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Nach 27 Minuten und zwölf Sekunden klopfte Ratthi an die Luke und schickte mir eine Feednachricht. Kann ich reinkommen und mit dir reden?

Ich schrieb zurück: Haben Sie meine Jacke?

Eine Pause schloss sich an. Ich überwachte meine Inputs per Suchwortliste wie früher, als ich auf Kontraktbasis vermietet worden war, um sicherzugehen, dass niemand um Hilfe rief. Aber mit Fifo wieder online war das unwahrscheinlich. Außer Fifo hatte beschlossen, alle zu ermorden; wobei dann eh die Hölle ausbrach. Aber auch das war unwahrscheinlich, weil Fifo immer wieder versuchte, mich zu kontaktieren, und ich bezweifelte, dass es einen Massenmord plante und gleichzeitig Nachrichten darüber entwarf, wie undankbar ich wäre und dass ich falsch liegen würde und ein schmollender Blödarsch wäre (nicht exakt in diesem Wortlaut, aber darauf lief es hinaus) und wieso ich nicht mit ihm reden würde, Scheiße nochmal, und Sie wissen schon. Dann sagte Ratthi: Ich habe sie.

Er meinte die Jacke. Dann dürfen Sie reinkommen.

Wieder eine Pause. Dann fragte Ratthi: Darf Amena auch reinkommen?

Ich stieß meinen Kopf gegen die Wand. Ich saß auf dem Waschtisch und ließ im Hintergrund Episode 237 von Aufstieg und Fall des Waldmonds laufen, damit ich während der 400+ Male, die Fifo mich angepingt hatte, so tun konnte, als würde ich fernsehen.

(Ihnen ist vielleicht aufgefallen, dass meine Rechenkapazität mir gestattet, viele Sachen gleichzeitig zu denken und zu tun, mehr als Menschen, augmentierte Menschen oder simple Bots draufhaben. Fifos Rechenkapazität ließ mich aussehen, als würde ich mich in Zeitlupe bewegen. Das befähigte Fifo sowohl zu ungeheurer Geduld als auch dazu, wütend zu werden, wenn es nicht sofort bekam, was es wollte. Dies war eine meiner wenigen Möglichkeiten, es erfolgreich zu piesacken.)

Ich hatte mich mit der Hygieneeinheit von all dem Blut und den Flüssigkeiten gesäubert, aber für eine Dusche war ich zu sauer. (Duschen sind angenehm und entspannend, und ich wollte sauer bleiben.) Irgendwann war eines von Fifos langärmeligen Crew-Shirts aus dem Wiederaufbereiter gefallen. Mein erster Impuls bestand darin, es wegzuwerfen, aber ich brauchte es, also zog ich es an und warf die Überreste meines eigenen Shirts auf den Boden. Nun saß ich mit hochgezogenen Füßen auf dem Waschtisch, die Stiefelsohlen auf der polierten Oberfläche. Das ärgerte Fifo hoffentlich. Ich ging davon aus, dass es hier drin über Sensorsicht verfügte, wenn nicht sogar über Kamerasicht.

Ich wollte Amena nicht mehr aufwühlen als ohnehin schon, also schickte ich: Ja.

Die Luke glitt auf, und Ratthi und Amena traten ein. Ratthi hatte sein Knie reparieren lassen und hinkte nicht mehr. Er schloss die Luke, und Amena ging zum anderen Ende des Waschtisches und stemmte sich rückwärts mit dem Po darauf. Sie zog die Füße hoch und sah mich besorgt an. Ich sagte: »Ich kann alles hören, was ihr irgendwo an Bord sagt.«

Ratthi hielt mir mit einem Lächeln die Jacke hin. »Mag sein, aber das kenne ich schon.«

(Doch, ich habe begriffen, dass das auf mich gemünzt war.)

Die Jacke war in der Wiederaufbereitung gereinigt und der Stoff an den verbrannten Stellen und Löchern neu gewebt worden. Ratthi seufzte, lehnte sich an die Wand und sagte: »Du unterhältst also eine Beziehung zu diesem Frachtschiff.«

Ich war entsetzt. Menschen sind widerlich. »Nein!«

Ratthi gab ein leises genervtes Geräusch von sich. »Ich meinte keine sexuelle Beziehung.«

Amena runzelte verwirrt und neugierig die Stirn. »Ist das denn möglich?«

»Nein!«, sagte ich zu ihr.

Ratthi ließ nicht locker. »Ihr pflegt eine Freundschaft.«

Ich lehnte mich in die Ecke zurück und drückte mir die Jacke vor die Brust. »Nein. Nicht … Nein.«

»Nicht mehr?«, hakte Ratthi nach.

»Nein«, sagte ich sehr entschieden. Fifo hatte aufgehört, mich anzupingen, aber es lauschte natürlich. Stellen Sie sich vor, Ihnen würde eine bösartige gesichtslose Intelligenz, die Sie einfach nicht in Ruhe lassen kann, über die Schulter gucken und mitlesen.

Ratthi setzte eine neutrale, doch skeptische Miene auf, die wirklich nervte. Er fragte: »Hast du viele Freundschaften mit Bots geschlossen?«

Ich dachte an den armen Miki, der mein Freund hatte sein wollen. Es bestand eine Wahrscheinlichkeit von 93 Prozent, dass er mit allen hatte befreundet sein wollen, trotzdem hatte er zu mir gesagt: »Ich habe menschliche Freunde, aber ich hatte nie einen Freund wie mich.« Ich sagte: »Nein. Das ist etwas anderes. Nicht so wie zwischen Menschen.«

Ratthi war immer noch skeptisch. »Wirklich. Das Schiff sieht das wohl anders.«

Ich sagte: »Das Schiff hat keine Ahnung, wovon zur Hölle es spricht, außerdem lügt es ständig, und fies ist es obendrein.«

Einen Moment lang flackerte das Licht, unsichtbar für das Spektrum des menschlichen Auges, und ich wusste, dass Fifo das gehört hatte.

