Iris
Du bist was?!« Moms dunkle Augen werden groß. Sie flicht ihre Hände ineinander, als wollte sie sich davon abhalten, sich durch die Korkenzieherlocken zu fahren.
»Sie hat gesagt, sie ist verlobt«, antwortet Nana an meiner Stelle, bevor sie ihren Kaffee schlürft. Ihre ergrauenden Locken, die ein Erbe ihrer senegalesischen Abstammung sind, fallen ihr über die Schulter, als sie auf dem Korbstuhl ihre Sitzposition verändert.
»Wie? Wo? Mit wem? Soweit ich mich erinnern kann, hast du vor Kurzem noch behauptet, Single zu sein.« Feine Falten haben sich in die Haut um die Augen meiner Mutter gegraben.
»Es ist kompliziert.« Das ist zumindest eine Art, auf die man es ausdrücken kann.
Vielleicht hat mich meine Verlobungsfeier aus der Hölle doch noch nicht gut genug auf diese Art von Gespräch vorbereitet.
»Dann rück endlich mit der Sprache raus. Ich weiß nicht, wie lange ich noch auf dieser Erde weilen werde, und so wie du herumstammelst, wirst du vor deiner Hochzeit noch eine Beerdigung organisieren müssen«, fügt Nana mit ernster Miene hinzu. Wahrscheinlich ist allein sie der Grund dafür, dass ich es geschafft habe, einem Haufen Fremder vorzutäuschen, eine Verlobung zu feiern.
»Es gibt nicht viel zu planen; wir werden ganz intim heiraten, nur wir zwei.«
»Wie bitte?!« Moms Keuchen lässt mein Lächeln verblassen. »Das werdet ihr nicht. Du bist mein einziges Kind, und ich werde nicht zulassen, dass du den Bund der Ehe in irgendeinem Hinterzimmer eines Gerichtsgebäudes schließt.«
»Was soll denn verkehrt daran sein? So hab ich schließlich auch geheiratet.« Nana klingt tatsächlich beleidigt.
»Eben, Mutter«, sagt meine Mom.
»Die Location war toll. Ich habe meinen frisch verheirateten Hintern auf die Bourbon Street geschwungen, und dein Vater und ich hatten eine wilde Nacht.«
»Ich kenne die Geschichte meiner Zeugung bestens, kein Grund, sie noch mal aufzuwärmen.«
Ich habe keine Ahnung, wie es die beiden unter einem Dach aushalten, seit ich nicht mehr hier wohne und zwischen ihnen vermittle. »Wollt ihr meine Geschichte hören, oder möchtet ihr mich für den Rest meines Lebens traumatisieren?«
»Deine Geschichte«, antworten sie wie aus einem Mund.
Ich erzähle ihnen, wie Declan und ich auf einem gefährlich turbulenten Flug nach Tokio unsere wahren Gefühle füreinander erkannt haben. Wie ich in Tränen ausgebrochen bin aus Angst, bei einem Flugzeugabsturz zu sterben, und Declan mich geküsst hat, um mir meine Panik zu nehmen. Der schwierigste Teil meiner Lüge ist der, vorzugeben, unsere Beziehung ein Jahr lang geheim gehalten zu haben, weil ich mir nicht sicher gewesen sei, wie sie sich entwickeln würde. Es ist schon beinahe witzig, dass sie angesichts meiner Erfolgsbilanz mit Männern dennoch die glaubwürdigste von allen ist.
»Du willst mir sagen, dass du mit Declan Kane verlobt bist? Freiwillig? «, keucht meine Mutter.
»Ist das so schwer zu glauben?«
Mom hört auf, in der Küche auf und ab zu gehen, um mich anzusehen. »Nein. Um ehrlich zu sein, nicht wirklich.«
Mir fällt die Kinnlade herunter. »Was?«
Meine Grandma lacht. »Ach, komm schon. Du hast letztes Weihnachten bei uns ausfallen lassen, um Zeit mit ihm in Tokio zu verbringen.«
»Ich habe gearbeitet.«
Nana lacht noch lauter. »Genau. Wir arbeiten alle gerne, Liebling. Einige mehr als andere. Und am besten mehrmals am Tag.«
Ich verschlucke mich an meinem Kaffee. »Ich dachte, die Libido nimmt mit dem Alter ab.«
»Ich verfüge über Erinnerungen, die mich ein Leben lang begleiten.«
Mom stöhnt auf. »Und die nimmst du bitte mit ins Grab.«
Inzwischen heult Nana vor Lachen.
