KAPITEL EINUNDZWANZIG

Iris

Hey.« Jemand stupst mich an der Schulter an.

»Geh weg, ich will schlafen.« Ich schnappe mir ein Kissen und drücke es mir auf den Kopf, um Declans Stimme zu dämpfen.

»Draußen ist etwas, das du garantiert sehen willst.«

»Ruhe!« Ich ziehe mir die Decke, in die ich mich eingekuschelt hatte, wieder über den Kopf.

Moment Mal. Eine Decke?

Ich kann mich nicht erinnern, eingeschlafen zu sein, geschweige denn die Energie gehabt zu haben, mir vorher eine Decke zu holen.

»Das könnte deine einzige Chance sein, einen Leoparden zu sehen, also würde ich an deiner Stelle aufstehen. Sofort.«

»Was?« Ich fahre hoch. Im Hintergrund läuft nach wie vor der stumm geschaltete Fernseher. Irgendwann muss ich mich auf dem Sofa ausgestreckt haben.

Hm. Seltsam.

»Komm mit.« Er verlässt das Wohnzimmer, und ich muss mich beeilen, mit ihm Schritt zu halten.

Unsere einzige Lichtquelle ist der Mond, der durch die Fenster in Declans Schlafzimmer fällt.

»Ich hoffe, das war nicht nur ein Trick, um mich in dein Zimmer zu locken.«

Trotz des schwachen Lichts entgeht mir der wütende Ausdruck in seinen Augen nicht, als er mir einen Blick über die Schulter zuwirft.

»Ich mach nur Spaß.«

»Gut, weil ich nämlich kein Interesse daran habe, so etwas zu tun.«

Na dann. So heftig zu protestieren, wäre nun auch wieder nicht nötig gewesen.

»Warum sind wir dann hier?«

»Ich war gerade unter der Dusche, als mir draußen etwas aufgefallen ist.« Er betritt sein dunkles Bad.

Ich bin so auf seine Geschichte konzentriert, dass ich nicht darauf achte, wo ich hintrete, und in einer riesigen Pfütze ausrutsche. Ich pralle gegen Declans Rücken, worauf er einen dumpfen Laut ausstößt. Er bemüht sich, das Gleichgewicht zu halten, und seine schnellen Reflexe bewahren uns beide vor einem Sturz, obwohl meine Brust ein wenig wehtut, nachdem ich gegen diese Wand aus Muskeln gelaufen bin.

»Warum ist so viel Wasser auf dem Boden?« Ich mustere die feuchte Spur, die von der Dusche zur Tür führt.

»Ich war in Eile.«

Er ist nur für mich aus der Dusche gesprungen? Ich habe keine Ahnung, was ich mit dieser Information anfangen soll, außer mich auf meine Atmung zu konzentrieren, damit ich nicht schockiert in Ohnmacht falle.

Er gibt mir keine Gelegenheit, mir die Szene im Detail vorzustellen, als er mir bedeutet, weiter vorzutreten. Ich greife nach seiner ausgestreckten Hand. Er hilft mir in die leere Badewanne, die vor einem großen Fenster steht, das den Blick auf einen kleinen Fluss auf der anderen Seite unseres Hauses frei gibt.

»Schau, dort.« Er zeigt in die Dunkelheit.

»Wonach halte ich Ausschau?«

»Siehst du ihn nicht?« Declan beugt sich mit gerunzelter Stirn vor.

Ich muss lachen. »Es ist stockfinster.«

Er blinzelt und deutet wieder nach draußen. »Genau da. Zwischen den beiden Bäumen am Flussufer.«

Ich versuche, seinem Fingerzeig mit dem Blick zu folgen, scheitere jedoch kläglich. »Ich sehe immer noch nichts.«

Er nimmt meine Hand, um mit einem meiner Finger an die Scheibe zu tippen. »Genau da.«

»O mein Gott.« Ich blinzle noch einmal, um sicherzugehen, dass ich richtig sehe. »Das ist ein Leopard!«

»Sch …«

Wer hätte gedacht, dass sich ausgerechnet hier einer zeigen würde? Auf den unzähligen Safaris, die wir unternommen haben, haben wir keinen einzigen zu Gesicht bekommen.

»Wie hast du den überhaupt entdeckt? Es ist so dunkel draußen.«

»Er hat den Bewegungsmelder für die Außenbeleuchtung aktiviert. Ich dachte, er würde weglaufen, bevor ich dich holen kann, aber er scheint eher neugierig als ängstlich zu sein. Und wahrscheinlich war er durstig genug, um am Fluss zu bleiben.«

»Oder hungrig genug.« Ich erschaudere bei dem Gedanken. Declan und ich haben schon mehrere Tiere dabei beobachtet, wie sie am Fluss getrunken haben. Ich bin sicher, dass einige von ihnen sogar ganz in der Nähe schlafen.

