Es sollte eine Wissenschaft der Unzufriedenheit geben. Die Menschen brauchen harte Zeiten und Unterdrückung, um ihre geistigen Muskeln auszubilden.

– Aus: »Gesammelte Aussprüche des Muad’Dib« von Prinzessin Irulan

Jessica erwachte im Dunkeln, umgeben von ahnungsvoller Stille. Sie begriff nicht, warum sich ihr Verstand und ihr Körper so träge anfühlten. Winzige Angstflöckchen sausten durch ihre Nerven. Sie dachte daran, sich aufzusetzen und das Licht anzumachen, aber irgendetwas hielt sie davon ab. Ihr Mund fühlte sich … seltsam an.

Flatsch-flatsch-flatsch-flatsch!

Es war ein dumpfer Laut, der von irgendwo durch die Finsternis hallte.

Der Moment des Wartens war voll dichtgepackter Zeit, voll raschelnder Nadelstichbewegungen. Langsam spürte sie ihren Körper und begriff, dass sie an Hand- und Fußgelenken gefesselt war und einen Knebel im Mund hatte. Sie lag auf der Seite, die Hände hinter den Rücken gebunden. Sie prüfte die Fesseln und erkannte, dass sie aus Krimskellfaser waren und sich nur fester ziehen würden, je stärker sie daran zerrte.

Dann erinnerte sie sich.

Etwas hatte sich im Schlafzimmer bewegt, etwas Nasses und Stinkendes war ihr ins Gesicht geklatscht, hatte ihren Mund erfüllt. Hände hatten nach ihr gegriffen, sie hatte nach Luft geschnappt, Atem geholt, das Betäubungsmittel geschmeckt. Und dann war sie in eine schreckliche Dunkelheit gestürzt.

Es ist so weit , dachte sie. Wie einfach es doch war, eine Bene Gesserit zu überwältigen. Es hat nur Verrat gebraucht. Hawat hatte recht.

Sie zwang sich, nicht an ihren Fesseln zu zerren, und langsam gewann sie ihre innere Ruhe zurück. Sie wurde sich des Geruchs ihres erkalteten Schweißes bewusst, in den sich die chemische Note der Angst mischte.

Das ist nicht mein Schlafzimmer . Sie haben mich an einen anderen Ort gebracht. Wo ist Paul? Mein Sohn  – was haben sie mit ihm gemacht?

Gelassenheit  … Mit den uralten Techniken zwang sie sich zur Gelassenheit. Doch das Entsetzen lauerte so nah.

Leto? Wo bist du, Leto?

Langsam lichtete sich die Dunkelheit. Es begann mit Schatten. Dimensionen lösten sich voneinander, wurden zu neuen, schmerzhaften Wahrnehmungsspitzen. Weiß. Ein Spalt unter einer Tür.

Ich liege auf dem Boden.

Die Schritte mehrerer Personen, die näher kamen.

Jessica drängte die Erinnerung an das Entsetzen zurück. Ich muss ruhig, wachsam und bereit sein. Vielleicht bekomme ich nur eine Chance. Einmal mehr zwang sie sich zu innerer Gelassenheit. Ihr heftiger Herzschlag beruhigte sich und verlieh der Zeit Struktur. Sie zählte herunter. Ich war etwa eine Stunde lang bewusstlos. Sie schloss die Augen und konzentrierte ihre Aufmerksamkeit auf die nahenden Schritte.

Es sind vier Personen.

Sie lauschte auf den unterschiedlichen Takt der Schritte.

Ich muss so tun, als wäre ich noch bewusstlos.

Sie entspannte sich, überprüfte, ob ihr Körper einsatzbereit war. Dann hörte sie, wie sich eine Tür öffnete, und sah durch ihre Lider, dass es heller wurde.

»Sie sind wach«, polterte eine Bassstimme. »Machen Sie uns nichts vor.«

Jessica öffnete die Augen.

