»An Steuerbord gibt es einen zweiten Eingang«, sagte Harrington. »Wir steigen hoch und versuchen unser Glück von dort.«
Sie machten sich auf den Rückweg durch dieselben feuchten, finsteren Gänge, vorbei am Niedergang zu Deck vier und weiter nach Steuerbord. Die Tür dort war nicht verriegelt, ließ sich aber ebenfalls nicht öffnen. Von innen musste etwas dagegengerutscht sein, etwas Schweres, das sie nicht wegschieben konnten.
»Das wird nichts«, sagte McKenna, nachdem sie sich eine Zeit lang abwechselnd, dann mit vereinten Kräften abgemüht hatten. »Das muss passiert sein, als das Schiff sich auf die Seite gelegt hat.«
Harrington schlug mit der Faust gegen die widerspenstige Tür. »Wir brauchen die Daten, bevor wir auch nur daran denken können, mit dem Pumpen anzufangen.«
»Es muss noch einen weiteren Zugang geben.«
»Aber ja. Durch das Mannschaftsdeck. Wir müssen nur erst wieder ganz nach oben steigen.«
McKenna schaute auf die Uhr. Fast Mittag. Die Wanderung durch den Bauch der Pacific Lion hatte über fünf Stunden gedauert, und das Wetter wurde bestimmt nicht besser. Noch eine weitere Stunde für den Weg zum Maschinenraum, und wer weiß, wie lange es dauerte, die restlichen Flüssigkeitsmengen festzustellen. Im Anschluss daran musste Harrington an seinem Computer einen Aktionsplan ausarbeiten, die Crew musste die Lenzpumpen an den neuen Standort transportieren, und dann das Pumpen von Backbord nach Steuerbord …
Vor ihnen lag ein langer Tag. Immer vorausgesetzt, dass alles reibungslos ablief.
»Auf zum Heck«, sagte sie und machte sich auf den Rückweg zum Niedergang und zur Schlaufenleiter. »Und getrödelt wird nicht, okay?«
***
Zwanzig Meter unter der Meeresoberfläche hatte der Seegang sich weniger deutlich bemerkbar gemacht, doch als sie sich der Luke an Steuerbord näherten, bekam McKenna die ganze Gewalt der Elemente zu spüren. Unerwartet schwang das Seil weit aus, schleuderte McKenna gegen die Wand des Niedergangs, dann gegen die Treppenstufen, einmal, zweimal. Sie schnappte nach Luft und presste eine Hand gegen die geprellten Rippen.
»Heiliger!«, rief Harrington von unten. »Alles noch ganz?«
»Paar blaue Flecken. Halb so wild.«
»Auch du bist wichtig für den Job, also sei vorsichtig.«
»Roger.« McKenna stieg Schlaufe um Schlaufe weiter nach oben. Karabiner aus, Karabiner ein und so weiter und so weiter. Safety first.
Matt Jonas war da, als McKenna den Kopf aus der Luke steckte. »Stacey ist unten und sieht nach der Pumpe«, berichtete er. »Wir glauben, das Wasser ist raus, bis auf einen Rest. Hattet ihr Erfolg?«
»Teils, teils.« McKenna stemmte sich aus der Öffnung, stand auf und griff haltsuchend nach Matts Schulter, weil das Schiff eine wilde Schaukelbewegung vollführte. »Wir müssen noch in den Maschinenraum. Wenn wir damit durch sind, wird Courts Computerprogramm uns verraten, wie es weitergeht.«
»Umso besser.« Matt lächelte verlegen. »Allmählich macht sich hier unten ein Anflug von Seekrankheit bemerkbar.«
»Kein Wunder bei dem, was die Wetterküche draußen uns serviert.« McKenna spähte in den dunklen Niedergang hinein. »Bist du noch am Leben, Court?«
Der Gefragte schnaufte, klinkte den Karabiner aus und drei Sprossen höher wieder ein. »Alles bestens«, antwortete er. »Aber die Schaukelei geht mir auf die Nerven.«
»Noch ein paar Sprossen, dann hast du’s geschafft.«
»Ja.« Court lachte. »Und dann noch einmal neun Decks nach oben und wieder ganz nach unten.«
Er setzte den Fuß in die nächsthöhere Schlaufe, klinkte den Karabiner aus, wollte ihn über Kopf wieder einhängen, wurde ungeduldig, fluchte, ließ ihn fallen.
McKenna streckte den Arm durch die Luke. »Lass. Ich ziehe dich hoch.«
Aber Harrington war stur. Er tastete an seinem Gurt nach dem Band mit dem Karabiner. Dann kam die Welle.
Kein Monster, aber groß genug. Der Rammstoß erfolgte mit einer solchen Urgewalt, dass McKenna glaubte, für die Lion – und für alle an Bord – hätte das letzten Stündlein geschlagen. Der Rumpf erbebte und dröhnte wie eine Glocke, das Schiff bäumte sich auf, Stahl kreischte. Aus den Laderäumen drang eine Kakophonie aus blechernem Geschepper und Reifenquietschen. McKenna ließ sich auf die Knie fallen, klammerte sich am aufgeklappten Lukendeckel fest und sah, wie Harrington das Seil förmlich aus den Händen gerissen wurde.
Seine Augen weiteten sich entsetzt. Er öffnete den Mund, blieb aber stumm und fiel, den Blick in McKennas Gesicht gekrallt, fünf Meter senkrecht nach unten, bevor er gegen Wand oder Stufen prallte, sich überschlug und in der Dunkelheit verschwand. Der Strahl seiner Stirnlampe kreiselte wild durch den Schacht, dann hörte McKenna den dumpfen Schlag, mit dem sein Körper unten aufprallte.
»Court!« Schon hatte sie das Seil gepackt und rutschte durch die Luke in den Schacht. Rief Matt zu, er solle die Coast Guard alarmieren. Hangelte sich nur mit den Händen nach unten, zum Teufel mit Safety first, schrie Courts Namen, registrierte am Rande, dass Matt die zweite Schlaufenleiter zum Wetterdeck regelrecht hinauflief, wäre selbst um ein Haar abgestürzt, als das Schiff wieder hochgehoben und in ein Wellental gestürzt wurde, klammerte sich mit Armen und Beinen fest, bis es vorbei war, und kletterte weiter nach unten in die von Öldunst durchwaberte Finsternis.
Harrington lag grotesk verkrümmt am Fuß der Treppe auf dem Rücken. McKenna sprang vom Seil ab, landete neben ihm, eine namenlose Angst schnürte ihr die Brust zusammen. »Court«, sagte sie und kniete sich auf den Boden. »Komm schon, Court, sag was.«
Harringtons Augen waren geöffnet, ihr Blick verschwommen.
»Court. Was ist mit dir?«
Seine Lider flatterten. »Randall?«, lallte er. »Scheiße … das war übel.«
Dann verlor er das Bewusstsein. McKenna fühlte nach dem Puls: schwach, aber tastbar.
»Holt Hilfe!«, brüllte sie durch den Schacht nach oben. »Gottverdammt, ich brauche Hilfe hier unten, sofort!«