Ich weiß nicht, wie viel Zeit vergeht, aber Declan und ich sitzen zusammen in einer leeren Wanne und beobachten den Leoparden, der am Wasser entlangstreift. Es fühlt sich an, als würden Stunden vergehen, während der Mond am Horizont langsam verblasst.

»Hat er deine Erwartungen erfüllt?«, fragt Declan, als der Leopard schließlich im Busch verschwindet.

»Ja!« Ich drehe mich um und schlinge die Arme um ihn. »Danke, dass du mich geweckt hast.«

Es dauert einen Moment, aber dann erwidert Declan meine Umarmung mit steifen Gliedern, und ich drücke ihn noch fester an mich. Keiner von uns sagt ein Wort. So wie sich meine Brust in seiner Nähe erwärmt, bin ich versucht, länger in dieser Position zu verharren.

Er räuspert sich. »Wir sollten schlafen gehen. Morgen wird ein langer Tag.«

Mein Gesicht fühlt sich an, als würde es jeden Moment Feuer fangen. »Ja. Natürlich.« Ich löse mich aus unserer Umarmung und klettere aus der Wanne.

Declan steht auf und folgt mir aus dem Badezimmer, das ich diesmal besonders vorsichtig durchquere, um nicht in einer weiteren Pfütze auszurutschen; obwohl es mir scheint, als sei inzwischen genug Zeit vergangen, dass die Feuchtigkeit auf dem Boden verdunstet ist.

»Danke noch mal.«

Er sagt nichts, aber sein zufriedener Gesichtsausdruck spricht Bände.

Ich flüchte aus seinem Schlafzimmer und krieche mit dem breitesten Lächeln im Gesicht ins Bett.

Und das dank Declan.

* * *

Ich stelle meine leeren Gepäckstücke vor dem Fußende des Bettes ab, damit ich an mein klingelndes Handy gehen kann.

»Bitte sag mir, dass du nicht schwanger bist.«

»Wie bitte? Hast du gerade gefragt, ob ich schwanger bin?« Ich klopfe mir zweimal mit der Faust auf die Brust, da es mir auf einmal schwerfällt, Luft zu bekommen.

»Ja.«

»Warum?!« Ich checke hastig meine Menstruations-Tracker-App, obwohl ich seit Monaten keinen Sex hatte.

»Du weißt es noch nicht.« Moms Stimme bricht.

Meine Knie werden weich, weswegen ich mich auf den Rand des Bettes setze. »Was ist passiert?«

»Es sind … Geschichten über dich im Umlauf.«

»Über mich?«

»Und Declan.«

Mein Magen zieht sich zusammen. »Schick mir alles, was du gefunden hast.«

Ein erstickter Laut dringt aus ihrer Kehle. »Ich denke, es ist besser, wenn du dir das nicht ansiehst.«

Verdammt.

Ich schmecke Galle, während ich die Warnung meiner Mutter ignoriere und mit zittrigen Fingern meinen Namen in die Suchmaschine eintippe.

Die Ergebnisse sind erschreckend. Jede Schlagzeile erscheint mir schlimmer als die vorhergehende. Worte wie Scheinehe, Babyklausel und Betrügerin. Mit den Artikeln kann ich umgehen, was wirklich wehtut, sind die Kommentare darunter. Nachdem im ersten, den ich lese, jemand behauptet, ich verdiene keine Kinder, weil ich das Ehegelübde in einen Witz verwandelt hätte, schließe ich den Tab. Ich will mir gar nicht vorstellen, wie schrecklich die anderen Kommentare sind.

Auf meinen Social-Media-Profilen sieht es nicht besser aus; zahlreiche Leute haben mir Direktnachrichten geschickt. Sogar einige explizite Drohungen sind darunter.

Mir dreht sich der Magen um. »Nichts davon ist wahr.«

Oder eben doch?

Ich schalte mein Handy stumm, drücke mein Gesicht in die Matratze und stoße einen frustrierten Schrei aus. Ein kurzer Zusammenbruch, von dem meine Mom nichts mitbekommt.

»Natürlich nicht. Ich habe gesehen, wie ihr beide miteinander umgeht. Diese seelenlosen Menschen sind nur darauf aus, jemanden fertigzumachen, um mehr Klicks zu bekommen.«

Ich habe keine Ahnung, was meine Mutter glaubt, zwischen Declan und mir gesehen zu haben, aber ich werde deswegen jetzt nicht mit ihr diskutieren. Gerade habe ich ganz andere Probleme.

»Was soll ich machen?« Meine Stimme zittert.

»Mein armes Baby.« Moms Stimme bricht. »Ich hasse es, dass sie solche Dinge über dich sagen. Sie bezeichnen dich als geldgeile …« Sie verstummt, als würde es ihr zu wehtun, den Satz zu beenden.