Baron Vladimir Harkonnen stand über ihr. Und Jessica erkannte den Kellerraum, in dem Paul geschlafen hatte, sah an der Seite seine Matratze – leer. Wachen brachten Schweblampen herein und positionierten sie an der offenen Tür. Auf dem Gang dahinter war das Licht so grell, dass es Jessica in den Augen schmerzte.

Sie sah zum Baron auf. Er trug einen gelben Umhang, der sich über seinen Suspensoren ausbeulte. Die fetten roten Backen unter den spinnenschwarzen Augen verliehen ihm etwas Clowneskes.

»Das Mittel war genau dosiert«, polterte er. »Wir wussten auf die Minute, wann Sie wieder zu sich kommen würden.«

Wie ist das möglich? , dachte sie. Dafür hätten sie mein genaues Körpergewicht kennen müssen, hätten mit meinem Stoffwechsel vertraut sein müssen, hätten  … Yueh!

»Ein Jammer, dass ich Sie geknebelt lassen muss«, sagte der Baron. »Wir könnten eine so interessante Unterhaltung führen.«

Es kann nur Yueh gewesen sein  … Aber wie?

Der Baron warf einen Blick zur Tür. »Komm herein, Piter.«

Den Mann, der nun eintrat und sich neben den Baron stellte, hatte Jessica noch nie gesehen, aber sein Gesicht war ebenso bekannt wie er selbst: Piter de Vries, der Mentaten-Assassin. Sie musterte ihn. Ein Falkengesicht. Tintenblaue Augen, die ihn wie einen Bewohner von Arrakis aussehen ließen, obwohl Feinheiten in seiner Art, sich zu bewegen, und seiner Körperhaltung verrieten, dass dem nicht so war. Außerdem war seine Haut zu straff von Wasser. Er war hochgewachsen, aber dünn, und hatte etwas Weibisches an sich.

»Ja, es ist wirklich ein Jammer, dass wir auf unsere Unterhaltung verzichten müssen, meine liebe Lady Jessica«, sagte der Baron. »Aber ich bin mir über Ihre Fähigkeiten im Klaren.« Er warf dem Mentaten einen Blick zu. »Hab ich nicht recht, Piter?«

»Ganz wie Sie sagen, Baron«, erwiderte der Mann. Er hatte eine Tenorstimme, die sich wie eine kalte Hand an Jessicas Wirbelsäule legte. Eine so eisige Stimme hatte sie noch nie gehört. Für sie, die eine Bene-Gesserit-Ausbildung hatte, verkündete diese Stimme laut und deutlich: Ein Mörder!

Der Baron wandte sich wieder ihr zu. »Ich habe eine Überraschung für Piter«, sagte er. »Er glaubt, dass er hier wäre, um seine Belohnung abzuholen – Sie, Lady Jessica. Aber ich will ihm etwas demonstrieren – dass er Sie nicht wirklich haben will.«

»Sie spielen mit mir, Baron?«, fragte Piter lächelnd.

Als Jessica dieses Lächeln sah, staunte sie, dass sich der Baron nicht sofort vor diesem Mann in Sicherheit brachte. Doch dann korrigierte sie ihre Einschätzung – der Baron konnte das Lächeln nicht richtig deuten, ihm fehlte die entsprechende Ausbildung.

»In vielerlei Hinsicht ist Piter ausgesprochen naiv«, erklärte der Baron. »Er gesteht sich nicht ein, was für eine tödliche Kreatur Sie sind, Lady Jessica. Ich würde es ihm ja zeigen, aber das wäre ein dummes Risiko.« Er lächelte Piter zu, dessen Gesicht zu einer Maske des Wartens erstarrt war. »Ich weiß, was Piter in Wirklichkeit will. Piter will Macht.«

»Sie haben mir versprochen, dass ich sie haben kann«, sagte Piter.

Seine Tenorstimme hatte einen Teil ihrer kalten Reserviertheit verloren, und Jessica hörte die Andeutungen in seinem Tonfall. Sie schauderte innerlich. Wie konnte der Baron aus seinem Mentaten nur so ein Tier machen?

»Ich stelle dich vor eine Wahl, Piter«, sagte der Baron.

