KAPITEL ACHTZEHN

Iris

Ich wünschte, ich könnte behaupten, mutig genug zu sein, einen netten kleinen Spaziergang über das Gelände der Safari-Lodge zu machen. Denn genau das war meine Absicht nach dem Streit mit Declan.

Aber ich bin nicht mutig. Kein bisschen. Es brauchte nicht mehr als ein paar raschelnde Blätter, um mich dazu zu bringen, den Büschen am Rande des Grundstücks den Rücken zu kehren und meinen Hintern auf einem Liegestuhl zu parken. Damit das Riesenarschloch in unserer Villa nicht mitbekommt, dass ich hier draußen sitze, lasse ich die Beleuchtung ausgeschaltet. Ich könnte mich selbst belügen, indem ich mir einrede, nur deswegen kein Licht zu machen, damit ich die Sterne besser sehen kann, aber in Wirklichkeit möchte ich allein sein.

Du hast deinem Chef gesagt, dass du kündigst. Das ist ein ziemlich mutiges Verhalten, auf das Cal stolz wäre.

Ich stöhne auf. Das war absolut bescheuert von mir. Anstatt mir auf die Zunge zu beißen, habe ich meiner Wut freien Lauf gelassen.

Zum vierten Mal, seit ich aus der Villa gestürzt bin, summt mein Handy. Declans Name erscheint auf dem Bildschirm.

Seufzend nehme ich den Anruf entgegen.

Benimm dich wie eine Erwachsene .

»Sag mir, wo du bist«, dröhnt seine abgehackte Stimme durchs Telefon.

»Draußen.«

So viel zum erwachsenen Verhalten .

Aber mal im Ernst, für wen hält er sich, mich so rumzukommandieren? Hat er aus unserem Streit eben gar nichts gelernt?

»Ich schwöre bei Gott, sobald ich dich finde …«

Seine halb ausgesprochene Drohung löst ein Prickeln in meinem Nacken aus.

Was soll das, verdammt noch mal?

»Es geht mir gut.«

»Du bist mitten im verdammten Dschungel.«

»Genau genommen handelt es sich um Busch«, bemerke ich. »Nicht, dass du das wissen könntest, immerhin hast du mich die gesamte Reise planen lassen, die ich noch nicht mal genießen kann.«

»Halt die Klappe, und sag mir, wo du bist.«

Mir entfährt ein leises Lachen, bevor ich die Chance habe, es zu unterdrücken. »Das ist genau unser Problem.« Ich spreche leise, nur für den Fall, dass er den Glastüren, die unsere Villa zum Garten hin begrenzen, zu nahe kommt. »Du kommandierst mich weiterhin herum wie eine ungehorsame Hausfrau, und ich halte dagegen.«

»Wenn du mir nicht sagst, wo ich dich finden kann …«

»Ich relaxe am Pool.«

Unser Anruf wird unterbrochen. Mit jeder Sekunde, die vergeht, beschleunigt sich mein Herzschlag. Mein Gehör wird vom Rauschen des Blutes in meinen Ohren beeinträchtigt.

Als die Schiebetüren hinter mir geöffnet werden, stellen sich die Härchen auf meinen Armen auf. Ich weigere mich, über die Schulter zu sehen, stattdessen halte ich den Blick trotz des brennenden Gefühls, das sich durch seine Präsenz hinter mir auf meiner Haut ausbreitet, zum Sternenhimmel hinauf gerichtet.

Declan rührt sich eine ganze Minute lang nicht. Er muss eine Art Folter-Experte sein angesichts der Art und Weise, auf die er mich ausharren lässt, während er schweigend hinter mir steht. Ich habe seine Fähigkeit, Menschen unter Druck zu brechen, immer bewundert, heute finde ich sie unerträglich. Fast gebe ich der Versuchung nach, mich doch nach ihm umzuschauen, aber ich bleibe stark.

Der Wind kaschiert mein erleichtertes Aufatmen, als die Schiebetür ins Schloss gleitet. Declans Schritte auf der Holzterrasse, der Klang passt zum Stakkato meines Herzens. Er bleibt in einiger Entfernung stehen, als wolle er Distanz wahren.

