Sie kennt den Fotografen Giancarlo Botti schon aus ihrer Zeit mit Delon, als sie sich noch bei Coco Chanel einkleidete. Diesmal ist er zu ihr nach Hause gekommen. Es geht um Porträts von dem Star, und der Vorschlag kommt von ihr. »Willst du Aktaufnahmen von mir machen?«, fragt Romy Schneider den überraschten Botti. Der lässt sich nicht zweimal bitten.
Es ist kein Zufall, dass Romy Schneider das just in diesem Moment tut. Die Szene spielt sich im November 1980 ab – in den Wochen, in denen sie die demütigende Trennung von dem neun Jahre jüngeren Biasini durchlebt.
Fünf Jahre zuvor, im Sommer 1975, hatte eine (in eben diesen Biasini) frisch verliebte, übermütige Romy ebenfalls nackt posiert – beim Baden am Strand von Saint Tropez. Damals provozierte die ehemalige Klosterschülerin: »Warum soll ich meinen Körper nicht zeigen? Ich lerne gerade, endlich ohne schlechtes Gewissen zu leben!«
Doch schon ein Jahr danach antwortete eine müde Romy Schneider auf meine Frage nach dem Verhältnis zu ihrem eigenen Körper: »Ich spüre ihn – aber ich will ihn nicht mehr zeigen.« Vier Jahre später will sie es trotzdem noch einmal wissen: Bin ich noch verführerisch? Kann ich mich noch nackt zeigen?
Denn zum Trennungsschmerz kommt die Demütigung, dass ein jüngerer Mann sie betrogen hat. Diesmal provoziert sie nicht aus Übermut, sondern aus Verzweiflung. Biasinis Abgang sei auch »eine Niederlage für sie als Frau«, hämt die Bunte. Romy müsse eben »endlich einsehen, dass allzu junge Männer eine reife Tragödin zwar schmücken können, aber kaum auf Dauer«. Zu der Zeit ist die »reife Tragödin« 42 und ihr Mann 33 Jahre alt – wahrlich kein gewaltiger Altersunterschied. Er wäre der Rede nicht wert, wenn es umgekehrt wäre.
Trotzdem geht so etwas an einer Frau nicht spurlos vorbei – und schon gar nicht an einer Schauspielerin, die beruflich verpflichtet ist, jung und attraktiv zu sein und zu bleiben. Die Angst vorm Altern ist schon lange da, seit sie 30 ist. An ihrem 34. Geburtstag notiert Romy Schneider:
Manchmal denk ich: na, na? Ich seh mich doch auch im Spiegel. Vor fünf Jahren sah ich noch anders aus … Herrgott noch mal, jetzt schon? Ich bin ja nicht im hässlichen Charakterfach! Ich muss also noch ein paar Jahre gut aussehen! Ich kenne Kolleginnen, die kennen ihr Leben lang nur eins: ihr Gesicht, ihre Haut! Das tu ich nicht. Noch nicht.
Jetzt ist Romy Schneider keine 34 mehr, sondern 42. Und sie hat auf bittere Art und Weise erfahren müssen, dass der Mann an ihrer Seite mehr an ihrem Geld interessiert zu sein scheint als an ihrer Seele und ihrem Körper. Also geht Romy in die Offensive. Und sie schafft es noch einmal. Die Aktfotos von Botti werden weltweit gedruckt, in Frankreich im Playboy.
Doch da ist noch jemand, dessen Seele verletzt ist durch das Scheidungsdrama: Es ist Romys Sohn David, zu der Zeit 14 Jahre alt. Auch er reagiert verstört auf den Konflikt. Hatte er sich zunächst mühsam an den 19 Jahre älteren Daniel gewöhnen müssen, so ist der jetzt sein Kumpel und Ersatz-Vater, und dessen Eltern sind seine Großeltern geworden. In der Schule lässt David sich schon länger »David Biasini« nennen. Und auf dem Höhepunkt der Krise erklärt David seiner Mutter, dass er bei den Eltern Biasinis in dem Pariser Vorort Saint-Germain-en-Laye bleiben will. Die Mutter gibt nach. Romys Sohn wird zum Faustpfand in der Hand ihres Mannes.
