Iris
Den ganzen Weg zu meinem Schlafzimmer halte ich meinen Kopf hoch erhoben. Anstatt mich von meinem Gespräch mit Declan verunsichert zu fühlen, verspüre ich innere Ruhe. Es scheint, als ob wir endlich wieder an dem Punkt angelangt sind, an dem wir uns vor unserer stürmischen Verlobung befunden haben. Sicher, die Kuchenverkostung und das Familienessen waren vielleicht eine nette Abwechslung, aber auch nicht mehr. Eine Show für die Massen.
Ich brauche ganze zwanzig Minuten, um die stundenlange Arbeit, die in meine Frisur und das Make-up geflossen ist, rückgängig zu machen. Vermutlich ist mindestens die Hälfte meiner Wimpern dem Wimpernkleber zum Opfer gefallen, aber das ist kein besonders hoher Preis dafür, mich endlich wieder wie ich selbst zu fühlen.
Als ich mein Kleid ausziehen will, hole ich mir beinahe eine Zerrung bei dem Versuch, die Vintage-Knöpfe zu öffnen, die entlang meiner Wirbelsäule das Rückenteil zieren.
»Verdammte Scheiße!«, knurre ich, während ich mich vor dem großen Spiegel drehe und wende. Doch es hilft alles nichts. Die Hände in die Hüften gestützt, starre ich mein Spiegelbild an.
Aus diesem Kleid kommst du auf keinen Fall alleine raus.
Ich seufze resigniert, als ich beschließe, meinen Stolz herunterzuschlucken, und mein Zimmer verlasse.
Mein Klopfen an Declans Tür hallt von den hohen Decken wider. Dann stehe ich da und warte, dass er öffnet. Der Druck auf meine Brust wird immer stärker. Aus zehn Sekunden werden dreißig, und ehe ich mich’s versehe, klopfe ich erneut. »Declan! Ich brauche deine Hilfe!«
Jepp, es tut weh, das zuzugeben.
Falls er schon geschlafen haben sollte, tut er es jetzt garantiert nicht mehr. Das Knarren der Türklinke gibt mir Hoffnung, dass ich heute Nacht nicht in meinem Hochzeitskleid schlafen muss.
Was für ein deprimierender Gedanke …
Als Declan die Tür öffnet, möchte ich in die entgegengesetzte Richtung davonlaufen. Beim Anblick seiner muskulösen nackten Brust beschleunigt sich mein Herzschlag, und ich verschlucke mich beim nächsten Einatmen.
Wassertropfen rinnen über blasse Muskeln, bevor sie in ein weißes Handtuch sickern, das um seine schmale Taille gewickelt ist. Das V seiner Bauchmuskeln deutet wie ein Pfeil auf einen Bereich, an den ich verdammt noch mal nicht denken sollte. Ein Bereich, der beweist, dass Declan gut ausgestattet ist, auch wenn er nicht erregt ist.
Tief in meinem Bauch sammelt sich Wärme. Meine Hände sehnen sich danach, seine Muskeln nachzufahren.
Das darf nicht wahr sein, wo kommen diese Gedanken her?
Hastig richte ich den Blick auf sein Gesicht in der Hoffnung, dass ihm entgangen ist, dass ich für einen kurzen Moment den Verstand verloren habe.
Er hebt in stiller Erwartung eine Augenbraue.
O mein Gott. Er weiß, dass dir gefällt, was du siehst.
Ich möchte irgendwie reagieren, aber meine Kehle ist auf einmal staubtrocken.
»Du wolltest meine Hilfe?«
Seine Hilfe! Genau!
»Ich komme nicht an die Knöpfe dran.« Ich klinge sehr viel atemloser, als mir lieb ist. Angesichts unseres Streits im Auto kann ich zumindest so tun, als wäre ich deswegen noch verstimmt.
Declan umkreist mich wie ein Raubtier. Seine Muskeln bewegen sich mit jedem Schritt, und ich bin überrascht, dass ich nicht anfange, wie ein Hund zu hecheln.
Als er mir die Haare über die Schulter streicht, breitet sich eine Gänsehaut auf meiner Haut aus.
Etwas, das definitiv nicht passieren sollte.
