Und Muad’Dib stand vor ihnen und sprach: »Obwohl wir annehmen, dass die Gefangene tot ist, lebt sie doch. Denn sie entspringt dem gleichen Saatkorn wie ich, und ihre Stimme ist meine Stimme. Und sie sieht in die fernsten Bereiche des Möglichen. Ja, wegen mir sieht sie in das Tal des Unwissbaren.«

– Aus: »Arrakis erwacht« von Prinzessin Irulan

Baron Vladimir Harkonnen stand mit gesenktem Blick im imperialen Audienzsaal, dem ovalen Selamlik des Padischah-Imperators. Mit verstohlenen Blicken musterte er die Metallwände des Raumes und die anwesenden Personen – die Noukker, die Pagen, die Wachtposten und natürlich die Haus-Sardaukar, die unter den blutigen und zerfetzten Kriegsbannern aus zahllosen Eroberungskriegen standen, die an den Wänden des ansonsten schmucklosen Raumes hingen.

Hallende Stimmen erklangen aus einem hohen Gang auf der linken Seite: »Platz da! Platz für Seine Hoheit!« Dann betrat der Padischah-Imperator Shaddam IV, gefolgt von seinem Hofstaat, den Audienzsaal. Er wartete, während man seinen Thron brachte, ohne dabei den Baron oder sonst jemanden im Raum eines Blickes zu würdigen.

Der Baron stellte fest, dass es ihm nicht gelang, Seine Hoheit zu ignorieren, und so musterte er den Imperator auf der Suche nach einem Zeichen, irgendeinem Hinweis darauf, worum es bei dieser Audienz ging. Der Imperator stand wartend da – eine schlanke, elegante Gestalt in grauer Sardaukar-Uniform mit silbernen und goldenen Borten. Sein schmales Gesicht und sein kalter Blick erinnerten den Baron an den lange toten Herzog Leto; sie beide hatten etwas Raubvogelhaftes an sich. Doch das Haar des Imperators war rot und nicht schwarz, und der Großteil davon wurde von einem ebenholzfarbenen Burseghelm mit dem imperialen Wappen in Gold darauf verdeckt.

Pagen brachten den Thron, ein mächtiger Sitz, der aus einem einzigen Stück Hagal-Quarz geschnitten war, von einem durchscheinenden Blaugrün mit feurig gelben Einschüssen. Sie stellten ihn auf das Podest, und der Imperator stieg hinauf und setzte sich.

Eine alte Frau in einer schwarzen Aba-Robe mit tief in die Stirn gezogener Kapuze löste sich aus dem Hofstaat, stellte sich hinter den Thron und ließ eine dürre Hand auf der Quarzlehne ruhen. Ihr Gesicht spähte wie die Karikatur einer Hexe unter der Kapuze hervor – mit eingefallenen Wangen, tief liegenden Augen, einer langen Nase, fleckiger Haut und hervortretenden Adern –, und der Baron unterdrückte ein Zittern, als er sie sah. Die Anwesenheit der Ehrwürdigen Mutter Gaius Helen Mohiam, der Wahrsagerin des Imperators, verriet, wie wichtig diese Audienz war.

Der Baron wandte den Blick von der Ehrwürdigen Mutter ab und musterte auf der Suche nach weiteren Hinweisen den restlichen Hofstaat. Da waren zwei Gildenagenten, einer groß und dick, einer klein und dick, beide mit ausdruckslosen grauen Augen. Und da war eine der Töchter des Imperators, Prinzessin Irulan, eine Frau, der man nachsagte, dass sie in die tiefsten Geheimnisse der Bene Gesserit eingewiesen würde und dazu bestimmt sei, eines Tages eine Ehrwürdige Mutter zu sein. Sie war hochgewachsen, blond, hatte ein Gesicht wie von gemeißelter Schönheit und grüne Augen, die durch ihn hindurchzusehen schienen.