»Was für eine Wahl?«

Der Baron schnippte mit den Fingern. »Entweder du nimmst diese Frau hier, verlässt das Imperium und gehst ins Exil. Oder du bekommst das Herzogtum der Atreides auf Arrakis, das du in meinem Namen ganz nach Belieben regieren darfst.«

Jessica sah, wie der Baron Piter aus seinen Spinnenaugen beobachtete.

»Du könntest hier in jeder Hinsicht Herzog sein, nur nicht dem Namen nach«, sagte der Baron.

Ist mein Leto also tot? Irgendwo in Jessicas Kopf hob ein stummes Wehklagen an.

Der Baron hielt seine Aufmerksamkeit auf den Mentaten gerichtet. »Verschaff dir Klarheit über dich selbst, Piter. Du willst sie, weil sie die Frau eines Herzogs war, ein Symbol seiner Macht – schön, nützlich, vortrefflich ausgebildet für die Rolle, die sie zu spielen hatte. Aber ein ganzes Herzogtum, Piter! Das ist mehr als nur ein Symbol, das ist die Wirklichkeit. Damit könntest du viele Frauen haben … und mehr.«

Piter kniff die Augen zusammen. »Sie machen sich nicht über mich lustig?«

Mit der tänzerischen Leichtigkeit, die ihm seine Suspensoren verliehen, drehte sich der Baron um. »Mich über dich lustig machen? Ich? Denk daran – ich gebe den Jungen auf. Du hast gehört, was der Verräter über die Ausbildung des Burschen gesagt hat. Sie ähneln einander, Mutter und Sohn – beide sind tödlich.« Er lächelte. »Ich muss jetzt gehen. Ich werde den Wachmann hereinschicken, den ich mir für diese Gelegenheit aufgespart habe. Er ist stocktaub. Sein Befehl ist, dich auf der ersten Etappe deiner Reise ins Exil zu begleiten. Er wird dir nicht gestatten, ihr den Knebel herauszunehmen, bevor ihr Arrakis verlassen habt. Und solltest du dich entscheiden, doch nicht abzureisen … hat er andere Befehle.«

»Sie müssen nicht gehen«, sagte Piter. »Ich habe mich bereits entschieden.«

»Ah, aha!«, gluckste der Baron. »So eine schnelle Entscheidung kann nur eines bedeuten.«

»Ich nehme das Herzogtum«, sagte Piter.

Jessica dachte: Erkennt Piter nicht, dass der Baron ihn anlügt? Aber  … wie könnte er? Er ist ein gestörter Mentat.

Der Baron sah auf Jessica hinab. »Ist es nicht wunderbar, wie gut ich Piter kenne? Ich habe mit meinem Waffenmeister gewettet, dass er sich so entscheiden würde. Ha! Tja, nun verlasse ich Sie. So ist es viel besser, ah, viel besser. Verstehen Sie, Lady Jessica? Ich hege keinen Groll gegen Sie. Es handelt sich um eine Notwendigkeit. So ist es viel besser. Ja. Und ich habe nicht wirklich befohlen, dass man Sie vernichtet. Wenn man mich fragt, was aus Ihnen geworden ist, kann ich ganz aufrichtig mit den Schultern zucken.«

»Dann überlassen Sie es mir?«, fragte Piter.

»Der Wachmann, den ich dir schicke, wird deine Befehle entgegennehmen«, sagte der Baron. »Ich überlasse dir, was mit ihr geschehen soll. Ja. Ich mache mir hier nicht die Hände schmutzig. Es ist deine Entscheidung. Ja. Ich weiß von nichts. Du wirst warten, bis ich weg bin, bevor du tust, was immer du tun musst. Ja. Nun … ah, ja. Gut.«

Er fürchtet sich vor der Befragung durch eine Wahrsagerin , dachte Jessica. Vor welcher? Ah, natürlich vor der Ehrwürdigen Mutter Gaius Helen. Wenn er weiß, dass er sich ihren Fragen wird stellen müssen, dann ist der Imperator mit Sicherheit in die Sache verwickelt. Ach, mein armer Leto  …

Der Baron warf einen letzten Blick auf Jessica, dann wandte er sich ab und ging zur Tür hinaus. Sie sah ihm nach und dachte: Es ist so, wie die Ehrwürdige Mutter gesagt hat  – unser Feind ist zu mächtig.