Jeder Mensch mit Augen im Kopf würde sich von solchen Bauchmuskeln angezogen fühlen. Wir sind biologisch darauf getrimmt, uns einen Partner zu suchen, der für uns sorgen kann.
Für was sorgen kann? Endlose Orgasmen?
»Das sind mindestens hundert«, reißt Declan mich aus meinen Gedanken, wofür ich ihm unendlich dankbar bin.
Ein Lachen entfährt mir, bevor ich die Chance habe, es zu unterdrücken. »Hundertzwanzig laut Nana.«
Er stößt ein undefinierbares Knurren aus. »Komm rein, ins Licht, damit ich besser sehen kann.«
Eine harmlose Einladung, aber mein Körper scheint das Memo nicht erhalten zu haben.
Declan geht mir voraus zu seinem Nachttisch, auf dem eine eingeschaltete Lampe steht. »Ich ziehe mir nur schnell etwas an.«
Bitte tu das nicht.
Welchen Ausdruck auch immer ich gerade auf dem Gesicht habe, er veranlasst ihn, seine Mundwinkel zu heben.
»Bin gleich wieder da.« Er geht zu seinem Schrank, bleibt jedoch in der Tür stehen und wirft einen Blick über die Schulter. Meine Wangen beginnen zu brennen, als mir bewusst wird, dass er mich gerade dabei erwischt hat, wie ich ihn beobachte. Er hebt eine Augenbraue. »Starren ist unhöflich.«
»Dann lauf hier nicht halb nackt rum. Problem gelöst.«
Richtig so, gib’s ihm!
Mit einem Kopfschütteln betritt er seinen Schrank, ohne mir einen weiteren Blick zu schenken.
Ich nehme mir einen Moment Zeit, um die Gegenstände auf seinem Nachttisch zu betrachten. Aus den vergilbten Seiten einer Ausgabe von Der Große Gatsby ragen fünf verschiedenfarbige Haftnotizen hervor, daneben liegt eine Fernbedienung. Meine Augen weiten sich vor Erstaunen beim Anblick des kleinen Kaktus, den ich ihm vor zwei Jahren zu Weihnachten geschenkt habe.
»O mein Gott, der lebt noch?« Ich greife nach dem Topf, auf dem der Schriftzug Sei kein Stachelschwein prangt.
»Ich bin durchaus in der Lage, für einen Kaktus zu sorgen.«
Beim Klang seiner Stimme zucke ich zusammen. »Aber es ist schon zwei Jahre her, dass ich ihn dir geschenkt habe!« Und er hat ihn auf seinem Nachttisch stehen. Mir fehlt der Mut, ihn zu fragen, warum, obwohl ich quälend neugierig bin.
Declan bringt mich zum Schweigen, indem er neben den Elfenbeinknöpfen mit einem Finger über den Ansatz meiner Wirbelsäule fährt. Der Blumentopf in meiner Hand zittert, als sein heißer Atem meinen Nacken streift. Meine Haut kribbelt als Antwort, und ich stelle rasch den Kaktus ab, damit Declan nicht bemerkt, dass ich meine Finger nicht ruhig halten kann.
Er beginnt, am obersten Knopf herumzufummeln. Sein frustriertes Grummeln bringt mich zum Lachen.
»Findest du das etwa lustig?« Ich kichere erneut, als er mit den Fingern abrutscht. »Meine Hände sind zu groß.«
Ich verdrehe die Augen. »Natürlich sind sie das.«
»Kein Witz.«
Ich werfe ihm einen bösen Blick über die Schulter zu. »Irgendwie müssen wir das hinkriegen; ich habe nämlich nicht vor, in dem Ding zu schlafen.«
»Ich könnte dich rausschneiden.«
»Nein!« Das Kleid hat fünfzigtausend Dollar gekostet. Wir werden es nicht kaputt machen, nur weil Declan und seine riesigen Hände nicht in der Lage sind, mit ein paar mickrigen Knöpfen umzugehen.