Mom setzt sich neben mich und greift nach meiner linken Hand, um den Ring von allen Seiten zu begutachten. »Bist du dir sicher?«
Ich nicke. »Natürlich.«
Dafür, dass du deine eigene Mutter anlügst, wirst du in der Hölle schmoren.
Wenigstens können Declan und ich dann im Jenseits zusammenbleiben.
»Das kommt so völlig …«, meine Mutter kämpft sichtlich darum, die richtigen Worte zu finden.
»Aus heiterem Himmel?«
»Ja.«
»Es ist etwas … Besonderes. Ich liebe ihn wirklich.« Es kostet mich meine ganze Willenskraft, die Sätze mit aufrichtiger Miene herauszubringen.
Sie neigt den Kopf. Meine Mutter hat es immer geschafft, die Wahrheit aus mir herauszukitzeln, auf die eine oder andere Weise. Ich beiße mir auf die Lippe, um mich davon abzuhalten, etwas Dummes zu sagen.
Wie zum Beispiel die Wahrheit?
Ach, halt den Mund, verbanne ich mein schlechtes Gewissen in die hinterste Ecke meines Kopfes.
»Er ist dein Vorgesetzter.«
»Ich weiß.«
»Er ist viel älter als du.«
»Soll das was Schlechtes sein? Ich kann nämlich nur Positives daran finden«, wirft Nana ein.
»Wir suchen uns nicht aus, in wen wir uns verlieben.«
Mom seufzt. »Nein, das tun wir nicht.«
Die Schuldgefühle sind zurück und ziehen sich wie ein Lasso immer fester um mein Herz zusammen. Meine Mutter ist das Aushängeschild dafür, was es bedeutet, sich in jemanden zu verlieben, in den man sich nicht verlieben sollte, und ich war das unerwartete Ergebnis dieser Liaison.
Sie drückt beruhigend meine Hand. »Solange du glücklich bist, freue ich mich für dich.«
Ich nicke nur, weil ich Angst habe, welche Worte aus meinem Mund kommen könnten. Würde meine Mutter den wahren Grund für meine Verlobung kennen, wäre sie vermutlich weit weniger begeistert. Wenn sie wüsste, dass ich vorhabe, mich an einen Mann zu binden, der mich nicht mal wirklich mag, und an ein Baby, das er nicht will, würde sie sich mit Sicherheit die größten Sorgen um mich machen. Sie würde mehr für mich wollen, als in ihre Fußstapfen zu treten.
Und meine Panik wird noch größer, als Nana den Mund öffnet und fragt: »Und wann lernen wir ihn kennen?«
* * *
Als ich meine Haustür öffne, sehe ich Cal im Rahmen lehnen. »Du bist mir aus dem Weg gegangen«, sagt er.
»Ich hab mich mit den Folgen meiner Entscheidungen befasst.« Ich mache einen Schritt zur Seite, damit er meine Wohnung betreten kann. Er lässt den Raum sofort zehnmal kleiner erscheinen. Meine Wohnung ist nichts Besonderes, aber sie gehört allein mir – nach Jahren harter Arbeit und vielen Menschen, die an mir gezweifelt haben.