»Mein lieber Baron.«

Der Imperator hatte sich endlich dazu herabgelassen, ihn zu bemerken. Er sprach in einem tiefen, genauestens modulierten Bariton. Obwohl er den Baron begrüßte, brachte er dabei Zurückweisung zum Ausdruck.

Der Baron verbeugte sich tief und trat, wie es sich gehörte, bis auf zehn Schritte an das Podest heran. »Ich komme auf Ihr Geheiß, Majestät.«

»Geheiß!«, keckerte die alte Hexe.

»Na, na, Ehrwürdige Mutter«, tadelte sie der Imperator und lächelte über das Unbehagen des Barons. »Zuerst werden Sie mir sagen, wo Sie Ihren Handlanger Thufir Hawat hingeschickt haben.«

Der Baron ließ den Blick nach links und rechts huschen. Er schalt sich dafür, ohne seine eigenen Wachen gekommen zu sein, auch wenn sie ihm gegen die Sardaukar wenig gebracht hätten. Trotzdem …

»Also?«, fragte der Imperator.

»Hawat ist seit fünf Tagen fort, Majestät.« Der Baron warf den Gildenagenten einen Blick zu und sah dann wieder zum Imperator. »Er sollte bei einer Schmugglerbasis landen und versuchen, das Lager dieses Fremen-Fanatikers zu infiltrieren, dieses Muad’Dib.«

»Ungeheuerlich!«, sagte der Imperator.

Die Hexe tippte dem Imperator mit einer Klauenhand auf die Schulter, dann beugte sie sich vor und flüsterte ihm etwas ins Ohr.

Der Imperator nickte. »Fünf Tage, Baron. Sagen Sie mir, warum macht Ihnen seine Abwesenheit keine Sorgen?«

»Aber ich mache mir ja Sorgen, Majestät«, sagte der Baron.

Der Imperator sah ihn abwartend an. Die Ehrwürdige Mutter gab ein gackerndes Lachen von sich.

»Was ich damit sagen wollte, Majestät«, sagte der Baron, »ist, dass Hawat ohnehin innerhalb weniger Stunden tot sein wird.« Er erklärte dem Imperator, wie es sich mit dem Gift verhielt, warum Hawat ein Antidot brauchte.

»Wie schlau von Ihnen, Baron«, sagte der Imperator. »Und wo sind Ihre Neffen, Rabban und der junge Feyd-Rautha?«

»Der Sturm naht, Majestät. Ich habe sie losgeschickt, um unseren Verteidigungsring zu inspizieren, für den Fall, dass die Fremen im Schutz des Sandes angreifen.«

»Verteidigungsring«, sagte der Imperator. Es klang, als würde sich ihm bei dem Wort der Mund zusammenziehen. »Hier im Becken werden wir nicht viel von dem Sturm zu spüren bekommen, und dieses Fremen-Geschmeiß wird nicht angreifen, solange ich mit fünf Legionen Sardaukar hier bin.«

»Gewiss, Majestät«, sagte der Baron. »Aber Sie wollen mich doch nicht dafür tadeln, dass ich es mit der Sicherheit etwas übertreibe.«

»Aahh«, sagte der Imperator. »Tadeln? Dann soll ich also darüber schweigen, wie viel Zeit mir dieser Arrakis-Unsinn bereits geraubt hat? Oder über die MAFEA-Firmengewinne, die in diesem Rattenloch verschwunden sind? Oder über die Hofempfänge und Staatsangelegenheiten, die ich wegen dieser albernen Sache verschieben, sogar absagen musste?«

Der Baron senkte den Blick, verängstigt durch den Zorn des Imperators. Seine delikate Lage hier – allein und abhängig von der Konvention und dem Dictum Familia der Großen Häuser – machte ihm zu schaffen. Will er mich töten? , dachte er. Das kann er nicht! Nicht solange die anderen Großen Häuser dort oben sind und nur auf den richtigen Vorwand warten, um sich an dem Aufruhr auf Arrakis zu bereichern.