Zwei Harkonnen-Soldaten traten ein. Ein weiterer mit vernarbtem Gesicht blieb mit gezogener Lasgun in der Tür stehen.

Der Taube , dachte Jessica und musterte das Narbengesicht. Der Baron weiß, dass ich jeden anderen mit der Stimme beeinflussen könnte.

Das Narbengesicht blickte zu Piter und sagte: »Der Junge liegt draußen auf einer Bahre. Was befehlen Sie?«

Piter wandte sich Jessica zu. »Eigentlich hatte ich mir überlegt, dass ich Sie an mich binde, indem ich Ihren Sohn als Geisel nehme, aber langsam wird mir klar, dass das wohl keine gute Idee war. Gefühle haben meinen Verstand vernebelt. Keine gute Einstellung für einen Mentaten.« Er sah zu den beiden Soldaten, wobei er darauf achtete, dass der Taube seine Lippenbewegungen lesen konnte. »Bringt sie in die Wüste, so wie es der Verräter für den Jungen vorgeschlagen hat. Sein Plan ist gut. Die Würmer werden alle Beweise vernichten. Man darf ihre Leichen niemals finden.«

»Sie wollen sie nicht selbst beseitigen?«, fragte das Narbengesicht.

Er kann Lippen lesen , dachte Jessica.

»Ich folge dem Beispiel des Barons«, sagte Piter. »Bringt sie an den Ort, den der Verräter genannt hat.«

Jessica spürte die strenge Selbstkontrolle des Mentaten und dachte: Auch er fürchtet die Wahrsagerin.

Piter zuckte mit den Schultern, drehte sich um und ging hinaus. Im Türrahmen zögerte er kurz, und Jessica rechnete damit, dass er sich noch einmal umdrehen würde, um sie anzusehen, doch dann ging er, ohne sie eines Blickes zu würdigen.

»Mir würde die Vorstellung auch nicht gefallen, nach der Arbeit dieser Nacht einer Wahrsagerin gegenüberzutreten«, sagte das Narbengesicht.

»Na, der alten Hexe wirst du wohl kaum jemals begegnen«, erwiderte einer der Soldaten. Er ging um Jessica herum und beugte sich über ihren Kopf. »Davon, dass wir hier rumstehen und quatschen, erledigt sich unsere Arbeit auch nicht. Nimm sie bei den Füßen und …«

»Warum töten wir sie nicht einfach hier?«, fragte das Narbengesicht.

»Zu viel Sauerei«, sagte der Soldat. »Es sei denn, du willst sie strangulieren. Ich für meinen Teil hab’s gern einfach und direkt. Wir werfen sie über der Wüste ab, wie der Verräter meinte, verpassen ihnen ein oder zwei Schnitte und überlassen es den Würmern, die Beweise zu beseitigen. So müssen wir hinterher nichts aufräumen.«

»Ja … da hast du wohl recht«, sagte das Narbengesicht.

Jessica lauschte, beobachtete, registrierte. Doch der Knebel verhinderte, dass sie die Stimme einsetzen konnte – und dann war da auch noch der Taube.

Das Narbengesicht steckte seine Lasgun ins Halfter und griff nach Jessicas Füßen. Sie hoben sie hoch wie einen Sack Getreide, manövrierten sie durch die Tür und warfen sie auf eine von Suspensoren gehaltene Trage, auf der bereits ein anderer Körper lag. Als sie sie herumdrehten und auf der Trage zurechtrückten, sah sie das Gesicht des anderen – Paul! Er war gefesselt, aber nicht geknebelt. Sein Gesicht war keine zehn Zentimeter von ihrem entfernt, er hatte die Augen geschlossen, und sein Atem ging regelmäßig.

Ist er betäubt? , dachte sie.

