Bastian Michalk hatte die Nacht kaum geschlafen. Heute war sein großer Tag, wenn er den erfolgreich überstanden hatte, würde er seinen Vorgesetzten aufgefallen sein. Keine Frage, er war es ihnen schon jetzt. Der Staatsanwalt hatte ihm zwar viele Fragen gestellt von wegen Aufwand und Nutzen und nichts als einem Verdacht, dem Sie nachgehen. Der Kommissar hatte jedoch überzeugen können, nach bestem Wissen und Vermutung. Toralf Fischer war schuldig, seine Schwiegermutter getötet zu haben. Das wusste Oberkommissar Michalk, da gab es keinen Zweifel. Ihm fehlten nur die Beweise. Beweise! Aber die würde er finden. Der Verdächtige besaß Wissen und Fähigkeiten, Bautätigkeiten professionell auszuführen. Auf seinem Grundstück hatte Michalk Fischers Arbeiten gesehen: Carport, Gewächshaus, die Terrasse. All das war nicht in den letzten Monaten hochgezogen worden, aber Mauerwerk und Putz konnte man schnell altern lassen. Steine und Holz künstlicher Witterung auszusetzen, war mit Sandstrahler oder Wasserdampf unter Hochdruck problemlos möglich. Auf den ersten Blick würde man solcherart verschleierte Reparaturen nicht entdecken. Dort irgendwo würden sie die Leiche Gerlind Hopstocks finden. Allen Einwänden und Bedenken zum Trotz: Michalk war sich dessen gewiss. Mit seinem Gottvertrauen und Engagement hatte Bastian Michalk alle Kollegen überzeugt und mitgerissen. Die Schabowski, der Staatsanwalt und Direktor Schmitt standen auf seiner Seite. Zumindest ließen sie ihn das wissen. Hals- und Beinbruch, Herr Kollege! An einen Misserfolg wagte Bastian Michalk nicht zu denken.
Bereits 4 Uhr 30 quälte sich der Kommissar aus seinem Bett. Er hatte seit Mitternacht kein Auge zugetan, und wenn, suchten ihn absurde Träume heim. Er stiefelte in einem Turmbau zu Babel und verstand keinen Menschen oder die verstanden nicht, was er sagte. Leichenteile hingen makabererweise an einem Baum, als wären sie dessen Früchte. Mit einer Spitzhacke zerstörte er meterdicke Mauern und hieb am Schluss in das Auge eines vergrabenen Pferdes, sodass es Leichengift spritzte. Edgar Allen Poe hätte diesen Albdruck nicht besser zu schildern vermocht. Michalk war schlaftrunken sich waschen gegangen. Und Running Gag: Am Ende jeder Geschichte winkte ihm Gerlind Hopstock, bevor Toralf Fischer seine riesigen Hände um ihren Hals legte.
Michalk schlief allein in seinem zu breiten Bett. Die letzte Frau, die neben ihm gelegen hatte, war kaum zwanzig Jahre alt gewesen. Er war sich nicht sicher, ob er von ihr als seiner Lebensabschnittsgefährtin sprechen sollte. Immerhin hatte Maischa ihn bereits drei Mal in diesem Bett besucht, die anderen Räume seiner Wohnung hatte sie nie betreten. Außer dem Bad, von denen sie eines gemeinsam genommen hatten. Maischa war Bastian Michalk an jenem Kneipenabend über den Weg gelaufen, an dem er sich mit Dominik Bleicher besoff. Dominik hatte alle Minuten neue Damen an ihren Tisch gelotst, von denen Michalk nichts als Schminke und Dummheit im Gedächtnis geblieben waren. Und als er sich für den Nachhauseweg ein Taxi heranwinkte, lief ihm die niedliche Maischa über den Weg. Sie hatte Hasenohren auf dem Kopf und erinnerte an den kleinen Muck. Eine ihrer Freundinnen musste den Ausstand ins Eheleben geben, und die lustige Damenrunde hatte in der City daran ihren Spaß. Maischa hatte in jener Nacht einfach Michalks Weg gekreuzt und um Mitleid mit der Braut gebeten. Michalk hatte sie brüsk gefragt, ob sie richtig ticken würde, er könne solche Art von Vergnügen nicht ab, er heirate ja nicht. Vielmehr fühle er sich belästigt. Besser als jeder Comedian, kreischten die Damen. Besoffene Frauen machen auf ihn einen frigiden Eindruck. Damit hatte er Maischa aus dem Weg geschoben. Die allerdings hatte sich erneut vor ihn hingestellt, Abbitte geleistet und gestanden, dass auch sie alles ganz fürchterlich fände, ihn allerdings unheimlich sexy, und ob er vielleicht Lust hätte, ihr die Hasenohren zu streicheln. Michalk war ob der Dreistigkeit erstarrt, und Maischa hatte ihn einfach ins nächste Taxi geschoben, war zu ihm gestiegen und hatte ihre Weiber allein weiter auf Jagd gehen lassen. Nun hatte sie ihn seitdem immer wieder besucht, und Bastian Michalk war im Zweifel, ob er sich auf mehr als das Abenteuer einlassen sollte. Der Sex mit Maischa war gut und wurde besser. Und als Polizist im höherem Dienst konnte er sich mit dieser Frau auch sehen lassen. Fast Modellmaße. Fast Teenager. Fast eine Frau fürs Leben. Michalk lächelte. Dann wurde ihm der Ernst des Tages bewusst.