»Haben Sie Geiseln genommen?«, fragte der Imperator.

»Das ist sinnlos, Majestät«, sagte der Baron. »Diese wahnsinnigen Fremen halten für jeden Gefangenen ein Begräbnis ab und tun so, als ob er bereits tot wäre.«

»Ist das so?«, sagte der Imperator.

Der Baron wartete, ließ den Blick zwischen den Wänden des Selamliks hin und her huschen und dachte an das monströse Metallzelt, das ihn umgab. Hier kam ein derart schrankenloser Reichtum zum Ausdruck, dass selbst der Baron Ehrfurcht empfand. Er bringt seine Pagen mit , dachte er, nutzlose Hoflakaien, seine Frauen und deren Gefolge, Friseusen, Modisten  – all die Schranzen, die sich an den Rändern des Hofes herumdrücken. Sie sind alle hier, schmeicheln sich ein, schmieden Intrigen, gehen mit dem Imperator auf »Abenteuerreise«, um zuzusehen, wie er dieser Sache hier ein Ende macht, um Sinnsprüche über die Schlachten zu verfassen und die Verwundeten anzuhimmeln.

»Nun, vielleicht haben Sie sich nicht die richtigen Geiseln gesucht«, sagte der Imperator.

Er weiß etwas , dachte der Baron. Die Angst lag ihm wie ein Stein im Magen, sodass er selbst den Gedanken, jemals wieder etwas zu essen, kaum noch ertragen konnte. Und trotzdem fühlte er sich hungrig, weshalb er sich mehrmals in seinen Suspensoren vorbeugte, um nach Essen Ausschau zu halten – nur um festzustellen, dass niemand hier war, den er hätte schicken können.

»Haben Sie irgendeine Ahnung, wer dieser Muad’Dib sein könnte?«, fragte der Imperator.

»Sicher jemand aus der Umma«, sagte der Baron. »Ein Fremen-Fanatiker, ein religiöser Abenteurer. Die tauchen am Rande der Zivilisation immer wieder auf. Euer Majestät weiß das.«

Der Imperator blickte kurz zu seiner Wahrsagerin, dann wandte er sich mit finsterer Miene wieder dem Baron zu. »Und sonst wissen Sie nichts über diesen Muad’Dib?«

»Ein Verrückter. Aber alle Fremen sind ein wenig verrückt.«

»Verrückt?«

»Seine Leute schreien seinen Namen, wenn sie ins Gefecht stürmen. Die Frauen werfen ihre kleinen Kinder nach uns und stürzen sich in unsere Messer, um den Männern eine Bresche zum Angriff zu schlagen. Sie haben keinen … keinen … Anstand.«

»So schlimm also«, murmelte der Imperator. Sein verächtlicher Tonfall entging dem Baron nicht. »Sagen Sie mir, mein lieber Baron, haben Sie die Gebiete um den Südpol von Arrakis genauer erforscht?«

Überrumpelt durch den Themenwechsel, blickte der Baron zum Imperator auf. »Aber … Sie wissen doch, Majestät, dass dieses gesamte Gebiet Wind und Würmern ausgesetzt und unbewohnbar ist. In diesen Breitengraden gibt es nicht einmal Gewürz.«

»Und Sie haben keine Meldungen von Gewürzleichtern erhalten – darüber, dass dort grüne Flecken aufgetaucht sind?«

»Solche Berichte gab es schon immer. Einigen ist man nachgegangen, vor langer Zeit, und hier und da hat man Pflanzen entdeckt. Aber viele Thopter gingen verloren. Das Ganze war viel zu kostspielig, Euer Majestät. Dort kann niemand lange überleben.«

»Aha.« Der Imperator schnippte mit den Fingern, und links hinter seinem Thron öffnete sich eine Tür. Durch die Tür kamen zwei Sardaukar, die ein kleines Mädchen hereinbrachten, das etwa vier Jahre alt war. Sie trug eine schwarze Aba und hatte die Kapuze zurückgeworfen, sodass man die Schläuche eines Destillanzugs an ihrem Hals baumeln sah. Die Augen in ihrem weichen, runden Gesicht waren vom Blau der Fremen. Offenbar hatte sie kein bisschen Angst, und es lag etwas in ihrem Blick, das dem Baron aus Gründen, die er nicht erklären konnte, Unbehagen bereitete.