Die Soldaten hoben die Trage hoch, und Paul öffnete die Augen einen winzigen Spaltbreit – dunkle Schlitze sahen Jessica an.

Er darf es nicht mit der Stimme versuchen , dachte sie. Der taube Wachmann!

Paul schloss die Augen wieder. Er hatte die Aufmerksamkeits-atmung geübt, seine Gedanken zur Ruhe gebracht, ihre Häscher belauscht. Der Taube stellte ein Problem dar, doch das stürzte Paul nicht in Verzweiflung. Die Bene-Gesserit-Techniken, die ihn seine Mutter gelehrt hatte, sorgten dafür, dass er gelassen darauf wartete, dass sich eine Möglichkeit ergab.

Er gestattete sich, die Augen ein weiteres Mal einen Spaltbreit zu öffnen, um das Gesicht seiner Mutter zu betrachten. Offenbar war sie unverletzt. Man hatte sie jedoch geknebelt. Er fragte sich, wie man sie hatte gefangen nehmen können. Bei ihm war die Erklärung einfach: Man hatte ihn mit einer von Yueh verschriebenen Kapsel zu Bett geschickt, und als er erwacht war, hatte er sich an diese Trage gefesselt wiedergefunden. Womöglich war es ihr ähnlich ergangen. Die Logik gebot, dass Yueh der Verräter war, aber Paul schob die endgültige Entscheidung darüber noch auf. Noch war es unbegreiflich – ein Suk-Arzt als Verräter!

Die Trage kippte leicht, als die Soldaten sie durch eine Tür in die sternenerleuchtete Nacht hinausmanövrierten, und eine Suspensorenbake kratzte am Türrahmen entlang. Dann waren sie draußen, hörten das Knirschen ihrer Füße im Sand. Über ihnen verdeckte ein Thopter-Flügel die Sterne. Die Trage wurde auf den Boden gesenkt.

Pauls Augen passten sich an das schwache Licht an. Er sah, wie der taube Soldat die Thopter-Tür öffnete, und spähte auf das grüne Zwielicht der Armaturen.

»Sollen wir diesen Thopter nehmen?«, fragte das Narbengesicht und drehte sich um, um die Lippen der anderen zu lesen.

»Der Verräter meinte, dieser hier wäre für die Arbeit in der Wüste ausgerüstet«, sagte einer der Soldaten.

Das Narbengesicht nickte. »Aber es ist einer von den kleinen Kurierfliegern. Da passen außer den beiden nur zwei von uns rein.«

»Zwei reichen«, sagte der Soldat und trat dicht an das Narbengesicht heran. »Ab hier kümmern wir uns um sie, Kinet.«

»Aber der Baron hat gesagt, dass ich dabeibleiben und zusehen soll«, erwiderte das Narbengesicht.

»Worum machst du dir Gedanken?«, fragte der andere Soldat von weiter hinten.

»Sie ist eine Bene-Gesserit-Hexe«, sagte der Taube. »Die haben besondere Kräfte.«

»Ah …« Der erste Soldat machte das Zeichen der Faust neben seinem Ohr. »Eine von denen, was? Ich weiß, was du meinst.«

Der Soldat hinter ihm schnaubte. »Bald ist sie nur noch Wurmfutter. Über diese Riesenwürmer hat nicht mal eine Bene-Gesserit-Hexe Macht. Was, Czigo?« Er boxte dem ersten Soldaten in die Seite.

»Jau«, sagte der Soldat, ging zur Trage und griff Jessica bei den Schultern. »Na schön, Kinet. Du kannst mitkommen, wenn du dir ganz sicher sein willst, was passiert.«

»Danke für die Einladung, Czigo«, sagte das Narbengesicht.

Jessica sah, wie sich der Flügelschatten über ihr drehte, sah die Sterne … Die Soldaten schoben sie hinten in den Thopter, untersuchten ihre Krimskellfesseln und schnallten sie an. Paul wurde neben sie gequetscht und ebenfalls fest angeschnallt. Ihr fiel auf, dass er mit normalen Seilen gefesselt war.