Als Romy Schneider Biasini auffordert, die von ihr gemietete Wohnung zu verlassen, geht er, doch nicht, ohne den von ihr bezahlten Fernseher und die Stereoanlage mitzunehmen. Sodann fliegt er nach Los Angeles, wo er sich als Drehbuchautor und Produzent niederlassen möchte. Das Geld für die Reise, 50.000 Francs, leiht er sich bei seiner Noch-Frau und gibt es so wenig zurück wie die 50.000 Francs für seine letzte Jacht oder den Ring von Romys Vater. Vergeblich fleht Romy Schneider noch Monate später die Mutter Biasinis per Brief an, ihr doch wenigstens »la bague de mon père« wiederzugeben.
Schon lange kursierten Gerüchte über Biasinis Drogen-Konsum, von Haschisch bis Kokain. Als ihr Sohn David von der gemeinsamen Amerikareise mit Daniel zurückkommt, wird Romy den Verdacht nicht los, dass der ihm nicht nur das Autofahren, sondern auch das Haschischrauchen beigebracht hat. Die Spannungen zwischen Schneider und Biasini steigen, David gerät immer stärker zwischen die Fronten des Ehekrieges.
Dennoch. Als Romy Schneider am 31. Januar 1981 zum zweiten Mal den »César« erhält (den sie diesmal Claude Sautet widmet), da sitzt zu ihrer Rechten Yves Montand und zur Linken David. Auf dem Foto sieht man einen sehr hübschen, sehr blassen und sehr schmalen Jungen, der älter und kindlicher zugleich wirkt.
Romy Schneider ist nicht die einzige Mutter, die bei eigener Einsamkeit die Tendenz hat, ihr Kind zu überfordern, indem sie es wie einen erwachsenen Partner behandelt. Seit Jahren schon bezieht sie David in ihr Leben und ihre Arbeit ein, sie fragt ihn um Rat, macht ihn zu ihrem Vertrauten und nennt ihre Beziehung zu ihm öffentlich ein »Liebesverhältnis«. Zu einem Reporter sagt sie noch wenige Tage vor Davids Tod: »Mein 14-jähriger Sohn David und ich haben ein sehr liebevolles und enges Verhältnis zueinander. Er ist mir ein wunderbarer Gefährte. Er begeistert sich für meinen Beruf. Ich halte es für möglich, dass auch er Schauspieler oder Regisseur werden möchte.« – Romy erwartet von dem selbst so verlorenen David also nicht nur, dass er ihr Halt gibt, sondern hofft auch, dass er ihren Weg fortsetzt – nur stärker als sie und selbstbewusster, eben ein Mann.
Doch da ist noch ein Mann: Laurent Pétin, ein sanft aussehender, hübscher 32-Jähriger, der bei den schwierigen Dreharbeiten in Italien 1980 für Romy zunächst nur Seelentröster und guter Freund war, inzwischen aber mehr ist. Das Muster ist vertraut. Diesmal allerdings scheint es sich um einen Mann zu handeln, der ernsthaft an Romy Schneider interessiert ist. David ist das egal. Ihm reicht’s ganz einfach. Er lehnt den Neuen heftig ab und nimmt ihn seiner Mutter übel.
Am 22. Mai 1981 geht die Nachricht über alle Ticker: »Romy Schneider im Krankenhaus. Ihr Zustand ist sehr ernst.« Noch am selben Tag wird sie in dem berühmten Amerikanischen Hospital von Neuilly operiert: eine Niere wird entfernt. Krebs? Nein, es ist ein gutartiger Tumor.