Selbst die Wahrsagerin der Bene Gesserit wich zurück, als das Kind an ihr vorbeiging, und machte ein Schutzzeichen. Die Anwesenheit des Kindes erschütterte die alte Hexe ganz offensichtlich.

Der Imperator räusperte sich, um zu sprechen, doch das Kind kam ihm zuvor. Ihre Stimme klang dünn, und ihr weicher Gaumen ließ sie leicht lispeln, aber trotzdem waren ihre Worte klar vernehmlich. »Das ist er also«, sagte sie und trat an den Rand des Podests. »Viel macht er nicht her, oder? Ein verängstigter, fetter alter Mann, der zu schwach ist, um seine eigene Fleischesfülle ohne Suspensorenhilfe zu tragen.«

So unerwartet kamen diese Worte aus dem Mund eines Kindes, dass der Baron sie trotz seines Zorns nur sprachlos anstarrte. Ist das eine Zwergin? , dachte er.

»Mein lieber Baron«, sagte der Imperator, »ich möchte Ihnen die Schwester Muad’Dibs vorstellen.«

»Die Schwester …« Der Baron wandte sich dem Imperator zu. »Ich verstehe nicht.«

»Auch ich bin zuweilen übertrieben vorsichtig«, sagte der Imperator. »Und mir wurde zugetragen, dass es in Ihren unbewohnten südlichen Polarregionen Hinweise auf menschliche Aktivitäten gibt.«

»Aber das ist unmöglich«, sagte der Baron. »Die Würmer … und der Sand bis zum …«

»Diese Menschen gehen den Würmern offenbar aus dem Weg«, sagte der Imperator.

Jetzt setzte sich das Kind vor dem Thron auf das Podest und ließ die Füße herabbaumeln. Die Art, wie sie ihre Umgebung betrachtete, hatte etwas zutiefst Selbstsicheres. Der Baron sah auf die baumelnden Füße, die sich unter der Robe bewegten, die unter dem Stoff aufblitzenden Sandalen.

»Unglücklicherweise«, fuhr der Imperator fort, »habe ich lediglich fünf Truppentransporter mit einer leichten Sturmtruppe eingesetzt, um Gefangene zur Befragung zu machen. Wir hatten Glück, dass wir mit drei Gefangenen und einem Transporter entkommen konnten. Meine Sardaukar wurden beinahe von einer Gruppe überwältigt, die größtenteils aus Frauen, Kindern und alten Männern bestand. Und dieses Kind hier kommandierte eine der Kampfeinheiten.«

»Sehen Sie, Majestät?«, sagte der Baron. »Sehen Sie, wie die sind?«

»Ich habe mich mit Absicht gefangen nehmen lassen«, sagte das Kind. »Ich wollte nicht meinem Bruder gegenübertreten. Ich wollte ihm nicht sagen müssen, dass man seinen Sohn getötet hat.«

»Nur ein paar unserer Männer sind entkommen«, sagte der Imperator. »Entkommen! Haben Sie gehört, Baron?«

»Und die hätten wir auch erwischt«, sagte das Kind, »wäre da nicht das Feuer gewesen.«

»Meine Sardaukar haben die Höhendüsen ihrer Transporter als Flammenwerfer eingesetzt«, sagte der Imperator. »Eine Verzweiflungstat, aber das Einzige, was sie mit ihren drei Gefangenen hat entkommen lassen. Denken Sie sich nur, mein lieber Baron – Sardaukar, die gezwungen sind, vor Frauen, Kindern und alten Männern einen ungeordneten Rückzug anzutreten!«

»Wir müssen mit aller Macht angreifen«, krächzte der Baron. »Wir müssen sie bis auf den letzten …«

»Still!«, donnerte der Imperator. Er rutschte auf seinem Thron nach vorne. »Beleidigen Sie nicht länger meine Intelligenz. Da stehen Sie und tun unschuldig, während …«

»Majestät«, unterbrach ihn die alte Wahrsagerin.