Der Kommissar vollzog die Körperhygiene akribisch, rasierte sich zweimal und wechselte mehrmals die Klamotten. Er durfte heute keinen schlechten Eindruck hinterlassen. Er musste den Einsatz voll im Griff haben, dann war seine Beförderung keine Frage von Jahren, sondern nur von Monaten. Und die Karriereleiter nach oben zu fallen, hatte den Nebeneffekt, dass er diese uninspirierte Hauptkommissarin Agnes R. Schabowski nicht länger ertragen musste. Diese Frau war launisch, ideenlos und verließ sich gern auf seine Initiativen. Michalk hatte das stolz zur Kenntnis genommen und sofort seine Aufstiegschance gewittert. Weg von der Mord eins und dieser dämlichen Emanze hin in den höheren Dienst. Maischa würde das gefallen, Michalk auch. Er könnte sie heute ja nach vollbrachter Tat anrufen und den ereignisreichen Tag in ihren Armen erholsam ausklingen lassen. Um diese Zeit mit ihr telefonieren, verbot sich, die Studentin schlief, aber eine SMS schickte er ihr. Würde heute dein Kommen sehr genießen. Love Basti.
Michalk brühte seinen Kaffee türkisch. Der bittere Geschmack vertrieb den Rest Müdigkeit. Dann breitete er die Einsatzpläne auf dem Küchentisch aus und vertiefte sich nochmals in die Details der Abläufe, die er längst auswendig kannte. Michalk vergewisserte sich, dass Bulldozer und Bagger, die Presslufthämmer, Stemmeisen und Müllcontainer bestellt waren. Diese Prozedur hatte er in den vergangenen Tagen mehrmals vollzogen, und er hatte keine noch so kleinen Diskrepanzen feststellen können. Sein Plan war perfekt, kein Direktor Schmitt hätte ihn makelloser und geradliniger erarbeiten können. Michalk hatte Bergers Kollegen von der Technik verpflichtet, der hatte notwendige Baumaschinen bei einem Verleiher geleast. Er, Michalk, hatte begreifen müssen, dass die Leitung übernehmen, Koordinationsvermögen, Willenskraft und Intelligenz verlangten. Eigenschaften, die Michalk der Schabowski vollständig absprach.
5 Uhr 05 legte Michalk die Einsatzpläne in seine Aktentasche aus Hartplast. Er knallte die Verschlüsse und nickte sich im Spiegel zu. Hals- und Beinbruch, Herr Kollege!
Im Präsidium war das Kommando einsatzbereit. Einige Kräfte sogen eilig an Zigaretten und schmissen die Kippen aufs Pflaster des Innenhofs. Michalk zählte die Wagen. Kollegin Schabowski war natürlich noch nicht vor Ort. Sie erschien, als die fünfzehn Minutenfrist vorüber war.
„Auf gutes Gelingen! Ich vertraue Ihnen, Kollege Michalk.“
Daraufhin hatte die Schabowski seine Hand ergriffen und wie Angela Merkel geschüttelt. Dabei grinste die Chefin ebenso abwesend wie die Kanzlerin bei dieser Handlung. Was soll’s? Es war sein Tag, der erste Tag vom neuen Leben des Bastian Michalk. Bleicher würde vor Wut heulen. Ihm hatte Michalk von Maischas Eroberung noch gar nichts erzählt. Auch diese Affäre konnte dem Kollegen nicht gefallen. Mindestens zwei zu Null führte Michalk im Aufstiegskampf unter den Freunden. Ernster Miene bedankte sich Michalk bei Frau Schabowski.
„Es kann nichts schiefgehen, Frau Hauptkommissarin, mit Ihrer Erfahrung im Hintergrund.“ Der Schabowski fielen kurzzeitig die Mundwinkel nach unten. Die Chefin wurde der Kanzlerin immer ähnlicher. Mein Gott, dachte Michalk, gleich formt sie ihre Hände zur Raute. Er lächelte tapfer. Das Kostüm, das die Schabowski heute trug, hätte perfekt zur geschiedenen Gattin Wladimir Putins gepasst. Trotzdem lächelte seine Chefin jetzt wie ein Teenager auf Droge.
