Theo kehrte mit der Post zum Boatman’s Cottage zurück, dankbar für den Dezembersonnenschein. Sie liebte es, wie das Licht um diese Jahreszeit durch die kahlen Äste der Bäume schien. Die Architektur der Bäume zeichnete sich als dunkle Silhouette vor dem Himmel ab. In Kürze würde David eintreffen, während Natasha mit der kleinen Hochzeitsgesellschaft in Abbotswood abstieg. Piers hatte die Einladung ausgeschlagen, möglicherweise aus Trotz über Davids Rückzug aus der Firma. Dieser hatte ihm nichts von dem DNA-Test und dem Ergebnis erzählt. Theo war froh, dass Piers glücklich war mit Tina und ihrer gemeinsamen Tochter, doch er hätte etwas Zuneigung für David zeigen können.
Vor dem Cottage blieb sie stehen. Die Gartenarbeit war liegen geblieben, aber das kleine Haus war endlich fertiggestellt. Jetzt musste sie noch den Seidelbast pflanzen, den Gayle ihr geschenkt hatte. Der Dezember war nass gewesen, und es hatte noch nicht gefroren. Vielleicht sollte sie ihn heute einsetzen und anschließend damit beginnen, ihren Pflanzplan fürs Frühjahr auszuarbeiten.
Martin kam aus dem Cottage, einen Brief in der Hand. »Ich habe mir die Briefe noch einmal durchgelesen, insbesondere den letzten, in dem Zach Lady Alice das Versteck des Diadems nennt.«
»Toby sagte, sie hätten danach gesucht, aber seine Mutter habe nicht die leiseste Ahnung gehabt, wo er es vergraben haben könnte.«
»Zach schreibt: ›Ich habe eine Karte hinterlassen, die Dir zeigt, wo das Diadem vergraben ist. Du findest sie dort, wo sich Deine Schönheit spiegelt.‹«
»Vielleicht am Fluss?« Theo zuckte die Achseln.
»Das war auch mein erster Gedanke, doch dann fiel mir ein, dass es sich auch um einen Spiegel handeln könnte.«
Theo ging an ihm vorbei ins Wohnzimmer, wo sie den schweren Spiegel von der Wand nahm.
»Lass mich dir helfen.« Martin nahm ihn ihr ab, und Theo warf eine Decke auf den Tisch, damit er ihn mit dem Glas nach unten darauflegen konnte.
Sie schüttelte den Kopf. »Da ist nichts, außerdem ist die Vermutung ziemlich weit hergeholt, dass der Spiegel die ganze Zeit über hier war.«
Martin fuhr mit den Fingern über das Holz an der Rückseite. »Diese Nägel sind nicht so eben eingeschlagen wie die übrigen.«
»Ich hole schnell mein Werkzeug.« Theo eilte in den Hauswirtschaftsraum und kehrte mit einem kleinen Hammer und einem Flachkopfschraubenzieher zurück.
Martin trat einen Schritt zur Seite und sagte: »Du bist in solchen Dingen um einiges geschickter als ich.«
Theo machte sich vorsichtig ans Werk und entfernte die auf den Rahmen genagelte Holzplatte in der Erwartung, dahinter nichts als die quecksilberbeschichtete Rückseite des Spiegelglases vorzufinden.
»Was ist das?«, fragte Martin, der ihr über die Schulter geblickt hatte, und nahm ein Blatt Papier heraus, das er auf den Tisch legte. Als sie sich drüberbeugten, erkannten sie eine handgezeichnete Karte von Abbotswood.
Theo hielt nach einem X Ausschau, das die fragliche Stelle markierte, aber sie konnte keins entdecken. »Also ich finde keinen Anhaltspunkt.« Sie seufzte. Die Karte war schlicht. Abbotswood, der Tamar, das Cottage und ein paar markante Orientierungspunkte wie Black Rock waren darauf verzeichnet. Striche markierten den Ort einiger Solitärbäume, außerdem war ein Seidelbast eingezeichnet. Seidelbast. Daphne. Daphne laureola, Waldlorbeer, auch Lorbeer-Seidelbast genannt. »Das Diadem ist hier.« Sie tippte auf den Seidelbast.
Martin beugte sich vor. »Bist du dir sicher?«
Theo studierte noch einmal gründlich die Karte, dann holte sie ihre Gartenhandschuhe und eine Schaufel. Anschließend ging sie mit Martin in den Garten und suchte die Stelle, an der Zachariah den Waldlorbeer eingezeichnet hatte. Jetzt wuchs dort nichts mehr. In der Hoffnung, dass sie recht behalten würde, reichte sie Martin die Karte und fing an zu graben. Nach einer Weile hörte sie ein metallisches Geräusch, als sie den Fuß auf die Schaufel stellte. Sie legte die Schaufel beiseite, bückte sich und grub mit den Händen weiter, bis sie eine Blechdose entdeckte. Es dauerte eine Weile, aber es gelang ihr, sie aus der Erde zu ziehen, während Martin ihr dabei zusah.
Der Deckel war verrostet und ließ sich nicht bewegen, also kehrten sie mit der Blechdose ins Haus zurück, wo Theo sie vorsichtig mit demselben Hammer und Flachkopfschraubenzieher öffnete, mit dem sie auch die Rückwand vom Spiegel gelöst hatte.
Eine verblasste blaue Lederschatulle mit den eingravierten Initialen DN auf dem Deckel kam zum Vorschein, unberührt von der Erde, die an der Blechdose haftete. Theo löste den Verschluss, klappte den Deckel auf und schnappte nach Luft. Das verschwundene Diadem. Sie nahm es aus der Schatulle und bewunderte die Diamanten, die im Licht der Wohnzimmerlampe glitzerten. Ganz unten in der Schatulle lag der riesige Diamant, der auch als Anhänger getragen werden konnte. »Wow.«
Theo drehte sich zu ihrem Bruder um. Hinter ihm standen Hugo und David, die unbemerkt den Raum betreten hatten und nun ebenfalls sprachlos auf das Diadem blickten.