Der Imperator bedeutete ihr mit einem Wink zu schweigen. »Sie sagen, Sie wissen nichts über die Aktivitäten, die wir entdeckt haben, ebenso wenig wie über die Kampfkraft dieses vortrefflichen Volkes.« Er erhob sich halb von seinem Thron. »Für wie dumm halten Sie mich, Baron?«

Der Baron wich zwei Schritte zurück und dachte: Es war Rabban. Er hat mir das angetan. Rabban hat  …

»Und dieser vorgetäuschte Disput mit Herzog Leto«, sagte der Imperator, während er sich wieder auf seinen Thron sinken ließ. »Was für ein schönes Manöver.«

»Majestät«, flehte der Baron. »Was wollen Sie damit …«

»Ruhe!«, blaffte der Imperator.

Die alte Bene Gesserit legte dem Imperator die Hand auf die Schulter und flüsterte ihm etwas ins Ohr.

Das Kind, das auf dem Podest saß, hörte auf, mit den Füßen zu baumeln, und sagte: »Mach ihm noch mehr Angst, Shaddam. Eigentlich sollte man sich nicht über so etwas freuen, aber ich kann mein Vergnügen einfach nicht unterdrücken.«

»Still, Kind«, sagte der Imperator. Er beugte sich vor und legte ihr eine Hand auf den Kopf. Dann sah er den Baron an. »Ist das möglich, Baron? Sind Sie vielleicht wirklich so einfältig, wie meine Wahrsagerin vermutet? Erkennen Sie dieses Kind nicht – die Tochter Ihres Verbündeten, Herzog Leto?«

»Mein Vater war nie mit ihm verbündet«, sagte das Kind. »Mein Vater ist tot, und dieses Harkonnen-Tier hat mich noch nie zuvor gesehen.«

Der Baron konnte sie nur sprachlos anstarren. Als er seine Stimme wiederfand, war sie bloß ein Krächzen. »Wer?«

»Ich bin Alia, Tochter von Herzog Leto und Lady Jessica, Schwester von Herzog Paul-Muad’Dib«, sagte das Kind, stieß sich von dem Podest ab und sprang auf den Boden. »Mein Bruder hat gelobt, deinen Kopf auf seine Standarte zu pflanzen, und ich glaube, das wird er auch tun.«

»Sei still, Kind«, sagte der Imperator. Er legte die Hand ans Kinn und musterte den Baron.

»Ich nehme keine Befehle vom Imperator entgegen«, sagte Alia. Sie blickte zur Ehrwürdigen Mutter auf. »Sie weiß das.«

Auch der Imperator sah zu seiner Wahrsagerin. »Was meint sie damit?«

»Dieses Kind ist eine Abscheulichkeit«, sagte die Alte. »Ihre Mutter verdient die schlimmste Bestrafung seit Menschengedenken. Tod! Er kann dieses Kind und die, die es hervorgebracht hat, gar nicht schnell genug ereilen.« Sie zeigte mit dem Finger auf Alia. »Raus aus meinem Kopf!«

»T-P?«, flüsterte der Imperator. Ruckartig wandte er seine Aufmerksamkeit wieder Alia zu. »Bei der Großen Mutter!«

»Sie verstehen nicht, Majestät«, sagte die Alte. »Keine Telepathie. Sie ist wirklich in meinem Kopf. Sie ist wie diejenigen, die vor mir kamen, diejenigen, die mir ihre Erinnerungen gaben. Sie existiert in meinem Kopf. Sie kann nicht dort sein, aber sie ist es!«

