Es muss 1958 gewesen sein. Innerhalb eines einzigen Jahres hatte Romy Schneider als »Sissi« Weltruhm erlangt. Allein in Deutschland hatten rund sechs Millionen ZuschauerInnen jede der drei Sissi-Folgen gesehen und hatte ihre Produktionsfirma damit rund 10 Millionen Mark verdient (was damals das Vielfache des heutigen Wertes war). In ganz Westeuropa schlägt Sissi Hollywood-Rekorde. In Cannes, Madrid oder Athen wird Romy-Sissi von einem ekstatischen Publikum fast erdrückt. Selbst Hollywood macht ihr Avancen. Romy ist der Exportartikel Nr. 1 der deutschen Filmwirtschaft.
In dieser Zeit holt die neu gegründete Ufa die Anfang der 50er von der deutschen Presse und dem Publikum verstoßene, weil prä-emanzipierte Hildegard Knef nach Deutschland zurück. Die androgyne, wilde Hilde soll neben der süßen, braven Romy zum Star aufgebaut werden. Die Knef wird von der Presseabteilung dazu verdonnert, auf Filmbällen zu touren.
An diesem Abend ist Hamburg an der Reihe. Die Knef kämpft in der Garderobe gerade fluchend mit ihrem gerissenen Abendkleid, assistiert von ihrer sächsischen Garderobiere Ilse. Da geht das Telefon. Am anderen Ende ist Romy Schneider und flüstert hastig: »Darf ich Sie kurz aufsuchen?« Na klar! Und an das, was dann folgt, erinnert die Knef sich noch heute ganz genau:
Minuten später öffnete sie meine Tür; zog sie eilends hinter sich zu, schloss ab. »Was soll das?«, fragte ich. »Später«, flüsterte sie verängstigt, machte einige zögernde Schritte, stolperte über meinen Koffer; riss den Rocksaum ihres babyblauen Kleides auf. »Oh, mein Gott«, rief sie bestürzt, »was soll ich nur machen …«
»Mir ham genügend Garn, um die gesamte Filmindustrie einzunähn«, sprach Ilse in feinstem Sächsisch.
Romy warf sich auf mein Bett, schluchzte hemmungslos.
Ilse brabbelte: »Da schlag doch eener lang hin …«
Ich setzte mich auf den Bettrand. Langsam drehte sie ihr verweintes Gesicht zu mir; sagte zwischen Schluchzern:
»Sagen Sie bitte Romy zu mir, und ›du‹.«
»Ich heiße Hilde.«
»Das würde ich nicht wagen.«
»Sei nicht albern. Was ist passiert?«
»Ich werde verrückt. Sie lassen mich keinen Augenblick allein. Keine Sekunde. Keine Minute. Über alles muss ich Rechenschaft ablegen. Ich bin doch kein Kind mehr«, rief sie in kindlichem Trotz, während die Tränen pausenlos liefen.
»Wer ist ›sie‹?«
Sie richtete sich auf, zupfte am aufgerissenen Saum, sagte endlich: »Mein Stiefvater. Meine Mutter. Die Presseabteilung. Und überhaupt alle.«
Ilse goss Whisky in ein Mundglas, sagte: »Nu trink ma das runner.«
Sie zuckte zusammen, flüsterte: »Das darf ich doch nicht. Ich werde zu dick. Lebe tagelang von Orangensaft.«
Ich war Stiefvater Blatzheim nur einmal begegnet; er schien ein überheblich-selbstherrlicher lauter Mann zu sein, gewohnt, Befehle auszuteilen. Mama hingegen hatte mich auf einem der nicht enden wollenden Bälle angefaucht, weil ich sie versehentlich nicht begrüßte. Ich erinnere mich an gereiztes Geschnatter, an die Verbissenheit eines blutrot geschminkten kleinen Mundes, Ruhelosigkeit dunkler Augen, fahrige Bewegungen, ununterbrochenes Gezupfe an Nerzstola. Ich hatte gesagt: »Brüllen Sie mich nicht an! Ich bin leicht erregbar und garantiere für nichts.« Pikiert war sie auf ihren Platz gerannt, würdigte mich für den Rest des Abends keines Blickes.
Das Telefon plärrte in das neuerliche Schluchzen Romys. »Bitte, geh nicht ran! Sie suchen mich. Bestimmt ist es mein Stiefvater oder meine Mutter.«
»Willst du überhaupt auf den Ball?« Sie schüttelte heftig den Kopf. »Sag’ doch, dir sei mies. Leg dich ins Bett und schlaf, wenn du kannst.«
»Das ist unmöglich. Sie würden es nie zulassen; Mama hat sich extra ein neues Kleid gekauft und Blatzheim einen neuen Smoking.«
»Auch ‘n Grund«, brabbelte Ilse.
»Und übermorgen muss ich in Paris sein. Ich treffe meinen Filmpartner. Delon heißt er. Ich kann kein Wort Französisch. Was mach’ ich bloß …?« Blanke Panik in grün-grauen Augen. Bebend wie eine Malariakranke. Ich befühlte ihre Stirn; sie war brühheiß. »Du hast Fieber, verdammt noch mal. Sie sollten dir einen Arzt holen. – Oder soll ich …«
»Nein. Um Gottes willen … Darf ich einen Spiegel haben?« Angewidert betrachtete sie sich, zog einen Flunsch, steckte die Zunge raus, fummelte in ihrer Abendtasche, wischte sich mit einem altmodischen Spitzentaschentuch das Gesicht, bat um Rouge, malte ihre Lippen tiefrot, tuschte Wimpern. Das Telefon klingelte zum fünften Mal. Ilse nahm den Hörer, hielt die Sprechmuschel zu, sagte, den Blick zur Decke gerichtet: »Mama.«
Romy winkte entsetzt ab, kaute auf Daumennagel. »Ja, bitte«, sagte ich gereizt.
»Ist Romy etwa bei Ihnen?«
»Das ›etwa‹ können Sie sich sparen. Sie ist. Ihr Saum ist gerissen. Meine Garderobiere bessert ihn gerade aus.« »Sie soll sofort, aber sofort in ihr Zimmer kommen«, kommandierte Mama. »Später«, sagte ich lässig und hängte auf.