»Wieso nennst du es Fifo?«, fragte Amena. »Es sagt doch, es heißt Perihelion.«

»Das ist ein Anagramm«, antwortete ich. »Es steht für fieses Forschungsschiff.«

Amena blinzelte. »Das ist doch kein Anagramm.«

»Dann eben nicht.« Menschen hatten für alles irgendein Wort, da kam ich nicht hinterher.

»Wie dem auch sei«, sagte Ratthi, »ich glaube, Perihelion und du, ihr wisst zwar, wie Beziehungen mit Menschen ablaufen, aber ihr seid beide unsicher, wie eine Beziehung miteinander funktionieren soll.«

Es klang immer noch widerlich. »Müssen Sie ständig Beziehung dazu sagen?«

Ratthi zuckte mit einer Schulter. »Das Wort ›Freundschaft‹ magst du nicht. Was bleibt denn dann noch?«

Ich hatte keine Ahnung. Ich startete eine Schnellsuche in meinen Archiven und zog das erstbeste Ergebnis heraus. »Gegenseitige administrative Unterstützung?«

Die Lampen flackerten erneut, auf für mich erkennbar sarkastische Weise. Ich rief: »Ich weiß, was du da machst, Fifo, hör auf mit deinen Kommunikationsversuchen!«

Amena sah sich im Raum um und versuchte zu erkennen, auf was ich reagierte. Ratthi seufzte erneut. Er sagte: »Ich weiß nicht, ob du zugehört hast, was wir außerhalb dieses Badezimmers getan haben, aber Arada und Thiago haben mit Perihelion verhandelt und sind zu einer Vereinbarung gekommen. Wir werden ihm helfen, seine Crew zu finden und hoffentlich freizubekommen, und dafür wird es uns jede nötige Hilfe zuteilwerden lassen, damit wir nach Preservation zurückkehren können.«

»Das ist keine Vereinbarung«, sagte ich, »Sie tun damit nur, was es verlangt.«

»Das ist uns auch klar.« Ratthi machte eine Geste der Hilflosigkeit. »Aber wir haben keine andere Wahl. Selbst wenn es uns eine Notbake durch das Wurmloch zur nächsten Station schicken lassen würde, wäre das eine Station auf dem Gebiet von Corporation Rim. Und wir befinden uns in einem sogenannten ›verlorenen‹ System, das von einem Konzern zur Rückgewinnung beansprucht wird, was uns in Konflikt mit allen möglichen dortigen Gesetzen bringt, und obendrein befinden wir uns in einem Frachtschiff, an dessen Antrieb Alienreststofftechnologie installiert worden ist. Egal, wer uns zu Hilfe eilt – wenn wir erzählen, dass das Schiff gegen seinen Willen modifiziert worden ist, handeln wir uns nur massive Geldbußen ein, und der Crew von Perihelion und ihrer Universität blüht wahrscheinlich deutlich Schlimmeres.«

Mit alldem hatte er recht, aber in Wirklichkeit war es noch viel übler. »Das ist hier nicht wie im Gebiet der Preservation Alliance. Sie bekommen nur Hilfe von einer Station, wenn Sie sich in deren definiertem Einflussbereich befinden, und die leitet Notbaken auch nicht weiter und schickt keine Hilfsschiffe durch Wurmlöcher. Höchstens gibt sie die Anfrage an eine örtliche Bergungsfirma weiter, die sich dann mit dem Angebot für einen Bergungskontrakt bei uns meldet. Die müssten wir im Voraus bezahlen und wären am Ende auch noch der Station etwas für die Weiterleitung schuldig, wobei das von den örtlichen Regelungen abhängt.«

Amena blieb der Mund offen stehen. »Wir müssten Leute dafür bezahlen, dass sie uns retten?«

Ratthi rieb sich das Gesicht und murmelte: »Oh, ich hasse Corporation Rim.«

»Echt? Ich auch«, sagte ich. (Ja, das war Sarkasmus.)

Und mir war gerade etwas aufgefallen, das ich schon früher hätte bemerken sollen.

Amena versuchte eindeutig, sämtliche möglichen Folgen durchzuspielen. »Und wenn hier Konzerne auftauchen würden, wäre das dann gefährlich für dich? Weil du doch ein Konstrukt bist.«

»Mir passiert schon nichts«, sagte ich. Es ist erstaunlich, wie wenig die Leute auf Preservation darüber wissen, wie es in Corporation Rim läuft. »Hier sind SecUnits legal. Deine Mutter ist meine eingetragene Eigentümerin, und sie hat dich zu ihrer Vertreterin ernannt.« Und zwar ausdrücklich Amena und nicht Thiago.

Amena wirkte bestürzt. »Du gehörst meiner Mutter doch nicht.«

»Aber ja.« Dr. Bharadwaj hatte mir erzählt, wie wenig in Preservation lebende Menschen solche Konzepte verstanden, und ich hatte ihr das größtenteils geglaubt, aber es leibhaftig mitzuerleben war noch einmal etwas völlig anderes.

Amena sah Hilfe suchend zu Ratthi. Er nickte grimmig. »Arada, Overse und ich haben beglaubigte Kopien des Rechtsdokuments in unseren Interfaces gespeichert, nur für den Fall. Wenn wir Konzernen in die Hände fallen, Amena, musst du deine Eigentumsrechte über SecUnit geltend machen.«

Amena wedelte mit den Händen. »Aber das ist … würg!«

»Ich bin auch nicht gerade begeistert«, sagte ich zu ihr.

Ratthi sagte: »Davon abgesehen: Laut Perihelion dauert es noch ein bisschen, bis es seine Antriebssysteme reparieren kann, also können wir schon mal mit unserer Suche anfangen, und wir müssen ja auch noch Vorbereitungen treffen und Pläne ausarbeiten.« Er klatschte munter in die Hände. »Also kommst du jetzt aus dem Badezimmer raus?«

»Ja.« Ich schob mich vom Waschtisch runter und zog meine Jacke über Fifos blödes Shirt. »Weil Fifo nämlich lügt.«

Als die Lampen diesmal flackerten, war es kein Sarkasmus.