Ich erwarte, dass er mich anschreit. Ein Teil von mir denkt, dass ich es verdiene, nachdem ich mitten in unserem Streit einfach gegangen bin. Mir ist bewusst, dass ich damit nicht unbedingt das reifste Verhalten an den Tag gelegt habe, aber ich bin auch nur ein Mensch. Es braucht zwar einiges, um mich zum Explodieren zu bringen, aber wenn ich es tue, dann richtig.

Der rebellische Teil in mir steht zu meiner Entscheidung, weil ich weiß, dass er einen Schritt auf mich zu machen muss. Ich bin kein Roboter. Ich habe Gefühle und Träume und die Hoffnung, dass ich nicht den Rest meines Lebens damit zubringen werde, ihm zu helfen, seine Ziele zu erreichen, während ich meine auf Eis lege. Und wenn er das nicht erkennt, dann ist es vielleicht an der Zeit, dass ich mich von meiner Stellung verabschiede. Auch wenn ich es schon einmal versucht habe und gescheitert bin, als ich mich um einen Jobwechsel beworben habe, aber darum geht es im Leben.

»Wir müssen reden.«

Mein Blick gleitet von den Sternen zu seinem Gesicht. Ich öffne den Mund, um zu sprechen, aber die Worte scheinen in meiner Kehle gefangen zu sein. Ich bin mir nicht sicher, was ich sagen soll. Declan ist nicht der Typ Mann, der reden will. Allein das macht mich nervös und unsicher.

Er setzt sich auf die Liege neben meiner. Im Gegensatz zu mir lehnt er sich nicht zurück, sondern lässt beide Füße auf dem Boden. Die Schatten hüllen ihn ein wie ein Umhang und verdecken den größten Teil seines Gesichts.

Ich brauche kein Licht, um zu wissen, dass er mich ansieht. Mein Körper verrät es mir, indem er mir einen Schauer über den Rücken jagt, der nichts mit der Außentemperatur zu tun hat.

»Es tut mir leid.« Seine Stimme ist kaum zu hören, da im selben Moment ein Windstoß durch den Garten geht.

Ich wende das Gesicht ab, damit er nicht bemerkt, dass mir vor Überraschung beinahe die Augen aus den Höhlen treten.

Anscheinend fasst er mein Schweigen als stille Zustimmung auf. »Ich habe einen Fehler gemacht.«

Vielleicht muss ich anfangen, Gebärdensprache zu lernen, da ich offensichtlich die Fähigkeit zu sprechen verloren habe. Declan entschuldigt sich nicht, und erst recht gibt er nicht zu, wenn er im Unrecht ist. Das sollte mir eine erste Warnung sein, dass zwischen uns etwas nicht stimmt.

»Ich möchte nicht, dass du kündigst.« Sein Eingeständnis hängt zwischen uns in der Luft.

»Warum? Weil es umständlich wäre, einen Ersatz zu finden?«

»Niemand kann dich ersetzen.«

Wer hätte gedacht, dass eine einzelne Aussage meinem Herzen so großen Schaden zufügen könnte? Es schlägt heftiger, als wollte es für mich antworten.

»Ich kann das nicht mehr.«

Er seufzt. »Ich weiß.«

»Ich verdiene etwas Besseres.«

»Das stand nie in Zweifel.«

Ich neige den Kopf. »Ich bin nicht glücklich.«

Seine Antwort kommt diesmal nicht sofort. Die Stille nagt an meiner gelassenen Fassade, und ich registriere, wie ich unbewusst begonnen habe, mit den Fingerspitzen gegen meine Schenkel zu trommeln.

»Es war falsch von mir, dich an deinem freien Tag arbeiten zu lassen.«

»Du hast recht, das war ein absoluter Arschloch-Move«, erwidere ich halb scherzhaft in der Hoffnung, damit das Engegefühl, das mir den Brustkorb zusammenschnürt, loszuwerden.

Das Mondlicht hebt sein kleines Lächeln hervor, als seine Zähne weiß aufblitzen. »Du hast ein ziemlich unflätiges Mundwerk.«

»Liegt das nur an mir, oder hast du in letzter Zeit eine ungesunde Obsession in Bezug auf meinen Mund entwickelt?«

»Warum sollte die ungesund sein?«

Oh. Mein. Gott. Entweder flirtet Declan mit mir, oder ich wurde von einem wilden Tier gerissen und bin offiziell in den Himmel aufgefahren.

Oder in die Hölle. Kommt darauf an, wie man es betrachtet.

