Seltsame Allianzen
Ich muss den Magier sprechen, den ihr in Rüstringen erwähnt habt. Diesen Magister Eulertin!« Tandarin schleppte sich zur Liege im Innenraum seines Wagens und ließ sich mit schmerzhaftem Stöhnen darauf nieder. »Ihr spracht doch davon, dass er sich in Hammaburg aufhält.«
Fi starrte den Puppenmacher fassungslos an. Tandarin war grässlich entstellt. Brandblasen lugten unter den Bandagen an Kopf und Händen hervor, Teile seines Haars waren verbrannt und die Augen waren rot umrandet. Es war ein Wunder, dass sich der Elf überhaupt noch auf den Beinen halten konnte.
»Nach allem, was in Rüstringen geschehen ist, hast du den Mut, hier aufzutauchen?«, zischte Fi wütend.
»Sieh mich an«, ächzte Tandarin. »Ich bin mehr Kohle als Fleisch. Also hör auf mit deinen selbstgefälligen Reden. Alles, was mich noch am Leben hält, ist der Wunsch nach Rache!«
»Wie bin ich hierhergelangt?«, fragte Fi. »Was war das eben?«
»Ein kleiner Trick«, keuchte Tandarin. »Du bist hier, weil ich dich brauche. Also, bringst du mich jetzt zu diesem Magier, oder nicht?«
»Dieser Magier ist bereits hier«, ertönte Eulertins Stimme. Der Däumling kletterte aus Fis Jackentasche und Tandarin blickte ihn überrascht an. »Was? Der berühmte Magister Eulertin ist ein Däumling?« Er lachte heiser und stöhnte anschließend vor Schmerzen. »Ehrlich gesagt habe ich mir den Anführer des Hermetischen Ordens von den vier Elementen anders vorgestellt.«
»Ihr wisst von dem Orden?«, kam es böse zurück. »Woher?«
Fi hatte keine Ahnung, wovon die beiden sprachen. Doch Eulertin hielt seinen Zauberstab direkt auf Tandarin gerichtet.
»Soll das jetzt eine Drohung sein?« Der Puppenmacher lachte. »Besser Ihr macht Euch nicht lächerlich, kleiner Kollege. Denn wenn ich Euch so ansehe, würde ich sagen, dass Ihr im Augenblick nicht einmal einem Albenschmetterling etwas antun könntet. Allerdings hoffe ich doch sehr, dass diese Schwäche nur vorübergehender Natur ist.«
»Ich wurde umfassend über Euch unterrichtet«, antwortete der Däumling, ohne auf die Bemerkung einzugehen. »Ihr seid ein Schattenpaktierer!«
»Und Ihr ein Blender!«, kam es giftig zurück. »Oder ist es in Halla bekannt, dass Ihr mit einer Gargyle im Bunde steht? Ich wette, der Stadtmagister Hallas würde Euch versteinern lassen, sollte Euer kleines Geheimnis je bekannt werden.«
Der Däumling fixierte den Elf, ohne eine Miene zu verziehen. »Noch einmal: Woher wisst Ihr von dem Orden?«
»Ich bin alt genug, um der Großvater Eures Großvaters zu sein.« Tandarin hustete krampfhaft und wischte sich mit den Bandagen Blut vom Mundwinkel. Fi empfand jetzt fast Mitleid mit ihm. Der Puppenmacher kam wieder zu Atem und sah mit tränenden Augen auf. »In Magierkreisen seid Ihr immerhin so etwas wie eine Berühmtheit. Außerdem gibt es nur wenige, die sich den Schrecken der alten Zeiten so erfolgreich widersetzt haben wie Ihr. Oder glaubt Ihr etwa, dass mir Eure Taten entgangen wären?«
»Wenn Ihr die Schattenkriege tatsächlich miterlebt habt«, erwiderte Eulertin unbeeindruckt, »habt Ihr der Magierschaft Hallas Rede und Antwort zu stehen.«
»Ich bin nicht hier, um Euren närrischen Kollegen den Tag zu vertreiben«, keuchte Tandarin. »Ich bin gekommen, um Euch dabei zu helfen, Morbus Finsterkrähe zu stellen.«
Einen Augenblick herrschte Stille im Wagen. »Und wie wollt Ihr das anstellen?«, fragte der Däumling schließlich. »Ihr wirkt im Augenblick ebenfalls nicht so, als könntet Ihr einem Albenschmetterling etwas zuleide tun. Und ich bin mir ziemlich sicher, dass Eure Schwäche dauerhafter Natur ist.«
»Sehr witzig.« Tandarin verzog angestrengt die Lippen. »Und was, wenn ich einen Weg kenne, um Finsterkrähe in die Suppe zu spucken?«
