ihn warnen, ihm sagen, dass gleich jemand auf ihn schießen würde.

„Kur…“, versuchte Edgar ihn zu rufen. Doch er hörte nicht, er drehte sich einfach um und ging weg. Das durfte er nicht. Edgar musste zu ihm. „Kur…“, keuchte er wieder und krachte gegen die Wand, als seine Beine nachgaben. Er schmeckte Blut.

Über ihm tauchte Fernandas Gesicht auf. War das ein Heiligenschein oder die Deckenleuchte über ihrem Kopf?

Er spürte einen kurzen Stich in der Brust.

„Ein Krankenwagen, sofort!“, hörte er Fernanda noch rufen.