XXI

Am Zeltkino war Dora Ekkehard dabei, die Nachmittagsvorstellung vorzubereiten. Sie hantierte gerade an einem der Projektoren, als der Streifenwagen vorfuhr. Die Kinofrau schaute missmutig, als sie die drei Polizisten erblickte.

„Sie schon wieder, Herr Nachbar?“, begrüßte sie unfreundlich Rieder und seine Kollegen.

„Ja, leider“, antwortete Rieder. „Wir brauchen von Ihnen eine DNA-Probe.“ „Warum?“

„Wir haben weibliche DNA-Spuren an Steins Leiche gefunden.“

„Ich habe Stein nicht angefasst und er mich auch nicht. Was soll das also?“

„Aber Sie haben selbst zugegeben, sich mit Stein gestritten zu haben ...“

Während Rieder mit Dora Ekkehard sprach, lehnte Damp an der Motorhaube des Poilizeiautos. Ihn nervte, dass sich Rieder nochmal auf eine Debatte mit Dora Ekkehard einließ. Die Faktenlage war doch klar. Behm sollte endlich diese DNA-Probe nehmen. Er ließ den Blick über die Wiese vor dem Kino schweifen. Links neben dem Kino stand das Toilettenhäuschen, eine weiße Holzbaracke mit blauen Fenstern. Etwas störte Damp, weil es nicht ins Bild passte. Es sah aus wie ein Holzstiel. Damp löste sich vom Polizeiauto. Je näher er kam, umso mehr erkannte er, worum es sich handelte.

„Kollege Rieder, können Sie mal kommen?“

Rieder und Dora unterbrachen ihre Unterhaltung und schauten gemeinsam mit Behm zu Damp. Der Polizist schob die Zweige des Busches neben dem Toilettenhäuschen zur Seite. Dort lehnten zwei Paddel an der Außenwand. Eines kippte um und fiel auf den Rasen.

„Nicht anfassen!“, rief Behm und rannte mit Rieder zu Damp. Dora Ekkehard schlug die Hand vor den Mund.

Vorsichtig legte Behm die beiden Paddel auf eine Plastikfolie, die er auf der Wiese ausgebreitet hatte. Er hatte Latexhandschuhe übergestreift und untersuchte die beiden Holzriemen, schüttelte dann aber den Kopf.

„Das hat so keinen Sinn. Ich muss mir das im Labor genauer ansehen.“

Er steckte die Paddel in Plastiktüten und wickelte sie zusätzlich in die Folie.

„Kennen Sie die?“, fragte Rieder die Kinofrau, die wie vom Donner gerührt auf die beiden Paddel starrte. Sie gab keine Antwort. Auch nicht auf die Frage: „Sind die von Steins Boot?“

„Können Sie mir sagen, wie diese beiden Paddel hierherkommen?“ Dora Ekkehard schwieg weiter. Ihre Augen hatten sich mit Tränen gefüllt. Die sonst so robuste Frau stand kurz vor dem Zusammenbruch. Rieder nahm die Frau am Arm und führte sie etwas zur Seite.

„Frau Ekkehard, Peter Stein wurde wahrscheinlich mit einem Paddel seines Ruderbootes erschlagen. Wir haben Lackspuren an Steins Körper, neben der weiblichen DNA, sichergestellt. Haben Sie etwas mit dem Tod Steins zu tun? Sind Sie Stein gefolgt und haben ihn in Ihrer Wut geschlagen?“

Dora Ekkehard schwieg.

„Wir wissen, dass er nicht sofort tot war, sondern erst an den Folgen des Schlags und weil er keine Hilfe bekam, gestorben ist. Das wäre Totschlag im Affekt. Ein Geständnis könnte sicher den Richter etwas gnädiger stimmen.“

Doch Dora Ekkehard blickte weiter nur mit tränenverhangenen Blick auf den Polizisten.

Vor dem Kino hatten sich die ersten Gäste versammelt, die die Nachmittagsvorstellung besuchen wollten. Sie beobachteten neugierig das Geschehen. Damp ging zu ihnen und teilte mit, dass die Vorstellung ausfallen müsse. Doch keiner ging weg.

Dora Ekkehard sah ihm traurig hinterher, leistete aber gegen Damps Vorgehen keinen Widerstand.