»Ist er denn in der Stadt?«
»Zumindest war er es. Etwa bis heute Mittag.« Tandarin deutete zittrig zu einer verkohlten Marionette, die auf dem Werktisch lag. »Das ist die magische Puppe, die ich einst von ihm angefertigt habe. Leider war unser törichter Freund hier so schlau, sie ins Feuer zu werfen.« Seine geröteten Augen richteten sich auf Fi. »Dennoch haftet an ihr ein Rest Magie. Ich kann spüren, wenn sich Finsterkrähe in der Nähe aufhält. Bis vor ein paar Stunden war das noch der Fall. Wir können die Puppe jedoch nicht mehr gegen ihn einsetzen. Und mir bleibt auch nicht die Zeit, eine neue anzufertigen.«
»Wieso? In Rüstringen ging das doch auch ganz schnell«, blaffte ihn Fi an. »Oder hast du die Sache mit Dystariel vergessen?«
»In Rüstringen besaß ich eine Gliederpuppe, die bereits fast fertig war.« Abermals hustete der alte Elf Blut und sein Atem ging stoßweise. »Jetzt besitze ich nicht einmal mehr meine Schnitzmesser aus Mondsilber – und das habe ich nur dir zu verdanken!«
Fi schwieg. Stattdessen meldete sich Magister Eulertin wieder zu Wort. »Und wie wollt Ihr uns helfen?«
»Was, wenn ich Euch den wahren Namen des Hexenmeisters verrate?«
»Wie bitte, Ihr kennt den Namen doch?« Magister Eulertin ließ den Zauberstab sinken und Fi hörte die Überraschung im Tonfall des Winzlings. »Finsterkrähe ist einer der wenigen Akademieabgänger, die bei ihrer Einschreibung an der Universität ihren wahren Namen verheimlichen konnten. Angeblich habe man ihn Morbus Finsterkrähe gerufen, seit er denken könne.«
»Eine Lüge«, ächzte Tandarin.
»Warum wollt Ihr ihn ausgerechnet mir verraten?«, fragte Eulertin lauernd.
»Schaut mich doch an«, ächzte der Elf. »Außerdem weiß ich um die Macht, mit der Euch die Universität Hallas ausgestattet hat. Ihr habt die Möglichkeit, Finsterkrähe auf eine Weise zu richten, die ganz nach meinem Geschmack wäre.«
»Sprecht Ihr von der Erzenen Verdammung?«
»Allerdings. Mit dieser Methode bestraft doch die Universität Verräter, die gegen die Regeln der Fakultät verstoßen, habe ich Recht?«
»Was ist eine ›Erzene Verdammung‹?«, wollte Fi wissen.
»Ein Zauberfluch, mit dem man einen abtrünnigen Magier versteinern kann«, antwortete der Däumling, bevor er sich wieder dem Puppenmacher zuwandte. »Doch dazu muss man den wahren Namen des Betreffenden kennen.«
»Ach, kommt schon«, schnaubte Tandarin. »Wenn ich Euch den wahren Namen verrate, habt Ihr einen noch viel größeren Trumpf in der Hand. Ihr könnt mit seiner Hilfe jeden gegen Morbus gerichteten Zauber verstärken. Und das werdet Ihr bitter nötig haben. Die Nebelkönigin hat Finsterkrähe mit Kräften ausgestattet, die den Euren weit überlegen sein dürften. Nicht einmal ich kam dagegen an, wie Ihr deutlich an meinem Zustand erkennen könnt.«
»Ich müsste dazu aber erst einmal an ihn herankommen.«
»Wenn das einer schafft, dann Ihr!« Tandarin stöhnte.
Fi wollte dem Däumling aus ihrer Jackentasche heraushelfen, doch der hatte inzwischen einen Teil seiner Kraft wiedererlangt. Mit seinem Zauberstab winkte er einen Stofffetzen heran, stellte sich darauf und schwebte wie auf einem winzigen fliegenden Teppich ganz nah an Tandarin heran. Der Puppenmacher beugte sich etwas vor und flüsterte Eulertin den Namen zu. Fi ärgerte sich, da sie nichts verstand, während sich der Däumling entschlossen aufrichtete. »Ich hoffe, das ist kein Trick, Puppenmacher.«
»Sehe ich so aus, als hätte ich noch die Muße für Spielereien?« Tandarin berührte verärgert den Kopfverband. »Jetzt müssen wir nur noch in Erfahrung bringen, wo Finsterkrähe steckt.«
»Und wie?«, mischte sich Fi ein.
