XL

Nelly Blohm kehrte ins Restaurant „Natascha“ zurück, als das Dessert serviert wurde. Ohne ein Wort setzte sie sich wieder auf ihren Stuhl. Rieder nickte ihr nur zu. Nemzov erkundigte sich, ob es ihr wieder besser gehe. Die Polizistin nickte.

Rieder hatte inzwischen erfahren, dass Stein vor zwei Wochen die Planungen für das „Projekt Norderende“ gestoppt hatte. „Ich sollte ihm Investoren besorgen, die Geld in die Sache stecken“, hatte ihm Nemzov berichtet, „und dann bläst er die ganze Sache ab. Wie ich dastehe!“ Nemzov hob hilflos die Hände. „Deswegen war ich noch mal am Montag bei ihm, ob er das auch wirklich ernst meine. Es ging ihm nur um diese Frau. Sie hätte ihn überzeugt, dass man die Insel nicht zubetonieren dürfe. Mit ihr wolle er seine Zukunft planen. Er werde sie heiraten. Ich habe ihm dann mal nur den Tipp gegeben, dass er sich dafür erstmal scheiden lassen und Karin Knoop ‚Ja‘ sagen müsse. Das sei kein Problem, meinte er. Ulrike würde da ohne Wenn und Aber zustimmen. Ich war baff.“ Nemzov hatte sich in den Sessel zurückfallen lassen, als habe ihn etwas getroffen. „Außerdem geht mir natürlich auch ein Super-Auftrag und ein schöner Batzen Geld durch die Lappen.“ Rieder hatte aufgehorcht, aber Nemzov nicht unterbrochen. „Mit Claasen & Co. hätte er die ‚Ostseetherme Hiddensee‘ nicht bauen können. Da braucht man Spezialisten für die ganzen Installationen im Bereich der Therme und des Schwimmbades. Mit meinen Männern habe ich hier auf Rügen schon ein paar Hotels gebaut, inklusive Wellnesslandschaft. Ist ja jetzt der total letzte Schrei. Das erwarten die Leute mittlerweile für ihr Geld. Mir hätte es bestimmt eine halbe Million Gewinn allein durch die Bauaufträge gebracht, wenn das reicht. Ich wäre auch Anteilseigner an der ‚Norderende AG‘ geworden, und wenn der Laden gelaufen wäre, hätte das ganz schön in der Kasse geklingelt.“

Damit hätte auch Nemzov durchaus ein Motiv für den Mord an Stein und den Überfall auf Karin Knoop, hatte Rieder sofort erwogen. Aber für beide Tatzeiten hatte Nemzov angeblich ein Alibi. Er muss es nicht allein getan haben, hatte sich Rieder gedacht. Er hatte auch diese beiden Vertrauten, die ihm sicher manchen Gefallen taten.

Nemzov hatte Rieder beobachtet. „Ich kann mir denken, was Sie jetzt beschäftigt.“

Rieder hatte gelächelt: „Können Sie es mir verdenken? Gibt es noch andere Anteilseigner?“

„Stein, seine Frau, die Gemeinde Hiddensee, einige Investoren und einen stillen Teilhaber.“

„Der würde mich interessieren?“

„Sie wissen bestimmt, was das Wort ‚still‘ bedeutet?“

„Schon, aber es ist mir in diesem Fall egal.“

Nemzov hatte schmerzlich das Gesicht verzogen. „Ich würde ungern den Namen nennen. Es könnte ihn seinen Job kosten.“

„Den Namen!“

Nemzov hatte weiter gezögert. Eine längere Pause verschafften ihm Natascha, die als Dessert Buchweizenplinsen servierte, und Nelly Blohms Rückkehr.

Nachdem auch die Polizistin nachträglich von Natascha mit einer Portion der Plinsen versorgt worden war, verbunden mit ein paar tröstenden Worten der Wirtin, kam Rieder auf den stillen Teilhaber zurück.

„Sie sind mir noch einen Namen schuldig.“

Nemzov wandte sich an Nelly Blohm: „Sie haben mir einen Aufschub verschafft, einen Menschen in den Abgrund zu stoßen, aber Ihr Kollege kennt keine Gnade. Können nicht vielleicht Sie ihn erweichen, dass er mir einen Verrat erspart?“

Aber Nelly Blohm war nicht zum Flirten und Flunkern aufgelegt. „Sagen Sie ihm einfach, was er wissen will“, antwortete sie mit fast tonloser Stimme.

