XXXVII

Damp bog mit dem Polizeiwagen auf den Hof des Rathauses in Vitte ein. Er wendete dort immer, um dann das Auto mit der Schnauze nach vorn neben dem Gebäude zu parken. Doch heute machten einige Fahrräder dieses Manöver unmöglich. Sie waren kreuz und quer auf dem Hof geparkt. Es musste im Rathaus irgendeine Versammlung geben.

Damp spürte, wie sein ständiger Ärger über die Radfahrer auf der Insel in ihm aufstieg. Er riss die Fahrertür auf, sprang aus dem Auto und räumte die Räder, nicht gerade sanft, aus dem Weg. Er knallte sie an die Wand des Rathauses, auch wenn dabei hier und da etwas Putz abfiel. Als er genügend Platz für den Wendekreis des Streifenwagens hatte, fuhr auf seinen angestammten Parkplatz. Als er das Auto abschloss, sah er, dass Rieder Steins Aktenordner zur , Ostseetherme‘ auf der Rückbank vergessen hatte. Damp grinste in sich hinein. Wie Rieder von der Rolle gewesen war, nachdem ihm Bökemüller den Einlauf am Telefon gemacht hatte – genial!

Drinnen kam ihm Lotti Stoll entgegen, die Sekretärin des Bürgermeisters.

„Wem gehören die Chaisen, die da draußen im Weg stehen?“, fragte er.

Lotti Stoll legte einen Finger auf den Mund und drängte Damp in sein Büro. „Machen Sie nur leise. Dicke Luft.“ Sie deutete auf das Büro von Durk. „Krisensitzung“, flüsterte sie.

„Was ist denn los?“, wunderte sich Damp. Sie wedelte wieder heftig mit den Händen. „Nicht so laut. Durk steht das Wasser bis zum Hals.“

Sie schloss hinter sich die Tür zum Hiddenseer Revier. „Gestern war doch Gemeinderatssitzung.“

„Na und“, meinte Damp, „kommt doch sowieso nichts raus.“

„Aber diesmal war es anders. Durk hat mit Stein krumme Geschäfte gemacht.“

Jetzt wurde Damp hellhörig: „Was für Geschäfte?“

Die Sekretärin druckste herum. „Also, das ‚Hiddenseer Forum‘ hat ein Schreiben zugespielt bekommen, in dem Durk eine Baugenehmigung für das Grundstück beantragt hat, auf dem das Zeltkino steht. Er will dort ein Apartmenthaus mit zehn Ferienwohnungen bauen.“ Das „Hiddenseer Forum“ war im Hiddenseer Gemeinderat die Opposition, es setzte sich für einen sanften Tourismus auf der Insel ein und wollte einen Baustopp auch innerhalb der vier Orte Vitte, Kloster, Neuendorf und Grieben durchsetzen. Die Fraktion war ein Sammelbecken von Bürgern, die erst nach der Wende nach Hiddensee gezogen waren und sich als Umweltschützer verstanden. Da das „Hiddenseer Forum“ dafür aber bei den Kommunalwahlen kaum mehr als zwanzig Prozent der Stimmen bekam, war es im Gemeinderat in der Minderheit gegenüber einer Koalition aus der Liste des Bürgermeisters, der „Hiddenseer Freiheit“ und der Fraktion der „Hiddenseer Union“. Die „Freiheit“ hatte ihre Anhänger unter den Insulanern. Zur „Union“ gehörten vor allem die Hotelbesitzer, Gastwirte und Einzelhändler.