Es tut mir genauso weh. Die bösen Kommentare zu meinen Social-Media-Beiträgen sind nichts im Vergleich mit den Direktnachrichten, die ich erhalten habe. Ich habe meine Konten auf privat gesetzt, aber das löscht ihre Worte nicht aus meinem Gedächtnis. Mit jedem zitternden Atemzug nähere ich mich dem totalen Zusammenbruch.

»Nimm dir nicht zu Herzen, was diese Leute über dich schreiben«, sagt Mom, nun so fest, dass sich ein kleines bisschen von der Anspannung aus meinen Schultern löst.

»Dafür ist es ein bisschen zu spät«, murmele ich.

»Das sind nichts als Gerüchte.«

»Und dennoch reden alle über meine Ehe, einschließlich der verdammten Finance Today .« Mir ist bewusst, dass ich offiziell den Tiefpunkt erreicht habe, wenn die Tabellenkalkulations-Nerds hinter mir her sind.

»Sie können sagen, was sie wollen, das macht die Dinge nicht wahr.«

Oh, Mom, wenn du wüsstest .

»Aber …«

»Kein Aber. Diese Reporter lassen sich alle möglichen Geschichten einfallen, um ein paar mehr Zeitungen zu verkaufen. Es ist widerlich, dass sie sich so über deine Ehe auslassen, allerdings überrascht es mich nicht.«

Mich auch nicht, wenn ich genauer darüber nachdenke. Das Timing ist nahezu perfekt, da Declan und ich von hier aus kaum etwas dagegen unternehmen können.

Mit jedem Artikel, den ich lese, wächst meine Wut. Ich weiß genau, wer die Geschichten in die Welt gesetzt und auf genau diese Art von Reaktion gehofft hat. Seth Kane hat Glück, dass Tausende von Kilometern zwischen uns liegen, sonst würde ich ihm meine Meinung sagen.

Oder ihn meine Faust spüren lassen.

Ich glaube nicht, dass jemand solche Kommentare über sich lesen kann, ohne irgendetwas dabei zu empfinden. Aber trotz dieser Gefühle weiß ich, wer ich bin und wofür ich stehe. Nichts, was andere über mich sagen, wird daran etwas ändern, aber das bedeutet nicht, dass mich ihre Worte nicht treffen.

Im Gegensatz zu Declan bin ich nicht in einer solchen Welt aufgewachsen. Ich bin es nicht gewohnt, dass mein Gesicht auf sämtlichen Promi-Klatschseiten zu sehen ist und auf allem herumgehackt wird, was mich zu der Person macht, die ich bin. Es löst den Impuls in mir aus, mich vor allem und jedem verstecken zu wollen, und gleichzeitig verspüre ich den starken Drang danach, zu kämpfen.

»Ich werde das in Ordnung bringen.« Ich recke mein Kinn.

»Wie?«

Ich werde nicht zulassen, dass die Tatsache, dass wir uns weit weg von zu Hause befinden, meiner Motivation etwas anhat. »Keine Ahnung, aber ich werde mir was überlegen.«

»Oh, Schatz, du kannst nichts gegen die vorgefertigte Meinung anderer unternehmen. Sie werden denken, was sie wollen, basierend auf den Fakten, die ihnen präsentiert werden, und nichts, was du tust, wird etwas daran ändern.«

Moms Worte lassen eine Glühbirne über meinem Kopf aufleuchten.

Was ist, wenn ich eine Geschichte erfinde, die so verlockend ist, dass sie gar nicht anders können, als ihre Meinung ändern zu wollen? Ich kann kontrollieren, wie die Leute uns wahrnehmen. Das wird ein bisschen Arbeit erfordern, aber die Alternative ist jede Mühe, dagegen vorzugehen, wert. Denn wenn sich solche Geschichten weiter häufen, wird höchstwahrscheinlich irgendwann der Anwalt von Brady Kane anfangen, die Echtheit unserer Ehe infrage zu stellen.

Nein, auf keinen Fall werde ich das zulassen. Ich habe mir nicht die Mühe gemacht, Declan zu heiraten, damit sein Vater alles kaputt macht. Diese Runde geht an Seth Kane, aber er hat keinen blassen Schimmer, was ihm bevorsteht, wenn er ernsthaft glaubt, ich ließe mich von ein paar Schlagzeilen aufhalten. Während seine Söhne im Interesse von Investoren und Vorstandsmitgliedern in seiner Nähe diplomatisch bleiben müssen, habe ich kein Problem damit, mir die Hände schmutzig zu machen.

Er hat sich eine Zielscheibe an den Rücken gepinnt, und ich kann es kaum erwarten, den Abzug zu betätigen.