Joss liegt auf Nanas Sofa und lacht. Ich sitze mit angezogenen Knien im Ohrensessel und bin mir nicht sicher, ob ich mitlachen oder heulen soll.
»Diese Geschichte ist einfach nur absurd. Bitte erzähl sie noch mal.«
Mit einem halbherzigen Grinsen schüttele ich den Kopf. »Bestimmt nicht. Das alles ist peinlich genug.«
»Sie hat sich echt einfach vor ihm ausgezogen?«
»Offenbar schon.« Ich lehne den Kopf zurück und lasse das Zimmer auf mich wirken. Das hier war immer Nanas Platz. Aus dieser Perspektive hat sie mich auf dem Sofa sitzen sehen und mir zugehört, während ich von der Uni erzählte. Ihre blau-grün karierte Wolldecke liegt noch auf der Armlehne. Obwohl es warm im Zimmer ist, ziehe ich sie über meine Knie. Aus diesem Blickwinkel wirkt der Raum irgendwie noch gemütlicher. Er ist vollgestellt mit einem Sammelsurium alter Kommoden und Tischchen. Auf den meisten stehen Obstschalen und Leuchter, die Nana gesammelt hat. Die Chesterfield-Sessel tragen Kissen mit Blumenbezügen. Das Muster wird von der Tapete aufgegriffen. Das blaue und cremefarbene Streifenmuster des Biedermeier-Sofas, auf dem Joss sich ausgestreckt hat, passt nicht dazu, aber genau das macht den Charme des Zimmers aus. Mir fällt auf, dass die zahlreichen Fotos an den Wänden vor allem meine Mum und mich zeigen, und ich beschließe, als erste Änderungsmaßnahme, Fotos von Nana hinzuzufügen.
Mit einem Seufzen kehre ich zum Gespräch mit der noch immer giggelnden Joss zurück: »Den Prozess des Entkleidens habe ich nicht beobachtet. Da war ich noch im Bad. Ich habe nur das Ergebnis festgestellt.«
»Die muss schon wahnsinnig abgebrüht sein.« Joss dreht den Kopf, um mich anzusehen.
Ich hebe die Schultern. »Dir würde ich es ehrlich gesagt auch zutrauen. Hast du nicht einen Striptease für Damien hingelegt, als ihr euch noch gar nicht lange kanntet?«
Lachend wirft Joss ein Kissen, das mich großräumig verfehlt und stattdessen beinah eine Vase von der Kommode schräg hinter meinem Sessel fegt. »Immerhin hatte sich währenddessen keine andere Frau im Bad versteckt. Zumindest nicht, dass ich wüsste.«
Mit ihrem unbeschwerten Lachen steckt sie mich an und ich liebe, dass ihr das sogar in einer Situation wie dieser gelingt.
»Und sie hatte allen Ernstes den Schlüssel in ihrem BH versteckt?«
Erneut muss ich grinsen. »Sie musste ihn daraus hervorkramen, damit ich rauskonnte.«
Schon wieder kichert Joss los. »Damien wird mir das nie glauben.«
Ich gebe ein Stöhnen von mir. »Könntest du Damien einfach nicht davon erzählen? Er wird das alles für den Witz des Jahrtausends halten und mich für immer damit aufziehen. Dafür habe ich gerade gar keine Nerven.«
»Oh, na gut.«
Ich glaube, Joss ist ein bisschen verletzt, aber ihre Befindlichkeiten stehen auf meiner Prioritätenliste gerade nicht ganz oben. Dort thront mein gebrochenes Herz. Vielleicht ist das egoistisch, aber andererseits ist Joss nicht hergekommen, um sich über mich lustig zu machen. Jedenfalls nicht nur. Vor allem wollte sie mich trösten, hat sie gesagt. Doch seit ich sie über die genaueren Umstände meiner Flucht von den Harrisons informiert habe, sieht sie vor allem die Komik an der ganzen Sache. Ich glaube, sie hat keine Ahnung, dass es sich anfühlt, als sei mein ganzer Brustkorb geflutet von den toxischen Wassern eines Strudels, in den ich geraten bin.