Damp war verwirrt. „Aber ich denke, das gehört Stein? Jedenfalls haben uns das Bürgermeister Durk und auch Dora Ekkehard noch vor wenigen Tagen erst erzählt?“

„Nein, eben nicht“, widersprach weiter flüsternd die Sekretärin. „Stein hat es wohl Durk überschrieben, wahrscheinlich als Dank, dass er den Bau dieses Spaßbades unterstützt. Sagen jedenfalls die vom Forum.“

Damp konnte nicht glauben, dass ihn der Bürgermeister so belogen haben sollte. „Und woher wissen die Leute vom Forum davon?“

„Von Krenz.“

„Von Krenz?“

„Ja! Er hat das Papier irgendwie aus dem Amt Westrügen besorgt. Er soll dort im Bauamt einen Kumpel sitzen haben. Durk ist stinksauer.“

„Ich bin es allerdings auch. Durk hat uns alle hinters Licht geführt. Und was ist das jetzt für eine Sitzung bei Durk?“

Die Sekretärin blickte sich vorsichtig um, als könne jemand selbst durch die geschlossene Tür mithören.

„Die Leute vom ‚Hiddenseer Forum’ wollen den Bürgermeister seines Amtes entheben.“

„Na und? Sie haben doch keine Mehrheit.“

Lotti Stark verzog das Gesicht, als hätte sie etwas extrem Saures gegessen. „Die von der Union wollen sich dem Forum anschließen. Damit ist die Mehrheit futsch.“

„Aber die von der Union sind doch bestimmt auch für die, Ostseetherme‘. Die wollen doch immer auf der Insel neue Ferienwohnungen und Hotels bauen.“

„Eben nicht.“

„Eben nicht?“, wiederholte Damp ungläubig die letzten Worte der Sekretärin.

„Die haben Angst, dass die Leute dann das Geld in diesen Wellness-Tempel schleppen und nicht mehr in ihre Kneipen und Hotels.“

Damp fand, das geschah Durk ganz recht. Immerhin hatte der Bürgermeister auch ihn nur benutzt. Dass er auch Rieder belogen hatte, als sie ihn nach dem Grundstück mit dem Zeltkino gefragt hatten, war für den Polizisten nur ein geringer Trost.

Er wurde durch die Sekretärin aus seinen Gedanken gerissen. „Dass von Krenz ihn ans Messer liefert, wundert mich gar nicht, nachdem Durk mit Stein versucht hat, ihm das Haus abzuluchsen.“

Damp kannte die Geschichte zwar schon aus Rieders Berichten über die Briefe in Steins Unterlagen, aber es konnte nicht schaden, die Version von Durks Sekretärin zu hören.

„Ich habe mitbekommen, wie er sich das mit Stein ausgedacht hat. Wenn es geklappt hätte, sollte Stein dann das Haus gegen einen Appel und ein Ei von der Gemeinde kaufen können. Im Bauausschuss sitzen ja nur Steins Leute.“ Sie schwieg plötzlich und richtete sich mit verschränkten Armen auf. Das klare Signal an Damp, dass sie eine neue Motivation brauchte, um weiter zu erzählen.

„Und, was ist passiert?“, fragte also Damp.

Lotti Stoll beugte sich wieder zu dem Polizisten hinab: „Ist total schiefgegangen. Von Krenz war am Montag bei Durk im Büro und hat ihm die Hölle heiß gemacht. Angebrüllt haben die sich.“ Sie hob eine Faust und imitierte den wütenden Krenz. „Der Krenz hat immer wieder geschrien: ‚Dich mache ich fertig! Und mit dir den Stein! Ich weiß ganz genau, was hier läuft. Aber damit ist jetzt Schluss!‘“ Sie nahm die Faust wieder herunter.

Damp registrierte für sich, dass von Krenz weder die Geschichte mit dem Zeltkino-Grundstück noch die Auseinandersetzung mit Durk erwähnt hatte.

Vom Flur war plötzlich Lärm zu hören. Türen knallten. Geschrei. Damp erkannte Durks Stimme. Sein Gebrüll kannte er zur Genüge. „Das lasse ich mir von euch nicht gefallen! Zehn Jahre habe ich für euch den Hampelmann gemacht.“ Nicht ohne Eigennutz, dachte Durk bei sich. Dann waren besänfitgende Stimmen zu hören, die aber durch die geschlossene Reviertür nicht zu verstehen waren. Die Sekretärin schlich zur Tür und öffnete sie einen Spalt. Damp folgte ihr und lugte auch in den Flur. Drei Männer standen um den Bürgermeister und redeten auf ihn ein. Durk hatte ein hochrotes Gesicht. Wutverzerrt. Plötzlich stieß er einen der Männer zurück und rannte zur Treppe.