Ich ging raus in den Behandlungsraum. Der Blick in den Kommandobereich war immer noch aktiv, Arada saß in einem Arbeitsstuhl, und Thiago stand neben ihr. Sie ließen die Maschinenstatusdaten von Fifos alienreststoffaugmentiertem Wurmlochdurchflug laufen und gaben gelegentlich leise Laute des Entsetzens von sich.

Overse hielt sich jetzt ebenfalls in der Krankenstation auf. Sie hatte das Implantat, das wir Eletra entnommen hatten, vor sich auf einer sterilen Arbeitsfläche liegen und untersuchte es mit einem bildgebenden Feld. Die vergrößerten Scans der individuellen Teile schwebten darin und rotierten. Eletra saß aufrecht auf einer Trage neben Overse und beäugte skeptisch ihr Hantieren mit dem Implantat.

Overse zog sich aus ihrem Feed zurück und sah forschend zu uns herüber. »Sind jetzt, ähm, alle bereit zu reden?«

»Eher nicht.« Ratthi klang besorgt, und das war total unfair.

Ich sagte: »Arada, dieses Frachtschiff hat nicht auf einen Notruf reagiert, als es in dieses System gekommen ist.«

Thiago wandte sich um und musterte mich misstrauisch. Arada schob ihren Arbeitsstuhl zurück. Jemand hatte ihr ein paar Sachen aus dem Notfallkoffer gebracht, denn die Brandwunde an ihrer Wange war versorgt worden. »SecUnit, ich glaube, wir haben fürs Erste eine funktionierende Arbeitsvereinbarung mit Perihelion. Solange es nicht um eine potenzielle Gefahr geht, möchtest du da wirklich ausgerechnet jetzt … in eine Konfrontation gehen?«

Ich sagte: »Das möchte ich absolut.«

Ratthi warf die Hände in die Luft und setzte sich zu Overse.

Overse setzte eine Bringen-wir’s-hinter-uns-Miene auf. »SecUnit, woher weißt du, dass es keinen Notruf gab?«

Ich sagte: »Das hier ist ein Lehr- und Forschungsschiff. Die Studierendenunterkünfte und Seminarräume sind unbenutzt, das Labormodul war inaktiv, ein Frachtmodul fehlt. Was also hat es getan, als der Notruf reinkam?«

Sämtliche Menschen sahen nach oben zur Decke.

Fifo sagte: Das ist also deine Vorstellung von Hilfsbereitschaft.

Ich sagte: »Das ist meine Vorstellung vom Gegenteil von Hilfsbereitschaft. Ich bin gegen meinen Willen hier, und das wirst du noch bereuen.«

Arada presste sich beide Hände an die Schläfen. »Vielleicht gehst du besser zurück ins Badezimmer und denkst noch einmal ein bisschen darüber nach.«

»Mit denken bin ich durch«, sagte ich.

Fifo sagte: Das ist offensichtlich.

Schon klar, das hatte ich mir selbst zuzuschreiben, was meine Wut merkwürdigerweise nicht minderte. Ich sagte: »Du bist aus einem bestimmten Grund hergekommen, und das war kein Notruf. Was war es dann?«

Rechts von mir passierte gerade Folgendes:

(Eletra im Flüsterton zu Overse und Ratthi: »Wieso lassen Sie Ihre SecUnit … so handeln?«

Overse schob das Kinn vor. Sie sagte: »Das ist nicht unsere SecUnit, sie …«

Ratthi drückte ihr Handgelenk und bedachte sie mit einem Blick, den ich als »Trau bloß keinen Konzernleuten« erkannte. Zu Eletra sagte er: »Sie verhält sich normalerweise sehr verantwortungsbewusst.«)

Thiago sah mich über das Konferenzbild an und runzelte die Stirn. Er sagte: »SecUnit stellt da eine gute Frage.«

(Jetzt unterstützt mich natürlich niemand von den vernünftigen Menschen, sondern ausgerechnet derjenige, der sonst immer gegen mich ist.) Ich fragte Fifo: »Wieso warst du hier? Was machst du gerade wirklich? Weltraumforschung, die Ausbildung von Menschen oder die Beförderung von Fracht sind eindeutig nicht der Grund für deinen Aufenthalt in einem System, in dem Konzerne an der Rückgewinnung einer aufgegebenen Kolonie arbeiten.«

Fifo sagte: Alles, was passiert ist, bevor meine Crew gefangen genommen wurde, ist irrelevant. Es geht dich nichts an.

Ich sagte: »Du hast mit meiner Entführung aber dafür gesorgt, dass es mich etwas angeht.«

Du bist nicht gegen deinen Willen hier. Geh, wann immer du möchtest. Du weißt, wo die Tür ist.

Das klang genauso sarkastisch und fies, wie Sie es sich vorstellen. Und für die Menschen vielleicht sogar regelrecht bedrohlich. Arada und Ratthi winkten mir beide zu und machten Gesten, die ich als dringende Aufforderungen begriff, jetzt bitte den Mund zu halten. Aber ich hatte Fifo dazu gebracht, die Beherrschung zu verlieren und bedrohlich zu handeln, und das war das, was ich wollte. Ich verschränkte die Arme und sagte: »Du beunruhigst Amena.«

Mir war aufgefallen, dass Fifo zu Amena mit einer völlig anderen Stimme redete als zu den anderen Menschen. Ich ging nicht davon aus, dass es den anderen etwas antun würde, aber es war ihren Gefühlen gegenüber weniger rücksichtsvoll als bei Amena. Bei allem, was Fifo sonst noch war, die Seminarräume und Schlafräume besagten, dass es sich bei ihm eigentlich, auf regelmäßiger Basis, um ein Lehrschiff handelte. Und früher, als wir aufgrund meiner Blödheit noch Freunde gewesen waren, hatte es sich stets nachsichtig über heranwachsende Menschen geäußert.