Joss setzt sich auf und mustert mich einen Moment lang. »Aber so wie ich das sehe, ist Charlotte diejenige, die sich lächerlich gemacht hat.«
»Das fühlt sich für mich nicht so an. Charlotte wollte erreichen, dass ich verschwinde. Das hat sie geschafft.«
»Vielleicht hättest du nicht gehen sollen?«
»Aber was hätte noch passieren müssen? Erst schläft Liam mit mir, knutscht dann mit Charlotte herum und erklärt mir, er sei verwirrt gewesen. Dann stehe ich im Nachthemd seiner Grandma vor ihm und sage ihm, dass ich in ihn verliebt bin. Im nächsten Moment liegt Charlotte nackt auf seinem Bett und er überlegt, wie er seinen Schlüssel aus ihrem BH bekommen soll.«
Ich sehe genau, dass Joss sich schon wieder ein Lachen verbeißen muss. Rasch greift sie nach einem der Marmeladen-Haselnuss-Kekse, die ich am Vormittag gebacken habe.
»Liam und Nelson haben sich geprügelt, alle anderen haben auf die beiden eingeschrien und was hätte ich machen sollen? Welche echte Freundin wäre denn noch dageblieben und hätte so getan, als wäre alles in Ordnung?«
Joss hebt die Schultern. »Männer schätzen solche Situationen immer falsch ein. Du darfst nicht vergessen, dass eine nahezu nackte Frau vor Liam stand. Wie sollte er da noch klar denken? Wer weiß, was Damien getan hätte.«
Ich glaube es mir in etwa vorstellen zu können, sage aber nichts. »Du willst mir aber nicht erzählen, dass du es in Ordnung gefunden hättest, wenn Damien in Charlottes BH nach dem Schlüssel gesucht hätte.«
»Natürlich nicht. Aber ich hätte Charlotte auch nicht das Feld überlassen. Warum hast du sie nicht rausgeschmissen? Wenn du wirklich Liams Freundin wärst, hättest du doch das gemacht.«
Ich ziehe die Knie dichter an den Körper. »Ich habe mich gedemütigt gefühlt. Sie hat immer nur gesagt, das zwischen Liam und ihr sei nicht vorbei, und ich habe ihn kein einziges Mal widersprechen hören. Wie armselig sieht das denn aus, wenn ich mich trotzdem an ihn klammere? Und außerdem habe ich dieses Freundinnen-Ding einfach nicht drauf.«
»Warum hast du ihm auch in diesem dämlichen Nachthemd eine Liebeserklärung gemacht?«
»Ich weiß nicht.« Gequält vergrabe ich mein Gesicht in meinen Händen und raufe mir die Haare. »Es ist plötzlich aus mir herausgeplatzt und ich hatte das Ding halt noch an.«
»Aber warum auf einmal?« Joss streicht sich ihre blonden Locken zurück und blickt mich so intensiv aus ihren swimmingpoolblauen Augen an, als versuche sie, das Wirrwarr in meinen Synapsen zu entschlüsseln. »Ich dachte, du hattest vor, dich nicht auf ihn einzulassen, weil du wusstest, dass er nicht frei ist. Und das Nächste, was ich höre, ist, dass du mit ihm geschlafen hast. Nur, damit dann passiert, was du die ganze Zeit vermutet hast – nämlich, dass er mit seiner Ex knutscht. Und trotzdem erzählst du ihm kurz darauf, du seist verliebt?«
»Ja, ich weiß«, jammere ich. »Es war das totale Chaos.« Umso mehr plagen mich Gewissensbisse. Denn Fakt ist: Charlotte ist ohne Einladung bei Liam aufgetaucht und er hat sie zumindest gebeten zu gehen. Nelson habe ich jedoch in dem Glauben gelassen, die beiden seien gleichermaßen übereinander hergefallen und ich nur versehentlich dazwischengeraten. Ich habe Liam mit seinem durchdrehenden Bruder, seiner hintertriebenen Ex-Freundin und dem Rest seiner aufgebrachten Familie alleingelassen.
»Hat Liam deine Liebeserklärung denn irgendwie erwidert?«, unterbricht Joss meine Gedanken.
Ich schüttele nur den Kopf. Mir ist klar, dass er keine Chance dazu hatte, weil ich so schnell im Bad verschwunden bin. Allerdings hat er es unbestreitbar nur Minuten nach meiner Liebeserklärung nicht geschafft, Charlotte mit ein paar klaren Worten abzuweisen. Offensichtlich ist er nach wie vor verwirrt.
