KAPITEL NEUNUNDDREISSIG

Iris

Ich lasse die Schultern sinken, als ich den Anruf beende. Schuldgefühle machen sich in meiner Brust breit, denn ich weiß, dass Zahra den Tag für mich geplant hat, den ich nun wegen der Arbeit ruinieren muss.

Und so etwas kommt immer wieder vor, seit ich für Declan arbeite. Ich weiß, dass es nicht seine Schuld ist, dass sein Vater früher aufgetaucht ist, deshalb ärgere ich mich, dass ich überhaupt solche Gedanken habe.

Ein Druckgefühl legt sich auf meine Brust, als ich daran denke, dass ich Zahra mitteilen muss, dass ich nicht länger hierbleiben kann. Ich mag sie. Dass ich nun verschwinden muss, erinnert mich daran, wie viele Freundschaften schon in die Brüche gegangen sind – nur weil ich für Declan arbeite.

Es ist nicht seine Schuld, dass du keine Grenzen ziehst. Cal hat dich davor gewarnt, dass so etwas passieren würde, aber du bist trotzdem geblieben.

Würde ich für jemand anderen arbeiten und er würde mich an meinem freien Tag anrufen, würde ich nicht darauf reagieren. Bei Declan bleibt mir jedoch keine andere Wahl.

Ich stoße resigniert die Luft aus. Meine Schritte sind schwer, als ich das Gewächshaus wieder betrete.

Zahra winkt mich zu sich. »Sieh dir das mal an. Sie haben sechs Jahre darauf gewartet, bis das hier blüht. Sechs!«

Ich betrachte stirnrunzelnd die Titanenwurz. »Wir müssen unsere Tour später fortsetzen. Tut mir leid, aber ich muss weg.«

Zahras Lächeln verschwindet. »O nein, geht es dir gut?«

Ich schüttele den Kopf. »Mir geht es … Ehrlich gesagt weiß ich nicht, wie es mir geht.«

Ich bin enttäuscht, denn es fühlt sich an, als würde ich in alte Muster zurückfallen.

»Kann ich dir helfen?«

»Ja, indem du mir erklärst, wie ich nach Dreamland zurückfinde. Seth ist plötzlich aufgetaucht, und ich muss Declan helfen, bevor etwas passiert.«

»Seth ist hier?« Ihr Blick verdunkelt sich.

»Und Mr. Yakura.«

»Zusammen?«

»Ich weiß nicht, wie es dazu gekommen ist, aber ich bin mir sicher, Seth steckt dahinter.«

»Nun, wir können nicht zulassen, dass er das Ruder übernimmt, oder?« Sie marschiert eilig aus dem Gewächshaus.

Draußen ruft sie nach jemandem und bittet um einen Schlüssel, den ihr einer der Angestellten daraufhin zuwirft. Dann steigt sie in einen kleinen Golfwagen, in dem noch ein paar Pflanzen gelagert sind.

»Du willst mich fahren?«

»Du musst doch in den Park, oder? Ich hoffe, du hast nicht gedacht, ich lasse dich zu Fuß gehen.«

»Danke.« Ich setze mich neben sie, und Zahra tritt das Gaspedal durch.

»Wofür gibt es denn Freundinnen?«

»Bist du nicht sauer?«

Sie zuckt mit den Schultern. »Wir können ein andermal weitermachen.«

»Es tut mir wirklich leid.«

»Du musst dich nicht entschuldigen, ich habe vollstes Verständnis. Rowan hat auch oft ganz plötzlich Dinge zu erledigen.«

Ich seufze. »Macht dich das ab und zu wütend?«

Sie lacht. »Klar. Manchmal will ich sein Handy einfach in die Toilette werfen.«

Nun lache auch ich. »Aber das tust du nicht.«

»Aus purer Selbstbeherrschung und wegen des Orgasmus, den mir Rowan zum Abschied verschafft, bevor er verschwindet, um irgendeine Krise abzuwenden.«

»Klingt nach einer guten Methode zur Friedensstiftung.«

»Du sagst es. Wenn du Declan fragen würdest, würde er wahrscheinlich zustimmen.«

Ich seufze. »Vermutlich.«

Sie stößt mich mit der Schulter an. »Was ist das wahre Problem? Irgendetwas sagt mir, dass es nichts mit Orgasmen zu tun hat.«

»Es ist nur, dass …« Ich breche ab.

Sie schweigt und lenkt den Golfwagen über die kurvigen Bürgersteige und durch die Tunnel.

Ich denke darüber nach, wie ich meine Gefühle in Worte fassen soll, aber sie klingen nichtig im Vergleich zu dem Auslöser der aktuellen Stresssituation. Als Declans Partnerin sollte ich alles stehen und liegen lassen, um ihm zu helfen. Das ist mir bewusst, und das tue ich auch. Aber ich mache mir Sorgen, was passieren wird, wenn es zur Gewohnheit werden sollte.