Nicht nur Laurent Pétin ist am Krankenbett. Auf den Bäumen vor der Klinik turnen die Fotografen für ein Foto von der frisch Operierten. Das Krankenzimmer ist übersät mit Blumen und Grußadressen, darunter auch eine von Präsident François Mitterrand. Und täglich melden die Nachrichten den Gesundheitszustand von »Madame Schneider«, die längst ein französisches Nationalgut geworden zu sein scheint. Nur einer kommt, auf Romys ausdrücklichen Wunsch, nur einmal in diesen Wochen an ihr Bett: ihr Sohn David. Der Konflikt schwelt weiter:
Beide, Mutter wie Sohn, scheinen sich von dem jeweils anderen verraten zu fühlen.
Nach der Entlassung aus dem Krankenhaus geht Romy Schneider erst einmal wieder in die Diätklinik auf der bretonischen Halbinsel Quiberon. Dabei geht es nicht nur um Erholung, sondern auch, wieder mal, um das seit 20 Jahren so hart umkämpfte »Idealgewicht«, das bei einer Schauspielerin noch unter dem einer »normalen Frau« zu liegen hat. Es braucht nicht viel Fantasie, sich auszumalen, was diese permanenten Hungerkuren für den schon geschwächten Körper und die strapazierten Nerven bedeuten. Doch der nächste Filmvertrag ist bereits unterschrieben.
Zurück in Paris synchronisiert Schneider den Film »Das Verhör«. Am 24. Juni trifft sie ihren Sohn David und geht mit ihm in das Synchronisationsstudio. Schon lange ist es üblich zwischen den beiden, dass ihr in Frankreich aufgewachsener Sohn den ganz leichten Akzent der Mutter und ihre kleinen Fehler verbessert. Nach getaner Arbeit gehen die beiden noch in die Cafeteria und tuscheln miteinander. Es gibt Fotos von dieser letzten Begegnung. Sie zeigen eine sehr ernste Romy und einen sehr zärtlichen David, der ihr die Tränen trocknet.
Elf Tage später ist alles zu Ende. Sie ist für ein paar Tage mit Laurent Pétin in die Provence gefahren. Da ereilt sie am Pfingstsamstag die Nachricht: Ihr Sohn ist bei dem Versuch, über den Eisenzaun der Biasinis zu klettern, ausgerutscht und auf die speerartige Umzäunung gefallen. David stirbt noch am selben Abend im Krankenhaus.
Romy Schneider erhält die Mitteilung von dem Tod ihres Kindes im Krankenhausflur – umzingelt von Journalisten. Ihr Schmerz findet keine Worte. Gelähmt und stumm steht sie da. Sie scheint das Unbegreifliche nicht verstehen zu können.
Das Foto des toten David unter dem Leichentuch wird weltweit meistbietend verschachert. Die Jagd nach einem Foto von der »verzweifelten Mutter« hält an. In dieser Stunde bewährt sich Alain Delon. Er organisiert die Beerdigung von David und, mit seinen Leibwächtern, die Abschirmung für Romy. Die wird erneut ins Amerikanische Hospital gebracht und unter schwere Beruhigungsmittel gesetzt. »Warum trifft das alles mich?«, fragt sie beim Aufwachen.
Ein paar Wochen lang sieht es so aus, als würde der Schmerz sie niederknüppeln. Doch dann entschließt Romy Schneider sich weiterzuleben. Sie will den bereits unterschriebenen Vertrag für den nächsten Film erfüllen. »Man kann einen Augenblick lang nachdenken«, sagt sie in einem Interview auf die Frage nach dem Warum. »Aber dann muss man weitermachen. Stehen bleiben ist für mich nicht möglich.« Sie betont, wie unentbehrlich die Arbeit für sie ist: »Man stürzt sich in die Arbeit, weil man es tun muss – und es hilft auch ein wenig zu vergessen.«
Im Oktober 1981 beginnen die Dreharbeiten zur »Spaziergängerin von Sans-Souci«. Romy ist stolz darauf, dass der Film ihre Idee ist: Zum ersten Mal in ihrer ganzen Laufbahn hat sie ein Projekt initiiert. Den Vorschlag zu der Verfilmung des Romans von Joseph Kessel aus dem Jahre 1957 hatte sie schon länger gemacht. Sie war es auch, die Jacques Rouffio als Regisseur vorschlug.