Mein Magen zieht sich auf wohlige Art zusammen, bevor ich eine Chance habe, die Wärme zu verdrängen, die sich darin sammelt.

Was ist in dich gefahren? Als Nächstes tauschst du deine Abstinenzkarte gegen eine ordentliche Dosis von Declans Schwanz ein.

Hör auf, an seinen Schwanz zu denken!

Ich räuspere mich. »Schon gut. Vergeben.« Ich würde gerade so ziemlich alles sagen, damit er verschwindet. Es spielen viel zu viele Gefühle in mir verrückt, als dass ich dieses Gespräch weiterführen könnte. Beängstigende Gefühle, die ich nicht erforschen möchte, während er mich auf Schwächen abklopft.

Er reibt sich den Nacken.

Ist er … nervös?

Nein. Das kann nicht sein.

Oder doch?

Die Vorstellung, dass Declan tatsächlich unsicher ist, irritiert mich so sehr, dass ich nicht mitbekomme, was er als Nächstes sagt.

»Was?«

»Ich habe Yakura angerufen und ihm gesagt, dass wir ihm den Vorschlag erst schicken können, wenn wir von unserer Reise zurück sind.«

Ich fahre auf meiner Liege hoch. »Warum?«

»Weil es Dinge gibt, die wichtiger sind.«

Wag es nicht, ihn zu fragen.

Meine Lippen teilen sich.

Nein.

Aber, widerspreche ich.

Wen kümmert es, warum er es getan hat? Ihn danach zu fragen, ist eine bescheuerte Idee. In gewisser Hinsicht scheint es sogar verboten, obwohl ich weiß, wie lächerlich das ist.

Ich ignoriere die laustarke Stimme in meinem Kopf, die mich warnt. »Was für Dinge?«

»Hast du das, was du vorhin gesagt hast, ernst gemeint?«, weicht er meiner Frage aus.

»Du musst schon genauer werden, ich habe viel gesagt.«

»Dass du die letzten drei Jahre dein eigenes Glück hintangestellt hast, indem du für mich gearbeitet hast?«

Ich stoße einen schweren Seufzer aus. »Ich war sauer.«

»Das ist keine Antwort auf meine Frage.«

Ich bedenke ihn mit einem vernichtenden Blick. »Was willst du von mir hören? Ich arbeite seit drei Jahren für dich, und was habe ich erreicht? Ich habe kein Leben, keine Freunde außer Cal und keine Zukunft, mal abgesehen davon, dir dabei zu helfen, deine zu verwirklichen. Ich habe dich trotz aller Warnzeichen geheiratet, und ich soll unser gemeinsames Kind zur Welt bringen, obwohl ich genau weiß, dass du nichts mit ihm zu tun haben willst. Natürlich bin ich nicht glücklich. Ehrlich gesagt habe ich eine Riesenangst.« Letzteres zuzugeben, tut weh.

Er blinzelt. Einmal. Zweimal. Dreimal.

Ich bin davon ausgegangen, dass ich mich besser fühlen würde, nachdem ich ihm mein Herz ausgeschüttet habe, aber ganz im Gegenteil ist mir übel. Declan ist in vielerlei Hinsicht alles andere als perfekt, aber das macht ihn nicht zu einem schlechten Menschen. Weder schreit er mich an, noch beschimpft er mich oder verschafft mir ein unangenehmes Gefühl. Er zahlt mir doppelt so viel, wie es eigentlich üblich wäre, wodurch ich mir ein nettes finanzielles Polster anlegen konnte. Ist er der umgänglichste Chef der Welt? Absolut nicht. Er erwartet genauso viel von mir wie von sich selbst. Seine Ansprüche sind ebenso anstrengend wie seine Einstellung, aber das bedeutet nicht, dass er unfair ist. Wenn überhaupt, bringt er mich dazu, mich zu verbessern.

Und du hast gerade zugegeben, wie sehr dir das alles zuwider ist.

Mir dreht sich der Magen um. »Wegen dem, was ich gesagt habe …«

»Was würde dich glücklich machen?«

Ich vermute, dass ich weniger schockiert gewesen wäre, von einem Blitz getroffen zu werden, als davon, diese Frage aus seinem Mund zu hören. Und ich bin mir nicht ganz sicher, wie ich darauf antworten soll. Es gibt viele Dinge, die mich glücklich machen würden, aber nur sehr wenige davon unterliegen seiner unmittelbaren Kontrolle.