»So hat noch keiner mit Mama gesprochen«, rief sie kichernd. Gleich zwei Verschwörern saßen wir auf der Bettkante, während Ilse eine Flasche Weißwein entkorkte. Wir tranken. Sie lachte lauthals über Ilses Sächsisch, versuchte es zu kopieren.
Heftiges Klopfen, eine schrille Stimme, unverkennbar wienerisch befahl: »Komm sofort heraus.« Ilse biß den Faden ab, flüsterte: »Verschwindet im Bad!« Wir hörten Ilses raues: »Was blökn Se hier rum. Die sind wech. Uff und davon.«
»Waas? Wohin …«
»Geene Ahnung. Uffn Ball möcht ma annehm, oder?«
»Also, das ist mir noch nie passiert.«
»Nu, wenn ‘s nischt Schlimmres ist, gönn ma Se beneidn …« Die Tür donnerte ins Schloss, gleichzeitig Ilses »Ihr gönnt rausgomm«.
Die Knef ist nicht die Einzige, die solche Szenen erlebt, nur hat sie sie besonders plastisch überliefert. Die ganze Branche redet über die tyrannische Herrschaft von Mutter Magda und Daddy Blatzheim über den jungen Star. Auch Karlheinz Böhm, Sissis Kaiser Franz Josef en suite, erinnert sich noch 40 Jahre danach mit Befremden: »Romy wurde völlig abgeschottet von Blatzheim und durfte keinen Schritt alleine tun. Ausgehen durfte sie nur mit seiner Genehmigung. Ständig wurde sie kontrolliert, was sie natürlich sehr einsam machte.«
So ganz untypisch war dieser Zustand für die Lage der »behüteten« jungen Frauen in der Zeit zwar nicht, aber doch härter als üblich. »Volljährig«, und damit auch juristisch unabhängig von den Eltern, wurde man damals erst mit 21 Jahren. Selbstverständlich hatte ein junges Mädchen bis zur Eheschließung zu Hause zu wohnen, Wohngemeinschaften gab es noch nicht, alleine wohnen kam nicht infrage. Das höchste der Gefühle war ein »möbliertes Zimmer« bei einer gouvernantenartig wachenden Zimmerwirtin.
Doch Romys kurze Leine ist selbst für die damaligen engen Verhältnisse ungewöhnlich. Und die Bravheit dieses Weltstars vom Lande nicht minder. In einem eigenartigen Kontrast dazu steht ihre frühe Reflektiertheit und innere Rebellion. Die brechen sich immer wieder Bahn. Die Spannung, die sich daraus ergibt, muss Romy schier zerrissen haben.
Gleichzeitig aber – und das ist ihr Konflikt – ist sie dankbar und froh, ein so aufregendes, erfülltes Leben führen zu dürfen. »Ich bin glücklich«, schreibt sie in dieser Zeit, »dass es mir, trotz meiner Jugend, gelungen ist, dank Mammi, die mich geführt, und dank Daddy, der mir geholfen hat, etwas zu erreichen.«
In der Tat halten Mammi und Daddy sich sehr lange für unentbehrlich. Mutter Magda macht an der Seite ihrer Tochter eine zweite Karriere. (Böse Mäuler behaupten, Romy erhalte für einen Film ohne die Mama 100.000 DM und für einen mit 70.000 DM.) Das ist zwar für Romy beruhigend, aber auch einengend. Einerseits ist die junge Frau an der Seite ihrer film-erfahrenen Mutter der Branche nicht so ausgeliefert; andererseits hatte diese Mutter in Romys ganzem Leben noch nie ein altruistisches Interesse an ihrer Tochter. Sie ist zwar keine »Eislaufmutter« und hatte für ihre Tochter eigentlich ein ordentliches Kunstgewerbestudium vorgesehen, aber so richtig entdeckt hat auch sie Romy erst, als die Tochter sich vermarkten ließ. Und von da an funktionalisiert Magda ihre Tochter lebenslang – bis über den Tod hinaus.
Dabei war es sicher auch für den einstigen Ufa-Star gerade in den ersten Jahren von Romys beginnendem Ruhm nicht immer einfach, zuzusehen, wie ihre Tochter an ihr vorbeizog. Die einst so vernachlässigte Romy, die zunächst nur dankbar für Mammis überraschende Zuwendung ist – und die noch 25 Jahre später beteuert: »Ich will niemandem wehtun. Ich habe meiner Mutter zu danken und keinen Vorwurf zu machen« –, hat das erstaunlich früh erkannt und schon damals gesagt: »Es gibt auch für eine Mutter mitunter ein herbes, vielleicht sogar bitteres Gefühl, wenn sie sehen muss, dass eine Jüngere sie verdrängt, und wenn es zehnmal die eigene und einzige Tochter ist.«
Und vor allem, wenn diese Jüngere sie nicht nur in der öffentlichen Gunst, sondern auch in der des eigenen Mannes »verdrängt«. Womit wir bei dem Kapitel »Daddy« Blatzheim wären. Der Mann fiel sogar in einer Zeit unangenehm auf, in der es für einen Mann gar nicht so einfach war, unangenehm aufzufallen. Und es gibt unter den Chronisten keinen, der ohne Verachtung über ihn berichtet.
1956 schreibt Der Spiegel in einer Titelgeschichte über Romy Schneider: »Die beiden Flügelfiguren dieser Romy-Truppe sind Mutter Magda Schneider, 44, und der ihr 1953 in einer höfisch prunkvollen Zeremonie angetraute Ehemann Hans Herbert Blatzheim, 50. Ein Gastwirt aus Köln, der sich wie ein amerikanischer Präsident gerne mit seinen Initialen (HHB) bezeichnen lässt und im Haus Schneider nur ›Daddy‹ genannt wird. In Filmkreisen ist der Gastwirt, der sich das zweitgrößte Unternehmen der Gastronomie in der Bundesrepublik aufgebaut hat, nicht nur wegen seiner merkantilen Schläue gefürchtet. Auch sein Hang zur Publicity macht den Filmleuten Sorge (›Wissen Se, Public Relations ist mein Hobby‹).«
1982 erzählt Film- und Theaterkritiker Curt Riess angewidert, wie Blatzheim Romy zu verschachern pflegte, »ohne das Geringste von Schauspielerei zu verstehen. Er ahnte noch nicht einmal das Besondere seiner Stieftochter, ihre Kunst, einen Menschen auf die Leinwand zu zaubern, ohne zu spielen, ohne sich zu verstellen«.