In dem Film spielt Schneider eine Doppelrolle: die der Elsa Wiener und der Lina Baumstein. Elsa flieht mit ihrem von den Nazis verfolgten Mann (dargestellt von Helmut Griem) von Berlin nach Paris. Sie kann den Mann nicht retten, obwohl sie so weit geht, dafür mit einem deutschen Diplomaten ins Bett zu gehen, der ihr Hoffnungen macht. Lina ist die Frau an der Seite von Max Baumstein (dargestellt von Michel Piccoli), der 40 Jahre danach einen seiner Peiniger von damals wiedererkennt (eben den, mit dem die verzweifelte EIsa sich vergeblich prostituiert hatte); der ist inzwischen Botschafter für ein südamerikanisches Land. Baumstein erschießt den Alt-Nazi. Er wird freigesprochen – jedoch wenig später zusammen mit seiner Gefährtin von Neonazis erschossen.
Der Film, eine deutsch-französische Koproduktion, entgleitet dem Regisseur leider ins Pathetische. Doch er gehört in die lange Reihe von Anti-Nazi-Filmen, die Romy Schneider gedreht hat. Das Warum aber und die Verwicklung der eigenen Eltern in diesen dunklen Teil deutscher Geschichte wird sie bis zuletzt nicht thematisieren; selbst dann nicht, als sie 1981 von dem französischen Journalisten Drucker direkt danach gefragt wird – da lenkt sie ab und spricht von Meyens KZ-Erfahrung. Vermutlich hat sie es auch selbst verdrängt. Im Film aber versucht Romy Schneider wiedergutzumachen. Doch es fällt auf, dass sie in diesem, ihrem 59. und letzten Film nicht so stark ist wie gewohnt. Die professionelle Kraft, die trotz alledem immer da war, scheint Romy zu verlassen.
Kein Wunder. Die Dreharbeiten sind überschattet von Davids Tod. Ihr Hotelzimmer in Berlin ist gepflastert mit Fotos ihres Sohnes. Als ihr Filmsohn (im Alter von David) in einer Szene ein Geigensolo für sie spielt, bricht sie in Tränen aus. Und zu einer Freundin sagt sie: »David geht es gut. Er ist bei mir.« Auch hier scheint sie nicht zu verarbeiten, sondern zu verdrängen.
Mehr denn je verstummt Romy Schneider, jetzt sogar bei der Arbeit. Selbst mit ihrem Regisseur verkehrt sie überwiegend schriftlich, notiert auf ihren kleinen, typischen Zetteln, welche Vorschläge sie für diese oder jene Szene zu machen hat.
Am 7. und 8. November hat Romy Schneider ein drehfreies Wochenende. Sie lädt Mutter Magda und Bruder Wolfi nach Berlin ein. Aus Paris kommt Laurent Pétin mit Sarah dazu. Es ist das letzte Familientreffen. Im vertrauten Kreis übt Romy sich in Tapferkeit: Sie erzählt von ihren Plänen, dem Haus auf dem Land, dem nächsten Film mit Delon … Sie versucht, ihr »vie douloureuse« so schmerzfrei wie möglich zu leben. Sie redet sogar von einem dritten Kind.