„Wir müssen Erfolg haben!“
„Haben wir. Sicher.“
Michalk hob seinen Arm und ließ ihn nach unten fallen. Es war das Zeichen zur Abfahrt. Die Motoren heulten. Der Zug setzte sich in Bewegung. Auf Ladeflächen standen Kräne, Bagger und Raupen. Es sah aus wie ein Baustellentransport, der sich durch den Berufsverkehr quälte. Höchstgeschwindigkeit nicht über dreißig Kilometer in der Stunde. Im Stillen hoffte Michalk, dass sich der Einsatz dieser Maschinen unnötig machte. Toralf Fischer musste nur die Stelle benennen, wo er die Leiche seiner Schwiegermutter vergraben hatte. In keinem der Verhöre hatte der Verdächtige dazu Angaben gemacht, stets wiederholt, dass sein Leben seit dem Zeitpunkt keins mehr war, als seine Frau ihre Mutter mit ins Haus genommen hatte. Ja, ich war wütend. Ja, ich habe Gerlind mit jedem Tag mehr gehasst. Sie war so eine liebe Frau gewesen, keine bessere Schwiegermutter hätte ich mir wünschen können. Und dann diese Altersbosheit! Die Demenz! Ja, ich habe meine Schwiegermutter gehasst und hasse noch! Die Phasen, wo er Gerlind Hopstock in Schutz nahm und bedauerte, waren immer weniger geworden. Aber ich bringe doch niemanden um! Dazu wäre ich nicht in der Lage. Natürlich sei er in bestimmten Fällen für die Wiedereinführung der Todesstrafe: Und ein Muttermörder hätte ohne Zweifel diese Strafe verdient. Die arme Frau kann doch nichts dafür, dass sie mir jeden Nerv tötet. Beate Fischer hatte neben ihrem Ehemann gesessen, genickt und geweint, immer wieder genickt und wieder geweint. Toralf Fischer hatte seiner Gattin die Hand gestreichelt und gesagt: So etwas könnte ich nie tun! Beate Fischer hatte ihn angeschaut und gesagt: Ich weiß, mein Schatz, ich weiß. Bastian Michalk glaubte diesem Mann kein Wort. Heute würde er die Beweise finden, die sein Misstrauen stützten.
Die Straße, in der die Fischers wohnten, befand sich an diesem Morgen noch in Ruhe. Die Schlafzimmerfenster waren geöffnet, Gardinen wehten bei manchem hinaus. Der Lärm der Kolonne ließ die wachen Bürger aus den Fenstern blicken und ihre Köpfe schütteln. Manche vermuteten wahrscheinlich, es sei das Tiefbauamt, das da anrollte, um die Straße neu zu asphaltieren, seit Jahren lief der Antrag dafür. Als die Polizeieinheit vor dem Haus der Fischers stoppte, wussten die Nachbarn Bescheid. Man nickte wissend, der Mörder sollte endlich überführt werden. Die meisten Anwohner hielten Toralf Fischer für unschuldig. Doch immer mehr, konnten sich diesen Mann als Mörder vorstellen. Es hatte anonyme Briefe und Denunziationen gegeben. Der Fischer hat nicht nur eine Leiche im Keller!
Sehr schnell wurden die Haustüren geöffnet und die Schaulustigen traten hinaus. Mancher noch in Morgenmantel und Filzlatsch. Am Gartenzaun wurde Stellung bezogen und alles genau beobachtet. Nichts durfte einem entgehen. Gar nichts. Michalk gab Anweisung, das Grundstück weiträumig abzusperren. Das rotweiße Band Polizei flatterte im lauen Lüftchen. Die Vertriebenen murrten leise. Die Nachbarn nebenan öffneten für Interessierte ihr Grundstück. Dort standen sie jetzt am Zaun und blickten hindurch und hinüber. Michalk dachte bitter, dass man auch Eintritt verlangen könnte.
Der Kommissar läutete am Tor der Fischers und betrat den Kleingarten ohne Aufforderung. Hinter ihm liefen die Schabowski und Berger von der Technik. Die anderen Kollegen standen an den Fahrzeugen und schauten ihnen nach. Einige entzündeten Zigaretten. Als Toralf Fischer in der Tür stand, präsentierte ihm Michalk den Durchsuchungsbefehl der Staatsanwaltschaft. Und Fischer las ihn sehr genau.