„Also gut. Es ist der Bürgermeister. Es war so eine Art Dankeschön.“

„Durk?“, fragte Rieder nochmal ungläubig nach.

„Ja, er sollte das Grundstück bekommen, auf dem dieses Zeltkino steht, um dort Ferienhäuser zu bauen. Es wäre aber nicht mehr gebraucht worden, denn im Wellness-Center sollte es auch ein Kino geben, sogar mit der Möglichkeit, 3-D-Filme vorzuführen. Da gab es allerdings diese alte Kinotante, die sich querlegte. Aber die hätten Durk und Stein schon stillgelegt. Außerdem sollte Durk einige Anteile an der ‚Ostseetherme Hiddensee AG‘ bekommen, falls er das Geld dafür aufbringen könnte. Er war mit seiner Bank im Gespräch. Das sah durch die Fürsprache von Stein ganz gut aus.“ Das passte zu dem, was ihm Damp erzählt hatte.

„Aber es gab eine Klausel im Vertrag mit Durk“, berichtete Nemzov weiter, „dass er das Grundstück nur bekäme, wenn es auch mit dem Bau der Therme klappen würde. Und das war ja nun nicht der Fall. Stein kippte also den Vertrag, aber Durk hatte vorschnell schon Verträge mit Baufirmen gemacht und sitzt nun in der Tinte. Aber da war Peter gnadenlos Geschäftsmann und ihm jede Freundschaft egal.“

Rieder ordnete seine Gedanken. „Stein hat also das Grundstück zurückbekommen ...“

 ... sagen wir, er hat es behalten.“

„Aber das Zeltkino wollte er doch trotzdem dichtmachen? Das hat er jedenfalls am Montag kurz vor seinem Tod Dora Ekkehard noch gesagt.“

Nemzov schüttelte den Kopf. „Dazu kann ich Ihnen nichts sagen. Mir ging es nur darum, dass er an der ‚Ostseetherme‘ festhält und baut. Weiter nichts.“

Rieder erschien das alles sehr verwirrend. Nelly Blohm folgte nur teilnahmslos dem Gespräch.

„Warum hat Stein seine Frau eigentlich beteiligen wollen? Ich denke, sie waren getrennt“, fragte Rieder weiter.

Nemzov wiegte den Kopf hin und her. „Er fühlte sich ihr verpflichtet. Sicher kennen Sie die Geschichte. Sie war schwanger und hat bei einem Unfall, den er gebaut hat, ein Kind verloren. Danach konnte sie keine Kinder mehr bekommen. War alles nicht so leicht für sie. Er ahnte, dass sie keine Chance mit ihrem Laden haben würde, wenn da erstmal die Therme steht mit einem umfangreichen Angebot an Massagen, Kosmetik und all diesem Schnick-Schnack. So wollte er sie absichern. Außerdem musste er ein paar ihrer gemeinsamen Häuser verkaufen, um genug Cash für den Bau zu haben.“

Rieder machte sich ein paar Notizen, dann orderte er bei Natascha die Rechnung.

„Sie sind natürlich meine Gäste“, wandte Nemzov ein.

Der Polizist schüttelte den Kopf. „Wir zahlen selbst. Ich möchte mich nicht verpflichtet fühlen. Noch sind Sie nicht aus dem Schneider.“

Nemzov stutzte.

„Wir würden uns jetzt gleich mal das Auto ansehen. Wo steht es?“

„Auf meinem Bauhof?“

„Dann fahren wir mit Ihnen hin.“

Nemzov wirkte nervös: „Eigentlich habe ich noch einen Termin ...“

„Der lässt sich bestimmt verschieben. Sie wollen bestimmt nicht, dass wir mit Blaulicht bei Ihnen vorfahren und Ihren Laden auseinandernehmen. Oder?“ Nemzov nickte zögernd.

„Ich würde dann auch gern die Rechnungen für die Übernachtungen in Rostock sehen und eine Liste der Geschäftspartner, die Sie dort getroffen haben, damit ich sie unseren Kollegen dort übermitteln kann. Die werden das dann überprüfen.“

Natascha kam mit der Rechnung an den Tisch. Rieder holte sein Portemonnaie hervor. Als auch Nelly Blohm ihre Geldbörse hervorkramte, winkte er ab: „Ich übernehme das.“

Gegenüber Natascha lobte er das Essen: „Ich habe wirklich noch nie so gut russisch gegessen“, und versprach, wiederzukommen.