Im Januar 1982 fliegt sie zusammen mit Laurent und der inzwischen viereinhalbjährigen Sarah, die auf Fotos vergnügt und pumperlgesund aussieht, für ein paar Sonnentage auf die Seychellen. Für ein, zwei Wochen wird Davids Stimme, die Romy Nacht für Nacht hört, leiser. Im März schreibt sie an Mutter Magda:
Mammi! Wir haben ein Haus! Endlich! Ein wunderschönes Haus auf dem Land. Hier will ich endgültig leben. Hier will ich mich um meine Tochter kümmern, hier will ich Konfitüre einkochen, unter den Bäumen spazieren gehen, endlich richtig leben. Und hier will ich alt werden.
Diesmal erspart das Schicksal Romy Schneider die Zerstörung ihrer Illusionen. Sie wird nur noch wenige Wochen zu leben haben.
Am 9. Mai fliegt sie mit Laurent Pétin nach Zürich, wo, aus steuerlichen Gründen, ihr Vermögensverwalter, der Anwalt Kaestlin, seinen Sitz hat. Es geht um Geld für das Landhaus, das sie in Boissy sans Avoir kaufen will, denn zum ersten Mal im Leben von Romy ist Geld ein Problem. Obwohl sie lebenslang sehr viel gearbeitet und sehr viel verdient hat, ist kein Geld mehr da. Sie hat sogar Schulden: Das französische Finanzamt verlangt Nachzahlungen in Millionenhöhe.
Wo das Geld ist? Schwer nachzuvollziehen. Allein ausgegeben hat sie es jedenfalls nicht. Alle Männer, außer Delon, haben bei ihr kassiert, von Blatzheim bis Biasini. Und nach ihrem Tod wird sich auch noch herausstellen, dass sogar ihr Schweizer Vermögensverwalter die auf dem Konto eingegangenen Millionen-Honorare eigenartigerweise nicht mehr hat.
Aber noch lebt Romy Schneider, sie hat sogar Zukunftspläne. Zu Laurent sagt sie: »Ich habe das Gefühl, dass ich am Ende des Tunnels angekommen bin.« Dennoch, in der Schweiz schreibt sie ganz plötzlich und mitten in der Nacht ein neues Testament, weder Lebensgefährte Pétin noch ihr deutscher Anwalt Senfft können sie daran hindern. In ihrer großen, energischen, inzwischen leicht fahrigen Schrift hält sie fest:
10.5.1982 Zürich. Mein Testament. Ich bitte Herrn Dr. H., alles was ich – Romy Schneider – besitze: an Laurent Pétin und meine Tochter Sarah zu überweisen! Ich meine: Es ist, nochmals gesagt, mein Testament. All mein Besitz gehört, ist bestimmt für Mr. Laurent Pétin und Sarah! Dies ist mein Wille und bleibt meine Entscheidung. Romy Schneider.
Die Schrift fängt ganz groß an und wird, bis zu Romys Unterschrift, immer kleiner. Anwalt Senfft nimmt das Testament an sich.
In diesen Wochen und Monaten versucht Laurent Pétin ihr beizustehen, so gut er kann. Er wirft die vielen Tabletten weg – sie versteckt sich neue. Er versucht, darauf zu achten, dass sie weniger trinkt – sie trinkt heimlich. Und selbst er, der sanfte junge Mann, tritt schon seit Beginn ihrer Bekanntschaft und lange vor Beginn ihrer Beziehung Romy gegenüber sehr bestimmend auf. Was diese einerseits durch ihre Hilflosigkeit und Auslieferung immer wieder provoziert – wogegen sie jedoch andererseits bei all ihren Männern irgendwann rebelliert.
Am Abend des 28. Mai sind sie bei Pétins Bruder Jérôme und dessen Frau Claude eingeladen. Gegen zwei Uhr nachts gehen Romy und Laurent durch die laue Frühlingsnacht zu Fuß nach Hause in die Rue Barbet-de-Jouy, unweit vom Invalidendom. Auf dem Weg sprechen sie über ihre Wochenendpläne: Romys Freund Jean-Claude Brialy hat sie auf sein Landschloss eingeladen.