Seufzend versucht er es erneut – und scheitert. »Schere oder Messer?«
»Dein Ernst?«
»Wäre es dir lieber, dass ich es zerreiße?«
»Auf keinen Fall!« Ich stoße ihn mit beiden Händen zurück. »Komme gleich wieder.«
In meinem Schlafzimmer öffne ich einen der Umzugskartons mit der Aufschrift Garten und hole eine Schere heraus. An den Klingen klebt noch ein wenig Erde, aber das macht nichts. Schließlich werde ich dieses Kleid kein zweites Mal tragen, obwohl die Option, es zu spenden, noch nicht vom Tisch war.
»Dieser Idiot und seine riesigen Pranken«, grummele ich leise, als ich zurück in sein Zimmer gehe. »Hier.« Ich drücke ihm die Schere gegen die Brust.
Er sieht auf sie hinab. »So hatte ich mir den heutigen Abend nicht vorgestellt.«
»Enttäuscht?«
»Amüsiert.«
Unsere Blicke treffen sich, und etwas geschieht zwischen uns. Funken tanzen über meine Haut, und ich bin mir ziemlich sicher, dass mein Herz einen Moment stillsteht. Es ist, als hätte es unseren Streit in der Garage nie gegeben. Es ärgert mich, aber wenn es um ihn geht, kann ich nicht anders. Er mag ein Arschloch sein, aber ich wusste, worauf ich mich einlasse, als ich ihn geheiratet habe.
»Mach.« Ich drehe mich wieder um und streiche mir die Haare über die Schulter, bevor er die Chance hat, es für mich zu tun. Je weniger Körperkontakt wir haben, desto besser. Ich fühle mich heute Abend schon schwach genug.
Er greift nach dem Spitzenkragen meines Kleides. »Nicht bewegen.« Das kalte Metall, das meinen Nacken streift, lässt mich tief Luft holen.
Das Geräusch der Schere, die durch die Spitze schneidet, jagt mir eine weitere Gänsehaut über die Arme. Kühle Luft trifft auf die Haut am oberen Ende meiner Wirbelsäule, und ich presse die Vorderseite meines Kleides gegen die Brust, damit es nicht runterrutscht.
Declan schneidet langsamer als nötig durch den Stoff, und die stumpfe Seite der Schere streift bei jeder Bewegung meinen Rücken.
»Fast fertig.« Seine Stimme ist viel heiserer als sonst.
Mit ein paar letzten Schnitten liegt mein Rücken frei, und Declan wirft die Schere aufs Bett. Wir stehen beide ganz still da, und meine Nervosität wächst mit jeder Sekunde, die vergeht. Als ich es wage, über die Schulter zu blicken, sehe ich, dass er meinen nackten Rücken anstarrt wie ein Rätsel, das er nicht lösen kann.
»Danke.« Ich versuche, einen Schritt von ihm wegzumachen, nur um abrupt stehen zu bleiben, als er eine Hand ausstreckt und meine Wirbelsäule nachzeichnet. Mein Herz hämmert gegen meine Brust, als könnte es jeden Moment herausspringen, als er oberhalb meines Spitzen-Tangas innehält. Eine Welle der Lust überschwemmt mich. Ein ersticktes Keuchen kommt mir über die Lippen, als er den Saum meiner Unterwäsche nachzeichnet. Seine Finger streichen über meine Gänsehaut, und ich hole tief Luft.
Er reißt einen langen weißen Faden ab. »Der hat mich gestört.«
Erschüttert sehe ich zu, wie der Faden neben seinen nackten Füßen landet. Während ich mich nach seiner Berührung verzehrt habe, hat er natürlich nur an einen verdammten Faden gedacht. Der Gedanke daran, dass ich mir gewünscht habe, dass er sich zu mir hingezogen fühlt, erschreckt mich.
Der heutige Abend ist der finale Weckruf, den ich gebraucht habe. Wie auch immer mein Körper auf seine Berührung reagieren mag, es ist nicht mehr als das, eine chemische Reaktion, Pheromone. Nichts weiter als die natürliche Selektion, die mich dazu drängt, mich mit dem schlimmstmöglichen Partner der Welt zu paaren, nur weil er heiß und verfügbar ist.
Ab sofort werde ich mich weigern, mich noch einmal auf seine Berührungen einzulassen. Denn beim nächsten Mal gibt es vielleicht keinen Faden, der mich davon abhält, eine fatale Entscheidung zu treffen.