„Das freut mich. Vielleicht können Sie dann auch Ihre Kollegin mitbringen, damit sie nachholen kann, was sie heute verpasst hat.“

Nelly Blohm quittierte es mit einem säuerlichen Lächeln. Nemzov bezahlte mit Kreditkarte. Er musste mit an den Tresen im vorderen Gästeraum, um den Beleg zu unterschreiben. Als er dazu aufstand und nach seinem Handy griff, hielt ihn Rieder auf. „Lassen Sie das Telefon bitte hier. Es ist besser so.“

Nemzov zog ab. Rieder sah ihm nach. Er wollte unbedingt verhindern, dass der Bauunternehmer jemanden warnte.

Nelly Blohm wandte sich zu Rieder. „Es tut mir leid. Es war total unprofessionell“, entschuldigte sie sich kleinlaut. „so etwas ist mir noch nie passiert.“

„Wir sind auch nur Menschen“, beruhigte sie Rieder. „Auch als Polizisten.“

Sie schien erleichtert. „Ich würde Ihnen es gern erklären. Es ist ...“ Rieder unterbrach sie: „Das können Sie später machen. Lassen Sie uns kurz planen. Gibt es in Rügen ein weiteres Zivilfahrzeug?“

Blohm nickte.

„Ein Team der Streifenpolizisten soll sich in Zivil bereithalten. Wir dürfen Nemzov nicht aus den Augen verlieren. Er wirkt mir einen Tick zu leutselig. Der will uns einlullen. Er weiß mehr, als er zugibt.“

„Das Foto?“

„Genau.“ Er sah Nemzov zurückkommen. „Ich erkläre es Ihnen später, auch, was er mir sonst erzählt hat“, flüsterte er ihr noch schnell ins Ohr.

Rieder und Blohm standen auf und verließen mit Nemzov das Restaurant.

„Ich würde gern mit Ihnen fahren“, verkündete Rieder.

„Ich werde den Eindruck nicht los, Herr Kommissar, dass Sie mich verdächtigen, irgendetwas mit dem Tod von Stein oder dem Überfall auf Karin Knoop zu tun zu haben.“

„Da liegen Sie vielleicht nicht falsch, auch wenn ich noch nicht so richtig weiß, was.“

Sie fuhren in Nemzovs Landrover von Sellin in Richtung Bergen. In Lancken-Granitz bog Nemzov rechts ab auf eine Kopfsteinpflasterstraße, die für den öffentlichen Verkehr gesperrt war. Nelly Blohm konnte ihnen gerade noch folgen. Rieder sah Nemzov fragend an.

„Kleines Relikt aus der Zeit der Sanierung des Jagdschlosses“, grinste der Bauunternehmer. „Irgendwie ist da beim Amt was falsch gelaufen. Meine Durchfahrtgenehmigung gilt leider auf Lebenszeit.“ Ein Poller versperrte die Straße. Nemzov nahm eine Fernbedienung aus der Ablage zwischen den Sitzen und drückte einen Knopf. Der Pfosten verschwand in der Erde. Die beiden Autos konnten passieren.

„So etwas wäre für mich natürlich ohne Peters Verbindungen völlig unerreichbar gewesen. Er hat mir hier Tür und Tor geöffnet.“

„Was war Peter Stein aus Ihrer Sicht eigentlich für ein Mensch?“, fragte Rieder.

Nemzov schwieg eine Weile, bevor er antwortete. „Es mag komisch klingen. Aber er war mutig und zugleich auch sehr ängstlich. Zum Beispiel hortete er sein ganzes Geld zuhause – in bar. Ihr Deutschen habt da so einen Spruch: ‚Nur Bares ist Wahres.“

„Das geht doch gar nicht“, widersprach Rieder.

„Klar geht das“, behauptete Nemzov.

„Und wie? Ein Unternehmen braucht doch Konten für den Geschäftsverkehr. Wir haben auch entsprechende Unterlagen gefunden.“

„Haben Sie die auch durchgesehen.“

„Noch nicht vollständig“, musste der Polizist zugeben.