»Ich habe manchmal Mühe, in solchen Situationen nicht wütend auf ihn zu sein. Seine Assistentin zu sein, ist toll, aber es ist ermüdend. Ich habe Angst, dass alles nur noch schlimmer wird, wenn er CEO ist. Ich frage mich, ob es uns als Paar auseinanderbringt, weil ich immer einen Groll hegen werde, den ich nicht hätte, wenn ich nicht sowohl seine Assistentin als auch seine Frau wäre.«

»Und wenn ihr ein Baby bekommt …«

»Wenn ich schwanger wäre, könnte ich auf keinen Fall bei diesem Zeitplan mithalten. Ich würde wahrscheinlich mehr am Schreibtisch schlafen, als zu arbeiten.«

Sie lacht. »Hast du vor, dich bald ersetzen zu lassen?«

»Ich weiß nicht recht … Ich habe nicht mehr darüber nachgedacht, seit ich mich versetzen lassen wollte.«

»Vielleicht ist es sinnvoll, es in Erwägung zu ziehen, besonders, weil ihr jetzt eine ernsthafte Beziehung führt. Manchmal fühlt sich etwas falsch an, das sich zu einem späteren Zeitpunkt vollkommen richtig anfühlt.«

»Er wird mich nicht gehen lassen.«

»Vielleicht nicht, aber das überrascht mich nicht. Wie ich höre, bist du echt gut in deinem Job.«

Mein Lächeln gerät ins Wanken. »Danke, aber im Moment fühlt es sich so an, als würde mir alles über den Kopf wachsen.«

»So ist das Leben. Nicht jeder Plan funktioniert so, wie du es dir vorgestellt hast.« Zahra bremst scharf, und der Golfwagen kommt quietschend zum Stehen.

»Näher kann ich dich leider nicht absetzen, sonst sehen mich die Gäste.«

»Danke.«

»Du kannst mir danken, indem du Seth in den Hintern trittst.« Sie drückt mir meinen Rucksack in die Hände. »Los! Halt dich an die kleinen Gassen, dann umgehst du die Menschenmassen.«

Das lasse ich mir nicht zweimal sagen. Ich zittere am ganzen Körper und bin außer Atem, als ich an dem Standort ankomme, den Declan mir geschickt hat. Ich höre nicht auf zu rennen, bis ich Declan, Yakura und Seth finde, die in ein Gespräch vertieft sind.

Nun, im Grunde ist es Seth, der spricht, während Declan aussieht, als würde er ihn jeden Moment in den nächsten Brunnen stoßen.

Schließlich entdeckt mich Mr. Yakura. »Iris!«

Leider kann ich nichts erwidern, denn ich muss mich bücken und die Hände auf meinen Oberschenkeln abstützen, um ein paar tiefe Atemzüge zu nehmen. Ich hechele immer noch, und mein Hals fühlt sich an, als hätte jemand seine Hand darumgelegt und würde zudrücken. Ich starre auf die schwarzen Schuhe, die sich nun in mein Sichtfeld schieben.

»Wo ist dein Inhalator?« Declans Stimme klingt heiser und gestresst.

Sofort werde auch ich nervös.

»Dein Inhalator, Iris.« Sein Tonfall klingt nun barscher.

Hechelnd deute ich auf den winzigen Rucksack.

Eilig sucht er den kleinen roten Behälter zwischen all den Dreamland-Produkten hervor, die ich in den letzten vierundzwanzig Stunden angesammelt habe. »Hier.« Er öffnet ihn und gibt ihn mir.

Schließlich zeigt das Medikament seine Wirkung, und meine Atmung beruhigt sich.

Declan nimmt mir den Apparat aus der Hand und packt ihn weg.

Ich erhebe mich und schenke Mr. Yakura ein schüchternes Lächeln.

So wie er zwischen Declan und mir hin- und hersieht, scheint es so, als sei er entzückt davon, wie Declan sich um mich gekümmert hat.

Es war wirklich irgendwie süß, das gebe ich zu. Aber das ist das einzige Eingeständnis, das ich heute machen werde.

Nun führt sich Declan auf wie das größte Arschloch, denn er schaut mich nicht mal an, sondern richtet seinen wütenden Blick auf seinen Vater.

»Ich habe mich schon gefragt, wo Sie sind.« Yakura zieht mich in eine herzliche Umarmung.

Als Seth mir einen tödlichen Blick zuwirft, winke ich ihm mit meiner freien Hand zu.

»Wo ist Ihre Frau?«

Er löst sich von mir. »Sie ist im Hotel geblieben. Wenn ich gewusst hätte, dass Sie heute auch kommen, hätte ich sie mitgebracht.«

»Vielleicht sollten wir sie holen?«

Sein gesamtes Gesicht erhellt sich. »Sind Sie sicher? Ich möchte nicht Ihre Pläne durchkreuzen.«

»Unsinn. Wir können doch keinen Tag in Dreamland ohne sie verbringen.«

Er zwinkert. »Das ist der Grund, warum ich Sie so mag.«

Seth starrt mich an, als wäre ich eine Feindin, die er ausschalten will, und ich erwidere seinen herausfordernden Blick. Schließlich ist es seine Schuld, dass Declan und ich überhaupt in diese Situation geraten sind.

Und das werde ich nicht vergessen.