McKenna streckte den Kopf in den Maschinenraum und sah Ridley vor den Einzelteilen des zerlegten Turboladers stehen, ölverschmiert, aber er grinste McKenna an und sah kein bisschen müde aus.
»Ich habe den Defekt gefunden«, verkündete er. »Sobald die Läden öffnen, hole ich das Ersatzteil, und dann können wir los.«
McKenna ließ den Blick durch den Maschinenraum wandern. Wie jeder Chief mit Selbstachtung hielt Ridley seinen Arbeitsbereich tipptopp in Ordnung. Es sah gut aus hier unten – die beiden 20-Zylinder-Dieselmotoren, der glänzende Boden aus Riffelblech, jedes Rohr und jedes Kabel war mit einer Farbmarkierung versehen und etikettiert. Ridley war stolz auf seine Maschinen, genau wie ihr Vater es gewesen war. Wenn sie hier herunterkam, hatte sie immer das Gefühl, der alte Seebär müsste aus irgendeinem Winkel auftauchen.
Die Ehe ihrer Eltern, in der es schon länger kriselte, war zerbrochen, als ihr Vater nach Hause kam und bekannt gab, er habe die Gale Force gekauft. Das Schiff war sozusagen der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte. Ihre Mutter zog landeinwärts, nach Spokane, und schleppte ihre widerstrebende Tochter mit. Es folgte eine Zeit voller Bitterkeit, Ressentiments, vieler befangener, steifer Telefongespräche und um Monate zu spät eintreffender Geburtstagskarten mit Briefmarken von fernen Orten wie Hawaii, Panama, Wladiwostok, Hongkong. McKenna, ein Fisch auf dem Trockenen, kellnerte, wurde alt und grau (so kam es ihr vor) und sehnte sich nach dem Meer.
Das war Jahre her. Ihre Mutter heiratete wieder und hatte kaum »Ja, ich will« gesagt, als McKenna schon Spokane hinter sich verschwinden sah. Sie bretterte auf kürzestem Weg zur Küste und erwischte die Gale Force an einem Tiefpunkt. Die Crew leckte sich die Wunden nach einem krachend verlorenen Wettrennen zu einem treibenden Öltanker vor Kalifornien, achtstellig, mindestens – erneut eine demoralisierende Niederlage gegen Christer Magnussons Titan. Fand ihren Vater in genau diesem Maschinenraum, wo er seinen Frust abarbeitete. Sie hatte ihr Haar zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden, sich einen Engländer geschnappt und war von Stund an vollwertiges Mitglied der Crew.
Für den neuen Hilfsdiesel war der Rest der Lebensversicherung ihres Vaters draufgegangen. Ein vierhundertfünfzig PS starker Caterpillar sorgte dafür, dass das Licht brannte und Kran, Winde und Feuerlöschpumpen funktionierten, auch wenn die Hauptmotoren nicht liefen. Um diese auszutauschen, reichte das Geld nicht mehr, und trotz Ridleys sorgsamer Pflege und seines Improvisationsgenies näherten sie sich ihrem Verfallsdatum.
Ridley bemerkte ihre Blickrichtung und erriet, was sie dachte. »Keine Sorge wegen der Maschinen, Skipper. Sie halten durch, bis wir da sind.«
»Dein Wort in Gottes Ohr.« McKenna seufzte tief. »Aber bringen sie uns auch wieder nach Hause?«
»Sie bringen uns eine achtstellige Prämie ein, und nur darauf kommt es an. Wir schippern rauf nach Alaska, nehmen die Lion an den Draht, schleppen sie zum ersten Hafen mit der erforderlichen Kapazität. Wenn sie anschließend den Geist aufgeben, wen juckt’s? Wir kassieren und verpassen dem alten Mädchen eine Rundumerneuerung.«
McKenna rieb sich das Kinn. »Halt sie am Laufen, Nelson.«
»Sie werden laufen, Skipper. Wie geschmiert.« Ridley wandte sich wieder dem zerlegten Turbolader zu. »Gib mir Zeit bis Mittag, dann kann es losgehen. Hast du mit dem Wunderknaben gesprochen?«
McKenna antwortete nicht. Wartete, bis Ridley sich zu ihr umschaute, ihren Gesichtsausdruck registrierte und nickte. »Hast du. Und ich folgere messerscharf, dass er nicht kommt.«
»Poker«, sagte sie. »Er will lieber Poker spielen.«
Ridley wischte sich mit dem Handrücken über die Stirn. Er schwieg, und McKenna fragte sich, ob auch er an das letzte Zusammensein mit der ganzen Mannschaft dachte, in Ridleys Wohnzimmer, anlässlich der Trauerfeier für ihren Vater. McKenna – zu viel Wein und etliche Fingerbreit von dem Whiskey, den jemand mitgebracht hatte – wollte eine Ansprache halten, die zu einer abgrundtief peinlichen Farce geriet.
An irgendeinem Punkt hielt sie es für nötig, Harrington vor versammelter Mannschaft eine Szene zu machen. Er hätte ja keinen Grund mehr zu bleiben, der alte Herr wäre tot und sie offenbar nicht interessant genug, um damit jemand wie Court Harrington dazu zu bringen, dass er sesshaft wurde. Das Ende vom Lied war, dass sie in Tränen ausbrach und Ridley sie flugs aus dem Raum bugsierte. Das Nächste, woran sie sich erinnerte, war die Kloschüssel im Bad der Ridleys, vor der sie kniete und den Whiskey auswürgte. Sie hatte sich sehr bemüht, nicht das einzige gute Kleid, das sie besaß, zu bekleckern. Als sie sich erholt hatte und wieder nach unten ging, war Court Harrington weg, und keiner von den anderen mochte ihr in die Augen sehen.
Ach ja, und Christer Magnusson von Commodore hatte einen Kranz geschickt, der Heuchler, im Namen der Firma natürlich.
»Ich weiß«, hörte sie Ridley jetzt sagen, »ihr beiden hattet eure Differenzen, aber wir könnten den Jungen wirklich gut gebrauchen. Er könnte das Zünglein an der Waage sein.«
Sie ließ ihn nicht weitersprechen. »Ich weiß, Nelson. Ich hab’s versucht. Er war einfach nicht bereit, auf das Pokerturnier zu verzichten. Ist nicht zu ändern.«
Sie hielt seinen Blick aus, eine endlose Minute lang. »Muss ein besonderes Spiel gewesen sein«, meinte er schließlich. »Dann geht es eben ohne ihn.«
»Er ist nicht der einzige Schiffbauingenieur.«
»Der einzige nicht«, pflichtete Ridley ihr bei, »aber der gottverdammt beste.«