Das Narbengesicht – der Taube, den sie Kinet nannten – setzte sich nach vorne. Der andere Soldat, der offenbar Czigo hieß, ging um den Thopter herum und nahm neben ihm Platz.

Kinet schloss die Tür und beugte sich über die Armaturen. Der Thopter hob mit angelegten Flügeln ab und schlug einen Kurs nach Süden über den Schildwall ein. Czigo tippte seinem Begleiter auf die Schulter und sagte: »Dreh du dich um, und behalt die beiden im Auge.«

»Weißt du auch sicher, wo wir hinmüssen?«, fragte Kinet und beobachtete Czigos Lippen.

»Ich habe ebenso wie du gehört, was der Verräter gesagt hat«, erwiderte Czigo.

Kinet drehte sich mit seinem Sitz herum, und Jessica sah das Glitzern von Sternenlicht auf der Lasgun in seiner Hand. Die Innenwände des Thopters füllten sich mit Licht, als sich ihre Augen anpassten, aber das Gesicht des Wachmanns blieb im Dunkeln. Jessica prüfte ihren Gurt und stellte fest, dass er locker saß. An ihrem linken Arm fühlte er sich rau an, und ihr wurde klar, dass er beinahe durchgescheuert war und ein plötzlicher Ruck ihn reißen lassen würde. Hat sich jemand an diesem Thopter zu schaffen gemacht, um ihn für uns vorzubereiten? , fragte sie sich. Wer? Langsam drehte sie sich, um ihre gefesselten Füße von Paul zu lösen.

»Es ist wirklich ein Jammer, eine so gut aussehende Frau zu vergeuden«, sagte Kinet. »Hattest du schon mal eine Hochgeborene?« Er drehte sich zu dem anderen Soldaten um.

»Bene Gesserit sind nicht immer hochgeboren«, wandte Czigo ein.

Kinet nickte. »Aber sie sehen alle so aus.«

Er kann mich gut sehen , dachte Jessica. Sie zog ihre gefesselten Beine hoch, rollte sich geschmeidig zusammen und sah das Narbengesicht an.

»Wirklich hübsch ist die«, sagte Kinet. Er befeuchtete sich die Lippen mit der Zunge. »Echt ein Jammer.« Er sah wieder zu Czigo.

»Denkst du, was ich denke, dass du denkst?«, sagte der Pilot.

»Wer sollte es je herausfinden?«, sagte Kinet. »Hinterher …« Er zuckte mit den Schultern. »Ich hatte einfach noch nie eine Hochgeborene. Vielleicht bekomme ich nie wieder im Leben so eine Chance.«

»Wenn Sie meine Mutter auch nur anfassen …«, krächzte Paul und starrte das Narbengesicht wütend an.

»He!«, rief der Pilot lachend. »Der Welpe kann bellen. Aber nicht beißen.«

Jessica dachte: Pauls Stimme ist zu laut. Aber vielleicht funktioniert es trotzdem.

Sie flogen schweigend weiter.

Diese armen Narren , dachte Jessica, während sie ihre Bewacher musterte und über die Worte des Barons nachdachte. Sobald sie berichten, dass sie ihre Mission erfolgreich abgeschlossen haben, wird man sie töten. Der Baron will keine Zeugen.

Der Thopter flog über den südlichen Rand des Schildwalls, und Jessica sah das weite Sandmeer unter ihnen im Mondlicht.

»Das dürfte weit genug sein«, sagte der Pilot. »Der Verräter hat gesagt, dass wir sie irgendwo in der Nähe des Schildwalls im Sand zurücklassen sollen.« Er setzte zu einem langen Sinkflug an und hob knapp über den Dünen die Schnauze des Fliegers.

Jessica sah, wie Paul in das rhythmische Atmen der Beruhigungstechnik verfiel. Er schloss die Augen, öffnete sie wieder. Er hat die Stimme noch nicht gemeistert , dachte sie. Wenn er versagt  

Mit einem leichten Ruck setzte der Thopter im Sand auf, und Jessica, die nach Norden auf den Schildwall blickte, sah, dass sich dort oben schattenhafte Flügel herabsenkten, die kurz darauf außer Sicht waren. Irgendjemand folgt uns , dachte sie. Wer? Und dann: Leute, die der Baron geschickt hat, um diese beiden hier im Auge zu behalten. Und auch diese Beobachter werden mit Sicherheit beobachtet.