David fing sich als Erster. »Wo hast du das denn gefunden?«
»Würdet ihr mir glauben, wenn ich euch verrate, wie die fragliche Stelle markiert ist?« Sie weihte sie in ihre Schlussfolgerungen ein.
»Du machst Witze …«, sagte Hugo.
»Nein, mache ich nicht«, widersprach sie.
»Darf ich?«, fragte Hugo.
Theo nickte, und er nahm ihr das Diadem ab. »Atemberaubend.« Er drehte es um und suchte nach dem Namen des Goldschmieds, der es gefertigt hatte. »Es stammt von Garrard. Es dürfte nicht allzu schwer sein, seine Geschichte herauszufinden.«
»Wir wissen, dass es Lady Alice gehört hat«, sagte Theo.
»Soll ich Toby anrufen?«, fragte Martin.
»Ja, es gehört ihm.« Kopfschüttelnd fügte sie den großen Diamanten ein, dann riss sie sich von dem überwältigenden Anblick los und wandte sich ihrem Sohn zu. »David, würdest du bitte den Spiegel wieder an die Wand hängen? Warte, du müsstest zunächst die Rückwand wieder befestigen …«
»Kein Problem.«
Als sich der Spiegel wieder an Ort und Stelle befand, trat Theo davor und setzte das Diadem auf. Die Diamanten fingen das Licht ein und warfen bei jeder ihrer Bewegungen funkelnde Prismen an die Wand.
»Ich muss sagen, es steht dir«, stellte Martin fest, der soeben wieder hereinkam. »Toby lässt uns die besten Grüße ausrichten. Er freut sich auf morgen. Übrigens ist er der Ansicht, das Diadem gehöre dir. Er möchte dich darauf aufmerksam machen, dass jede Countess eins besitzen sollte.«
Theo prustete los. »Ich bin keine Countess, und ich werde auch niemals einen Anlass haben, es zu tragen.« Sie zögerte, dann sah sie David fragend an. »Glaubst du, Natasha würde es morgen gern tragen?«
Er grinste. »Ich denke, sie wird begeistert sein. Es wird ihr eine Ehre sein, dass du sie das fragst.«
Es klopfte an ihrer Schlafzimmertür. Theo, die gerade ihre Schuhe für den Polterabend anzog, der heute Abend in Abbotswood stattfinden sollte, schaute auf. »Komm rein.«
»Hey, Mum.« David trat ein und ließ sich aufs Fußende von ihrem Bett fallen.
»Du siehst toll aus.« Sie trat zu ihm und richtete seine Krawatte. Er sah zu ihr auf. »Was ist los?«, fragte sie.
»Dad.«
»Ah.« Sie setzte sich neben ihn. »Es tut mir wirklich leid, dass er nicht gekommen ist, um mit dir zu feiern.«
»Es ist bloß so, dass …« Er verschränkte seine Finger.
»Was?«
»Nun, als er die Einladung ausgeschlagen hat, bin ich zu ihm gefahren, und alles ist aus mir herausgeplatzt.« Er rieb sich das Kinn.
»Verstehe.«
Er schüttelte den Kopf. »Da bin mich mir nicht sicher. Ich war nicht gerade freundlich.«
Theo legte den Kopf schräg. »Was hast du gesagt?«
»Na ja, ich war wütend, und ich habe ihm an den Kopf geworfen, dass ich nicht sein Sohn bin. Er hat nur gelacht.« David stockte, dann fuhr er fort: »Und da habe ich ihm mitgeteilt, dass ich das beweisen kann.«
»Ach du lieber Himmel.«
David nickte. »Tja, daraufhin hat er dich aufs Übelste beschimpft und immer wieder das H-Wort verwendet.«
Theo zuckte zusammen.
»Er war außer sich darüber, ein Kuckuckskind großgezogen zu haben, und will Entschädigung fordern.«
»O nein.« Theo hatte eine solche Reaktion befürchtet, doch insgeheim hoffte sie, dass sein Wutgepolter ohne größere Folgen verstummen würde.
»Doch, leider, und leider war ich so außer mir, dass ich ihm entgegengeschleudert habe, er solle den Namen Henshaw & Son besser nicht in Henshaw & Daughter ändern, denn ich wäre nicht das einzige Kuckuckskind, das man ihm untergeschoben hat.«
»Autsch.«
»Das hat ihn ausgebremst. Und dann wollte er wissen, was ich weiß.« David lachte bitter. »Ich hätte es nicht sagen müssen, aber er war so gemein zu dir.«
Theo nahm seine Hand. »Es tut mir so leid, dass du das durchmachen musstest.« Sie holte tief Luft. »Er war wütend und verletzt und hat um sich geschlagen.«
»Aber …«
»Kein Aber«, fiel Theo ihm ins Wort. »Er hat ein Recht darauf, wütend zu sein, und er hat ein Recht darauf, glücklich zu sein. Ich hoffe, seine Tochter ist von ihm und nicht von dem Vorarbeiter.«
David schnaubte.
»Lass los und konzentriere dich auf das Glück und die wahre Liebe, deine wahre Liebe. Heute Abend werden wir tanzen, und morgen wirst du die Frau heiraten, die dir alles bedeutet, und das macht mich unendlich glücklich.«
»Danke, Mum.«
Sie stand auf und zog ihn hoch. »Alles wird gut.«