Nates Logbuch
Fünfter Eintrag: Heiligenversion des Kapitalismus

Man sagt ja gern, dass Menschen, die frisch in Beziehungen sind, sich eigenartig verhalten. Und ich fürchte, ich kann mich von diesem Vorurteil nicht frei machen. Dass ich dieses Notizbuch führe, dessen Kapazität sich nebenbei bemerkt allmählich seinem Ende neigt, ist wohl Hinweis genug. Und wenn ich ehrlich bin, überrascht es mich nicht.

Ich bin nie eine große Romantikerin gewesen, bin ich auch nach wie vor nicht. Dennoch muss ich einsehen, dass auch ich mich nicht der Gewalt von Hormonen und Gefühlen entziehen kann. Aber es ist okay. Nate macht es mir ziemlich leicht, gut damit leben zu können. Und das nicht erst mit meinen Aufzeichnungen.

Ein gutes Beispiel dafür, wie ausufernd meine Anpassung an eine Beziehung ist, war wohl Weihnachten. Ich habe dem Weihnachtstrubel nie viel abgewinnen können, vor allem nicht der Sache mit den Geschenken. Dazu bin ich einfach nicht erzogen worden. Außerdem habe ich mich immer für eine recht emanzipierte Frau gehalten. Inwiefern das überhaupt in Zusammenhang steht? Selbstredend bei der Königsdisziplin der klassisch sexistischen Aufgabenverteilung der sich wohl jede Beziehung zum erstbesten Anlass gegenübersieht: das Geschenkeverpacken.

Ich bin nicht einmal sonderlich gut darin, denn – wie erwähnt – mein Interesse dafür war bisher einfach verschwindend gering. Wozu Mühe und Zeit in etwas stecken, das von seinem Empfänger postwendend zerrissen wird? Und dass ein Mann ganz selbstverständlich davon ausgeht, dass seine Freundin, Partnerin oder im Notfall Mutter oder Schwester diese vollkommen sinnlose Arbeit für ihn verrichtet, ist eine Frechheit.

Noch ein Jahr vorher habe ich mich bei Amber darüber empört, als sie allein in ihrer Küche saß und die Geschenke von Ben an seine Freunde und Familie in buntes Papier gewickelt hat. Auf diesem Küchentisch sind richtige Kunstwerke entstanden, während ich ihr mit unserem Freund Wodka Gesellschaft leistete und mich aufregte. Ich glaube, irgendwann war der Alkohol tatsächlich so wirksam, dass ich von Ausbeutung und Sklaverei gesprochen habe.

Wie dem auch sei. Am Ende brauchte es nur einen eingereisten Amerikaner, dessen Pancakes und den hilflosen Blick aus seinen blauen Augen, und schon fand ich mich an meinem Küchentisch wieder. Zahllose Geschenke lagen vor mir, die ich nicht gekauft hatte und deren Empfänger ich gar nicht kannte.

Hinzu kam, dass ich nicht einmal protestiert hatte. Ich zeterte nicht über die Unterdrückung der Frau für die dekorativen Machenschaften des Mannes. Ganz im Gegenteil – ich hatte auf einmal richtigen Ehrgeiz entwickelt. Ich wollte es unbedingt hinbekommen und die Präsente nicht nur unter Klebeband versiegeln, sondern, dass sie toll aussahen und im Idealfall sogar – Achtung – beeindruckten.

Scheiße noch mal, ich hatte mich ja sogar gefreut, als Nate größtmögliches Ungeschick gestanden und mich um Hilfe gebeten hatte. Was wohl heißt, dass ich rettungslos verloren war.

So kam es also, dass ich an einem nebligen Novemberabend, ein paar Tage nach meiner ersten selbstständigen U-Bahn-Fahrt, an meinem Küchentisch saß – vor mir ausgebreitet ein Meer aus festlich bemustertem Papier und allerlei Dekokram, für den ich vermutlich mehr Geld ausgegeben hatte als jemals für Geschenke. Nüchtern betrachtet war es mehr als lächerlich.

Nur war die Sache eben die, dass es Nate wichtig zu sein schien. Die Geschenke waren für seine Familie, und mir war egal, wie lächerlich irgendein nüchterner Blick dieses Szenario wahrnehmen mochte. Ich hatte Kakao, einen hilflosen Freund und eine Mission. Nie im Leben hätte ich mir das zu träumen gewagt, dennoch mochte ich diese Mission. Und ich mochte das ganze Drumherum.