Und 1991 schreibt Michael Jürgs: »Romy Schneider wird zum Produkt, und ihr Leben wird, wie man heute sagen würde, nach strengen Marktprinzipien verplant. Schon während der Hochzeit mit Magda Schneider nutzt Blatzheim jede Gelegenheit, sich mit seiner Stieftochter den Fotografen zu präsentieren. Er weiß genau um die Werbewirksamkeit für seine Betriebe.«
Im rechten Arm ‘ne Puppe, im linken Arm ‘ne Puppe, das war der protzige Varieté-Betreiber aus Köln so gewohnt. Jetzt steigt er mit seiner Stieftochter ganz groß ein ins glamouröse Filmgeschäft. »Die kann alles!«, pflegt er bei nächtlichen Besprechungen mit Regisseuren und Produzenten zu grölen. »Hauptsache, die Kohlen stimmen.«
Und die stimmen in der Tat, die Kohlen. Die minderjährige Romy verdient ab der zweiten Sissi-Folge Millionen, die sie gutgläubig vom Stiefvater verwalten lässt. Der steigert nun seinen schon zuvor neureichen Stil auf Hofstaat-Niveau und residiert nicht nur in Köln am Rhein in dem eigens für den Schneider-Clan geräumten Hotel Bellevue, sondern auch in einem Palais am Luganer See, inklusive Rennboot und Rolls-Royce mit Chauffeur.
Irgendwann in den 60er-Jahren sind die dem erfolgreichen Geschäftsmann anvertrauten Millionen dann futsch, untergegangen in Blatzheims Bankrott zusammen mit dem ganzen großkotzigen Gastronomie-Imperium. Romy, die zunächst nur ein Taschengeld und zuletzt 5.000 DM Apanage im Monat erhielt, sieht von ihren Millionen nur noch klägliche Reste. Doch ist das noch nicht einmal das Ärgste. Denn Daddy Blatzheims Interesse an seiner Stieftochter ist nicht nur finanzieller Natur.
In seinen launigen »Memoiren« (Titel »Was ist schon tabu«), die Blatzheim 1966 veröffentlicht, geht es, neben Stars, Sternchen und Adenauer, vor allem um Romy, Romy, Romy. Im ganzen Buch ist kein einziges Foto von Blatzheim und Magda zu zweit abgebildet, dafür aber massig Fotos von Romy – mit Vorliebe auf Daddys Schoß.
Gleich auf den ersten Seiten seiner geschwätzigen Erinnerungen schwärmt Blatzheim von dem »Wirbel und der Süße«, die seine Stieftochter in sein Leben gebracht habe. Was er »süß« findet, plaudert er unbefangen aus. Die Art von Frauen zum Beispiel, die der Lebemann sich in Budapest, »Klein-Paris«, vom Hotelportier aufs Zimmer zu liefern lassen pflegte: »Da fragte man den Hotelportier bei der Ankunft: ›Na, was gibt’s Neues hier?‹ – Der wiegte schmunzelnd seinen Kopf: ›Meinen Sie was blondes, schwarzes oder rotes Neues?‹ – Und man sagte: ›Jung und lebendig und lieb muss sie sein. Ich vertraue Ihrem Geschmack.‹«
Mit »jung, lebendig und lieb« lag HHB bei Mutter & Tochter ja goldrichtig. Gleich auf Seite zehn seiner »Memoiren« beschwört Daddy seine »Berufung, das junge Mädchen zu schützen – dieses junge Mädchen, das mir durch die Ehe mit Magda Schneider im Alter von neun Jahren anvertraut worden war«. – Was übrigens nicht stimmt: als Blatzheim Magda heiratete, war Romy 15 Jahre alt.
Es fällt Romy, deren leiblicher Vater noch lebt, von Anfang an schwer, den zweiten Mann ihrer Mutter »Daddy« zu nennen. Zur Gewöhnung wird das Kind wiederholt ins Badezimmer eingesperrt. Später wird Romy sich dann in Daddys Gegenwart noch aus ganz anderen Gründen einsperren …
Wie so mancher (Stief-)Vater macht auch Daddy Romy Eifersuchtsszenen, als sie ins Flirtalter kommt. Alle können es mithören, als Blatzheim auf dem Filmball in Berlin die achtzehnjährige Romy, die in seinen Augen zu oft mit ihrem charmanten Filmpartner Horst Buchholz tanzt, anbrüllt: »Entscheide dich – ich oder er!«
Damals wiegelte Romy noch im Nachhinein ab: »Mammi fuhr mit mir Schlitten, weil ich keine Rücksicht auf meine Verpflichtungen genommen hatte, die, was ich einsehe, auch Firmenverpflichtungen waren. Zuerst habe ich einen Flunsch gezogen. Dann habe ich es eingesehen.«
Doch 20 Jahre später verharmlost und verdrängt sie nicht länger: »Il a essayé de coucher avec moi.« Er hat versucht, mit mir zu schlafen. »Et pas seulement une fois.« Und das nicht nur einmal. Diese Sätze schleuderte Romy Schneider mir in der Dezembernacht des Jahres 1976 entgegen. Und ich bin nicht die Einzige, der sie das schmutzige Geheimnis anvertraut.
Doch erst nach ihrem Tod reden die Menschen darüber. Dass Blatzheim es versucht hat, mehrfach versucht hat – und dass Romy darüber nie auf Deutsch, sondern bis zum Schluss immer nur auf Französisch reden konnte. Aber selbst die, die es schreiben, erwähnen es immer nur so ganz nebenher.
Es ist anzunehmen, dass auch Romy selbst sich erst Jahrzehnte später das Ausmaß des Schadens eingestehen konnte – und vielleicht nie ganz ermessen hat –, den sie durch die jahrelange sexuelle Belästigung ihres Stiefvaters davongetragen hat. Denn damals, in den 50er-Jahren, war das Thema Missbrauch noch total tabu. So etwas gab es einfach nicht, hatte es nicht zu geben. Und kam doch einmal etwas raus – weil so ein Mädchen zum Beispiel schwanger wurde –, dann war das Opfer schuld. Dann war das Mädchen das Flittchen; die frühreife Lolita, die seit dem 1955 erschienenen, gleichnamigen Roman nun auch noch literarisch legitimiert Furore machte in Daddys Fantasien.