Zu Hause angekommen, werfen sie noch einen Blick auf die schlafende Sarah, dann sagt Romy: »Geh schon schlafen. Ich komme etwas später. Ich bleibe noch ein bisschen mit David und höre Musik.« So, wird Laurent später sagen, hat sie jeden Abend geredet.
Als er am nächsten Morgen wach wird, ist das Bett neben ihm leer. Er geht ins Wohnzimmer und findet Romy schlafend an ihrem Schreibtisch. Vor ihr liegt ein angefangener Brief an das F Magazine (die damals noch erscheinende französische Variante von EMMA). Laurent spricht Romy an, berührt sie. Romy antwortet nicht mehr. Ihr Herz ist stehen geblieben – gegen fünf Uhr morgens, wird der Arzt später feststellen.
Der Kitsch und die Sensationshascherei, von denen Romy sich ein Leben lang nicht befreien konnte, begleiten sie bis in den Tod. »Im Morgengrauen brach ihr Herz«, titelt die Sensationspresse. Und: »Romy Schneider hat sich umgebracht!«
Nein, sie hat sich nicht umgebracht. Denn es ist unvorstellbar, dass eine Romy Schneider gegangen wäre ohne dramatischen Abschiedsbrief. Aber: Sie hat sich umbringen lassen. Zu viele mörderische Faktoren auf einmal haben ihr die Kraft zum Weiterleben geraubt: der Schmerz um David, die Folgen der Nierenoperation, die Schwächung durch zwanzig Jahre Hungerkuren, der Alkohol, die Überdosis Tabletten – und die Überdosis Weiblichkeit.
Diese – nicht zuletzt von den eigenen Müttern – von früh an eingehämmerten Minderwertigkeitsgefühle. Diese – nicht zuletzt durch die eigenen Daddys – erlittenen Demütigungen und Übergriffe. Diese Fluchten vor der Realität in Traumwelten. Diese (Selbst-)Bestrafung für »unweibliches« Verhalten und »männliche« Ambitionen. – Das ist die Andere. Sie ruft die Eine, ihre zu freie Hälfte, lebenslang zur Ordnung und engt sie ein.
Wie viele Frauen hat auch Romy Schneider es letztendlich nicht geschafft, diese »Andere« definitiv zu töten. Seit ihrem achten Lebensjahr stand die hinter ihr und hat ihre »Unbefangenheit zerstört«, hat sie immer wieder in den Abgrund gestürzt – solange, bis sie es nicht mehr geschafft hat, hochzukommen. Die Andere war stärker als die Eine – nicht zuletzt, weil Romy selbst zu halbherzig gekämpft hat.
Es war bezeichnenderweise Romy Schneiders eigener Wunsch, dass auf ihrem Grabstein nichts anderes steht als ihr bürgerlicher Name: Rosemarie Albach. Ist das nur eine »Rückkehr zu den Wurzeln«? Oder ist es mehr – eine Art Selbstvernichtung, ein Sichausradieren? Denn noch wissen zwar die Menschen, die zu ihrem Grab auf dem Dorffriedhof 50 Kilometer vor Paris pilgern, dass sich hinter diesem Namen die einst weltberühmte Schauspielerin Romy Schneider verbirgt. Aber irgendwann wird auch das vergessen sein – und sie selbst wird dazu beigetragen haben. Die Andere, die ohne Ruhm und ohne Namen, wird dann in Boissy sans Avoir verscharrt sein.
Bei der Vollstreckung dieser Art von (Selbst-)Vernichtung hat Romy lebenslang viele Helfer gehabt. Nicht nur mothers little helpers, auch die vielen kleinen und großen Lieben einer Frau. Männer. Männer wie Alain Delon, der zwar chevaleresk und prompt wieder zur Stelle ist, der alles in die Hand nimmt und organisiert, der sich jedoch mit seinem dramatisch am Tag von Romys Beerdigung in Paris Match veröffentlichten Abschiedsbrief ein letztes Mal entlarvt.