Zu meiner Verteidigung sei gesagt, dass Nate es sich nicht zu einfach machte. Er hatte nicht die Geschenke bei mir abgeladen und sich vertrauensselig wieder davongestohlen. Stattdessen war er geblieben, kochte Kakao, den er mit Marshmallows und Zuckerstangen versah – eine abartige Eigenart, die ich bis heute nicht verstehe – und hielt hin und wieder seinen Finger auf einen Knoten, wenn ich ihn darum bat. Er war also ein wichtiger Bestandteil dieses Drumherums, das ich so mochte. Und damit konnte meine feministische Ader ganz gut leben. Damit und mit den Zimtdonuts, die Nate irgendwo aufgetrieben hatte und die im Gegenteil zu diesem überladenen Schokogetränk unfassbar gut schmeckten.

»Ich liebe diese Donuts«, verkündete ich nicht zum ersten Mal. »Ehrlich, Nate. Ich werde sie heiraten und viele kleine Munchkins mit ihnen kriegen.« Ich bin nicht sicher, ob Nate überhaupt einen von diesen Donuts abbekam.

»Heiraten?«, wiederholte er, stellte den Kakao vor sich auf den Tisch und setzte sich neben mich. »So weit seid ihr also schon?«

Ich nickte, während ich mit größter Sorgfalt das Geschenkpapier umschlug. Ein Whisky aus einer kleinen Londoner Brennerei. »Ich glaube, es ist die große Liebe. Nichtsdestotrotz bin ich durchaus bereit für eine Affäre mit dir. Cheeto-Penisse erfüllen einfach Bedürfnisse, denen Zimtdonuts nicht gewachsen sind.«

Nate lachte und nippte an seinem Kakao, während er mir ein Stück Klebeband in genau der richtigen Länge reichte, als ich meine Hand in seine Richtung ausstreckte. Ich muss sagen – er mag ein grauenhafter Verpacker sein, aber als Assistenz kann ich seine Qualifikation definitiv weiterempfehlen.

»Kann ich also auf dich zählen?«, fragte ich, während ich Maß nahm für die Länge des Geschenkbandes.

»Wobei?«

»Die Affäre? Cheeto-Penisse?«

Nate grinste auf eine Weise, die Logan vermutlich stolz gemacht hätte. »Dass du meine Bereitschaft dafür infrage stellst, empört mich.« Und ohne, dass ich ein weiteres Wort hätte sagen müssen, reichte er mir die Schere und stellte mir seinen Zeigefinger zur Verfügung, um das Geschenkband beim Binden der Schleife zu fixieren.

Die fertig verpackte Whiskyflasche landete schließlich im Karton, und ich wandte mich mit einem Schnaufen dem übrigen Berg an Geschenken zu. »Hast du dich erkundigt, ob es einen maximalen Wert für das gibt, was du da verschickst? Falls ja, fürchte ich, dass du den überschreitest.«

Dass Nate kurz erschrocken auf den Stapel wartender Geschenke schaute, beruhigte mich nicht. Ebenso wenig tat es sein Schulterzucken. »Inhalt hat Priorität vor Bürokratie. Ich klär das dann beim Postamt ab. Zur Not muss ich draufzahlen.«

Ich wollte gar nicht wissen, was für ein Vermögen ihn das alles kostete. Der Whisky. Handgefertigter Schmuck für seine Schwester, die neuerdings ein Faible für Mohnblumen hatte, seit er ihr Fotos von London während der Poppydays geschickt hatte. Signierte Harry-Potter-Bücher, für die er in einem Nerdladen viel zu viel Geld gelassen hatte. Für wen die Flasche Gin war, wusste ich nicht, bei der uralten Ausgabe irgendeines Thomas Hardy Romans tippte ich auf seine Mutter.

