Ausschnitt aus: Liebe ist der Plan, der Plan ist Tod
Erinnerungen -
Hörst du mich, mein kleiner Rotling? Halt mich sanft umschlungen. Die Kälte kriecht in mein Gebein. Ich friere.
Ich erinnere mich:
- Ich bin schwarzgewaltig und hoffnungsvoll, ich tolle auf sechs Beinen in der neuen Wärme die Berge entlang! … Sing dem Wandler, dem Neuen, dem Fremden! Wird sich Wandel wieder wandeln wieder-wiederwandeln? … Alle meine Summsänge haben nun Worte. Noch ein Wandel!
Neugierig folge ich der Sonne, folge der lieblichen Lockung in den Lüften. Die Wälder sind wieder geschrumpft. Doch nein! Ich bin es. Ich selbst, MOGGADEET - ich bin gewachsen, mehr geworden in der Winterkälte. Ich erstaune mich selbst, Moggadeet-der-Kleine!
Das Fremde, das Neue ruft von der Sommerseite der Welt. Ich komme! Auch die Sonne wandelt sich wieder. Sonne wandert in der Nacht! Sonne wandert warmwärts, tritt hervor mit Macht! … Wärme spürt Meinselbst-Moggadeet. Vergiss den Kalt-Winter.
Erinnerung durchbebt mich.
Der Altweise.
Ich halte inne, reiße einen Baum aus der Erde. So vieles wollte ich den Altweisen fragen. Keine Zeit. Kälte. Baum fällt lotrecht in die Tiefe, überschlägt sich, ich schaue zu, wie die Fettklimmer herauspurzeln. Nicht hungrig.
Der Altweise hat mich vor der Kälte gewarnt, ich habe ihm nicht geglaubt. Ich laufe weiter, kummervoll. … Altweiser sagt, Kaltzeit bringt Not, Kaltzeit bringt Tod – Winter ist Kaltzeit ist Hunger ist Wut … Im Wutwinter töte ich ihn, trinke sein Blut.
Doch jetzt ist Warmzeit, alles ist anders. Ich bin wieder Meinselbst-Moggadeet!
Ich hopplahüpfe über einen Hügel und sehe meinen Bruder Frim.
Erst erkenne ich ihn nicht. Ein großer schwarzer Alter! Denke ich. Und in der Warmzeit können wir reden!
Ich laufe, ich springe, walze Bäume nieder. Der große Schwarzling hockt am Rand einer Schlucht, schaut hinunter. Schwarzer Rücken ist gerippt wie bei - Es IST Frim! Frim-den-ich-jage, Frim-der-flieht! Aber wie groß er geworden ist! Riese Frim! Gewandelt, verwandelt! Andersneu!
»Frim!«
Er hört mich nicht, alle seine Augentürme sind unter den Bäumen. Sein Hinterleib ist befremdlich in die Höhe gereckt und zittert. Welche Beute hat er erspäht?
»Frim! Ich bin’s, Moggadeet!«
Doch nur seine Beine erbeben, ich sehe die Sporne hervorschnellen. Solch ein Dummkopf, Frim! Ich erinnere mich, wie schreckhaft er ist, ich versuche, mich ihm behutsam zu nähern. Als ich bei ihm bin, muss ich wieder staunen. Ich bin jetzt größer als er! Wandel! Ich kann leicht über seine Schulter hinweg in die Schlucht lugen.
Heiß gelb-grün da unten. Eine Lichtung, Sonnenteich. Ich neige die Augen, um zu sehen, was Frim sieht, und die Welt, sie wankt, sie schwankt, oh Staunen über Staunen!
Ich sehe dich.
Ich sah dich.
Ich werde dich immer sehen, tanzend im grünen Glast, mein winziger roter Stern! So strahlend! So klein! So vollkommen! So feuerflammenrot! Ich kannte dich - Oh ja, ich kannte dich vom ersten Augenblick an, mein Glutbeerchen. Rot! Ein kleinwinziger Rotling, kleiner als mein kleinstes Auge. Und so mutig.
Der Altweise hat es gesagt. Rot ist die Farbe der Liebe.
Ich sehe, wie du versuchst, einen Hüpfer zu fangen, der doppelt so groß ist wie du und hinpurzelst, und in kindlichem Zorn gellt dein zartes Stimmchen Lililie! Lililiie-ie!