Mit einem Seufzen zieht Joss ihre Beine in einen Schneidersitzt und sieht mich mitfühlend an. »Du weißt, ich hatte Angst, dass du dein Herz an Liam verlieren würdest. Er ist eine andere Liga.«
»Bitte?« Ärgerlich blicke ich auf. »Was soll das heißen?«
Sie wirft mir einen schrägen Blick zu. »Das weißt du doch selbst. Deine Poeten konnten optisch nicht annähernd mit Liam mithalten. Mir ist natürlich klar, dass bei dir die intellektuellen Fähigkeiten eines Mannes immer Vorrang haben.« Sie verdreht die Augen. »Aber du hast nun mal auch einen Körper mit einer Meinung. Und Liam ist literarisch vielleicht nicht sonderlich gebildet, aber kein Blödmann. Obendrein hat er mehr Charme, als für einen Nerd erlaubt sein sollte.«
»Jaja, du musst mir seine Vorzüge nicht aufzählen, die habe ich schon bemerkt.« Hilflos hebe ich die Schultern. »Dass so etwas passiert, war der Super-GAU dieses Weihnachten. Aber jetzt muss ich irgendwie damit klarkommen.«
»Das ist ja vielleicht auch was Gutes.« Joss, die notorische Optimistin, hat anscheinend irgendeinen Vorteil erspäht. »Immerhin hast du auch den besten Orgasmus deines Lebens in dieser Woche gehabt. Erinnere dich doch lieber an dieses Gefühl statt an das Chaos danach.«
Manchmal denke ich, Joss ist vor allem deshalb meine beste Freundin geworden, weil sie Dinge sagt, die auch von meiner Mum sein könnten. Ich weise lieber nicht darauf hin, dass ich mich nicht an die Höhenflüge erinnern will. Denn die körperlichen schwemmen unweigerlich die seelischen Höhepunkte an die Ufer meiner Erinnerung – den Spaziergang durch South Kensington, Liams Begeisterung für sein Nerd-Freundinnen-Videospiel und an sein Geschenk für mich, das ich einfach in seinem Zimmer habe stehen lassen. Ich bin verloren und kann nur hoffen, dass ich in zwei Tagen auf der Piste angesichts des rutschigen Abgrunds vor meinen Füßen einfach andere Sorgen haben werde. Aber wird mich das retten können? Oder werde ich einfach zusätzlich zu meinem gebrochenen Herzen ein paar gebrochene Knochen davontragen?
»Febe, jetzt schau nicht so trübe.« Joss ergreift meine Hand und schlenkert meinen Arm herum, als könne sie mich aus meiner Liebeskummerstarre aufwecken. »Pass auf, du ziehst dir jetzt was Schickes an und kommst mit mir. Ich hab Tickets fürs West End.«
Stöhnend mache ich mich von ihr los und ziehe mir die Decke über meinen Kopf. »Verschone mich, Jo. Morgen Nachmittag fahren wir in den Urlaub und dann kannst du mich eine ganze Woche lang mit deinen Ratschlägen bombardieren. Bis dahin will ich mir in Ruhe überlegen, warum ich keinen Liebeskummer haben muss.«
»Blödsinn!« Joss zieht mir die Decke herunter. »Das ist ein typischer Febe-Gedanke und er funktioniert nicht. Mein Job als beste Freundin ist, dich nicht hier versiffen zu lassen. Denn den Gefallen können wir weder Charlotte noch Liam tun. Jemand, der nicht um dich kämpft, hat dich doch gar nicht verdient. So musst du das sehen. Los, komm schon.«
»Wolltest du die Show nicht mit Damien sehen?«
»Damien hat sowieso keine Lust.«
Ich schüttele den Kopf und halte die Decke eisern fest. »Ich muss morgen früh raus und Hamlet in die Pension bringen.«
»Kannst du ihn nicht heute schon abgeben?«, schlägt Joss vor. »Dann übernachten wir bei Damiens Familie.«
Himmel! Das ist das Letzte, was ich will. Im schlimmsten Fall hat Liam ihm schon in sämtlichen Details von meinem Abgang berichtet und er erwartet mich mit seinem zu breiten Grinsen, dummen Kommentaren und dreckigen Sprüchen.