»Wie weit weg liege ich mit meiner Schätzung, dass du dir für diese Geschenke auch ein Flugticket hättest kaufen können?«

Nate schüttelte den Kopf, und ich war nicht sicher, ob das die Antwort auf meine Frage war. »Das würde für die paar Feiertage nicht lohnen. Zumal Moms Schwestern zu Besuch sind mit ihren Kindern – Teenager. Da ist gar kein Platz mehr für mich.« Er sagte das so unbeschwert. An diesem Abend habe ich ihm diese Unbekümmertheit auch geglaubt. Dabei war ich doch sonst so gut darin, Zwischentöne herauszuhören. Mein Job bestand schließlich mindestens zur Hälfte aus denen. Doch während ich Ausschau nach der perfekten Hülle für das zu verpackende Buch suchte, hörte ich nichts aus seinen Worten heraus. Keine Schwere. Keinen Schatten. Mir ist ein Rätsel, wie ihm das gelungen ist.

»In der WG ist definitiv Platz«, meinte ich und deutete auf das Geschenkpapier in herrlich altbackenem Schottenmuster. Perfekt für ein klassisches Buch, wie ich fand. »Mads ist bis Januar zu Hause, oder? Logan fährt wohl mit zu Eves Familie ...«

»... Und du und Amber seid später am Abend in der WG für Horrorfilme und Punsch. Klingt nach einem perfekten Plan.«

Erst an dieser Stelle zögerte ich. Ja, es gab den Plan. Amber und ich würden pflichtbewusst unsere Familien besuchen, uns dort bereits abends verabschieden und dann in der WG zusammenfinden. So wie jedes Jahr. Vielleicht fand Nate wirklich Gefallen an der Vorstellung, die Stunden davor ganz für sich zu haben. Nur war auf der anderen Seite ein Berg voller Geschenke, die er einer Familie zusandte, die er nicht besuchen würde. Und ich war mir nicht sicher, ob das der Gegenwert zu seinem schlechten Gewissen war oder Heimweh.

»Die Sache ist die«, begann ich und merkte sofort, dass ich nicht imstande war, Geschenkpapier korrekt einzuschlagen, wenn ich nervös war. Und ich war nervös, als hätte ich mich schlagartig auf einem Flugzeug wiedergefunden und sollte nun aus der Luke springen – mit nichts weiter als einem Rucksack, in dem angeblich ein Fallschirm war.

Ich ließ das zu verpackende Buch für einen Moment links liegen, ehe ich noch Klebeband auf eine viel zu schiefe Kante klebte und sie so verewigte.

»Ich habe meinen Eltern erzählt, dass ... dass es dich gibt.« Ja, genau so habe ich das gesagt. Derart elegante Formulierungen bleiben im Gedächtnis. Ebenso wie die Tatsache, dass ich Nate kaum Zeit gab, auch nur erstaunt zu gucken, ehe ich weiterplapperte. »Sie finden auch, dass es noch bessere Pläne gibt, als den ganzen Tag allein in einem WG-Zimmer zu hocken und abends mit zwei albernen Weibern Filme zu schauen. Du bist also herzlich eingeladen ... Also, falls du willst. Du solltest allerdings wissen, dass Mum Krankenschwester ist.«

Erst mit dieser Information war Nates irritierter Gesichtsausdruck schneller als meine nervösen Ausführungen. Damit trug er nicht gerade zu meiner Beruhigung bei. Denn ich war unsicher, ob dieser Blick meinen verworrenen Ausführungen galt oder dem Ziel, das ich damit ansteuerte.

»Das bedeutet in erster Linie, dass unser Traditionsessen Pizza ist und kein sagenhafter Braten oder ... was auch immer normale Familien so machen. Wir haben eben eine Geschichte, dafür aber keinen Stil.« Noch während ich redete, hatte ich den Gedanken, dass ich vielleicht damit aufhören sollte. Nate hatte meinen Vorschlag noch nicht einmal beantwortet. Meine Aufregung schob dafür wie am Fließband eine unnütze Information nach der nächsten in seine Richtung. »Die Geschichte ist so überliefert, dass Mum Frühschicht hatte und geplant war, dass sie am Nachmittag zu Hause sein würde. Die Geschenke lagen natürlich morgens schon da, aber ohne Mum wollte ich die nicht aufmachen. Ich war ja so ein gutes Kind – und in all meiner Liebe für meine Mutter habe ich meinen Vater im Minutentakt gefragt, wann sie endlich zu Hause ist. Ich meine, ich war sechs. Meine Geduld und Nächstenliebe waren nach zehn Minuten aufgebraucht. Dad hat alles gegeben, um mich ruhig zu stellen, und ich habe alles gegeben, um seine Nerven zum Zerreißen zu bringen. Und als Mum dann eine Überstunde nach der nächsten machen musste, haben sie am Telefon gestritten. Über Prioritäten und über das Festessen, für das eingekauft wurde und für das nun die Zeit fehlte. Also hat Dad mich eben damit beschäftigt, dass wir zusammen elendig lange Pizza gebacken haben, die dann fertig war, als Mum heimgekommen ist.« Ich atmete tief durch. »Ende. Die Pizza ist jedes Mal die gleiche. Schinken, Preiselbeeren, Brie und Kartoffeln. Angeblich hat Dad mir damals freie Hand gelassen und das kam dabei heraus. Ich behaupte, es war das, was er eben im Kühlschrank gefunden hat. Egal ... Das ist Tradition und von der Tradition bleibt jedes Jahr immer genug übrig, um noch einen vierten Magen zu füllen. Selbst deinen.«