Amena holte Luft. Wahrscheinlich zum Widerspruch, das zeigte schon ihre ganze Haltung à la »Ich bin zwar eine vergleichsweise behütete Heranwachsende aus der naivsten Gesellschaft der Menschheitsgeschichte, empfinde aber trotzdem das Bedürfnis, so zu tun, als könnte mich nichts ankratzen«. Ich sah sie an und öffnete unsere private Feedverbindung. Sei ehrlich.

Sie atmete aus. Sie trommelte mit der Schuhspitze auf den Boden und gab widerwillig zu: »Die grauen Leute waren gruselig. Und dass auf mich geschossen wurde, und … Ich würde wirklich gern erfahren, was hier läuft, anstatt mit irgendeiner halbwegs passenden Geschichte abgespeist zu werden.«

Lange sagte niemand etwas. Ich spürte die Blicke der Menschen auf mir und im Feed einen Druck und eine Aufmerksamkeit, die von Fifo stammten. Schließlich sagte Fifo: Um auf diese Frage zu antworten, muss ich die Vertraulichkeitsvereinbarung meiner Crew verletzen.

Ich sagte: »Du hast meine Menschen und mich entführt. Das hat meinen Kontrakt verletzt. Einen Kontrakt, den ich mit ihnen eingegangen bin, ich persönlich.« Keinen Konzernkontrakt, meinte ich. Einen eigenpersönlichen. Und Fifo hatte mich hier reingezogen und alles kaputt gemacht.

Fifo sagte: Ich denke darüber nach. Dann lud es ein Verbindungsschema, das zeigte, dass es gerade Eletras aktive Verbindung vom allgemeinen Feed getrennt hatte. Auf einem geschlossenen Kanal mit mir und meinen fünf Menschen sagte Fifo: Diese Information muss vertraulich bleiben. Wenn die Konzernvertreterin irgendetwas von dem erfährt, was ich gleich erzähle, dann töte ich sie.

Ich erlebte eine Adrenalinausschüttung meiner organischen Teile. Unangenehm und befremdlich. Ich hing nicht an Eletra, die mir wie eine typische menschliche Klientin aus meiner Zeit bei der Firma vorkam. (Nicht besonders dumm, nicht besonders schlau und nur mit einer 53-prozentigen Wahrscheinlichkeit, dass ich ihretwegen (1) angeschossen (2) auf einem feindlichen Planeten zurückgelassen wurde.) Aber sie war gerade bei meinen Menschen, und mir gefiel die Vorstellung nicht, dass in deren Nähe jemand starb.

Die Menschen erlebten eindeutig einen Moment der Anspannung. Es gab alle möglichen Blickwechsel und Versuche, kein besorgtes Gesicht zu ziehen. Dann sagte Arada: Einverstanden. Wir sagen ihr nichts. Sie räusperte sich und fragte laut: »Vielleicht können wir deine Kabinen benutzen und uns ausruhen und frisch machen?«

Über den allgemeinen Feed sagte Fifo: Selbstverständlich.

Ratthi und Overse halfen Eletra, sich in einem von Fifos Schlafräumen einzurichten (einem unbenutzten, den die grauen Arschlochleute nicht mit ihrem Geruch nach Wachstumsmedium hatten verpesten können). Er verfügte über ein Badezimmer, und Ratthi brachte ihr selbst erhitzendes Essen und Getränke, damit sie keine Ausrede hatte, draußen herumzuspazieren. Ich postierte eine Wachdrohne vor der Tür, weil ich in Sachen Security niemandem traute und Fifo schon gar nicht.

Meine Menschen gingen zur Bordküche, die weit genug von dem Schlafraum entfernt lag, dass Eletra ihr Gespräch nicht einmal dann mit anhören konnte, wenn sie raus auf den Gang trat. Die Menschen aßen auch etwas, und Thiago hatte für sie an der Küchenzeile eine heiße Flüssigkeit zubereitet.

Fifo öffnete abermals ein unnötig aufwendiges zweigeteiltes Display mit einem Bild von Eletra, die gegessen und ihre vom MedSystem empfohlene Arznei eingenommen hatte und nun zusammengerollt schlief.

Arada fragte, während sie noch aß: »Perihelion, bist du jetzt bereit, SecUnits Fragen zu beantworten?«

(Eigentlich sagte sie davor noch: »SecUnit, hörst du jetzt auf, hin und her zu gehen, und setzt dich mal hin?«

Ich sagte: »Nein.«)

Fifo sagte: Ich bin ein Lehrschiff und ein Forschungsschiff für Weltraumkartierung, und manchmal befördere ich Fracht. Das trifft alles zu. Meine Crew beschafft außerdem Informationen und führt Aktionen durch, und zwar für Anti-Konzern-Organisationen, die als Teil und mit Unterstützung des Gemeinwesens von Mihira und New Tideland operieren und von der Pansystemischen Universität von Mihira und New Tideland geführt werden. Diese Aktionen sind oft gefährlich.

Arada nickte und wechselte einen Blick mit Overse. Arada sagte: »Dann seid ihr also wegen dieser verlorenen Kolonie hergekommen. Weil ihr sie noch vor den Konzernen untersuchen wolltet?«

Wir haben Informationen erhalten, dass eine von einem Firmenkonsortium aus der Bergungs- und Rückgewinnungsbranche in Auftrag gegebene Datenbankrekonstruktion die Koordinaten einer Saatkolonie zutage befördert hat, die vor ungefähr 37 Corporation-Rim-Standardjahren begründet wurde.