Erst Mitte der 70er-Jahre brachen Feministinnen das Tabu und fingen an, von den Übergriffen der Daddys zu reden. Es dauerte noch weitere 20 Jahre, bis der Missbrauch von Kindern zum öffentlichen Skandal wurde. Doch in den 50er-Jahren waren die Opfer noch stumm.
Ab wann eigentlich war die als Kind so lebhafte und muntere Romy so verstummt? Und was tat Mutter Magda damals? Die zog es vor, nichts zu merken – und schrieb nach dem Tod ihrer Tochter lediglich verharmlosend, ihr Mann sei »im Grunde heimlich in Romy verliebt« gewesen. Hält Magda Schneider ihren permanent fremdgehenden Ehemann – von dem jeder weiß, dass er sie betrügt – damals auch durch ihr Schweigen an ihrer Seite?
Fast zwei Jahrzehnte nach dem Daddy-Albtraum dreht Romy Schneider in Frankreich den Film »Le vieux fusil« (deutscher Titel: Abschied in der Nacht). In dem Film geht es um die Massakrierung eines ganzen Dorfes bei der Besetzung Frankreichs durch die Deutschen. Es ist ein Racheakt für ein Partisanen-Attentat.
Die Geschichte ist übrigens eine Anspielung auf eine tatsächliche Begebenheit: Auf Oradour, wo deutsche Soldaten am 10. Juni 1944 über 600 Menschen – Kinder, Frauen, Alte – in eine Kirche trieben und verbrannten.
Der verantwortliche Befehlshaber, der SS-Offizier Lammerding, wurde dafür zwar in Frankreich in Abwesenheit zum Tode verurteilt, in Deutschland aber – aus formaljuristischen Gründen, die eine zweite Verurteilung für dasselbe Verbrechen nicht erlaubten – nie mehr zur Rechenschaft gezogen. Er starb unbehelligt im hohen Alter im schönen Oberbayern.
Im Film ist der dramatische Höhepunkt des Überfalls die Vergewaltigung, Folterung und Ermordung der Französin Clara durch die deutschen Soldaten. Wie immer hatte Romy sich stark mit ihrer Rolle identifiziert: Sie ist die junge, frisch verheiratete Clara, die von ihrem fürsorglichen Mann zusammen mit der Stieftochter in das Familienschlösschen auf dem Land gebracht wird, um nicht in die Wirren des Kriegsendes zu geraten. Doch ausgerechnet in dieser Idylle gerät sie in die Falle der marodierenden und mordenden deutschen Soldaten.
Cathrine Hermary-Vieille, Autorin einer französischen Schneider-Biografie, befragte die Equipe, die bei den Dreharbeiten in Montauban dabei gewesen war und der diese Szene noch lange nachgehangen hatte: »Als Romy Schneider diese grausame Sequenz dann spielte, befand sie sich in einem seltsamen Bewusstseinszustand. Sie hörte, als kämen sie von einer Fremden, die wilden Schreie, die aus der Tiefe ihrer Brust aufstiegen. Schreie, über die sie keine Macht besaß. Wie war so viel Leidenschaftlichkeit möglich? Sie kratzte und biss den Darsteller des deutschen Soldaten, der sie vergewaltigte. Er hat sich anschließend übergeben müssen von so viel Hass … Und Enrico filmte, er filmte ohne zu unterbrechen, reihte eine Sequenz an die andere. Es wäre unmöglich gewesen, sie innehalten und von Neuem beginnen zu lassen.«
Was waren das für Schreie? »Il a essayé de coucher avec moi.« Brach sich in Montauban endlich die Verzweiflung über Daddy Bahn? Über all diese Daddys, die – auf allen Ebenen – immer wieder nach ihr gegrapscht hatten? Und waren Daddy und Deutschsein für Romy zu einer Figur verschmolzen? Es spricht jedenfalls viel dafür, dass in ihrer Abrechnung mit Deutschland auch die Abrechnung mit Daddy eine Rolle gespielt hat.
Und dann ist da noch eine bezeichnende Pointe: In der deutschen Fassung des Films ist Clara/Romys Vergewaltigung – für die sie als Schauspielerin ihr Herzblut gegeben hatte – rausgeschnitten. Zensiert. Deutschen Daddys nicht zumutbar.
Da war Romy schon lange nicht mehr die süße Sissi, die Daddys wie Mammis, Backfische wie Boys ins Träumen versetzt hatte. Romy ist in den 50er-Jahren das Mädchen, das die anderen gerne wären – oder das sie gerne hätten. Und Romy selbst? Die ist damals mit ganzem Herzen dabei. Die Dreharbeiten. Die Reisen nach Italien, Indien, Amerika. Der Ruhm. Nur die kritische Presse kratzt an dem Glück und hämt über das »blitzsaubere Maderl«, den »süßlich, sentimentalen« Sissi-Kitsch. Sie trifft Romy Schneider damit tief. Denn auch der hängt die Sissi schon nach der ersten Folge »zum Hals raus«.
Einem Teil des Publikums nicht minder. Das breite Publikum macht Sissi zwar zum Welterfolg – und begreift damit instinktiv auch »Romys Einmaligkeit« (Riess). Die anderen aber gießen über die Heile-Welt-Filme wie »Sissi«, »Schwarzwaldmädel« oder »Grün ist die Heide« nur Hohn und Spott – übersehen dabei allerdings Romys ungewöhnliche Ausstrahlung. Ihre schauspielerische Leistung wird im Zuge der pauschalen Ablehnung der Sissi-Filme gleich mit ignoriert.
Das anspruchsvollere Publikum interessiert sich im Nachkriegsdeutschland vor allem für den ausländischen Film: für den neuen Realismus aus Italien (von Regisseuren wie Roberto Rossellini) oder England (in Filmen wie »Bitterer Honig«) und die sozialkritischen Psychodramen aus Amerika, von Regisseuren wie Elia Kazan mit Schauspielern wie Elizabeth Taylor oder Marlon Brando. (Auch ich, die ich von Kindesbeinen an eine begeisterte Kinogängerin war, sah darum die frühen Filme von Romy Schneider erst 20, 30 Jahre später.)