Er navigiert durch das Minenfeld an Topfpflanzen, um sich schließlich auf meine abgenutzte Ledercouch fallen zu lassen. »Warum hast du das gemacht?«
Ich setze mich ihm gegenüber und ziehe meine Knie an die Brust. »Weil ich bescheuert bin.«
»Wie konnte es dazu kommen, dass du dich, nachdem du jedem Freund, den du jemals gehabt hast, den Laufpass gegeben hast, sobald es dir ›zu ernst‹ wurde, einverstanden erklärst, ausgerechnet meinen Bruder zu heiraten?«
»Wenn du es so ausdrückst, klingt es tatsächlich etwas ungewöhnlich für mich.«
Er lacht. »Was ist daraus geworden, den Männern für immer abzuschwören?«
»Wenn man anfängt, drüber nachzudenken, erscheint einem ›für immer‹ plötzlich wie eine sehr lange Zeitspanne …«
»Sagt die Frau, die der Ansicht war, dass es mit ihrem Ex-Freund zu schnell geht, als er ihr eine Zahnbürste in sein Bad gestellt hat.«
»Das ist was anderes.«
Schon klar, meine Beziehungshistorie ist nicht gerade die schönste. Ich bin immer diejenige, die sich aus dem Staub macht, sobald es zu real wird. Weil mich meine Angst dazu bringt, erst zu handeln und es dann zu bereuen. Kein besonders gesundes Verhaltensmuster, aber es hat mich daran gehindert, das Schicksal meiner Mutter zu teilen. Denn obwohl ich sie liebe, hat mein Aufwachsen in ihrer missbräuchlichen Ehe mit meinem Vater dazu geführt, dass ich mir geschworen habe, mich niemals in eine solche Position zu bringen. Zu lieben, bedeutet, mehr zu verlieren, als ich bereit bin aufzugeben.
Cal reißt mich aus meinen Gedanken. »Klar ist es was anderes. Du wirst heiraten. Und ein Kind bekommen. Du wirst mich zum Onkel machen.«
Mir dreht sich der Magen um. »Ich weiß, es klingt verrückt …«
»Das liegt daran, dass es verrückt ist .«
Ich werfe meine Hände in die Luft. »Warum hast du mich dann dazu ermutigt?«
»Weil ich niemals gedacht hätte, dass du es wirklich durchziehst!«
Mein Mund klappte auf, aber ich bringe kein Wort heraus.
Er seufzt. »Mein Bruder ist der letzte Mann, den du heiraten solltest.«
Das Gefühl der Enge in meiner Brust nimmt zu. »Warum?«
»Weil er dir wehtun wird. Das ist für ihn eine Selbstverständlichkeit.«
»Es ist süß von dir, dass du dir Sorgen machst, aber unsere Beziehung ist nichts weiter als eine vertragliche Vereinbarung. Er kann mir also gar nicht wehtun.«
Deshalb habe ich mich ja überhaupt nur auf die Sache eingelassen. Wenn ich mir Sorgen gemacht hätte, dabei mein Herz zu riskieren, wäre ich nie auf die Idee gekommen, es zu tun. Aber mit Declans nicht vorhandenem Interesse an Beziehungen und meiner Bindungsangst passen wir perfekt zusammen.
»Du könntest dich in ihn verlieben.«
Ich lache, bis mir die Tränen kommen. »Declan und ich könnten die letzten beiden Menschen auf der Erde sein, und ich würde trotzdem meinen Vibrator vorziehen.«
Cals Lippen kräuseln sich angewidert. »So genau wollte ich es gar nicht wissen.«
»Aber es stimmt!«
»Und wie willst du dann bitte ein Kind mit ihm zeugen?«
»Mit der Hilfe von jemandem in einem weißen Kittel.« Auch wenn ich den Vertrag, den Declan aufgesetzt hat, nicht gelesen habe, kenne ich seine Erwartungen hinsichtlich einer In-vitro-Befruchtung.
»Ein gemeinsames Kind zu haben, schafft eine Verbindung zwischen zwei Menschen, die niemals gelöst werden kann.« Ein dunkler Ausdruck huscht über Cals Gesicht, und der Schmerz in meiner Brust verstärkt sich.
Ich schlucke den Kloß in meinem Hals herunter. »Das weiß ich.«
»Dann hoffe ich, dass du außerdem weißt, was du tust.«
Das tue ich nicht. Nicht mal im Ansatz. Aber anstatt mich von meiner Angst vereinnahmen zu lassen, straffe ich die Schultern und stelle mich meiner Realität.
»Eine Ehe zu führen, ist sicherlich nicht leicht, aber ich bin bereit, alles zu geben.«
Ich kann nur hoffen, dass ich nicht irgendwann auf diesen Moment zurückblicke und meine Entscheidungen bereue.