»Und dann wurde sie einfach wieder aufgegeben.« Amena rührte in der Pampe auf ihrem Teller und setzte eine finstere Miene auf. »Da wurden Leute zum Sterben zurückgelassen, wie unsere Urahnen.«

Amena hatte nicht unrecht. Es ließ sich mit dem vergleichen, was der Kolonie zugestoßen war, aus der schließlich Preservation hervorgegangen war. Die Leute waren auf einem Planeten mit halbwegs abgeschlossenem Terraforming »ausgesät« (also eigentlich »abgeladen«) worden, wobei sie davon ausgegangen waren, dass in regelmäßigen Abständen Versorgungsschiffe durch das Wurmloch kommen würden, bis die Kolonie sich selbst erhalten konnte. Auf exakt dieselbe Weise gründeten Konzerne auch heute Kolonien. Abgesehen davon, dass die Firmen manchmal pleitegingen oder von anderen Unternehmen angegriffen wurden und die Wurmlochdaten dabei vernichtet wurden oder das Wurmloch instabil wurde oder sämtliche Unterlagen über die Existenz der Kolonie einfach in einer Datenbank verloren gingen, die wegen juristischer Auseinandersetzungen über Eigentumsrechte unter Verschluss kam. Und dann blieben die Versorgungsschiffe aus, und alle Menschen verhungerten oder starben, wenn das billig hingepfuschte Terraforming versagte. Ich hatte Filme und Serien gesehen, die derlei als Plot verwendeten, aber dass es nicht bloß Geschichten waren, wusste ich erst, seit ich in Preservation war. (Die meisten endeten deprimierend und gehörten zu einem ganzen Genre, das sich mit »Isolierten Gruppen wenig wehrhafter Menschen stößt Grausiges zu« umschreiben ließ und das ich nicht besonders mochte.)

Fifo sagte: Die Kolonien wurden aufgrund von Konkursen oder Organisationsfehlern aufgegeben und isoliert, ja. Tot, nicht notwendigerweise. Manchen ist es gelungen zu überleben.

Arada war fertig mit dem Essen und faltete ihren Teller für die Wiederaufbereitung zusammen. »Sagtest du nicht, an diesem Ort gab es zwei Kolonien?«

Ja. Historischen Quellen zufolge existierte hier vor Corporation-Rim-Zeiten noch eine frühere Kolonie, aber weitere Daten fehlen.

Fifo stellte die Koloniemeldung, soweit noch existent, in den Feed. Sie sah aus wie aus Fragmenten zusammengesetzt, wie die Rekonstruktion eines gelöschten Originals. Das meiste hatte uns Fifo schon erzählt: ursprüngliche Kolonie aus Prä-CR-Zeiten, über die niemand je was gewusst hatte oder deren Daten nicht lange genug überlebt hatten, um es in diese Meldung zu schaffen. Kommerzielle Saatkolonie, begründet von einer Firma namens Adamantine Explorations, partielles Terraforming. Keine Infos zu Bevölkerungszahl, Geologie, Wetter, Habitaten, Ausrüstung, illegalen genetischen Experimenten oder absolut illegalen Alienreststoffen, gar nichts.

Die einzige interessante neue Info stammte von einem Teammitglied Fifos. Ein augmentierter Mensch namens Iris hatte ein Newsfeed-Archiv zu einer feindlichen Übernahme von Adamantine Explorations nach Gründung der Kolonie hinzugefügt. Drei verschiedene Artikel meldeten, dass eine unbestimmte Anzahl Arbeitskräfte von Adamantine Explorations – irgendwas zwischen vier und vierundzwanzig – in einem Feuergefecht gestorben waren und die Übernahme lange genug hinausgezögert hatten, dass ihre Datenbank zu Wurmlochkoordinaten gelöscht werden konnte. Der physikalische Datenspeicher existierte nur noch, weil die Angreifer durchgebrochen waren und die technischen Kräfte getötet hatten, bevor diese ihn hatten abfackeln können. Iris’ Anmerkung endete: Das lädt zu der Überlegung ein, dass sie gezielt versucht haben, die Kolonie zu schützen/verstecken. Möglich? Nur wenig wahrscheinlich.

Ich hielt das auch nicht für wahrscheinlich. Aber dass drei verschiedene Nachrichtenquellen Versionen dieser Story berichtet hatten, deutete darauf hin, dass dieser Vorfall oder eine Variation tatsächlich geschehen war; diesbezüglich stimmte ich mit Iris überein.

Die Menschen lasen stumm den Bericht. (Jawohl, es kommt mir immer vor, als bräuchten sie ewig. Ich kramte in meinem Medienarchiv, aber ich wusste, dass sie fertig sein würden, bevor ich irgendwas laufen ließ.)

»Das ist seltsam«, sagte Overse leise. »Haben sie versucht, die Kolonie zu schützen? Oder nur ihre Investition?«

»Du stehst halt auf Geheimnisse«, sagte Arada, die sich immer noch auf den Bericht konzentrierte.

»Ich stehe auf Geheimnisse in Geschichten, nicht in unserem wirklichen Leben«, erwiderte Overse.

Fifo ignorierte die beiden. Meine Crew hatte den Auftrag, zu ermitteln, ob die Kolonie noch bewohnt war, und wenn ja, sollte sie eine Kontaktaufnahme versuchen und die Einmischung und Ausbeutung durch Bergungsunternehmen verhindern, entweder durch Evakuierung der Bevölkerung oder, wenn die Kolonie noch existenzfähig ist, durch Hilfeleistung.