»Man kann einen Hund nicht einfach früher abgeben«, erkläre ich. »So eine Pension ist ausgebucht wie das Savoy . Und auch so teuer. Nur die Atmosphäre entspricht eher einer Gefängniszelle.« Ich beuge mich vor, um Hamlets Kopf zu kraulen. Es bricht mir schon jetzt das Herz, ihn dort abzugeben.
»Vielleicht kann er bei Damiens Eltern bleiben. Ich kläre das gleich mal.« Schon hat Joss ihr Telefon in der Hand.
»Jo«, halte ich sie auf, »ich hab einfach keine Lust, andere Leute zu sehen und auch noch mit ihnen reden zu müssen.«
»Febe.« Ernst sieht Joss mich an. »Das kann nicht dein Ernst sein.«
»Ich habe eine Woche Harrisons hinter mir.« Beinah trotzig erwidere ich ihren Blick.
»Das Schlimme an der Einsamkeit ist, dass sie dich immer einsamer macht«, belehrt mich Joss. »Je isolierter du bist, desto mehr isolierst du dich, weil du eine Art soziale Angst entwickelst. Dabei musst du durch den Sex mit Liam und die Hormone doch eigentlich voller Energie sein. Die solltest du für einen Neuanfang nutzen.«
»Ja, und damit fange ich gleich morgen an«, verspreche ich ihr. »Für heute hat meine Bruchlandung den Hormonen erst mal einen Dämpfer verpasst.«
»Nein, sofort. Je mehr man sich in Liebeskummer hineinsteigert, desto schlimmer wird er. Komm schon.« Joss springt vom Sofa und zerrt schon wieder an meinem Arm. »Wir suchen dir ein schickes Outfit. Die Show soll der Hammer sein – eine Art Christmas-Musical-Medley. Corie Michaels spielt die Hauptrolle und sie ist der absolute West-End-Superstar.«
Das Klingeln meines Telefons rettet mich für den Moment vorm Aufstehen. Sofort bekommt Joss runde Augen.
»Ist er das etwa?«
»Wie kommst du darauf?« Das Klingeln dringt irgendwo aus den Tiefen des Ohrensessels und ich mache mich auf die Suche danach.
»Wer soll dich sonst anrufen? Dein Telefon klingelt nie, wenn ich dich nicht anrufe.«
Damit hat sie zwar recht, aber sonderlich nett finde ich es nicht, dass sie mich so unverblümt darauf hinweist.
»Er ist es nicht.« Ich ziehe das Telefon unter einem Kissen hervor und halte es ihr hin. Unbekannte Nummer.
»Geh dran«, fordert sie mich eifrig auf.
Noch einmal blicke ich auf das Display, aber die Nummer sagt mir tatsächlich nichts. Von einem Neujahrs-Werbeanruf des Heimtierversands bis zu Liam, der sich ein fremdes Telefon geliehen haben könnte, ist alles möglich.
»Hallo?«
»Hey, Febe.« Das ist Matt. »Wie geht es dir?«
»Matt«, rufe ich überrascht. »Hat Liam dir meine Nummer gegeben?« Ich will überhaupt nicht so verstockt klingen. Aber mein Herz schlägt plötzlich wie gegen einen Widerstand in meinem Brustkorb.
»Gewissermaßen.« Matt zögert. »Also, ehrlich gesagt habe ich mir sein Telefon geliehen und deinen Kontakt kopiert. Er weiß nicht, dass ich dich anrufe. Entschuldige.«
»Nein, nein, ist schon in Ordnung.«
»Anscheinend habt ihr nur gewartet, bis ich aus dem Haus war, um die Sache eskalieren zu lassen. Warum durfte ich nicht dabei sein?«
Wider Willen muss ich lachen – wenn es auch bitter klingt. »Das musst du Charlotte fragen. Ich würde behaupten, dass sie diesen Zeitpunkt gewählt hat.«
»Dann hat Liam sie also nicht mit seinem charmanten Lächeln und seinen Geschichten von früher in sein Zimmer gelockt und ist dort über sie hergefallen?«
»Was?«
»Charlotte war komplett verwirrt. So ungefähr hat sich das Drama abgespielt, wenn man ihr glaubt«, erklärt Matt.
Verwirrt. Schmerzhaft zieht sich mein Brustkorb zusammen. Dieses bösartige, wankelmütige Wort der Unsicherheit und Entscheidungsangst – schon wieder!