Behm hatte die Paddel im Auto verstaut. Er kam mit einem Plastikröhrchen zurück. Die Kinofrau ließ sich die DNA-Probe abnehmen. Der Kriminaltechniker gab Rieder ein Zeichen, dass er mit ihm reden müsse.

„Frau Ekkehard, warten Sie bitte im Vorführerraum auf uns!“ Damp kam sofort angelaufen und eskortierte die Frau zurück zum Kino, die Hand an seinem Holster, als rechne er mit einem Fluchtversuch.

„Was willst du nun machen?“, fragte Behm Rieder. „Sie auch noch festnehmen?“

„Ich rede mit Bökemüller. Dass Jan Stein freikommt, ist nach der jetzigen Beweislage keine Frage. Aber ich scheue mich, Dora Ekkehard festzunehmen. Stein ist auch nicht wirklich raus. Bei ihm haben wir das Telefon seines Bruders gefunden.“

„Das Telefon könnte Jan Stein untergeschoben worden sein“, wandte Behm ein. „Der Bungalow war nicht verschlossen. Aber sollten die Paddel die Tatwaffe sein, wiegen sie deutlich schwerer.“

Da musste Rieder seinem Stralsunder Kollegen zustimmen, aber er scheute sich, vor den Augen von einigen Dutzend Urlaubern und Insulanern die Kinofrau zu verhaften. Er winkte Damp heran und setzte ihm die Situation auseinander. Er wollte es nicht allein entscheiden. „Sie sind der Chef hier auf der Insel. Sie tragen die Verantwortung. Wenn Sie Dora Ekkehard vorläufig festnehmen wollen, dann machen wir das.“

Damp nahm die Dienstmütze ab und raufte sich seine wuschelige Haarpracht. Er durchschaute Rieders Manöver. Lief jetzt hier etwas schief, blieb es an ihm als Revierleiter hängen, und Rieder konnte sich schön aus der Affäre ziehen. Hätte bloß nicht er diese blöden Paddel gefunden! Damp spürte regelrecht die Zwickmühle, in der er saß.

„Also?“, fragte Behm, „was machen Sie?“

Damp setzte seine Mütze wieder auf, rückte seine Uniform zurecht. Dann ging er auf das Zeltkino zu, gefolgt von Behm und Rieder. Dora Ekkehard saß gebrochen auf einer Bank vor dem Vorführraum. In ihren Händen knetete sie ein Papiertaschentuch. Damp baute sich vor ihr auf, so dass sie zu ihm aufschauen musste.

„Frau Ekkehard, ich muss Sie vorläufig festnehmen“, verkündete er so laut, dass es auch die Umstehenden hören konnten. Ein Chor von erschrockenen Rufen war zu hören. Damp setzte noch hinzu: „Die momentane Beweislage lässt uns keine Wahl.“

Dann griff er Frau Ekkehard mit einer Hand an ihrem rechten Oberarm und zog sie hoch. Sie wehrte Damps Griff ab: „Handschellen auch noch?“

Rieder telefonierte mit Gebauer und forderte ihn mit seinem Polizeiboot an, um Dora Ekkehard nach Rügen zu bringen, wo sie die Kollegen vom Revier Bergen übernehmen würden. Behm saß schon im Streifenwagen. Nachdem Dora Ekkehard unter Damps Aufsicht das Kino verschlossen hatte, führte er sie zum Auto. Er hatte dann doch auf Handschellen verzichtet und ließ sie hinten einsteigen. Neben ihr nahm Rieder Platz. Er versuchte, gleichgültig zu wirken, fühlte sich aber nicht wohl in seiner Haut. Damp setzte sich ans Steuer, drehte den Wagen auf dem Platz vor dem Zeltkino und steuerte auf die Menge zu. Zunächst erschien es, als würden die Menschen nicht zurückweichen. Dann trat einer nach dem anderen zur Seite und machte eine Gasse frei für das Polizeiauto. Auf den Gesichter zeigten sich Erschrecken, Ungläubigkeit, auch Hass. Einige drohten mit der Faust. Ein paar Schläge landeten auf der Motorhaube. Dora Ekkehard starrte geradeaus. Leise flüsterte sie: „Nun haben Sie es endgültig geschafft.“