Oh meine mächtige Jägerin, du ahnst nicht, dass jemand genau in deinen zarten, kleinen Liebesflaum blickt. Oh ja! Rosig überhaucht ist er, mit der ersten Ahnung einer tieferen Färbung. Meine Kiefer saften, alles um mich versinkt.
Und dann spürt Frim, armer Frim, mich hinter sich und bäumt sich auf.
Aber was für ein Frim das ist! Seine Kehlsäcke sind schwarzpurpurn gebläht, seine Panzerplatten angeschwollen wie die Mutter aller Sturmwolken! Wie gleißen und rasseln seine Sporne! Sein Schweif dröhnt! »Ist meins!«, röhrt er - ich kann ihn kaum verstehen. Er springt auf mich los!
»Nein, Frim, nein!«, rufe ich und weiche ihm aus, verwirrt. Es ist Warmzeit - wieso ist Frim wütig, winterwütig?
»Bruder Frim!«, rufe ich sanft, beschwichtigend. Aber etwas ist falsch, schrecklich falsch! Auch meine Stimme klingt wie Donner! Ja, in der Warmzeit, und ich will ihn nur beruhigen, ich bin voller Liebe - aber die Raserei ergreift mich, auch ich schwelle, rassle, tose! Unbesiegbar! Will zerschmettern - zerreißen -
Oh, die Scham, die Schande!
Ich erwache in den Trümmern von Frim, Frimfetzen überall, Meinselbst ist getränkt von Frim. Doch ich habe ihn nicht verzehrt! Habe ich nicht! Sollte ich darauf stolz sein? Habe ich dem Plan getrotzt? Aber meine Kehle war verschlossen. Nicht, weil es Frim war, sondern deinetwegen, mein Sonnenstäubchen. Du! Wo bist du? Die Lichtung ist verlassen! Oh grässliche Furcht, ich habe dich erschreckt, du bist geflohen! Ich vergesse Frim. Ich vergesse alles über dir, mein Herzblut, mein teurer kleiner Rotling.
Ich zerschmettere Bäume, ich entwurzle Felsen, ich reiße die Wände der Schlucht ein. Oh, wo verbirgst du dich. Plötzlich überkommt mich eine neue Angst: Bist du durch mein unbeherrschtes Wüten zu Schaden gekommen? Ich mahne mich zur Geduld. Ich suche nun besonnen, ziehe Kreise über den Bäumen, weitere und weitere, wolkenleise, neige Augen und Ohren in jede Lichtung hinab. Ein neues Summen dringt aus meiner Kehle. Uuhuhuu, Rum-a-luh-luh, summe, brumme ich. Suche, suche dich.
Einmal erblicke ich weit entfernt eine schwarze Großheit und merke, ich habe mich zu voller Höhe aufgerichtet und brülle. Kampf dem Schwarz! War es ein anderer meiner Brüder? Ich würde ihn töten, aber der Fremde verschwindet bereits in der Ferne. Ich brülle wieder. Nein - es brüllt aus mir, das Schwarz, die neue Macht. Doch tief innen ist Meinselbst-Moggadeet voller Zweifel, voller Fragen. Den Schwarzling zum Kampf fordern - sogar in der Warmzeit? Gibt es keine Schonung, sind wir wie die Fettklimmer? Doch gleichzeitig fühlt es sich - oh, richtig an! Gut! Süß ist der Plan. Ich gebe mich der Suche hin, der Suche nach Dir, mein neues Lied ein Sehnsuchtslied Uuhuhuu und Luhla rum-a-luh-uh-luh.
Und du hast geantwortet! Du!
So ein Winzig-Du, unter einem Blatt versteckt! Li! Li! Lili-liii! Wie du zirpst und zwitscherst - halb neckend, schon jetzt gebieterisch. Oh, wie ich mich drehe und wende, versuche, unter alle Füße gleichzeitig zu schauen, erstarre, vor Angst, Lilili! Lie! zu zertreten. Da stehe ich, Moggadeet, seufze voll bangen Verlangens, wage nicht, ein Glied zu rühren.
Und du kamst hervor, du hast es gewagt.