Und während Romy Schneider noch ihre kilo-schwere Sissi-Perücke durch die Studios schleppt, geht auf der Straße die erste Jugendrevolte los – im Westen angezettelt von den aufmüpfigen Söhnen der angepassten Väter. 1956 wird James Dean mit »Jenseits von Eden« und »Denn sie wissen nicht, was sie tun …« zum weltweiten Idol einer verlorenen, rebellierenden Jugend. Sein früher Tod – mit 24 im Porsche – macht ihn nur noch mehr zum Mythos.
Ganz lebendig und ganz sinnlich ist Elvis Presley, der Weiße mit der schwarzen Stimme und dem aufregenden Hüftschwung. Er mischt 1957 mit »Tutti frutti« und »Jailhouse Rock« die Jugend der prüden westlichen Welt auf. In der Bill-Haley- und Elvis-Ekstase zerschlagen die Jungen in den Konzertsälen ganze Stuhlreihen – und fallen die Mädchen reihenweise kreischend in Ohnmacht. Noch sind die Erwachsenen so richtig zu schockieren. Weg mit den Anzügen und Krawatten, den Korsetts und Stöckelschuhen! Her mit der ersten Jugendmode, den Bluejeans oder Petticoats! Dieser ersten Jugendrevolte bleibt die rasche Vereinnahmung späterer Jugendmoden noch erspart. Zur satanischen Freude aller Rock’n’Roller und Möchtegern-ExistenzialistInnen sind sie ein echter Bürgerschreck: Die Spießer drehen sich auf der Straße kopfschüttelnd um und verurteilen zutiefst die amerikanische »Negermusik« und die französische »Libertinage«.
Allerdings ist auch diese Jugendrevolte vor allem eine Jungenrevolte. Zwar werden auch einige Mädchen kecker – aber noch die Verwegenste unter den »Frühreifen« schwärmt vor allem für einen besonders verwegenen »Halbstarken«. Von daher liegt Romy mit ihrem Flirt mit Horst Buchholz, dem »deutschen James Dean«, genau richtig. »Mir gefiel sein Mut, für sich einzustehen«, schwärmt sie noch Jahre später. »Immer sagte er, was er denkt. Ohne Rücksicht auf Verluste, voller Zorn. Er war genau das, was ich mir unter einem Revolutionär vorstellte.«
Aber Mitte der 50er-Jahre ist Sissi nicht das Idol der Halbstarken, sondern der braven Mädchen. Die Aufmüpfigen haben andere Vorbilder. Modell Nr. 1: Brigitte Bardot mit Schmollmund und Petticoat. Modell Nr. 2: Die Rock’-n’-Roll-Girls in Jeans. Modell Nr. 3: Die Existenzialistinnen à la Juliette Gréco in Schwarz, Dreiviertel-Hosen und flachen Ballerina-Slippern.
1954 veröffentlicht Françoise Sagan mit 19 ihren ersten Roman: »Bonjour tristesse« – und wird damit eine der raren emanzipierten weiblichen Kultfiguren ihrer Zeit. Ganz wie James Dean rast sie barfuß im Porsche durch die Gegend, trägt die Haare streichholzkurz wie der Filmstar ihrer Romanfigur, Jean Seberg, und trinkt reichlich Whisky.
1956 heiratet die so erotische und so talentierte Marilyn Monroe (»der Körper«) den Dramatiker Arthur Miller (»der Kopf«) – und macht damit den verzweifelten (und letztendlich gescheiterten) Versuch, aus der Festlegung als Objekt auszubrechen. Die »berühmteste Sexbombe der Welt« will auch als Schauspielerin und Mensch ernst genommen werden.
Und Romy Schneider? Die soll »die deutsche Antwort auf Brigitte Bardot« werden: nicht die aktiv-sündhaft Verführende, sondern die passiv-unschuldig Verführerische. Das passt den deutschen Daddys besser in den Kram. Unschuld ist angesagt in diesen Nachkriegsjahren – von Schuld reden die anderen (und die eigenen Albträume) schon genug.
Doch schon die junge Romy Schneider spürt rasch die Gefahr der Festlegung auf die herzige Sissi. Bereits die zweite Sissi-Folge will sie trotz des überwältigenden Erfolges nicht mehr drehen. Als sie erfährt, dass Daddy und Produzent das hinter ihrem Rücken schon beschlossen haben, leistet sie zum ersten Mal offen Widerstand: »Ich spiele die Sissi II nicht!«, erklärt der junge Star seinem Produzenten Tischendorf: »Ich bin es wirklich leid, dass immer über meinen Kopf entschieden wird.«
»Wie redest du denn mit mir?!«, entgegnet der. »Ich habe überhaupt keine Zeit, mich mit solchen Kleinigkeiten abzugeben.« Da fasst Romy sich ein Herz: »Für mich sind das überhaupt keine Kleinigkeiten. Auf der einen Seite erklärst du immer, dass ich dein Kassenmagnet bin. Auf der anderen Seite hast du keine Zeit für mich. Wenn ich dir schon so wichtig bin, dann kümmere dich auch mal um mich!«
Doch Romy kämpft vergeblich. Blatzheim und Tischendorf »zwangen mich wieder in die Knie«. Zu diesem Zeitpunkt ist Romy Schneider 17 Jahre alt. Wenig später erläutert sie, fast entschuldigend: »Dass ich meist nicht den Mut habe, so aufzutreten, wie es manche von mir erwarten, liegt schließlich daran, dass zwei Drittel der Menschen, mit denen ich zu tun habe, dem Alter nach meine Eltern sein könnten. Das ist ein Problem – und nicht das kleinste.«
Dennoch, Romy ist entschlossen, sich durchzusetzen: »Als Sissi kann ich nicht mehr geben, als mir das Drehbuch erlaubt. Aber ich bin weder lieb noch herzig. Und ich möchte endlich beweisen, dass ich eine Vollblutschauspielerin bin, die sich nicht auf bestimmte Rollen festlegen lässt. Ich werde alles versuchen, um von meinem Sissi-Image loszukommen!«
Sie schafft es, in den Jahren 1956 und 1957, nebenher drei Filme zu drehen, die nicht dem Sissi-Image entsprechen: »Robinson soll nicht sterben«, »Monpti« und »Mädchen in Uniform«. Den »Robinson« hatte sie als Zugeständnis für ihre Bereitschaft, die Sissi Nr. 2 zu spielen, ertrotzt. Sie hat darin, an der Seite von Horst Buchholz, ein »zerlumptes junges Mädchen mit kleinen Zöpfen, und ein armes Luder dazu« (Romy) zu spielen.