Amena stützte die Ellbogen auf den Tisch. »Aber wieso sollte das überhaupt nötig sein? Wenn in der Kolonie Leute überlebt haben, dann können andere Firmen nichts ausrichten, stimmt’s? Und wenn es die ursprüngliche Firma, die die Kolonieschiffe ausgesandt hat, nicht mehr gibt, dann sind die Leute frei.«

»Leider läuft das hier nicht so«, widersprach Overse. Sie hatte diese grimmig-frustrierte Miene aufgesetzt, mit der meine Menschen üblicherweise über Konzerne sprachen. »Eine andere Firma könnte da reingehen und übernehmen.«

Amena blieb skeptisch. »Übernehmen? Aber da leben doch Menschen. Sie könnte vielleicht irgendwo auf dem Planeten eine zweite Kolonie begründen, aber sie könnte doch nicht die existierende übernehmen. Oder doch?«

»Doch«, versicherte Overse ihr. »Ist alles schon passiert.«

Amena war entsetzt. »Aber das ist … keine Ahnung, was das ist, aber doch mindestens Menschenraub.«

»So läuft es in Corporation Rim.« Thiago rührte in seiner Flüssigkeit. »Der Planet wird als Eigentum betrachtet, und Eigentum, das niemandem mehr gehört, darf geborgen werden. Die Kolonisten oder ihre Nachfahren oder sonst irgendwelche Leute dort haben keinerlei Ansprüche.«

»Perihelion«, fragte Ratthi. »Was macht ihr denn dann? Wie helft ihr der Kolonie?«

Fifo sagte: Die Universität verfügt über Mittel zur Vorlage der originalen Gründungsdokumente der Kolonie, und diese enthalten oft Klauseln für den Fall der Liquidation der ursprünglichen Körperschaft, in denen festgelegt wird, dass die Eigentümerschaft über den Planeten auf die Mitglieder der Kolonie oder ihre leibliche Nachkommenschaft oder sonstige Personen übergeht, die am ursprünglichen Standort leben.

Ich verstand die Schlüsselworte »Mittel zur Vorlage« als Alternative zu »Archivkopien«. Ich sagte: »Deine Crew und du, ihr sammelt bei der Kolonie die nötigen Erhebungsdaten ein, und dann fälscht die Universität die Dokumente.« Nicht, dass daran etwas falsch wäre. Ich meine, ich war sauer auf Fifo, aber die Mission an sich, einem Konzern eins auszuwischen, klang toll.

»Trifft das zu, Perihelion?«, fragte Ratthi.

Fifo ignorierte uns. Anschließend wird ein Kontrakt zwischen der Kolonie und einer unabhängig betriebenen Transferstation vermittelt. Sobald die Station vor Ort eine Präsenz aufgebaut hat, ist die Kolonie relativ sicher vor den schlimmsten Auswüchsen kommerzieller Gier, und es steht ihr frei, sich auf andere Weise durch nicht kommerzielle politische Entitäten unterstützen zu lassen.

Arada verzog den Mund. »Eletra hat gesagt, dass hier zwei Konzernschiffe waren, korrekt? Seid ihr vor oder nach ihnen in diesem System eingetroffen?«

Davor. Da meine Menschen als Geiseln festgehalten wurden, war ich gezwungen, dem Befehl ihrer Entführer Folge zu leisten und auf einen Hilfstransport von Barish-Estranza zu schießen. Aber mein Erinnerungsarchiv dieses Zeitraums ist beschädigt, und ich weiß weder, was aus dem Schiff noch aus der Crew geworden ist.

»Also könnten die grauen Leute auch diese Konzerncrews gefangen genommen haben.« Ratthi machte ein Gesicht, als versuchte er herauszubekommen, wie viele Menschen wir eigentlich retten mussten. »Weißt du, warum sie Eletra und den anderen Konzernmenschen zu dir an Bord gebracht haben?« Er deutete eine vage Geste über die Schulter an. »Wieso sie ihnen die Implantate eingesetzt haben?«

»Ich dachte, das war aus Spaß am Quälen«, sagte Amena düster.

Fifo zögerte, aber nicht so lange, dass die Menschen es merkten. Vielleicht wollten sie ihren Shuttle. Er liegt immer noch an meinem zweiten Frachtmodulplatz. Das Zögern wäre verdächtig gewesen, aber vielleicht wusste Fifo es wirklich nicht. Was seltsam war, weil es das hätte wissen müssen. Vielleicht war das Problem mit seinem Erinnerungsarchiv größer, als Fifo hatte durchblicken lassen. Aber meine beiden Landeshuttles sind auch immer noch da, also ist das unwahrscheinlich.

Arada stützte ihr Kinn auf die Hand. Sie zeigte verschiedene Verhaltensweisen, die darauf hindeuteten, dass sie in tiefes Nachdenken verfallen war. »Perihelion, hat sich alles Weitere so abgespielt, wie du gesagt hast? Also, dass du wieder online gekommen bist und deine Crew verschwunden war?«

Ja.

Bei diesem Wort schwang etwas mit. Nicht Fifos Standardwert-Sarkasmus. Es besaß eine Schärfe, die im Feed nachhallte.

Ich reagierte nicht. Fifo hatte mich entführt und meine Menschen in Gefahr gebracht. Ich hatte nicht vor, Mitgefühl zu empfinden. Absolut nicht.

Ratthis Miene drückte Skepsis aus. »Und du erinnerst dich rein gar nicht daran, was passiert ist, als sie verschwunden sind?«

Ich bin immer noch dabei, die beschädigten Archive wiederherzustellen.

»Könnte dir SecUnit dabei helfen?«, fragte Amena sehr beiläufig und ohne mich anzusehen.

Ich verschränkte die Arme und funkelte ihre Schläfe an.

Fifo antwortete sehr vernehmlich nicht.

Overse lehnte sich in den Stuhl zurück, aber nicht aus Gründen der Bequemlichkeit. »Wir müssen versuchen, die Geschehnisse zeitlich zu sortieren.«

Als ich meinen Mund öffnete, um zu sagen, dass ich eine Tabelle hatte, sagte Fifo schon selbstverständlich und warf eine Tabelle oben neben den Splitscreen. Sie zeigte die Zeitpunkte, als (1) Fifo seines Wissens das erste Mal durch das Wurmloch ins System der Kolonie kam, (2) sich seine Gedächtnisstörung ereignete, (3) es reinitialisierte und feststellte, dass Eindringlinge an Bord waren, seine Crew verschwunden und sein Antrieb mit einem Alienreststoff präpariert worden war, (4) der Angriff auf den kommerziellen Hilfstransport erfolgte, (5) sich die Löschung ereignete und (6) Fifos Backup neu startete. Alles außer Punkt eins waren Schätzungen, da Fifos bordeigene Zeitmessung gestört worden war. (Jawohl, es hatte tatsächlich den gesamten Part ausgelassen, wie es mich den Zielen als nützliche Waffe empfohlen und per Funkgerät lokalisiert und ihnen den Angriff auf unser Basisschiff ermöglicht hatte. Das war nicht zu fassen, verdammt noch mal.)