„Natürlich lief vieles über Konten. Die Überweisungen für die Beiträge für Rente, Krankenkassen, Arbeitslosenversicherung etc., seine Versicherungen, das Bezahlen von Rechnungen von ihm und an ihn. Aber schauen Sie es sich genau an. Es ist immer nur so viel Geld auf der Bank wie er braucht. Kommen größere Beträge rein, hebt er sie sofort ab und packt sie in seinen Safe. Seine Leute kriegen heute noch ihren Lohn in einer Lohntüte. Stellen Sie sich das mal vor!“

Wenn das stimmte, musste es in Steins Haus einen Safe voller Geld geben, dachte sich Rieder. Wahrscheinlich hatte Jan Stein bei seinem Einbruch in das Haus seines Bruders gesucht, als Rieder auf ihn geschossen hatte. „Und wie viel Geld soll das sein?“

Nemzov wiegte den Kopf hin und her. „Ein paar Millionen bestimmt. Er hat bescheiden gelebt.“

„Die ganzen Häuser hat er auch nicht für einen Apfel und ein Ei gekauft.“

„Stimmt! Aber die Aufträge auf der Insel haben eine Menge gebracht. Dazu kam die Vermietung der Häuser. Und dann hat er natürlich auch von seinem stillen Anteil an der ‚Inselbau Rügen‘ profitiert. Sein Problem war nur, dass er immer Angst hatte, die Kombination für seinen Safe zu vergessen. Er hat sie deshalb immer irgendwo in seinen Akten versteckt, verschlüsselt, versteht sich.“

„Und Sie wissen, wo?“

Nemzov lachte auf. „Soweit ging Peters Freundschaft dann doch nicht. Ich weiß nicht einmal, wo sich der Safe in seinem Haus befindet. Er hat extra eine dänische Firma kommen lassen für den Einbau. Keiner durfte in der Zeit das Haus betreten.“

Hinter Binz bog Nemzov nach rechts ab, fuhr über die Bahngleise und hielt dann vor einem Garagenhof. Davor stand eine leere Pförtnerloge. Als Absperrung diente eine Schranke. Er hielt, stieg aus und kippte die Schranke nach oben.

„Das ist einer der alten Fahrzeughöfe der Kasernen hier in Prora“, erklärte er Rieder, als er wieder einstieg und auf den Hof fuhr. „Ich habe ihn für eine D-Mark von der Treuhand gekauft. Wer braucht schon so große Garagen? Aber für meine Baufahrzeuge passt es. Ich kann hier auch Material lagern.“

Am Ende des Hofes standen ein paar kleinere Fahrzeuge. Darunter auch ein Lada Niva. ‚Fast schon ein Oldtimer‘, dachte sich Rieder. Am Kennzeichen erkannte Rieder, dass es sich um das Auto von dem Radarfoto handelte.

„Wo ist der Schlüssel zu dem Auto?“, fragte Rieder.

„In meinem Büro. Es ist abgemeldet.“

„Wo ist das?“

„Weiter hinten in einem der Blöcke der Prora-Anlage.“

„Nicht gerade sicher mit der Schranke.“

„Bisher hatte ich noch keine größeren Probleme. Schwund gibt es immer. Ob ich nun ein Schloss und ein Gitter davormache oder nicht. Der alte Niva steht bei Autodieben nicht gerade oben auf der Liste. Die teuren Fahrzeuge stehen in den Garagen. Verschlossen.“

„Wer gibt die Schlüssel zu den Fahrzeugen aus?“

„Meine Sekretärin oder ich. Natürlich gegen Quittung.“

„Würden Sie bitte hier bleiben und Behm von der Spurensicherung anrufen?“, wandte sich Rieder an Nelly Blohm. „Er soll für den Abtransport des Fahrzeugs sorgen.“ Ohne zu widersprechen, eilte sie zu ihrem Auto.

„Wir beide fahren in Ihr Büro“, verkündete Rieder. Sie gingen zu Nemzovs Jeep. Da blieb Rieder noch einmal kurz stehen. „Ich habe was vergessen. Bin gleich da.“

Er rannte noch einmal zu seiner Kollegin unter den argwöhnischen Blicken des Bauunternehmers. Nelly Blohm wollte gerade die Nummer von Behm in Stralsund wählen. „Warten Sie“, sagte Rieder. „Holen Sie bitte Ihre Kollegen aus Bergen heran. Sie sollen sich dort vorn an der Kreuzung, wo es nach Bergen, Sassnitz und Binz geht, bereithalten.“

Rieder war schon öfter in Prora gewesen. Ihn verblüffte aber immer wieder die Größe der Anlage. Ewig lang erschien ihm dieser Häuserblock, Größenwahn in Beton und Stein gegossen. Nemzov hatte seine Büros im ersten Gebäude des Südflügels. Nichts wies von außen auf den Sitz der Firma „Inselbau“ hin.

Sie mussten zwei Stockwerke nach oben. Dann öffnete Nemzov eine Glastür. Dahinter hing ein schlichtes Messingschild mit dem Firmenlogo.