Für die Dreharbeiten von »Monpti« (Mein Kleiner), ebenfalls mit Horst Buchholz und unter der Regie von Helmut Käutner, fliegt Romy zum ersten Mal nach Paris. Es ist die Zeit, in der Caterina Valente mit dem Ohrwurm »Ganz Paris träumt von der Liebe …« einen Hit landet und moderne junge Mädchen es für zwingend halten, sich unter den Dächern von Paris zu verlieben.
1956 ist auch das Jahr des brachial niedergeschlagenen Ungarn-Aufstandes gegen die sowjetische Besatzung. Horst Buchholz spielt in »Monpti« also einen Ungarn in Paris und Romy Schneider kann ihm einfach nur verfallen, und das auch noch in »freier Liebe«. Was damals noch skandalös war … Aufregend skandalös. So kam es, dass »Monpti« mein erster Film mit Romy Schneider war, den ich im Alter von 17 sah. »Wenn du mich liebst, dann kaufst du mir Seidenstrümpfe« – das ist der Satz, den ich mir gemerkt habe.
Es folgt »Mädchen in Uniform« neben so renommierten Schauspielerinnen wie Lilli Palmer und Therese Giehse und unter der Regie von Geza Radvanyi. Das ist der erste Film, in dem die selbstkritische Romy Schneider sich selbst als Schauspielerin ernst nimmt. Für die ehemalige Internatsschülerin Rosemarie Albach dürfte es nicht schwer gewesen sein, sich in die Hauptrolle zu versetzen. Das Thema: ein preußisches Internat, in dem die Mädchen unter der Leitung der hartherzigen Giehse zu »guten Soldatenmüttern« erzogen werden und wo alle, Romy vorneweg, der fortschrittlichen, schönen Lehrerin Lilli Palmer verfallen sind.
Im Fall der von Schneider gespielten Manuela von Meinhardis scheint die Zuneigung des von Palmer gespielten Fräulein von Bernburg nicht ganz einseitig zu sein. Das Ganze eskaliert zum Rausschmiss der geliebten Lehrerin und dem Beinahe-Selbstmord der jugendlichen Schwärmerin – und einem der sinnlichsten Kinoküsse der Nachkriegszeit. Für die junge Schauspielerin ist der Film ein Durchbruch. Sie schreibt in ihr Tagebuch:
Ich weiß es jetzt. Wenn man nur will, kann man alles. Geahnt habe ich das schon immer, aber seit ›Mädchen in Uniform‹ weiß ich das! Diese ganze Angst vor Szenen, von denen man glaubt, sie niemals zu können, ganz und gar zu sprengen. Wenn man die Lungen vollpumpt, der Druck im Kopf weggeht, und man nur noch das wird, was man sein will. Und es geht. Man bricht nicht mehr im Text ab, man stockt nicht. Ich schreie, weine, tue alles, wie es sein muss, mit voller Stimme, interessiere mich für niemanden mehr. Für niemanden. Und ich bin allein auf der Welt. Ich bin frei.
Alle im Team sind von Schneiders traumwandlerisch gutem Spiel tief beeindruckt. Umso enttäuschter ist Romy über die Kritiken. Zwar sind die gar nicht so negativ und ist da auch die Rede von der »wirklich beeindruckenden lieblich herben Romy Schneider« und ihrer »imponierenden darstellerischen Eindringlichkeit«. Doch ignoriert die große Presse in der Tat die Weiterentwicklung der Schauspielerin Romy Schneider und legt sie nun ihrerseits fest auf die ewige Sissi.
Dem Spiegel bleibt es vorbehalten, das Etikett von der »Jungfrau von Geiselgasteig« (den Münchener Bavaria-Studios) zu prägen. Romy ist verzweifelt – trotz des und trotz der Flut von Angeboten aus dem Ausland. Dem geliebten Tagebuch vertraut sie an:
Wenn ich könnte, wie ich gegenwärtig nicht kann, so würde ich folgenden Weg gehen: Jedes Jahr einen Film drehen, der ganz auf einen Kassenerfolg hingearbeitet wird – denn damit würde ich mir die Zustimmung der Verleiher erhalten und, weitaus wichtiger, die Überzeugung der Kinotheaterbesitzer, dass mit mir Geld verdient werden kann. Dann würde ich gern etwas Lustiges drehen, vielleicht ein modernes Musical oder eine Komödie, die frech und vorlaut sein kann. Schließlich würde ich gern als dritten Film einen harten, realistischen Stoff machen, so wie Horst Buchholz mit den »Halbstarken«. Dazwischen Schauspielunterricht und dann vielleicht in zwei Jahren Theater.
Doch Romy kann nicht, wie sie will. Noch nicht. Sie wagt es zwar, am 6. Februar 1958 einfach nicht zur Bambi-Verleihung zu erscheinen. Ein Skandal! Aber sie muss trotz ihres wütenden Widerstandes auch noch eine dritte Folge von Sissi drehen. Und das genügt Daddy Blatzheim immer noch nicht. Er versucht, der heftig widerstrebenden Romy nun auch noch eine vierte Sissi-Folge aufzuzwingen. Und er glaubt – so schlecht kennt er sie –, sie kaufen zu können.
Mit vier schwarzen Koffern reist der selbst ernannte Manager nach Mariengrund, wo der junge Star gerade Ferien macht. Er klappt die Koffer vor ihr auf: darin liegen eine Million Mark. In bar. Jetzt reicht es Romy endgültig. Sie sagt kategorisch: Nein! Und sie bleibt dabei. – Vermutlich hat es zu ihrer Entschlossenheit beigetragen, dass diese Szene sich just in dem Zimmer abgespielt hat, in dem Daddy einst versucht hatte, zu weit zu gehen: in ihrem Kinderzimmer.