„Sie können diesen Einsatz verhindern, wenn Sie uns sagen, wo sich Ihre Schwiegermutter befindet.“
„Ich weiß es nicht!“ Fischer sagte es leise, fast unverständlich. „Was soll dieser Zirkus?“
„Wir werden jeden Zentimeter Ihres Hauses und Ihres Grundstücks akribisch absuchen. Wir werden Ihre Schwiegermutter hier finden. Ich bin mir sicher, und wenn wir Gewächshaus und Carport zerhacken. Wir werden sie finden! Für Zerstörung und alle Schäden tragen Sie letztlich selber die Verantwortung.“
Stille.
Dann leise, aber prononciert: „Zahlen Sie auch die Kosten des Wiederaufbaus?“
„Ja“, sagte Michalk.
Er und Fischer standen sich als Feinde wie im Western gegenüber. Henry Fonda meets Charles Bronson. Hinter Toralf Fischer erschien seine Gattin. Sie raffte sich über der Brust ihre Jacke, die sie schnell übergeworfen zu haben schien.
„Haben Sie Mutti gefunden?“, fragte Beate Fischer die Kriminalisten.
„Nein“, sagte ihr Mann und legte den Arm um ihre Schultern, „nein, sie denken, Oma haben wir hier verbetoniert.“
„Verbetoniert?! Das können Sie doch nicht ernst meinen!“ Beate Fischer war ehrlich erschüttert. Offensichtlich hatte sie sich mit dem Mordverdacht, unter dem ihr Mann stand, nie wirklich auseinandergesetzt.
„Der Staatsanwalt hat diese Durchsuchung genehmigt“, erklärte ihr Toralf Fischer das Polizeiaufgebot. „Sie suchen Omas Leiche. Und deswegen werden sie unseren Garten umgraben und das Gewächshaus abreißen. Sie werden den Putz von den Wänden klopfen und die Platten der Gehwege ausheben. Sie werden an den Dachbalken schrauben, und sie werden durch den Schornstein kriechen. Kein Stein wird auf dem anderen stehen. Aber sie werden nichts finden.“ Toralf Fischer hatte den Kampf aufgenommen: Mann gegen Mann. Es fehlte nur Morricones Musik.
Bastian Michalk drehte auf dem Absatz und rief: „Wie besprochen. An die Arbeit Kollegen!“
Das Baugerät wurde von den Wagen geholt. Die Motoren begannen zu rotieren. Männer stiegen in weiße Schutzkleidung und schoben sich Plastekappen vors Gesicht. Außerirdische stürmten Garten und Einfamilienhaus und verursachten Lärm wie beim Abriss der Betonblöcke in den Neubaugebieten. Bastian Michalk atmete tief, er wusste, was sie den Fischers hinterlassen würden: ein Trümmergrundstück.
Die Schabowski legte dem jungen Kommissar die Hand auf die Schulter. „Wir sind die Guten, und wir sind im Recht.“
Michalk nickte. Er fühlte sich unwohl. „Sie wollen’s nicht anders.“
„Sie wollen’s nicht anders“, sagte Toralf Fischer und zeigte mit dem Finger auf ihn. „Sie sind die Gesetzesbrecher, nicht ich!“
„Toralf, sieh mal!“ Beate Fischer rannte in Panik zum kleinen Bagger, der vor ihrem Blumenbeet stand. Sie hatte vergessen, dass sie im Nachthemd mit kurzem Jäckchen dastand. „Nicht die Hyazinthen! Die kosteten ein Vermögen!“ Sie grub hektisch Zwiebeln aus der Erde, bevor der Bagger sie umgrub. „Oh, mein Gott!“ Die Frau begann still zu weinen. Der Apfelbaum ließ Früchte fallen, sooft sich ein Polizist an ihm stieß. „Sie werden doch die Bäume nicht fällen?“
„Wenn es sein muss auch das!“, sagte Michalk kalt. „Ihr Mann muss nur sagen, wo sich Ihre Mutter befindet!“
„Er weiß es doch nicht!“, schrie die Frau aus dem Beet, die Hände schwarz, in jeder Hand mehrere Zwiebeln.
Die Nachbarn besahen sich dieses unwürdige Schauspiel mit großem Interesse. Einige Rufe des Unmuts wurden laut. Verbrecher! Die Macht kann sich alles erlauben. In der Diktatur war so etwas üblich. Dafür haben wir 89 nicht demonstriert. Stasi raus! Stasi raus! Stasi raus!, brüllte ein kleiner Sprechchor.
Die Schabowski war längst im Haus verschwunden und überließ den Kollegen den schlechten Eindruck. Auch Toralf Fischer war nicht mehr zu sehen. Aus dem Flur des Hauses drangen die Geräusche des Abbruchhammers.
„Herr Kommissar! Herr Kommissar! Wenn Sie mal schauen möchten!“
Bastian Michalk stürzte ins Haus.