»Welche anderen?«, fragte der Imperator. »Was ist das für ein Unsinn?«

Die Ehrwürdige Mutter straffte sich. »Ich habe zu viel gesagt … Aber es bleibt dabei, dass dieses Kind, das kein Kind ist, vernichtet werden muss. Lange hat man uns vor einer solchen gewarnt und uns gelehrt, wie ihre Geburt verhindert werden kann, doch nun hat uns eine aus unseren eigenen Reihen verraten.«

»Du plapperst wirres Zeug, Alte«, sagte Alia. »Du weißt nicht, wie es war, und trotzdem faselst du vor dich hin wie eine halb blinde Närrin.« Sie schloss die Augen, atmete tief ein, hielt die Luft an.

Die Ehrwürdige Mutter ächzte und taumelte.

Alia öffnete die Augen wieder, atmete aus. »So war es«, sagte sie. »Ein kosmischer Unfall … und du hast deine Rolle dabei gespielt.«

Die Ehrwürdige Mutter streckte beide Hände aus und schob mit den Handflächen die Luft zwischen ihr und Alia von sich weg.

»Was geht hier vor?«, fragte der Imperator. »Kind, kannst du wirklich deine Gedanken in den Kopf eines anderen übertragen?«

»Nein, so ist das überhaupt nicht«, sagte Alia. »Wenn ich nicht als du geboren bin, kann ich auch nicht als du denken.«

»Tötet sie!«, zischte die Alte und umklammerte die Thronlehne. »Tötet sie!« Aus eingefallenen Augen starrte sie Alia an.

»Schweig«, sagte der Imperator und musterte Alia. »Kind, kannst du mit deinem Bruder Verbindung aufnehmen?«

»Mein Bruder weiß, dass ich hier bin«, sagte Alia.

»Sag ihm, dass er aufgeben soll, wenn er dein Leben retten will.«

Alia lächelte und sagte: »Das werde ich nicht tun.«

Der Baron stolperte vor, stellte sich neben Alia. »Majestät«, flehte er, »ich wusste nichts von …«

»Wenn Sie mich noch einmal unterbrechen, Baron«, sagte der Imperator, »dann kostet Sie das die Fähigkeit, jemals wieder jemanden zu unterbrechen.« Er hielt seine Aufmerksamkeit auf Alia gerichtet, betrachtete sie mit zusammengekniffenen Augen. »Das willst du also nicht, was? Kannst du in meinen Gedanken lesen, was ich tun werde, wenn du mir nicht gehorchst?«

»Ich sagte doch bereits, dass ich keine Gedanken lesen kann«, sagte Alia. »Aber man braucht keine Telepathie, um deine Absichten zu erkennen.«

Der Imperator zog eine finstere Miene. »Kind, deine Sache ist hoffnungslos. Ich muss nur meine Truppen zusammenziehen, um diesen Planeten zu …«

»So einfach ist das nicht«, sagte Alia. Sie sah zu den beiden Gildenleuten. »Frag sie.«

»Es ist nicht klug, sich gegen meine Wünsche zu stellen«, sagte der Imperator. »Du solltest dich mir lieber nicht verweigern.«

»Mein Bruder kommt«, sagte Alia. »Selbst ein Imperator muss vor Muad’Dib erzittern, denn er hat die Stärke der Rechtschaffenheit, und der Himmel lächelt auf ihn herab.«

Der Imperator fuhr hoch. »Dieses Schauspiel ist weit genug gegangen. Ich nehme deinen Bruder und diesen Planeten und zermahle sie zu …«

Plötzlich erbebte der Raum, und hinter dem Thron, wo das Metallzelt an das Schiff des Imperators angekoppelt war, strömte Sand hervor. Der aufflackernde Druck, den alle auf der Haut spürten, verriet, dass ein weiträumiger Schild aktiviert worden war.

