XIV

Damp tippte in aller Ruhe die Aussagen von Groth und den Zabels in den Computer. Ihm war es gegenüber Rieder peinlich, dass er nur das „Zwei-Finger-Suchsystem“ beherrschte. Es dauerte eine Ewigkeit, bis er ein Schreiben fertig hatte. Rieders Finger dagegen schienen über die Tastatur zu gleiten. Mit der Rechtschreibung stand Damp auch auf Kriegsfuß. Zum Glück hatte die moderne Technik die Rechtschreibprüfung erfunden.

Es klopfte. Bürgermeister Durk steckte den Kopf durch die Tür. Er schaute sich um: „Sind Sie allein?“

Damp nickte.

„Wo ist denn Ihr Kollege?“

„Keine Ahnung.“

„Gut, gut.“

Durk setzte sich auf Rieders Stuhl, stütze die Arme auf den Tisch. „Gibt’s denn schon was Neues?“

Damp schüttelte den Kopf. Eigentlich durfte er nicht mit dem Bürgermeister über Ermittlungsergebnisse reden. Aber er wägte in seinem Kopf ab, womit er mehr Punkte bei seinem Inselchef sammeln konnte, mit Schweigen oder Reden. Die Antwort fiel ihm leicht.

„Nein, bisher nicht. Ich war gerade bei Groth im, Enddorn‘ und bei einer Familie Zabel, Freunden von Stein. Sie haben Ulrike Steins Alibi bestätigt.“

„Und sonst?“

„Was sonst?“

„Na, gibt’s noch andere Erkenntnisse?“

Damp erzählte Durk von den Zeugenaussagen, die Dora Ekkehard belasteten, vom merkwürdigen Verhalten der ehemaligen Geliebten Steins, Birte Seige.

„Tja, Peter Stein war kein Kostverächter“, kommentierte Durk Damps Informationen.

Durk lehnte sich zurück. „Wie fühlen Sie sich denn nun als Revierleiter?“

Damp konnte ein Lächeln nicht unterdrücken: „Gut.“

„Ich habe auch ein gutes Wort bei Bökemüller für Sie eingelegt.“ Daran zweifelte Damp allerdings.

„Es wäre eine Schande gewesen, wenn man Ihre Verdienste um die Insel nicht berücksichtigt hätte. Ich bin nicht dafür, immer Leute von außen zu holen.“ Damp konnte sich allerdings nicht daran erinnern, dass in den letzten Jahren irgendjemand von den Insulanern bei den Stellenbesetzungen für die Kurdirektion, das Hauptmann-Haus oder die Insellogistik berücksichtigt worden wäre. Diese guten Jobs hatten allesamt Auswärtige bekommen. Die Personalvorschläge hatte alle Durk gemacht und mit der Mehrheit seiner Gemeinderatsfraktion durchgesetzt. Selbst Damp war klar, dass Durk so seine Macht sicherte, denn die Neuankömmlinge waren auf das Wissen und das Wohl des Bürgermeisters angewiesen, wollten sie die Probezeit überstehen. Einheimische hätten mit ihren Kenntnissen von der Insel Damps Macht viel eher gefährdet.

„Wissen Sie, eigentlich wäre es doch ganz gut, wenn ich mich bei Bökemüller mal noch für eine zweite Stelle einsetzen würde. Das mit Rieder ist ja nur eine befristete Sache.“

„Klar, wäre nicht schlecht, aber bisher hieß es doch immer, es gäbe kein Geld ...“

„Kein Geld, kein Geld! Ich kann das schon nicht mehr hören. Für dieses Pilotprojekt mit Rieder“, meinte Durk abschätzig, „gibt es auch Geld. Lassen Sie mich mal machen. Und ...“ – der Bürgermeister beugte sich weit über den Schreibtisch – „passen Sie auf, was unser Berliner so macht. Ich möchte nicht, dass er hier zuviel Unruhe stiftet, wenn Sie verstehen, was ich meine.“

„Nicht so ganz“, entgegnete Damp unsicher.

„Wissen Sie, Stein und ich, wir hatten so unsere Pläne für die Insel.“ Durk lehnte sich wieder zurück, legte den rechten Arm lässig über die Rückenlehne des Schreibtischstuhls. „Natürlich zum Wohle der Insel. Stein hat uns mit seiner Firma schon an vielen Stellen geholfen. Denken Sie, wie schnell die Reste des ‚Boddenblicks‘ verschwunden waren, nachdem wir endlich die Abrissgenehmigung hatten.“

Das Hotel „Boddenblick“ war vor Jahren durch einen Brand zerstört worden. Die Ruine war von Jahr zu Jahr weiter verfallen. Plötzlich im September waren die Reste des Hotels von Steins Firma innerhalb von zwei Tagen abgerissen worden, aber auch nur weil Stein zugleich den Zuschlag für das Grundstück und den Bau von neuen Ferienwohnungen erhalten hatte. Damp fragte sich, für wie blöd ihn eigentlich der Bürgermeister hält. Aber auch das nur im Stillen.

