McKenna und Harrington biwakierten am Fuß des Niedergangs, neben dem Schott von Deck vier, während Nelson Ridley zum Wetterdeck zurückkletterte, um den Funkkontakt mit der Gale Force aufrechtzuerhalten. McKenna und Harrington rollten die Schlafsäcke aus und machten sich hungrig über den Proviant her.
»Wir halten Wache im Zwei-Stunden-Rhythmus«, sagte McKenna. »Pumpe kontrollieren, Sprit nachfüllen, Schlauch verlängern und so weiter. Klingt gut?«
Harrington biss von seinem Brot ab. »Für mich ja«, antwortete er mit vollem Mund.
»Und nicht vergessen, sich beim Klettern zu sichern. Safety first!«
»Mach mal halblang, McKenna.« Harrington grinste. »Das ist nicht mein erstes Rodeo.«
Eigentlich ist es meins, dachte McKenna. Und ich möchte keinen meiner Leute verlieren. Sie kramte in der Provianttüte. Jason Parent hatte belegte Brote gemacht, Männerformat, Roastbeef, Salatblätter (knackig!) und Tomatenscheiben. McKenna genoss jeden Bissen. Und jeden Schluck heißen, starken Kaffee.
Hoch über ihnen heulte der Wind durch die Luke des Niedergangs, die sich nur ganz schwach als wenig helleres Quadrat vor dem nachtschwarzen Himmel abzeichnete. Tief im Schiffsbauch, wo sie saßen, war das einzige Licht das kalte Blau ihrer Stirnlampen. Es war leicht, sich vorzustellen, sie beide wären die letzten Menschen auf einer postapokalyptischen Erde, und McKenna konnte sich einer zunehmenden Befangenheit nicht erwehren. Sie war nicht mehr so allein mit Harrington gewesen, mit so wenig Gesprächsstoff, seit sie ihm damals ihre Gefühle offenbart hatte.
Und das war nicht gut angekommen.
»Was meinst du, kriegen wir das gestemmt?«, fragte sie nach einer Weile. »Glaubst du, du kannst das Schiff aufrichten?«
Harrington nickte. »Ich bin ziemlich zuversichtlich.«
»Ziemlich?« McKenna hob eine Augenbraue. »Aber wenn wir erst alle Daten gesammelt haben, bist du ganz sicher, ja?«
Harrington stieß ein kleines Lachen aus, die Art von Lachen, bei dem McKenna sich bis heute vorkam, als hätte sie eine unvorstellbar dumme Frage gestellt.
»Daten sind nicht alles«, antwortete er. »Es bleibt immer eine gewisse Diskrepanz zwischen Computersimulation und Realität.«
McKenna starrte ihn an. »Du hast behauptet, wenn wir die Flüssigkeitsmengen in dein Computerprogramm eingeben, sagt uns der Computer, was wir tun müssen. Und jetzt doch nicht?«
»So einfach ist das nicht, McKenna. Eine Bergungsaktion ist kein Videospiel. Auf dem Schiff gibt es dreiunddreißig Tanks und eine Million weiterer Variablen. Du bekommst von mir keine einfache Lösung für ein kompliziertes Problem.«
»Aber das ist deine Spezialität«, wandte McKenna ein. »Das ist dein Job, Court. Du bist der Mann, der Kompliziertes einfach macht.«
Harrington seufzte. »Ich kann dir Anhaltspunkte geben. Die Computermodelle zeigen uns die Erfolgsaussichten unter diesen oder jenen Voraussetzungen. Wir entscheiden, welches Risiko uns akzeptabel erscheint. Und etwas Glück braucht man auch, damit es funktioniert.« Er schaute sie an. »Dein alter Herr hat das verstanden.«
»Ach, und warum verstehe ich das nicht? Willst du das damit sagen? Tut mir leid, Court. Ich war in dem Glauben, ich hätte den weltbesten Experten für diesen Job, und du erzählst mir, dass wir pokern?«
Harrington setzte zu einer Antwort an, aber McKenna kam ihm zuvor.
»Ich brauche eine Lösung, Court«, sagte sie. »Ich brauche keine Vielleichts und keine hochwissenschaftlichen Ausflüchte. Ich brauche einen Plan für die Bergung dieses Schiffs, und ich brauche ihn schnell.«
»Du bekommst deinen Plan, McKenna. Lass mich einfach meine Arbeit machen, und du kümmerst dich um deine Sachen.«
Ich bin verdammt nochmal der Kapitän!, dachte McKenna. Und als Kapitän ist auch deine Arbeit meine Sache. Sie sprach es nicht aus. Schraubte die Thermoskanne zu und blickte durch das Schott zur Pumpe hinunter, deren Rattern durch den Laderaum hallte.
Harrington betrachtete sie von der Seite. Diese grünen Augen – sie konnte den Blick fast körperlich spüren und hielt das Gesicht stur abgewendet. Nicht weich werden. Du weißt, wie das ausgehen kann.
»Was ist mit uns passiert, McKenna?«, fragte er, als klar wurde, dass sie ihn nicht ansehen würde. »Wie konnte es so weit mit uns kommen?«
Das weißt du, dachte sie. Das weißt du verdammt genau.
Laut sagte sie: »Schnee vom letzten Jahr, Court. Jetzt ist es nur wichtig, dass wir diesen Job unter Dach und Fach bringen.«
»Es war schön, damals mit uns. Ich finde es schade, dass es so geendet hat.«
»Mit dem Tod meines Vaters?«
Er verzog das Gesicht. »Das habe ich nicht gemeint. Davor, als du all diese Sachen gesagt hast.« Er verstummte kurz. »Ich war jung, und du warst jung, und ich dachte, wir hätten einfach Spaß. Und dann das mit deinem Vater, und als keiner wusste, wie es weitergeht – ich hatte einfach keine Gelegenheit mehr zu sagen, dass es mir leidtut.«
Autsch! McKenna wünschte sich, sie wäre oben an Deck. Am Grund des Meeres. Alles, um diesem Gespräch aus dem Weg zu gehen.
»Das ist doch dummes Zeug. Niemand muss sich für irgendwas entschuldigen.« Sie stand auf. »Ich gehe nachsehen, was die Pumpe macht. Versuch zu schlafen. Ich wecke dich, wenn du an der Reihe bist.«
Sie stieg durch das Schott und hangelte sich am Seil zur Pumpe hinunter. Es war nicht der schamrote, tränenreiche Rückzug von damals, aber viel besser fühlte sie sich nicht.