Alia verschränkte die Arme und blickte den Imperator an. »Ich sagte doch, mein Bruder kommt.«

Der Imperator stand vor seinem Thron und hatte die Hand an den Servoempfänger an seinem rechten Ohr gedrückt, durch den er einen hektischen Lagebericht erhielt. Der Baron trat hinter Alia. Die Sardaukar bezogen hastig an den Türen Stellung.

»Wir ziehen uns ins All zurück und gruppieren uns neu«, sagte der Imperator. »Baron, ich entschuldige mich bei Ihnen. Diese Wahnsinnigen greifen tatsächlich im Schutz des Sturms an. Nun, wir werden sie den Zorn eines Imperators spüren lassen.« Er zeigte auf Alia. »Überlasst ihre Leiche dem Sturm.«

Während der Imperator sprach, wich Alia immer mehr zurück und täuschte Entsetzen vor. »Soll der Sturm haben, was er sich holen kann!«, schrie sie, wirbelte herum und lief in die Arme des Barons.

»Ich habe sie, Majestät«, rief der Baron. »Soll ich sie gleich … aaaaahhhh!« Er schleuderte Alia zu Boden und umklammerte seinen linken Arm.

»Tut mir leid, Großvater«, sagte Alia. »Du hast den Gom Jabbar der Atreides kennengelernt.« Sie stand auf und ließ eine dunkle Nadel fallen.

Der Baron taumelte zurück. Seine Augen traten aus den Höhlen, während er den roten Schnitt in seiner linken Handfläche anstarrte. »Du … du …« Dann kippte er in seinen Suspensoren zur Seite, eine schlaffe Masse Fleisch, die Zentimeter über dem Boden gehalten wurde, der Kopf herabbaumelnd, der Mund offen.

»Diese Leute sind wahnsinnig«, rief der Imperator. »Rasch! Ins Schiff. Wir werden alles auf diesem Planeten …«

Zu seiner Linken sprühten plötzlich Funken. Ein Kugelblitz prallte von der Wand ab und knisterte, als er auf den Metallboden traf. Der Geruch verbrannter Isolierung wogte durch den Selamlik.

»Der Schild!«, rief einer der Sardaukar-Offiziere. »Der Außenschild ist zusammengebrochen! Sie …« Seine Worte wurden von einem metallischen Dröhnen verschluckt, als die Schiffswand hinter dem Imperator bebte und wankte.

»Sie haben unserem Schiff die Schnauze weggeschossen«, rief ein anderer Sardaukar.

Staub wogte durch den Raum, und in seinem Schutz rannte Alia zur Tür.

Hastig winkte der Imperator seine Leute zu einer Nottür, die neben dem Thron im Schiffsrumpf aufschwang. Dann gab er einem Sardaukar, der durch den Staubschleier sprang, ein Handzeichen und rief: »Wir weichen nicht!«

Eine weitere Erschütterung ließ das metallene Zelt erbeben. Die Doppeltür am anderen Ende des Saals wurde aufgeworfen und ließ Flugsand und lautes Geschrei ein. Für einen Moment sah man eine kleine Gestalt in schwarzer Robe gegen das Licht – Alia, die losrannte, um sich ein Messer zu suchen und, wie sie es bei den Fremen gelernt hatte, verwundete Harkonnen und Sardaukar zu töten. Haus-Sardaukar liefen durch den grüngelben Dunst und bildeten einen Halbkreis, um den Rückzug des Imperators zu schützen.

»Retten Sie sich, Sire!«, rief ein Sardaukar-Offizier. »Ins Schiff!«

Doch der Imperator stand allein auf seinem Podest und deutete auf die Tür. Ein vierzig Meter langes Stück des Metallzeltes war weggerissen worden, und nun tobte direkt vor dem Selamlik der Sandsturm. Eine tief hängende Staubwolke wehte aus der pastellfarbenen Ferne heran, statische Blitze fuhren knisternd aus der Wolke, und im Zwielicht sah man, wie Schilde aufleuchteten und erloschen, als der elektrisch geladene Sturm sie kurzschloss. Kämpfende Gestalten wogten über die Ebene – Sardaukar und springende, wirbelnde Krieger, die aus dem Sturm herabzufallen schienen. All das bildete den Rahmen um das, worauf der Imperator zeigte.