In der Zeit dreht Rolf Thiele (»Das Mädchen Rosemarie«) mit ihr den Film »Die Halbzarte«. Im Rückblick sagte der Regisseur: »Als ich sie damals kennenlernte, habe ich mich ziemlich bald geniert. Ich war unter festem Ufa-Vertrag und hatte da eine nicht ausgereifte, dümmliche Komödie zu machen. Und Romy war keine Sissi im Sinne der Filme, sondern eher wie die echte Sissi – ein Geschöpf von ratloser Verwegenheit. Als Schauspielerin war sie ein unausgeschöpftes Wesen – ein Gottesgeschenk für jeden Regisseur.«
Im Juni 1958 beginnen die Dreharbeiten zu »Christine«, einer Neuverfilmung der »Liebelei« von Arthur Schnitzler, die Max Ophüls bereits in den 30er-Jahren mit Magda Schneider verfilmt hatte. Es ist Romy Schneiders 14. Film. An ihrer Seite spielt ein noch unbekannter junger Mann namens Alain Delon.
Wenige Wochen später kommt es zum Eklat auf dem Filmball in Brüssel. Sie legt sich offen mit Daddy und Mammi an. Romy will nicht mehr länger »Prinzessin« sein. Romy Schneider bricht aus. Rückblickend schreibt sie 1965 in der Quick:
Jedes junge Mädchen versucht eines Tages, früher oder später, selbstständig zu werden, sich vom Elternhaus zu lösen, ein eigenes Leben zu führen. Ich suchte diesen Absprung, seit ich achtzehn Jahre alt war. Aber ich fand ihn nicht. Ich war nun einmal nicht die junge Sekretärin, die sich eine andere Stellung in einer anderen Stadt suchen kann. Ich hatte Verpflichtungen, Verträge, ich hatte viele Ratgeber, die es alle gut mit mir meinten. Und ich war ehrgeizig. Ich wollte meine Unabhängigkeit nicht nur menschlich erringen, ich brannte darauf, auch künstlerisch Neuland zu gewinnen.
Für das Publikum hieß ich »Sissi«, für die Produzenten war ich die leibhaftige Verkörperung der süßen, unschuldigen kaiserlichen Hoheit. Die Regisseure und die Kritiker, die Kollegen in Deutschland, Frankreich und überall sahen mich nur als Sissi. Sie behandelten mich auch so – andere Rollen wurden mir selten angeboten.
Ich ganz allein schien zu wissen: Ich war keine Sissi. Ich habe die Sissi gespielt, aber ich ähnelte dieser Traumfigur im Leben überhaupt nicht. Schon als zehnjähriges Kind war ich nicht Sissi, als Achtzehnjährige noch viel weniger. Als Kind im Internat wollte ich Schauspielerin werden, eine richtige Schauspielerin – und ich wäre meiner Mutter mit vierzehn durchgebrannt, hätte sie mir nicht die Chance gegeben, im Film zu spielen.
Ich fühlte mich abgestempelt. Und nichts ist gefährlicher für eine Schauspielerin, als wenn sie einen Stempel auf der Stirn trägt. Mein Stempel hieß: Sissi. Keiner wollte es glauben, dass ich auch anders konnte. Ich sollte in diesem Film eine Prinzessin spielen und dann in jenem. Ich wehrte mich schon gegen die zweite Sissi und spielte trotzdem die dritte. Warum? Ich wusste einfach nicht, wie ich mich aus all den persönlichen und beruflichen Verstrickungen befreien sollte. Ich war ziemlich verzweifelt.
Und dann kam Alain Delon. Ich erinnere mich an jede Einzelheit. Wir hatten bei einer französischen Produktion den Vertrag für den Film »Liebelei« (deutscher Titel: Christine) unterschrieben, während ich in München mit Hans Albers den Film »Der letzte Mann« drehte.
Dann flogen wir nach Paris. Die Filmproduktion hatte auf dem Flughafen für die Presse ein Treffen mit meinem Partner Alain Delon arrangiert. Ich hasste diese Flughafen-Empfänge. Die Tür wird geöffnet, man tritt auf die Rolltreppe, Mammi steht hinter einem und flüstert ins Ohr: »Jetzt lächeln, lächle …«
So war es auch dieses Mal. Lächeln. Blitzlichter. Starre Augen. Unten vor der Rolltreppe stand ein zu schöner, zu wohlfrisierter, zu junger Bursche, ganz als Gentleman verkleidet, mit Schlips und Kragen und einem übertrieben modischen Anzug: Alain Delon.
Der Strauß roter Rosen in seiner Hand war auch zu rot. Ich fand das Ganze geschmacklos und den Knaben uninteressant. Auch er fand mich zum Kotzen – so drückte er sich später aus. Ein angeberisches, dummes, süßes Wiener Mädchen, ohne Pfiff. Und so was wird in Deutschland Star! Und mit diesem Typ musste er jetzt sechs Wochen lang drehen.
Er sprach nicht Englisch, ich sprach nicht Französisch. Wir unterhielten uns in einer Sprachen-Melange. Am Abend trafen wir uns im »Lido« und tanzten für die Fotografen. Er hatte den Satz »Isch liebe disch« gelernt und fand es offenbar wahnsinnig komisch, ihn mir dauernd zu sagen.
Es war alles schrecklich banal und gar nicht komisch, und wir waren es auch nicht. Wir mochten uns nicht. Am nächsten Tag flog ich nach Ischia, wo ich ein Grundstück besaß. Dort las ich das Drehbuch. Alain schrieb mir einen formvollendeten, stinklangweiligen Brief, ich antwortete ihm ebenso korrekt wie fad.
In Paris erst lernte ich den wahren Alain kennen. Einen Verrückten. Einen blutjungen Burschen in Bluejeans und Sporthemd, einen ungekämmten, schnellsprechenden, wilden Knaben, der immer zu spät ins Atelier kam, mit einem Rennauto durch Paris raste, rote Ampeln überfuhr – einen Alain, über den man sich die ungeheuerlichsten Geschichten erzählte.