Diesen Brief (»Adieu ma Puppele«) hat Delon übrigens noch nicht einmal selbst geschrieben. Autor ist der in Frankreich als windig bekannte, entlassene Exsekretär von Sartre, Jean Cau. Der Brief beginnt mit den Worten: »Ich sehe dich schlafen. Ich bin bei dir, an deinem Totenbett. Du trägst eine lange Tunika, schwarz und rot, mit Stickereien auf dem Oberteil. Es sind Blumen. (…) Ich sehe dich an, noch und noch. Ich kenne dich so gut und so genau. Ich weiß, wer du bist und warum du tot bist.«
So weit, so anmaßend und verlogen. Doch es kommt ärger. »Ich habe aus dir eine Französin, einen französischen Star gemacht«, schwadroniert Delon (auch er also ein Schöpfer Romys) und fährt fort: Aber »du warst immer auf der Hut, wie ein Tier, das verfolgt wird, ›gehetzt‹, wie man von einer Hirschkuh sagt. Du hast gewusst, dass das Schicksal dir mit einer Hand nahm, was es dir mit der anderen gab«.
Ein Schicksal, das Namen hat: Alain oder Harry oder Daniel.
Delons so bezeichnende und finale Okkupation von Romys Seele und Körper gipfelt schließlich in den Sätzen: »Ich schreibe, während du dich ausruhst. Und ich weine, ganz nah bei dir, dass – nein, nein, nein – dieser schreckliche Beruf kein Beruf ist für eine Frau. Ich weiß es, weil der Mann, der ich bin, dich am besten gekannt hat.«
Ausgerechnet Alain Delon soll Romy Schneider am besten gekannt haben? Und ausgerechnet er weiß, dass »dieser schreckliche Beruf« nichts ist für sie, ja überhaupt nichts für eine Frau?
Wie hatte Romy noch 1971 in ihrem rasenden Brief über Lucky Waldleitner geschrieben? »Auslamentiert hat es sich! … Ihr entziffert mich nicht! Nicht mehr. Das tue ich, und zwar so, wie ich es will!« Und als ein deutscher Interviewer ein paar Jahre zuvor die 27-jährige Romy fragte, was denn nach ihrer Meinung eigentlich hinter dem Schneider-Mythos stecke, da zögerte Romy lange und antwortete dann mit leiser Stimme: »Ich weiß es nicht … Ich hoffe, die Arbeit.«
In der Tat. Im Leben von Romy Schneider hat es viele Leidenschaften gegeben, doch nur einer war sie immer treu: ihrer Arbeit. Posthum ausgerechnet zu dieser passionierten Schauspielerin zu sagen, dieser Beruf sei nichts gewesen für sie – das heißt, Romy Schneider ein zweites Mal töten. Denn wenn es ein Vermächtnis von Romy Schneider gibt, dann ist es ihre Arbeit, sind es ihre Filme.
Gegen Ende ihres Lebens geht die selbstkritische Romy Schneider selbst die Liste ihrer 59 Filme durch und kreuzt zehn als »gut« an. Es bedrückt sie, dass kein wirklich überragender Film dabei ist – was an der Zeit, an den Regisseuren, aber auch an »der Anderen« gelegen hat. Romys Überdosis Weiblichkeit hatte sich wie Mehltau über ihr Leben und ihre Arbeit gelegt.
Nach dem Tod von Romy Schneider tritt niemand ihr materielles Erbe an, denn es ist kleiner als der Schuldenberg. Und wo sind Romys persönliche Sachen geblieben? Ihre Briefe, ihre Fotos, ihr Schmuck, ihre Kleider? Noch nicht einmal ihr deutscher Testator Senfft weiß das. Jeder scheint sich bedient zu haben, alles scheint in alle Winde verstreut zu sein.