Und damit hatte ich meine ausschweifenden Erzählungen endlich wieder zur eigentlichen Frage zurückgeführt. Nur, um meinen Händen etwas zu tun zu geben, griff ich nach meinem Kakao und versuchte, davon zu trinken, ohne unter einer Marshmallowlawine begraben zu werden. Unter diesem Manöver kann mein fragender Blick nur albern gewirkt haben.

Nate tat mir nicht den Gefallen, mich endlich mit einer Antwort zu erlösen. Doch das war meine eigene Schuld. Wer so viele Informationen von sich gibt, muss immer damit rechnen, dass der andere sich auf irgendeine stürzt, nur nicht auf die, die wichtig ist. »Und das ist eure Weihnachtsgeschichte?« Unglaube ist wohl das richtige Wort für die Art, wie er die Frage stellte und mich dabei ansah.

»Das ist sie.« Ich glaube, diese drei Worte ließen keinen Zweifel daran, wie sehr ich die Geschichte mochte und immer noch mag. Das war es vermutlich, was Nate davon abhielt, noch einmal nachzufragen. Also grinste ich ihn über die ertrinkenden Marshmallows hinweg an. »Du findest sie doof.«

»Nein!«, stieß er sofort aus. Viel zu offensiv, um ihm das zu glauben. »Nein, mir steht gar nicht zu ... nein.«

Nate ist ein guter Geheimnisträger, aber ein hundsmiserabler Lügner. Ich musste gar nicht mehr tun, als meinen Kopf schief zu legen und eine Augenbraue in die Höhe zu ziehen, um ihn zum Reden zu bringen. »Ich versuche mir nur vorzustellen, dass meine Familie aus so einer Situation eine Tradition macht. Ich meine, ich kann mich auch an Weihnachtsfeste erinnern, bei denen gestritten wurde. Wobei ... nein. Wir streiten nicht. Auch Mom und Dad nicht. Es gab einfach ... Situationen. Und wir Kinder haben gewartet, bis die vorbei sind. Und dann wurde geschwiegen oder es gab Pancakes. Manchmal beides.«

Ich hätte ihm besser zuhören sollen. Vielleicht hätte ich dann schon Fragen gestellt, deren Antworten wir ab dann hätten gemeinsam tragen können. Aber ich war zu abgelenkt von meiner Aufgabe, das Bild zu korrigieren, das er zu haben schien. »Ich habe den Streit damals gar nicht mitbekommen. In meiner Erinnerung war das ein Weihnachten, an dem ich unendlich viele Disneyfilme mit meinem Dad gesehen habe, weil es draußen in Strömen geregnet hat. Ich durfte ewig wach bleiben, und es gab Pizza. Also der Himmel auf Erden. Und Mum und Dad meinen, dass sie die Lehre daraus gezogen haben, dass sie in Zukunft auf ein perfektes, harmonisches Weihnachten scheißen. Selbst wenn Gran dabei ist, gibt es Pizza. Aus Prinzip. Hauptsache, alle sind da.«

Nate nickte einen Moment zu lange und räumte mir damit schon wieder die Möglichkeit ein, einfach weiterzureden.