„Ziemliches Understatement“, bemerkte Rieder und deutete auf das Schild.

„Besser so“, antwortete der Unternehmer. Hinter der Tür erstreckte sich ein langer Flur. Im ersten Zimmer befand sich das Sekretariat. Nemzov grüßte kurz die Sekretärin. Rieder hatte eher ein blondes Püppchen erwartet. Doch dort saß eine Frau in den späten Fünfzigern mit einer Schüttelfrisur. Sie übergab ihrem Chef ohne große Worte einen Stapel mit Papieren und Briefen. Beide schienen sehr vertraut zu sein. Nemzov deutete kurz hinter sich. „Hauptkommissar Rieder“, stellte er den Polizisten vor. „Beate Wunderlich. Sie war schon beim Vater von Peter Stein Sekretärin.“ Frau Wunderlich schien sich über Rieders Anwesenheit nicht besonders zu wundern.

„Ich bräuchte die Unterlagen meiner Reise nach Rostock. Die Taxiquittungen, die Hotelrechnungen, und machen Sie bitte eine Kopie meines Terminkalenders. Außerdem müssten Sie eine Liste meiner Gesprächspartner in Rostock machen mit Anschrift und Telefonnummer.“

Sie stellte keine Fragen, wozu und warum.

„Gehen wir so lange in mein Büro. Dort sind auch die Schlüssel meiner Fahrzeuge.“ Sie waren schon wieder auf dem Flur, da drehte er sich noch einmal um und rief seiner Sekretärin noch zu: „Ich brauche auch das Fahrtenbuch des Lada Niva, den wir letzte Woche abgemeldet haben.“

„Sie ist perfekt, hält den Laden zusammen“, lobte sie Nemzov.

Nemzovs Büro hatte einen schlichten Schick. Ein Schreibtisch mit silbernen Metallfüßen und einem dunklen Holzkörper für Schreibfläche und Ablagefächer. Dahinter stand ein Schreibtischstuhl mit abgenutztem Kunstlederbezug. Dazu in einer Ecke ein Besprechungstisch aus der gleichen Modellreihe wie der Schreibtisch. Drumherum billige Kopien von Freischwingern aus der Bauhauszeit. Nemzov sah, wie sich Rieder interessiert umsah.

„Mein Aushängeschild ist nicht mein Büro, sondern meine Arbeit“, damit deutete Nemzov an die Wand hinter dem Schreibtisch. Dort hingen zahlreiche Bilder von Häusern und Hotels. „Der Landrover ist der einzige Luxus, den ich mir leiste. Vielleicht noch mein Haus in Binz. Aber es ist wohl klar, dass ein Bauunternehmer nicht in einer Hütte wohnt.“

Er kramte in seinem Schreibtisch, holte eine Kassette raus, schloss sie auf und nahm einen Autoschlüssel heraus. Er gab ihn Rieder: „Der Schlüssel für den Niva.“

„Gibt es noch einen zweiten Schlüssel?“

Nemzov zögerte für Rieders Geschmack einen Moment zu lange mit der Antwort. Der Polizist war sich sicher, Nemzov suchte nach einer, die ihn nicht belasten könnte.

„Den Reserveschlüssel habe ich vor einiger Zeit verloren.“

Rieder hatte schon bessere Ausreden gehört.

Frau Wunderlich kam zur Tür herein. In einer Klarsichthülle hatte sie alle Belege gesammelt. Sie wollte es Nemzov auf den Schreibtisch legen. „Geben Sie es gleich dem Hauptkommissar!“ Sie reichte Rieder die Papiere. Er überflog sie schnell. Alles schien seine Richtigkeit zu haben. Trotzdem würde er Nemzovs Angaben noch einmal überprüfen lassen.

„Wir werden das Auto nach Stralsund bringen und dort kriminaltechnisch untersuchen. Sie müssten noch einmal mit zum Fahrzeug kommen, um den Abtransport zu quittieren.“ Das war zwar eigentlich nicht nötig, aber Rieder wollte Nemzov nicht aus den Augen lassen. Er war sich sicher, dass der Bauunternehmer genau wusste, wer den Niva benutzt hatte. Vielleicht würde er einen Fehler machen oder ihn zum Täter führen.

Nemzov stöhnte auf: „Langsam hört der Spaß auf.“ Dann folgte er widerwillig dem Polizisten. „Bin gleich wieder da!“, rief er seiner Sekretärin zu, als sie die Firmenetage verließen.

Rieder wusste, dass das eine Lüge war.