Czigo schaltete die Flügelrotoren ab. Stille breitete sich aus.

Jessica wandte den Kopf und blickte an dem Narbengesicht vorbei aus dem Fenster, auf den blassen, aufsteigenden Mond und einen zuckerbestäubten Felskamm, der sich aus dem Wüstensand erhob. Das Gestein war von Furchen durchzogen, Spuren von Stürmen.

Paul räusperte sich.

Der Pilot sagte: »Also, Kinet?«

»Ich weiß nicht, Czigo.«

Czigo wandte sich um und sagte: »Ah, sieh mal.« Er griff nach dem Saum von Jessicas Kleid.

»Nimm ihr den Knebel raus«, sagte Paul plötzlich, und Jessica spürte, wie die Worte durch die Luft wogten. Tonfall und Timbre waren hervorragend – gebieterisch und durchdringend. Noch besser wäre es gewesen, wenn er eine etwas tiefere Stimme verwendet hätte, aber es schien, als würde er sich noch innerhalb des Spektrums dieses Mannes bewegen.

Czigo griff nach dem Band um Jessicas Mund und schob die Finger unter den Knoten.

»Nein«, zischte Kinet.

»Ach, halt die Klappe«, sagte Czigo. »Ihre Hände sind doch gefesselt.« Er löste den Knoten, und das Band fiel zu Boden. Mit glitzernden Augen musterte er Jessica.

Kinet legte dem Piloten die Hand auf den Arm. »Hör mal, Czigo, wir sollten …«

Jessica drehte den Kopf und spie den Knebel aus. Dann sagte sie mit tiefer Stimme: »Meine Herren, es gibt keinen Grund, um mich zu kämpfen .« Sie räkelte sich vor Kinet und sah, wie sich die beiden Soldaten anspannten, wusste, dass sie in ebendiesem Moment zu der Überzeugung gelangt waren, um sie kämpfen zu müssen. Sie hielt ihr Gesicht in den Schein der Armaturen, damit Kinet ihre Lippen lesen konnte, und sagte: »Es darf keinen Streit zwischen euch geben.« Die beiden Männer rückten voneinander ab und warfen einander misstrauische Blicke zu. »Ist es irgendeine Frau wert, dass man um sie kämpft?«, sagte sie.

Paul hielt die Lippen fest geschlossen, zwang sich zu schweigen. Er hatte seine Chance gehabt, mit der Stimme erfolgreich zu sein. Jetzt … jetzt hing alles von seiner Mutter ab, die weit größere Erfahrung als er hatte.

»Ja«, sagte das Narbengesicht. »Es gibt keinen Grund, um dich zu kämpfen …« Seine Hand zuckte zum Hals des Piloten, doch der Schlag wurde von einem Aufblitzen von Metall abgefangen, das ihn am Arm traf und ihm in derselben Bewegung in die Brust fuhr. Kinet sackte mit dem Rücken gegen die Tür.

»Hast mich wohl für so einen Trottel gehalten, der diesen Trick nicht kennt«, sagte Czigo. Er zog seine Hand zurück. Das Messer glitzerte im Mondlicht. »Und jetzt zu dem Welpen«, sagte er und beugte sich über Paul.

»Das ist nicht nötig«, sagte Jessica.

Czigo zögerte.

»Wäre es dir nicht lieber, wenn ich kooperativ bin?«, sagte Jessica. »Gib dem Jungen eine Chance.« Sie verzog die Lippen zu einem Lächeln. »Da draußen im Sand hat er ohnehin kaum eine. Lass sie ihm … dann wirst du gut entlohnt.«

Czigo blickte sich nach allen Seiten um, dann wandte er sich wieder Jessica zu. »Ich habe gehört, was einem Mann in der Wüste alles passieren kann«, sagte er. »Vielleicht täte ich dem Jungen mit dem Messer einen Gefallen.«

»Ist es so viel verlangt?«, sagte Jessica.

