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Katsuo Nakadate legte den Hörer auf und schaute hochzufrieden auf seinen Computermonitor. Masao Tanakas Information war zum genau richtigen Zeitpunkt gekommen.

Durch reinen Zufall hatte Nakadate entdeckt, dass er den Kurs der Gale Force verfolgen konnte, indem er einfach den Namen in die Suchmaschine seiner Wahl eintippte. Das Schiff sendete ein GPS-Signal, das von darauf spezialisierten Webseiten aufgefangen und ins Netz gestellt wurde.

Er begriff, dass er auch den Kurs der Pacific Lion in Echtzeit hätte verfolgen können, wäre ihre Reise planmäßig verlaufen. Im Internet fanden sich zahllose der Schiffsverfolgung gewidmete Seiten mit Karten, auf denen sich bunte Symbole drängten, ähnlich wie auf dem Radarschirm eines Fluglotsen, und jedes Symbol repräsentierte einen Frachter, einen Schlepper oder ein großes Fischereifahrzeug.

Nakadate sah, dass aktuell die Gale Force den Golf von Alaska hinter sich gelassen und die Haida Gwaii Inselgruppe erreicht hatte. Als Bestimmungsort war Seattle angegeben. Demnach würde sie mit Kurs Südwest weiterfahren, an Vancouver Island entlang, das zu Kanada gehörte, und dann weiter nach Seattle.

Die Westküste von Vancouver Island, hatte Nakadate recherchiert, war unwirtlich und nur dünn besiedelt. Die meisten Ortschaften gab es nach Süden hin, Fischerdörfer und kleine Städte, die vom Tourismus lebten. Demnach gab es Verkehrsanbindungen, die man nutzen konnte. Umständlich, aber es musste genügen.

Nakadate griff wieder zum Telefonhörer und rief Daishin Sato an. Sato meldete sich, bat um Entschuldigung für die schlechte Verbindung, und Nakadate hörte den angestrengten Atem des Mannes, der offenbar zu einer Stelle auf dem Schiff unterwegs war, an der der Empfang besser war.

Dann hörte Nakadate neben der Statik das Rauschen von Wind und Meer und Möwenschreie. Als Sato sich wieder meldete, war er klar und deutlich zu verstehen. »Oyassan?«

»Der Aktenkoffer befindet sich auf dem Schlepper«, teilte Nakadate ihm mit. »Wartet die Nacht ab und geht diskret vor, vermeidet mach Möglichkeit eine offene Konfrontation, aber er muss um jeden Preis wiederbeschafft werden. Anschließend begebt euch nach Vancouver Island, einem Ort mit Namen Tofino. Ich werde alles Notwendige für die Weiterreise von dort arrangieren.«

»Wie Sie wünschen, Oyassan.«

Nakadate legte auf. Schaute nach, wie weit die Gale Force inzwischen gekommen war. Dann rief er die Homepage von Gale Force Marine auf. Die Webseite war auf das Nötigste beschränkt und wirkte amateurhaft. Ein Foto des Schleppers und ein Foto der Firmeninhaberin, die zugleich auch Schiffsführerin war – eine Frau namens McKenna Rhodes. Nakadate studierte die Bilder. Das Schiff wirkte solide und gepflegt, die Frau war erstaunlich jung für so eine verantwortungsvolle Position. Offenes Gesicht, direkter Blick. Sie sah nicht aus wie jemand, der sich ohne Weiteres ins Bockshorn jagen ließ.

Sei’s drum!, dachte Nakadate. Wenn sie Glück hat, wird sie Satos Anwesenheit auf ihrem Schiff gar nicht bemerken. Aber ich werde mein Eigentum zurückbekommen, wenn es sein muss, mit Gewalt.

Er schloss die Webseite von Gale Force Marine. Rief die Seite mit dem Schiffsradar wieder auf. Das Symbol der Gale Force mit der Pacific Lion im Schlepp hatte sich nicht merkbar weiterbewegt, aber in der Realität fuhr sie Meile um Meile an der Küste von Vancouver Island entlang und näherte sich Tofino.