Ihr künstlerisches Erbe aber bleibt präsent und in seiner Ernsthaftigkeit jederzeit neu überprüfbar. Denn die Schauspielerin Romy Schneider hat mehr, viel mehr gegeben als die meisten. Doch ihre eigene Halbherzigkeit – das, was Virginia Woolf die »Verlogenheit« nennt – hatte sich vor ihre innere Freiheit geschoben – und so den für die höchste Qualität so zwingend notwendigen letzten Schritt verhindert.
Romy Schneider selbst hatte diese Gefahr früh erkannt. In der Nacht im Dezember 1976 schleuderte sie mir entgegen: »Ich will nicht mehr lügen!« Und auf meine Frage: Aber was ist dann deine Wahrheit, Romy?, antwortete sie auf Französisch: »Die suche ich noch. Aber eines habe ich schon gefunden: Ich will nicht mehr lügen!« Sie will auch sich nicht mehr belügen. Sie meint damit nicht nur die äußere, sie meint auch die innere Verlogenheit, gegen die die Virginias und Romys in starken Momenten ankämpfen – und der sie in schwachen erliegen.
Romy ist nicht frei von Pathos, von Kitsch. Sie ringt um Gleichgewicht. Sie schwankt zwischen Unterwerfung (»Du bist viel intelligenter als ich«) und Tyrannei (»Wehe, du verrätst mich!«). »Wir Frauen müssen diese Mischung von Angst, Schwäche, Aggressivität und Hass in den Griff kriegen«, sagt sie. »Autrement on reste des Palatschinken.« (Sonst bleiben wir Palatschinken.) Nein, ein Palatschinken war Romy nie, aber in den Griff gekriegt hat sie es auch nicht.
An diesem langen Abend in Köln verstehe ich noch genauer als in der Talkshow 1974 mit Dietmar Schönherr und Burghardt Driest, mit dem Romy vor laufender Kamera zu flirten begann (»Sie gefallen mir, Sie gefallen mir sehr.«), welche Funktion die Verführung bei ihr hat. Sie verführt auch aus Angst – um das ihr stärker scheinende Gegenüber in der Umarmung zu befrieden. »Ich vertraue dir. Ich weiß, dass du mich gern hast«, sagt sie zu mir. Und schmeichelnd: »Ich bin extra wegen dir hergekommen. Eine halbe Stunde lang habe ich deine ewig besetzte Nummer gewählt …«
Für Romy Schneider ist Verführung keine Frage der Lust, sondern eine Frage der Macht. Das ist ihr Terrain. Da fühlt sie sich sicher. In dieser Arena ist sie gewohnt, zu siegen. Und so kommt es, dass auch und gerade ihre Liebesbeziehungen nie gleichberechtigt sind: Sie unterwirft sich – oder sie unterwirft. Sie wird besiegt – oder sie besiegt. Und sie bleibt dabei entweder auf der Strecke oder aber sie verliert das Interesse. Verführen ist ihre Leidenschaft, nicht Verführung.
Über ihre größte Leidenschaft, ihren Beruf, spricht Romy Schneider an diesem Abend ernüchtert. »Ich liebe meine Arbeit, sie ist meine Passion«, sagt sie. »Aber ich bin es leid, immer wieder andere Frauen zu sein. Ich will endlich ich selbst sein. Ich will mich endlich ausruhen.«
Übrigens: Als Sissi, als die sie so berühmt wurde und für die auch ich früher nur Verachtung hatte, habe ich Romy Schneider erst nach ihrem Tod gesehen – und war tief beeindruckt von der Ausstrahlung, die sie schon als junges Mädchen hatte.
Wie schade, Romy, dass ich dir das nicht mehr sagen kann: Für deine Sissi-Filme hättest du dich wirklich nicht schämen müssen. Denn dein Leuchten überstrahlt das Mittelmaß dieser Schnulze. Zu Recht lieben dich die Menschen dafür.