„Ich könnte Ihnen noch mehr Beispiele nennen“, erzählte Durk weiter. „Wie auch immer. Ich wäre jedenfalls immer mal dankbar für einen kleinen Tipp, wie die Sache vorangeht.“

Durk stand auf. Da kam Rieder herein und stutzte kurz, als er den Bürgermeister an seinem Schreibtisch stehen sah. „Störe ich?“

„Ich wollte einfach mal mit Herrn Damp über seine neuen Aufgaben als Revierleiter reden“, schoss Durk seine kleine Spitze ab. Rieder ging nicht darauf ein. Er trat an seinen Schreibtisch und verdrängte geradezu den Bürgermeister. Dann ließ er sich auf seinen Stuhl fallen.

„Ihr Freund Stein war nicht nur ein Menschenfreund.“

„Ich verstehe nicht, was Sie meinen“, antwortete Durk etwas gereizt.

„Ich habe gerade noch einmal mit Dora Ekkehard gesprochen ...“

„Ach, hören Sie mir auf. Die Ekkehard muss einfach langsam begreifen, dass ihre Zeit vorbei ist. Wenn wir nicht Jahr für Jahr tausende Euro dazuschießen würden, wäre das Zeltkino schon längst pleite!“, zeterte Durk weiter.

„Die Touristen lieben es. Für die gehört es einfach zu Hiddensee“, widersprach Rieder.

„Ich muss mich aber vor allem um das Wohl der Bürger sorgen, die nicht nur vierzehn Tage hier Urlaub machen, sondern das ganze Jahr auf der Insel leben. Da ist das wenige Geld, über das wir verfügen, besser in einem neuen Straßenbelag zwischen Neuendorf und Vitte angelegt als in einem klapprigen alten Zeltkino.“

„Oder für das Projekt ‚Norderende‘?“

Durk stutzte, aber nur kurz. Auch Damp horchte auf. „Ich weiß nicht, was Sie meinen. Ich würde mich jedenfalls nicht wundern, wenn Sie Ihre Anteilnahme für Frau Ekkehard noch bedauern“. Durk verließ wütend das Polizeibüro.

Damp kochte. Rieders Sticheleien gegen den Bürgermeister konnten schnell auch wieder auf ihn zurückfallen. Aber das war es nicht allein. Er nahm es Rieder übel, dass er ohne ihn noch einmal die Kinofrau befragt hatte.

„Sie waren also schon bei Dora Ekkehard?“, fragte er missmutig seinen Kollegen.

„Was dagegen?“, antwortete pampig Rieder.

„Ich finde Ihre Alleingänge unmöglich. Ich bestehe als Revierleiter darauf ...“

„Verschonen Sie mich mit dieser Leier. Hat die Ihnen Durk eingetrichtert?“

Rieder ärgerte sich über die offensichtliche Kumpanei seines Kollegen mit dem Bürgermeister. Aber er hatte auch ein schlechtes Gewissen. Er hatte Damp ganz bewusst bei dem Gespräch mit der Kinofrau nicht dabeihaben wollen. Nun suchte er nach einer Rechtfertigung. Aber Damp kam ihm zuvor.

„Sie wollen doch die Ekkehard nur reinwaschen, trotz der Beweise“, rief er aufgebracht und warf dabei das Protokoll der Aussagen von Hildegard Jahnke und Helene Witt über den Tisch.

„Das ist doch Quatsch!“, empörte sich Rieder, obwohl er es in seinem Innern besser wusste.

„Und Ihre Parteinahme für die Ekkehard vor dem Bürgermeister?“

Darauf ging Rieder nicht ein. Denn endlich hatte er eine Ausrede für seinen Alleingang gefunden. „Ich bin allein zu Frau Ekkehard, weil wir hier doch nur zu zweit sind. Da müssen wir uns doch die Arbeit aufteilen.“

„Sonst drängen Sie sich auch immer nach vorn. Vorhin zum Beispiel, bei den Bauarbeitern.“

„Da haben Sie sich doch gedrückt!“, konterte Rieder.

Damp schnappte nach Luft. „Sie können mich mal!“

Er stand auf und begann seine Aktentasche zu packen. „Machen Sie doch, was Sie wollen. Für mich ist Feierabend.“

Damp marschierte zur Tür.

„Was ist mit dem Alibi von Ulrike Stein?“, hielt ihn Rieder nochmal auf.

„Lesen Sie doch das Protokoll!“

Damp öffnete die Tür. Rieder stand wütend auf. „Sie können doch jetzt nicht einfach gehen.“

Damp warf die Tür hinter sich zu. Im Flur fiel ihm ein, dass er Rieder gar nicht gefragt hatte, was es mit diesem Projekt „Norderende“ auf sich hatte. „Egal“, sagte er sich. Morgen war auch noch ein Tag.