»Keine Ahnung, ob Gran dieses Jahr zu Hause bleibt oder kommt. Dad ist Ire. Daher auch ...« Ich deutete auf meine unübersehbar roten Haare. »Meist bleibt Gran in Galway und feiert mit meinem Onkel. Und sie war letztes Jahr hier, also denke ich nicht ... Ach, selbst wenn. Du würdest sie mögen, denke ich. Falls du alles verstehst, was sie sagt.«

An diesem Punkt kippte meine Nervosität in Unsicherheit. Nun sprach ich schon über Gran und Nate hatte noch immer nicht gesagt, ob er die Einladung überhaupt annehmen wollte. Nicht, dass ich ihm allzu viel Gelegenheit gegeben hätte, das Wort zu ergreifen. »Du musst dich nicht gezwungen fühlen. Das ist nur ein Angebot. Bei meinen Eltern kann ich dich einfach damit entschuldigen, dass du Amerikaner bist und noch nie von Höflichkeit gehört hast. Sie werden kurz meinen Männergeschmack infrage stellen, und sonst ... Mum würde mir vielleicht sogar abkaufen, dass du einfach Angst hast, meinem Dad zu begegnen. Ich könnte ihr sagen, dass ich dir ein Foto gezeigt habe. Dad lächelt selten auf Bildern, das wäre also glaubwürdig, von daher ...« Ich schluckte die übrigen Worte, die sich in meinem Kopf zusammenbrauten, einfach hinunter. Es war ernsthaft Zeit, dass ich endlich die Klappe hielt.

Und endlich, endlich nutzte Nate die Pause, die ich ihm ließ. »Du musst deine Mom nicht meinetwegen anlügen. Außerdem weißt du doch, dass ich bei Pizza gar nicht Nein sagen kann. Muss ich ... Sollte ich irgendwas mitbringen? Geschenke?«

Ich schmunzelte über diese herrlich kapitalistische Nachfrage, die zweifellos seine Herkunft verriet. Und das, obwohl sich sein Akzent schon allmählich an England angepasst hatte. »Also zuallererst: Es heißt Mum. Sie bringt dich um, wenn du sie als meine Mom bezeichnest. Oder mich, weil ich dir immer noch kein vernünftiges Englisch beigebracht habe. Da ist sie patriotisch.« Ich grinste ihm kurz zu und redete schnell weiter, ehe aus diesem winzigen Aspekt noch eine ernste Diskussion entbrennen konnte. »Und denk nicht mal an Geschenke, hörst du? Das haben wir abgeschafft. Das gilt übrigens auch für mich, okay?« Ich sah ihn forschend an und konnte dabei zusehen, wie seine Mimik in Richtung einer Entschuldigung kippte. »Oh nein, du hast schon was gekauft«, schlussfolgerte ich.

»Nur eine Kleinigkeit.«

»Du bist ein elender Streber, weißt du das?« Ich schnaufte und schaffte es doch nicht, mein Lächeln vor ihm zu verbergen. »Also kann ich meinen Eltern sagen, dass wir eine große Pizza brauchen?«

Der Atemzug, der Nates Nicken begleitete, war der Willkommensgruß meiner Nervosität, die nun auf ihn übergegangen war. »Kannst du.«

»Gut«, meinte ich nur – unschlagbare Romantikerin, die ich nun einmal bin. »Wo das geklärt ist, können wir ja weitermachen. Klebeband, bitte.«

Ich streckte meine Hand in Nates Richtung aus, bekam aber keinen Streifen Klebeband gereicht, woraufhin ich irritiert aufsah. Vielleicht hatte ich das Thema um Weihnachten zu abrupt beendet, um meiner Unsicherheit donnernd die Nase vor der Tür zuzuschlagen. Was, wenn Nate doch noch zögerte oder gar einen Rückzieher machte und die Tür wieder aufriss? Oder vielleicht war ich mit meinem kleinen Seitenhieb auf sein amerikanisches Vokabular etwas zu weit gegangen. Ich kannte mich, also war mir durchaus klar, dass ich gern über ein Ziel hinausschoss, wenn ich aufgeregt war. Ich überlegte sogar, mich zu entschuldigen, ehe Nate endlich mit mir teilte, was in seinem Kopf vorging.

»Weil wir das Thema mit unseren Familien gerade offen haben – meinst du, wir können es noch etwas ausweiten?«

Ich runzelte die Stirn. »Was genau meinst du?« Noch bevor er etwas sagen konnte, spulte mein Kopf ein paar Ideen ab. Ein Besuch seiner Familie in London war nur eine davon.