Denn noch etwas anderes trat aus dem Sturm – eine Formation sich hoch erhebender Halbrunde mit speichenförmig angeordneten Kristallzähnen darin, die sich als klaffende Sandwurmmäuler entpuppten. Es war eine ganze Wand dieser Geschöpfe, und auf jedem einzelnen ritten Fremen. Ihre Umhänge flatterten im Wind, als die Würmer durch das Gefecht in der Ebene schnitten. Immer näher kamen sie auf das Lager des Imperators zu, und zum ersten Mal in ihrer Geschichte sahen sich die Sardaukar einem ganz und gar unbegreiflichen Angriff gegenüber.

Doch die Gestalten, die von den Würmern absprangen, waren Menschen, und ihre Klingen, die im unheilvollen gelben Licht aufblitzten, waren etwas, dem sich die Sardaukar stellen konnten. Also warfen sie sich ins Gefecht und kämpften auf der Ebene von Arrakeen Mann gegen Mann, während die Sardaukar-Leibwache den Imperator ins Schiff zurückdrängte, das Schott hinter ihm verschloss und sich darauf vorbereitete, für ihren Gebieter zu sterben.

In der relativen Stille des Schiffsinneren sah der Imperator die aufgerissenen Augen seiner Höflinge, die vor Anstrengung geröteten Wangen seiner ältesten Tochter, die ausgezehrte Miene seiner alten Wahrsagerin, die mit ihrer Kapuze wie ein schwarzer Schatten dastand, und fand schließlich die Gesichter, die er suchte – die der beiden Gildenleute. Sie trugen das schmucklose Gildengrau, was zu der Ruhe passte, die sie trotz der Panik um sie herum bewahrten.

Der größere der beiden hielt sich eine Hand ans linke Auge, und während der Imperator ihn betrachtete, stieß jemand gegen den Arm des Gildenmanns, und das Auge kam zum Vorschein. Der Mann hatte eine seiner Tarnlinsen verloren, und nun sah man, dass seine Augen tiefblau, beinahe schwarz waren. Und dass kein Weiß in ihnen war.

Der kleinere der beiden drängelte sich zum Imperator durch und sagte: »Wir können nicht voraussehen, wie die Sache ausgehen wird.« Und der größere, der sich wieder die Hand vor das Auge hielt, fügte hinzu: »Aber dieser Muad’Dib kann es ebenfalls nicht.«

Die Worte rissen den Imperator aus seiner Benommenheit. Mit sichtlicher Mühe unterdrückte er eine verächtliche Antwort – es brauchte nicht die außerordentliche Konzentration eines Gildennavigators, um vorauszusehen, was die unmittelbare Zukunft dort draußen auf der Ebene bringen würde. Waren diese beiden so abhängig von ihren besonderen Fähigkeiten, dass ihnen der Gebrauch ihrer Augen und ihres Verstands abhandengekommen war?

Der Imperator wandte sich seiner Wahrsagerin zu. »Ehrwürdige Mutter, wir brauchen einen Plan.«

Die Alte schob sich die Kapuze aus dem Gesicht und sah dem Imperator, ohne zu blinzeln, in die Augen. In dem Blick, den sie wechselten, lag völliges Einverständnis. Ihnen war nur noch eine Waffe geblieben: Heimtücke.

»Lassen Sie Graf Fenring kommen«, sagte die Ehrwürdige Mutter.

Der Padischah-Imperator nickte und bedeutete einem seiner Sekretäre mit einem Wink, der Anweisung Folge zu leisten.