»Nelson und sie sind übrigens abgereist«, informiert mich Matt. Ich vermute, das bedeutet, Nelson glaubt ihr – wahrscheinlich einfach, weil er es will. Dann kann dem armen Mann aber auch wirklich niemand helfen.
»Keiner sagt mir, was sich wirklich zugetragen hat«, jammert Matt.
»Rufst du mich deshalb an?« Schon wieder muss ich zumindest grinsen.
»Nein, nein. Ich wollte nur hören, wie du zurechtkommst.«
Ich antworte nicht sofort. Soll ich Liams jüngerem Bruder verraten, dass ich zu Hause hocke und mich nicht mal von meiner besten Freundin aus meinem Liebeskummer-Selbstmitleid-Nebel führen lassen will?
»Das sagt wohl alles«, meint Matt schließlich. »Und heißt wahrscheinlich, dass Liam nicht bei dir war, oder?«
»Nein, natürlich nicht.«
»Nachdem seine Nase aufgehört hat zu bluten, saß er ein paar Stunden lang vor seinem Rechner. Irgendwann ist er mit den Worten verschwunden, er müsse in die Firma, und seither hat niemand mehr etwas von ihm gehört.«
Der Widerstand in meinem Inneren wird nachdrücklicher. Ich will das nicht wissen. Ich will nicht wissen, dass Liam wieder in Oxford ist – ob nun in der Firma oder sonst wo. Ich drücke mir die freie Hand auf meinen Brustkorb. Ich will nichts fühlen. Mit einem Finger fahre ich das Muster der Rosen auf dem Kissenbezug nach. Das hat Nana immer gemacht. Der Stoff ist verblichen.
»Ich würde ihn übrigens nehmen«, sagt Matt plötzlich.
»Wen? Liam?« Irritiert halte ich inne.
»Nein! Hamlet natürlich.« Matt lacht leise. »Du fährst doch zum Skifahren. Und ich dachte, Hamlet würde solange bei Liam bleiben. Falls er nicht mehr auf ihn aufpassen will, kannst du ihn zu mir bringen.«
»Ehrlich?« Ich blicke zu Hamlet, der sacht mit der Rute auf den Teppich klopft, als ich ihn ansehe.
»Klar, auf jeden Fall.«
Schlagartig treffe ich eine Entscheidung. »Kann ich ihn dir heute Abend bringen? Ich gehe mit meiner Freundin Joss in eine West-End-Show.«
»Ja!« Mit einem unterdrückten Jubeln reißt Joss die Arme in die Höhe und sieht mich strahlend an.
»Ich bin zu Hause. Bring Hamlet jederzeit her.« Matt gibt mir seine Adresse in Bexley und wir verabschieden uns.
Kaum habe ich das Gespräch beendet, fällt Joss mir um den Hals. »Ich freue mich, Febe. Ich rufe gleich Damien an. Und ja, versprochen, ich sage ihm nichts von dieser ganzen Sache.« Hektisch springt sie auf.
Etwas mühsam rappele ich mich aus dem Ohrensessel hoch und steige langsam die knarrenden Stufen zu meinem Zimmer hinauf. Ich will meine Sachen neu packen. Das Kleid will ich jedenfalls aussortieren – das Kleid, in dem ich mit Liam getanzt habe.
Oben im Haus ist es still. Fakt ist, dass die Einsamkeit nicht nur ein Geist ist, wie Matt in seinem Song gedichtet hat, sondern ein übler Teufel. Sie klammert sich an einem fest und flüstert einem ein, andere Menschen seien das Letzte, was man ertragen könne. Und deshalb weiß man sich so wenig zu helfen, während die Einsamkeit einen auffrisst. Man braucht jemanden wie Joss, die dem Teufel furchtlos ins Gesicht lacht. Nur eins kann Joss nicht: ihn vertreiben. Denn wenn ich will, dass er verschwindet, dann muss ich ihn selbst in die Flucht schlagen.
Fast schaffe ich es, mir einzureden, das sei der Grund, warum ich mich entschieden habe, Joss zu begleiten. In Wahrheit aber will ich nur nicht allein hier im Haus bleiben – mit Liam am anderen Ende dieser Stadt – und mich die ganze Nacht fragen, was er gerade macht und ob er an mich denkt.