Nate legte das Klebeband, das er tatsächlich schon in der Hand gehalten hatte, beiseite. »Meine Schwester heiratet im März. Deshalb fliege ich erst dann für ein paar Tage zurück und nicht jetzt schon. Das wäre einfach zu viel.« Ein tiefer Atemzug und dann kam er auch schon auf den Punkt. Das hatte Nate mir definitiv voraus. »Ich habe sie letztens gefragt, ob es in Ordnung wäre, dich mitzubringen, und sie würde sich freuen.« Er lächelte verlegen. »Bis jetzt war ich nicht sicher, ob und wann ich dich fragen soll. Nur dachte ich, wenn du mich schon zur Weihnachtspizza einlädst ...«

Mein Nicken war schneller als irgendein klarer Gedanke. Eine Flutwelle aus Überraschung und eskalierender Freude hatte es einfach angeschwemmt. »Okay«, sagte ich, geblendet von dem Gefühl, dass Nate mich wirklich dort haben wollte. »Ich komme sowas von mit.« Diese Nervosität war eine ganz andere als eben noch. Diesmal hatte ich das Gefühl, dass meine Hände zitterten. Himmel, sollte ich mit meiner Einladung dasselbe bei ihm angerichtet haben, saßen an diesem Nachmittag zwei emotionale Leuchtraketen in meiner Küche.

Ich für meinen Teil strahlte ihn an, als hätte man mir Drogen verabreicht, und für einen Moment sah ich dasselbe Strahlen auch auf seinem Gesicht, fühlte seinen Kuss auf meinen Lippen und hörte, wie er meinte, dass er seine Schwester am nächsten Tag informieren würde. Nüchtern betrachtet war es eine banale Kleinigkeit. Doch mit ihr hatte ich nicht mehr nur das Gefühl, an seiner Seite zu sein, sondern die Gewissheit, dass er mich genau dort haben wollte.

Nach diesem Augenblick der Begeisterung verblasste Nates Strahlen ein bisschen. Doch das war in Ordnung. Es gibt da nämlich etwas, das noch viel besser ist als diese blinde Euphorie.

»Wegen des Fluges ...«, hob er an und ließ seinen Blick dabei auf mir ruhen. »Das wird wahrscheinlich nicht leichter als die U-Bahn, und wir können nicht mittendrin einfach austeigen. Was das angeht, brauchen wir unbedingt einen Plan. Vielleicht fliegen wir vorher eine Kurzstrecke nach Irland oder Schottland oder wohin auch immer. Für ein Wochenende. Ich glaube, wir sollten das unbedingt üben. Du musst auch auf jeden Fall am Fenster sitzen, damit dir niemand zu nahe kommt. Und ... warte, ich hol was zu schreiben, dann legen wir uns direkt einen Plan zurecht.« Mit diesen Worten sprang er auf und lief aus der Küche hinaus in Richtung Wohnzimmer.

Ich blieb zwischen Kakao und Geschenkpapier zurück und lauschte jenen klassischen drei Worten, die sich in mir aufgebaut hatten und nun unermüdlich durch meinen Kopf kreisten.

Ich liebe dich.

Ich behielt sie für mich. Mir fehlten weder der Mut noch die Sicherheit. Aber scheiße noch mal, ich hatte gerade lang und breit darüber lamentiert, wie sehr ich Zimtdonuts liebte und dass ich sie heiraten wollte. Was waren diese Worte also überhaupt noch wert?

Ich meine ... Nate, du wolltest einen Plan machen, damit ich diese Flüge überstehe. Und jetzt sitze ich hier in Charlotte. Der große Schritt über den Teich ist geschafft, wir warten auf unseren Verbindungsflug, und ich lebe noch. Vor einem Monat waren wir in Dublin und auch das habe ich überlebt. Genau wie heute hattest du Pancakes dabei und Alkohol, und du hast darauf aufgepasst, dass ich weiteratme. Als hättest du nicht mit eigenen Sorgen zu kämpfen.

Ich werde also den Teufel tun, dich auf dieselbe Stufe mit Donuts zu stellen.

Mir ist klar, dass dieser Abend ein annähernd perfekter Moment gewesen wäre, um dir meine Gefühle unmissverständlich zu gestehen. Nur hätte ich wirklich gern bessere Worte gefunden – irgendetwas, das mir angemessen erscheint. So viel zu meiner Intention. Dass die nicht funktioniert hat, schiebe ich voll und ganz dir in die Schuhe. Nur, damit du das weißt.