»Du versuchst, mich reinzulegen«, murmelte Czigo.

»Ich will meinen Sohn nicht sterben sehen«, sagte Jessica. »Das ist alles.«

Czigo rückte nach vorne und drückte mit dem Ellbogen die Tür auf. Dann packte er Paul, zog ihn über den Sitz und schob ihn halb zur Tür hinaus. »Was tust du, Welpe, wenn ich dir die Fesseln durchschneide?«, fragte er und hielt Paul das Messer vor das Gesicht.

»Er wird sofort von hier verschwinden und zu den Felsen dort laufen«, sagte Jessica.

»Ist es das, was du vorhast, Welpe?«, knurrte Czigo.

Pauls Stimme klang angemessen zerknirscht: »Ja.«

Das Messer fuhr nach unten und durchschnitt die Stricke an seinen Beinen. Paul spürte die Hand in seinem Rücken, die ihn in den Sand hinausschleudern wollte, und tat so, als versuchte er taumelnd im Türrahmen Halt zu finden. Dann trat er mit dem rechten Fuß zu.

Seine Fußspitze fand ihr Ziel mit einer Sicherheit, die seiner langjährigen Ausbildung entsprang – als verdichtete sich in diesem einen Moment all sein Training. Praktisch jeder Muskel seines Körpers hatte an der richtigen Platzierung des Treffers Anteil. Sein Fuß traf Czigo unterhalb des Brustbeins in den weichen Teil des Bauches und fuhr dann mit entsetzlicher Kraft über die Leber und das Zwerchfell aufwärts, um die rechte Herzkammer des Mannes zu zerquetschen.

Mit einem gurgelnden Schrei fiel Czigo über den Sitz. Paul, der seine Hände nicht einsetzen konnte, stürzte in den Sand, rollte sich ab und kam sofort wieder auf die Beine. Er schlüpfte zurück in die Kabine, fand das Messer und hielt es mit den Zähnen fest, während seine Mutter damit ihre Fesseln durchtrennte. Dann nahm Jessica die Klinge und befreite Pauls Hände.

»Ich hätte das erledigen können«, sagte sie. »Ihm zu befehlen, meine Fesseln durchzuschneiden – das war ein unnötiges Risiko.«

»Ich habe die Gelegenheit gesehen und genutzt«, sagte er.

Sie hörte seinen scharfen, kontrollierten Tonfall und sagte: »Yuehs Hauszeichen ist an die Kabinendecke gemalt.«

Paul hob den Kopf und sah das verschlungene Symbol.

Dann sagte Jessica: »Steig aus, damit wir uns diesen Thopter genauer ansehen können. Unter dem Pilotensitz liegt ein Bündel, ich habe es beim Einsteigen gespürt.«

»Eine Bombe?«

»Nein, das glaube ich nicht. Hier geht etwas Seltsames vor.«

Paul sprang in den Sand, und Jessica tat es ihm nach. Dann drehte sie sich um, griff unter den Sitz nach dem seltsamen Bündel und sah dabei Czigos Fuß dicht vor ihrem Gesicht. Das Bündel, das sie hervorzog, war feucht, und sie begriff, dass diese Feuchtigkeit vom Blut des Piloten stammte. Eine Verschwendung von Wasser , dachte sie.

Paul blickte sich um und sah die Felsschräge, die sich aus dem Sand erhob wie ein Strand aus einem Meer. Dann wandte er sich wieder seiner Mutter zu, die das Bündel aus dem Thopter zog und über die Dünen zum Schildwall blickte. Er versuchte zu erkennen, was ihre Aufmerksamkeit erregt hatte – ein weiterer Thopter, der auf sie zuhielt. Und er begriff, dass sie keine Zeit hatten, die Leichen aus dem Flieger zu werfen und mit ihm zu fliehen.

»Lauf, Paul«, rief Jessica. »Es sind die Harkonnen!«