Amena sagte zu den anderen: »Bevor alles voll schräg wurde – also endgültig schräg –, wollte Ras mir von dem Rückgewinnungsprojekt und der Saatkolonie erzählen, aber Eletra hat ihn unterbrochen und das Thema gewechselt.«

Thiago sah zum Bild des Schlafraums, wo Eletra unter Decken versteckt lag. Er sagte: »Ist es möglich, dass diese Leute – die grauen Leute …« Er schüttelte den Kopf. »Wir wissen, dass es durch Alienreststoffe zu möglichen Beeinflussungen – schrecklichen Folgen – kommen kann.« Er schüttelte den Kopf. »Könnten die grauen Leute entweder aus der späteren oder der ursprünglichen Kolonie stammen? Oder greifen die Konzerne für die Besiedlung ihrer Kolonien möglicherweise zur genetischen Manipulation?«

Ungeklärt, sagte Fifo, als wäre es ihm ehrlicherweise völlig egal.

Und das war es ihm ehrlicherweise wahrscheinlich auch. Die Ziele hatten Fifos Crew verschleppt. Es interessierte sich nicht für das Rätsel, es wollte einfach seine Crew zurück.

Als niemand anders die Frage beantworten konnte, stützte Ratthi die Ellbogen auf den Tisch. »Ich glaube, die Konzerne machen alles, womit sie durchkommen könnten. Für mich steht fest, dass diese grauen Leute – wie nennen wir sie noch gleich?«

»Ziele«, sagte ich.

Thiago machte etwas mit den Augen, das einem Verdrehen ähnelte, aber nicht ganz. Ratthi fuhr fort. »Die Ziele müssen die Alienreststofftechnologie mitgebracht haben, die am Wurmlochantrieb installiert wurde.«

Overse trommelte mit den Fingern auf dem Tisch und dachte nach. »Diese Implantate sind keine Alienreststofftechnologie. Im Gegenteil, das ist altes Zeug. Viel älter als die 37 Jahre seit der Gründung der kommerziellen Kolonie.«

»Ja, am Ort der früheren Kolonie, also Prä-Corporation-Rim, müssen noch einige Mengen an veralteter, aber verwendbarer Technik rumgelegen haben.« Ratthi stocherte geistesabwesend in dem restlichen Essen auf seinem Teller herum, dann schob er ihn zu Arada hinüber, damit sie es aufessen konnte. »Solche Handgeräte mit festem Display habe ich schon in historischen Dokus gesehen.«

Amena nickte und winkte mir zu. »Und weißt du noch, sie haben den Flug durch das Wurmloch ›Brückentransit‹ genannt. Das habe ich vorher noch nie gehört.«

Thiago wirkte fasziniert. »Haben sie eine Standardsprache gesprochen?«

»Nein, aber zuerst gab es eine Übersetzung«, erklärte Amena. »Die ist dann abgebrochen, als SecUnit wieder zu sich kam und der Kampf losging.«

Da Fifo nicht über brauchbares Video oder Audio verfügte, zog ich ein paar Beispiele raus und stellte sie in den allgemeinen Feed. Die Menschen lauschten mit verwirrten Mienen. Dann nickte Thiago grimmig. »Dabei handelt es sich um eine Mischung aus mindestens drei Prä-CR-Sprachen.«

»Was definitiv zu ihrer Technik passt«, sagte Overse.

Thiago fügte hinzu: »Und viele der richtig verheerenden Alienreststoffunfälle waren Prä-CR

»Was für Unfälle?«, fragte Arada.

Thiago sagte: »Die Archive von Preservation liefern zu lediglich einem Unfall ausführliche Daten, und der ist auf einem Mond passiert, der für eine der frühen Prä-CR-Entitäten in eine große Operationsbasis umgewandelt wurde. Dabei wurden über 70 Prozent der Bevölkerung getötet. Es haben überhaupt nur deshalb Leute überlebt, weil ein kurz zuvor aktiviertes Zentralsystem die Wohnviertel hatte abriegeln und dicht halten können, bis Hilfe eintraf.« Er sah zu mir. »Sie wurden also von einer Maschinenintelligenz gerettet.«

Ich weiß, was ein Zentralsystem ist, Thiago. (Nämlich noch mehr veraltete Technik, wie ein HabSystem, das alles allein macht, ohne untergeordnete Systeme. Denen war ich bisher nur in historischen Spielfilmen begegnet.)

Overse beugte sich vor. »Und wie sind die Leute ums Leben gekommen? Haben die Kontaminierten die anderen angegriffen?«

Thiago war nicht ansatzweise so nervig, wenn er schlau tun konnte. Er sagte: »Ja, wobei eine derart gewalttätige Reaktion auf eine Kontamination mit Reststoffen offenbar nur selten vorkommt. Aber da die Berichterstattung über solche Vorfälle damals wie heute unterdrückt wird, wissen wir darüber nur wenig.«

Ratthi nickte. »Da die Konzerne so etwas gern geheim halten, lässt es sich schwer sagen.«

Overse sagte: »Die einzigen Gesetze, die sie offenbar alle anerkennen, sind die über das Auffinden und Isolieren von Alienreststoffen und die Lizenzierungsbeschränkungen für die Nutzung unbekannter Kunststoffe.«

»Aber wieso üben Alienreststoffe überhaupt eine solche Wirkung auf Leute aus?«, fragte Amena. »War das Absicht? War das zum Schutz des Ortes, weil die Aliens nicht wollten, dass sich jemand anders nimmt, was es da gibt?«

Ratthi holte Luft und ließ sie wieder raus. »In diese Richtung habe ich nie gedacht. Ich glaube, das ist genauso wie bei einer Terraforming-Matrix; wenn du noch nie eine gesehen hast und sie anfasst, vergiftest du dich. Es liegt keine Absicht dahinter. Manchmal wirken die Kontaminationseffekte, als würden andere Prioritäten in das Gehirn der betroffenen Person geladen, wie eine Aliensoftware, die auf menschlicher Hardware läuft. Dabei kommt Chaos heraus.« Er gestikulierte mit einem Besteckteil. »Aber gehen wir davon aus, dass die Ziele von der Adamantine-Kolonie stammen? Oder Nachfahren der Prä-CR-Kolonie sind? Oder könnten sie von außerhalb dieses Systems gekommen sein?«

Alles deutet darauf hin, dass sie von innerhalb des Systems gekommen sind, sagte Fifo.