»Indem Ihr mir helft, seine Fährte aufzuspüren.« Tandarin erhob sich mit schmerzverzerrter Miene. »Finsterkrähe versteht sich ebenfalls auf den Bau magischer Marionetten. Ich habe es ihm beigebracht. So wie ich von ihm, hat er von mir eine Puppe angefertigt. Seit er mir bei seiner Abreise nach Halla die Schelmenmaske geraubt hat, belauern wir einander.«
»Und warum habt Ihr Euch nicht während seiner Ausbildungszeit in Halla zurückgeholt, was Euch gehörte?«, fragte der kleine Magister.
Tandarin lachte böse. »Weil das Gelände der Universität magisch abgeschirmt ist. Finsterkrähe war dort vor mir sicher. Er musste sich erst wieder vor mir hüten, als er von dort weggegangen war.«
»Und weiter?«
»Die Marionetten büßen nach einiger Zeit ihre Kraft ein«, fuhr der Puppenmacher fort. »Man muss sie erneuern. Doch dazu braucht man das Holz der Golderle. Diese Bäume sind überaus selten und die wenigen Eingeweihten halten ihre Standorte geheim. Golderlen wachsen ausschließlich an Orten, an denen sich die magischen Energien im Fluss befinden.«
»In den Einhornwäldern Albions kommt diese Baumart häufig vor«, sagte Fi.
»Das ist längst vorbei«, schnaubte der alte Elf. »Mit der Zerstörung Lunamons sind auch die Golderlen verdorrt. Hier auf dem Kontinent wachsen sie fast ausschließlich in den unzugänglichen Elfenwäldern und in Jada’Maar. Eine einzelne Golderle gab es allerdings auch in Hammaburg. Sie stand drüben auf der anderen Flussseite auf einem Hügel nahe dem Schmugglerviertel.« Fi ahnte, von welchem Ort der Puppenmacher sprach. »Ich habe mich dort einige Male an den Ästen bedient. Vor einigen Tagen habe ich jedoch herausgefunden, dass der Baum gefällt wurde. Das war der Grund, warum ich den Weg nach Jada’Maar antreten musste.«
»Um aus dem Holz die Marionette des Geigers zu fertigen?«, hakte Fi nach.
»Beim Traumlicht«, höhnte Tandarin, »aus dir spricht die Weisheit unseres ganzen Volkes. Viel wichtiger ist doch aber die Frage, warum jemand außer mir Interesse an Golderle hat und dann auch noch einen ganzen Baum abholzt. Ich wollte der Sache nach dem Gauklerwettstreit nachgehen. Dabei ahnte ich schon, dass dafür nur einer infrage kommt: Morbus Finsterkrähe!«
»Und konntet Ihr ihn aufspüren?«, fragte Eulertin erregt.
»Fast«, stöhnte Tandarin. »Tatsächlich war für die Abholzung des Baums eine Hammaburger Zauberin verantwortlich. Ihr Name lautet Alpme Somnia. Sie unterhält hier in der Windmachergasse ein Geschäft.«
So hieß also die Gasse, zu der Fi durch Tandarins seltsamen Zauber geführt worden war. »Und welches?«, wollte sie wissen. »In dieser Gasse wimmelt es von Zaubergeschäften.«
»Natürlich, denn gemäß der Hammaburger Zunftordnung müssen sich alle Magier in der Windmachergasse niederlassen«, erklärte ihr der Däumling. »Eine Ausnahme bilden lediglich die Betreiber der magischen Wetterwarte.«
»So ist es«, stöhnte Tandarin. »Alpme Somnia arbeitet als Traumhändlerin. Nur dass sie nebenbei auch noch mit seltenen und verbotenen Zauberutensilien handelt. Ihr Geschäft befindet sich schräg gegenüber vom Haus des Zunftmeisters der Wahrsager und Windmacher.«
»Sieh an«, sagte Eulertin. »Der seltsame Laden ist mir gestern schon aufgefallen, als ich Magister Gismo besuchte. Der Zunftmeister der hiesigen Magierschaft steht ja leider unter Hausarrest.« Fi sah auf, denn der Däumling sprach offenbar von dem Bewohner jenes Gebäudes, das von den Gardisten bewacht wurde. Sie fragte sich jedoch, ob das für einen Magier ausreichend war.
»Ich glaube kaum, dass Magistra Somnia die Golderle zum eigenen Bedarf fällen ließ«, meinte Tandarin und in seine Augen stahl sich ein gefährliches Funkeln. »Fragt sie, wohin sie das Holz geschafft hat. Ich verwette meinen Stab darauf, dass euch die Antwort zu Morbus Finsterkrähe führt.«