Damp schob die Sekretärin zur Seite und öffnete die Tür ganz. Die Männer drehten sich um. Einer kam auf Damp zugelaufen. Es war Claasen, Steins Vorarbeiter.

„Sie müssen sofort was unternehmen. Sonst passiert ein Unglück“, flehte er Damp an. „Durk bringt Krenz um!“

Damp setzte seinen massigen Körper in Bewegung. Er lief im Laufschritt Durk hinterher. Als er auf der Straße stand und kurz verschnaufte, sah er den Bürgermeister schon weit entfernt in Richtung Kloster rennen. Er war schon fast am Haus von Krenz. Damp war klar, er würde Durk nicht mehr einholen. Er rannte zurück zum Streifenwagen, schwang sich auf den Fahrersitz und raste los. Natürlich nicht ohne Blaulicht. Trotzdem kam er zu spät.

Durk wummerte mit der Faust an Krenz’ Tür. „Ich mach’ dich fertig!“, brüllte er und trat zugleich mit dem Fuß gegen das Türblatt. Krenz machte den Fehler, die Tür zu öffnen. Sofort trafen ihn Faustschläge. Beide Männer stürzten in die Diele. Durk schlug trotzdem weiter. Damp stürmte von hinten auf Durk zu und versuchte, ihn zu bändigen. Überrascht davon, ließ Durk kurz von seinem Opfer ab. Krenz nutzte die Chance und ging zum Gegenangriff über. Plötzlich war Malte Fittkau da. Er half Damp, die beiden Kämpfenden zu trennen. Damp und Fittkau schoben sich zwischen die Kämpfenden und drängten sie auseinander. Damp gelang es, den Bürgermeister in ein Zimmer zu schieben und hinter ihm die Tür zu verschließen. Er trommelte von innen gegen die Tür. Malte drückte Krenz gegen die Wand. Der zappelte weiter, aber kam gegen Malte nicht an.

„Aus!“, schrie Malte. Krenz erstarrte. Sein angespannter Körper erschlaffte. Durk randalierte immer noch hinter der verschlossenen Tür, brüllte Beleidigungen und Drohungen. Damp drehte den Schlüssel und stieß die Tür auf. Sie traf den Bürgermeister am Kopf, und seine Nase begann sofort zu bluten. Das war aber dem Polizisten egal. „Ruhe jetzt!“ Durk ließ sich auf einen Sessel fallen. Vor dem Haus hatten sich inzwischen einige Schaulustige versammelt, darunter Durks Parteifreunde. Sie waren völlig fassungslos.

Damp zerrte an seiner Uniform, um sie wieder einigermaßen in Form zu bringen. „Danke“, sagte er zu Malte. „Wie kommst du eigentlich hierher?“

Malte steckte die Hände in die Taschen, aber ohne Krenz aus den Augen zu lassen, der sich die Hände rieb: „Ich war in der Nähe.“

Durk hielt sich die blutende Nase. „Das wird für Sie Folgen haben, Damp“, drohte er mit hasserfüllter Stimme. Damp schluckte. Ihm lief ein kalter Schauer über den Rücken. Doch Malte sprang ihm bei. „Micha, halt einfach die Klappe. Glaubst du wirklich, hier noch was zu bestellen, nach dieser Nummer?“

Durk stand auf. „Das werden wir ja sehen!“, blaffte er zurück. Er wankte an Damp, Fittkau und Krenz vorbei zur Haustür. Dort drehte er sich noch einmal um. Er zeigte mit dem ausgestreckten Finger auf Krenz. „Mit dir bin ich noch nicht fertig. Deine Tage auf der Insel sind gezählt.“