Als ich sehe, wie du deine Jagdzangen gegen mich erhebst, so zart, so klein, so wunderfein, schmilzt mein Inneres dahin, überschwemmt mich mit rasender Zärtlichkeit. Wie eine Mutter, glaube ich. Rasende Zärtlichkeit, ist das nicht, was eine Mutter fühlt? Von meinen Kiefern trieft Seim, der nicht Hungerseim ist - mich würgt die Furcht, dich zu erschrecken oder deine Zartheit zu verletzen - ich sehne mich danach, dich zu packen und zu betasten, dich zu verschlingen, auf einen Happs oder mit abertausend genäschigen Bissen.
Oh, die Macht von Rot - der Altweise hat es gesagt! Ich fühle meine besonderen Hände, meine Fingerhände, die ich stets verborgen halte - nun drängen sie hervor, drängen zu meinem Kopf. Was geschieht? Was?
Meine geheimen Hände kneten und zwirnen den Seim, der aus meinen Kiefern quillt.
Ah, das erregt auch dich, mein Rotling, habe ich recht?
Ja, ja, ich spüre - oh, süßer Schmerz, oh, Wonnequal - ich spüre deine verstohlene Lust! Wie dein Leib sich auch jetzt noch unseres Liebesmorgens erinnert, unserer allerersten Augenblicke von Moggadeet-Lielie. Bevor ich Deinselbst kannte, bevor du Mich erkanntest. Da begann es, mein Herzenslicht, unser Liebeswissen begann in diesem allerersten Moment, als dein Moggadeet auf deine Kleinheit herniederschaute wie ein dem Bersten nahes Ungeheuer. Ich sah, wie neu du warst, wie hilflos.
Und während ich wonnetrunken über dir stand - während meine Fingerhände deinen Schicksalsfaden spannen - kam mir mitleidsvoll in den Sinn, dass ich vor langer Zeit, im letzten Jahr, als ich ein Kind war, andere kleine Rotlinge unter meinen Brüdern gesehen hatte, bevor unsere Mutter sie verjagte. Damals war ich nur ein unwissender Kleinling, ich verstand es nicht. Ich dachte, sie wären wunderlich und albern geworden in ihrem roten Gewand und Mutter täte recht daran, sie nicht mehr bei uns zu dulden. Dummer Moggadeet!
Doch nun sah ich dich, mein Flämmchen - ich begriff! Du warst am selbigen Tag von deiner Mutter verstoßen worden. Noch nie hattest du die Schrecken einer Nacht allein in dieser Welt erfahren; du ahntest nicht, dass eine Bestie wie Frim Jagd auf dich machen könnte. Oh du Tropfen von meinem Herzblut, mein mutterloser Rotling! Niemals, schwor ich, würde ich dich verlassen, und habe ich diesen Schwur nicht gehalten? Nimmermehr! Ich, Moggadeet, ich würde deine Mutter sein.
Groß ist der Plan, aber ich war größer!
Alles was ich in meinem einsamen Jahr an Jagdkünsten gelernt hatte, lautlos einherzutreiben wie Nebelschwaden, zu greifen, behutsam, doch sicher - dieses ganze Wissen kam dir zugute. Um nicht den kleinsten Teil deines leuchtenden Leibes zu beschädigen. Oh ja! Ich fing dich unverletzt in deiner ganzen zierlichen Vollkommenheit, du mochtest zischen und fauchen und dich sträuben wie das Sonnenfünkchen, das du bist. Und dann -
Und dann -
Ich begann - oh Schrecken! Schamhaftes Entzücken! Wie soll ich dieses köstliche Geheimnis aussprechen? Der Plan leitete mich wie eine Mutter ihr Kind und mit meinen geheimen Händen begann ich -
Ich begann dich einzuspinnen!
Oh ja! Oh ja! Meine besonderen Hände, die bisher keinen Nutzen hatten, nun aber entfaltet und groß und flink und unermüdlich die zähen Säfte meiner Kiefer förderten und formten - sie wanderten über dich und um dich herum und unter dir hindurch, jeder Augenblick versetzte mir einen Stich der Angst und des Glücks. Ich hüllte dich in Seidengespinst, deine anmutigen Gliedmaßen, die verborgensten, empfindsamsten Nischen deines Körpers, ich wob und spann dich ein, achtsam, fürsorglich, bis du ein leuchtendes Juwel geworden warst. Mein Edelstein!
…