Ich mochte ihn immer noch nicht. Es herrschte ständig Kriegszustand zwischen Alain und mir. Wir stritten uns, dass die Fetzen flogen.
In diese Zeit fiel der Filmball in Brüssel. Zusammen mit Alain fuhr ich im Zug von Paris nach Brüssel. Und zum ersten Mal stritten wir uns nicht. Wir flirteten. Als ich in Brüssel aus dem Zug stieg, sah mich meine Mutter nur kurz und forschend an: »O je – dich hat’s erwischt …«
Es war nicht das erste Mal. Mit fast allen Partnern meiner Filme hatte ich auf Teufel komm raus geflirtet. Immer hatte ich mich recht schnell verliebt. So was ändert sich – das Tempo, meine ich –, aber ich werde mich immer wieder verlieben: hoffentlich. Und trotzdem ärgerte mich die Bemerkung meiner Mutter. Dieses Mal ärgerte sie mich – es war mein Flirt, es ging niemanden etwas an. »Was du nur immer hast …«, sagte ich schnippisch. An diesem Abend kam es zur offenen Auseinandersetzung mit meiner Familie.
Das erste Donnergrollen hatte sich während des Films »Monpti« bei meinem Flirt mit Horst Buchholz entladen. Damals hatte Daddy so dramatische Sätze hervorgebracht wie: »Wähle zwischen ihm und mir.« Aber ich konnte nicht wählen. Ich war viel zu dumm und jung und viel zu stark an die Familie gebunden. Ich konnte mir ein Leben außerhalb dieser Gemeinschaft überhaupt nicht vorstellen. Ich wählte nicht. Ich kuschte, mehr oder weniger.
Jetzt in Brüssel kam also das zweite Donnergrollen, aber schon viel mächtiger. Alain saß auf dem Ball am französischen Tisch, ich bei meinen Eltern am deutschen. Alain forderte mich zum Tanzen auf. Während des Tanzes bat er mich, doch an seinen Tisch zu kommen. Aber ich fühlte mich doch ganz als braves Töchterchen: Ich ließ mich von ihm zurück an den Tisch bringen.
Ich trank einen Schluck Champagner und dachte nach. Plötzlich begriff ich, dass die Bevormundung ein Ende haben müsse. Irgendetwas in mir revoltierte. Ich stand auf und sagte: »Ich gehe jetzt rüber zu Alains Tisch. Ich will da sitzen.«
Hätte ich mit einem Feuerlöscher auf den Tisch gespritzt, die Reaktion hätte nicht schlimmer sein können: Empörung auf der ganzen Linie. »Das kannst du unmöglich machen. Du gehörst hierher. Du kannst nicht zu einem Mann an den Tisch gehen. Was sollen die Leute denken.« – An diesem Abend ließ ich mich wieder überreden. Es kriselte. Aber noch kam es nicht zum offenen Ausbruch.
Wir drehten die Außenaufnahmen von »Liebelei« in Wien. Meine Mutter und ich wohnten im Hotel Sacher. Auch Alain wohnte dort. Nach dem letzten Drehtag brachte ich Alain zum Flughafen Schwechat. Ich bekam eine Sondergenehmigung und durfte ihn bis zum Flugzeug begleiten.
Ich stand auf dem Rollfeld. Er küsste mich zum Abschied, dann drehte er sich um und ging die Treppe hinauf.
Ich sah ihn da hinaufgehen, die Tür wurde hinter ihm geschlossen, ich sah sein Gesicht noch einmal hinter einer Scheibe – dann rollte die Maschine an den Start. Ich sah sie nicht mehr abfliegen. Ich konnte nichts sehen: zu viel Wasser in den Augen.
Im Hotel warf ich mich meiner Mutter in die Arme und heulte. Alain hatte meiner Mutter einen Brief für mich hinterlassen. Sie gab ihn mir. Aber ich konnte ihn nicht lesen. Mir verschwammen die Buchstaben vor den Augen.
Am nächsten Tag sollte ich nach Köln fliegen, nach Hause, mich dort erholen bis zum nächsten Film, ein ganz normales bürgerliches Leben führen, ausruhen, spazieren gehen, Autogrammkarten unterschreiben, Drehbücher lesen …
Ich konnte es nicht. Ich flog nicht nach Köln. Ich kaufte mir eine Flugkarte Wien-Paris. Ich landete in Paris und rief Alain von Orly aus an.
Erst als ich den Hörer auf die Gabel gelegt hatte, begriff ich, was mit mir geschehen war. Ein Film war zu Ende – nur ein Film. Ich war frei. Ich war ausgebrochen.
Die 21-jährige Romy bricht auf in eine Freiheit, die zwar nicht die Enge der deutschen Spießerwelt der 50er-Jahre kennt, die jedoch neue Gefahren birgt. Darüber, ob die »Jungfrau von Geiselgasteig« noch eine ist, hat eine ganze Nation spekuliert – es ist anzunehmen (nur Riess behauptet, der 30 Jahre ältere Käutner habe sie während der Dreharbeiten zu »Monpti« verführt). Vom Leben jedoch kennt Romy gerade mal Mariengrund, Goldenstein und die Filmstudios. Der Mann, an dessen Seite sie eilt, hat darin einen nicht wettzumachenden Vorsprung. Vor allem für eine Tochter aus gutem Haus, die zwar in ihren Rollen schon so viel weiß, in ihrem Leben aber noch so wenig.
© R.A./Gamma, Paris
Schneider und Visconti bei den Proben zu »Schade, dass sie eine Hure ist«.
© SV-Bilderdienst, München
Mit Visconti und Helmut Berger bei den Dreharbeiten zu »Ludwig II.«, wo sie noch einmal die Sissi spielt. Vorseite: Romy Schneider im August 1962 in Paris.
© ullstein bild, Berlin
Romy Schneider mit Orson Welles bei den Dreharbeiten zu »Der Prozess«.
Romy mit Bruder Wolf, Mutter Magda mit Jean-Claude Brialy.
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Ein seltenes Zusammentreffen: Romy mit Mutter und Vater, Wolf Albach-Retty.
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© Archiv Renate Seydel
Das Ende einer großen Liebe.
Die letzten Monate mit Alain Delon – und die darauffolgende Einsamkeit.
© Archiv Renate Seydel
© Stills, Studio X, Paris