»Ich …«

»Nicht nachdenken. Sprich es einfach aus.«

Ich atme tief ein. »Zuallererst möchte ich wie ein Mensch mit meinen eigenen Wünschen, Bedürfnissen und Gefühlen behandelt werden.«

»Leider scheint die Evolution dieses kleine Problem noch nicht gelöst zu haben.«

Ich starre ihn an. »Es ist mein Ernst. Das bedeutet, dass du respektierst und anerkennst, wie viel Zeit, Energie und Bereitschaft ich investiere, damit unsere Scheinehe funktioniert. Du musst dir immer wieder klarmachen, dass wir das nicht für mich tun. Du bist derjenige, der einen bereits ausgehandelten Vertrag mit Bethany in den Sand gesetzt hat, und ich bin eingesprungen. Ich kann deine Mitspielerin oder deine Feindin sein. Die Entscheidung liegt ganz bei dir.«

»Noch was?« Er klingt amüsiert.

»Lachst du mich aus?«

»Nur innerlich.«

Ich verenge die Augen. »Ach ja, da gibt es noch was. Hör auf, Dreamland Tokyo als dein Projekt zu bezeichnen. Wir haben zwei Jahre lang zusammen an diesem Proposal gearbeitet, und ich habe dabei ungefähr zehn Freundinnen und einen Freund verloren, ob es dir also gefällt oder nicht, wir sind ein Team. Und von diesem Moment an möchte ich auch so behandelt werden.«

Er reibt sein stoppeliges Kinn. »Das ist ein valider Punkt.«

Ich bin mir nicht sicher, ob Declan mich nur besänftigen will, weil er mich nicht weiter verärgern möchte oder weil es ihm wirklich wichtig ist, wie ich empfinde. Ich würde gerne annehmen, dass Letzteres zutrifft; aber so wie ich ihn kenne, geht es ihm darum, seine einmalige Chance, CEO zu werden, nicht aufs Spiel zu setzen. Und indem er mich unglücklich macht, riskiert er sehr viel mehr, als nur seine Assistentin zu verlieren.

»Super. Wenn damit jetzt alles geregelt ist, gehe ich ins Bett.« Ich stehe auf und mache einen Schritt auf die Schiebetür zu.

»Komm nicht zu spät.«

Ich schaue über die Schulter. »Zu was?«

»Unserer Safari morgen.«

»Du willst mitkommen?«, frage ich erstaunt.

»Wollen ist vielleicht ein bisschen übertrieben. Aber ich bin bereit.«

Ich grinse. »Sei um fünf Uhr startklar.« Ich überquere die Terrasse und ziehe am Griff der Schiebetür.

»Iris?«

Diesmal drehe ich mich ganz zu ihm um und presse meinen Rücken gegen das Glas. »Ja?«

»Wenn du noch einmal versuchst, mich zu verlassen, werde ich dafür sorgen, dass du es bereust.« Das leichte Krächzen in seiner Stimme stellt etwas Katastrophales mit meiner unteren Körperhälfte an.

»Ist das eine Drohung?«

»Es ist ein Versprechen.« Sein Gesicht bleibt ausdruckslos, aber seine funkelnden Augen konkurrieren mit den Sternen über uns.

Ich blinzle. Irgendwie schaffe ich es schließlich, mich zusammenzureißen, und nicke, bevor ich die Villa betrete.

Declans Worte verfolgen mich den ganzen Weg zurück in mein Zimmer, aber erst als ich nach einer ausgiebigen Dusche ins Bett krieche, wird mir klar, was mir an dem, was er gesagt hat, so seltsam vorgekommen ist.

Wenn du noch einmal versuchst, mich zu verlassen, werde ich dafür sorgen, dass du es bereust.

Nicht kündigen, sondern ihn verlassen . Eine reichlich seltsame Wortwahl für eine Kündigung, aber ich glaube, für Declan bedeutet es ein- und dasselbe. Wenn ich meinen Job aufgebe, würde er das als Beleidigung auffassen. Vielleicht würde er sogar so weit gehen, es nach all den Jahren als eine Art Verrat zu betrachten.

Er braucht niemanden . Cals Stimme dreht sich in meinem Kopf im Kreis.

Außer vielleicht mich.