Ich sagte: »Du hast Probleme mit dem Erinnerungsarchiv, woher weißt du da, wer bei dir an Bord war oder nicht? Hier könnten Hunderte von kommerziellen Bergungstrupps und Plünderern und Kolonisten und Aliens eingefallen sein.«

»SecUnit …«, begann Arada zeitgleich mit Ratthi, der sagte: »Ich glaube nicht …«

Fifo unterbrach: SecUnits Bemerkung vorhin, dass ich »ständig lüge«, trifft nicht zu. Es versteht sich von selbst, dass ich nicht gegen die Interessen meiner Klienten Informationen rausgeben kann, solange die Umstände dies nicht rechtfertigen.

Arada nickte. »Genau. Das verstehen wir. Ich denke, SecUnit kümmert sich um unsere Interessen …«

Fifo sagte: Ich will eine Entschuldigung.

Ich vollführte mit beiden Händen eine obszöne Geste zur Decke hin. (Schon klar, die Decke ist nicht Fifo, aber die Menschen gucken da halt auch ständig hin.)

Mit leiser Stimme bemerkte Ratthi zu Overse: »Alle, die denken, dass Maschinenintelligenzen keine Gefühle haben, müssten jetzt hier sein und diese sehr unbehagliche Atmosphäre erleben.«

Fifo war plötzlich in meinem Feed, auf einem privaten Kanal. Ich habe getan, was ich tun musste. Das solltest du verstehen.

Ich sagte laut: »Ich rede nicht im Feed mit dir! Du bist nicht mein Klient, und du bist nicht mein …« Ich konnte es nicht aussprechen, nicht mehr.

Sämtliche Menschen starrten mich an. Ich hätte mich am liebsten zur Wand gedreht, aber dann hätte ich das Gefühl gehabt, klein beizugeben.

Plötzlich hatte ich Blick auf alle möglichen Stellen im Schiff. Fifo hatte mir Zugang zu seinen Kameras gegeben. Ich fauchte: »Hör auf, nett zu mir zu sein!«

Dann sagte Amena laut: »Ich glaube, du musst SecUnit ein bisschen Zeit lassen.«

Genau, das war alles, was diese Lage erforderte. Ich fragte sie: »Redet es mit dir auf einem privaten Kanal?«

Amena verzog das Gesicht. »Ja, aber …«

Ich rief: »Fifo, hör auf, hinter meinem Rücken mit meinen Menschen zu reden!«

Kennen Sie das, wenn Menschen denken, dass sie gerade die Vernunft in Person sind, sich aber eigentlich total unvernünftig aufführen und das auch ansatzweise selber merken, aber trotzdem nicht aufhören können? Anscheinend kann das SecUnits auch passieren.

Arada stand vom Tisch auf und hob die Hände. »Hey, Schluss jetzt, alle. Das ist nicht konstruktiv. Perihelion, du musst aufhören, SecUnit unter Druck zu setzen. Ich weiß, du bist aufgewühlt wegen deiner Crew und weil du gelöscht worden bist, und das war alles schrecklich und verwirrend. Aber SecUnit ist auch aufgewühlt. Wenn ihr euch anschreit, hilft das gar nichts.«

Fifo sagte: Ich habe nicht geschrien.

»Nein, überhaupt nicht«, gab Arada ihm in demselben vernünftigen Tonfall recht, den Mensahs Eheleute Farai und Tano verwendeten, wenn sie mit ihren jüngeren Kindern redeten. Sie wandte sich an die anderen. »Wir müssen diese Situation lösen. Perihelion, wenn du uns Zugang zu allen anderen Informationen gewähren könntest, die deine Crew über die Kolonie besitzt, wären wir wirklich sehr dankbar. In der Zwischenzeit fangen Overse und ich an, Daten über dieses Alienzeug zu sammeln, das auf Perihelions Maschinen geklebt hat, und schauen mal, ob wir nicht dabei helfen können, den Normalraumantrieb wieder schneller hochzufahren. Ratthi und Thiago, ihr überprüft bitte die toten Ziele und macht ein paar pathologische Scans. Wir brauchen außerdem eine Übersetzung von dem, was sie in SecUnits Mitschnitt sagen. Wenn wir bestätigen können, dass sie von einer der beiden Gruppen menschlicher Kolonisten abstammen, dann … Na, dann können wir vermutlich effektivere Pläne aufstellen. Amena, du versuch bitte wieder, mit Eletra zu reden, vielleicht bekommst du ja noch ein paar Informationen mehr aus ihr heraus. Ich denke, es liegt auf der Hand, dass sie etwas zurückhält, und nun, da sie von den Implantaten weiß, ist sie vielleicht etwas entgegenkommender. SecUnit, vielleicht könntest du herausbekommen, was der Grund für Perihelions erste Reinitialisierung war und wie die Ziele an Bord gekommen sind? Ich glaube, wir sind uns alle einig, dass wir wirklich verhindern müssen, dass hier noch einmal Angreifer eindringen können. Sind alle einverstanden? Perihelion, geht dieser Plan für dich in Ordnung?«

Fifo sagte: Fürs Erste ja.