Nates Logbuch
Immer noch Eintrag Nummer acht:
Wodka, Pancakes und die Dusche
Nur ein paar Dinge, die zu Hause so viel leichter sind

Ich habe den Zettel genommen und ihn zur Seite gelegt. Nicht weggeworfen. In diesen Dingen bin ich manchmal etwas sentimental.

Nate habe ich nicht geweckt, nicht absichtlich. Ich wollte keine weiteren Beteuerungen, wie stolz er auf mich war, dass ich diesen Abend bewältigt hatte. Er war hier. Er war in meiner Wohnung und hatte darauf gewartet, dass ich nach Hause komme, damit ich nicht allein war. Mehr musste ich nicht wissen, und mehr brauchte ich auch gar nicht zu hören. Auf sein Angebot mit den Gefälligkeiten würde ich am Morgen mit Sicherheit zurückkommen. Für den Moment war ich wunschlos glücklich damit, dass er einfach nur da war.

Also kroch ich vorsichtig zu ihm unter die Decke, legte meinen Kopf auf seine Schulter und meinen Arm über seinen Oberkörper. Fast augenblicklich zog sich die Anspannung dieses Abends von mir zurück wie Meerwasser von der Klippe, an der es sich eben noch gebrochen hatte.

Mit einem tiefen Atemzug ließ Nate erahnen, dass er mich bemerkt hatte, und machte es unmissverständlich klar, indem er sich zu mir drehte und mich in seine Arme schloss.

»Wie spät?«, murmelte er schläfrig.

»Fast fünf, glaube ich.«

Er gab ein Geräusch zwischen Aufkeuchen und Knurren von sich, ließ aber dennoch seine Hand über meinen Rücken streichen. Wie, um mir deutlich zu machen, dass nicht ich diejenige war, der sein Unwille galt. »Wie geht es dir?« Die Frage nuschelte er in mein Haar, wo sie dennoch nichts von ihrer Glaubwürdigkeit verlor.

Ich schüttelte den Kopf, was er nicht sehen, doch bestimmt spüren musste. »Müde. Nur müde.«

Ein leichtes Glucksen bewegte seine Brust, an der meine Wange lag. »Gott sei Dank«, war seine Antwort, und ich bin sicher, dass er noch beim letzten Wort wieder in den Schlaf zurückgefunden hat.

Als ich am nächsten Morgen aufwachte, lag Nate nicht mehr neben mir. Die Hand, die ich nach ihm ausstreckte, fand nur noch das Laken, auf dem er gelegen hatte. Der Gedanke, mich nochmal in seine Arme zu kuscheln, ehe wir aufstehen mussten, oder die Zeit sogar etwas aktiver zu nutzen, zerplatzte also, ehe er sich überhaupt richtig manifestiert hatte.

Seufzend zog ich meine Hand wieder zurück und rieb mir die Augen, ehe ich einen Blick auf die Uhr warf. Halb zehn. Mir war also ein Rätsel, warum um alles in der Welt Nate das Bett schon verlassen hatte. Wir hatten noch über zwei Stunden Zeit, ehe wir in der WG sein mussten. Und alles, was wir dafür zu tun hatten, war, Kaffee zu holen. Der lokale Dealer meines Vertrauens lag direkt auf dem Weg.

Statt jedoch das Zeitfenster für Gemütlichkeit zu nutzen, stand Nate bereits unter der Dusche, wie mir das Wasserrauschen verriet, das ich hören konnte.

Erst überlegte ich, mich einfach wieder in einen Kokon aus Daunendecken zu rollen, und Nate zu demonstrieren, wie man einen Neujahrsmorgen richtig anging. Doch recht schnell entschied ich, dass ich viel mehr Vorteile daraus ziehen würde, ihm auf andere Weise beizubringen, wie fragwürdig seine Prioritäten waren.

Also stand ich ebenfalls auf und schlich ins Badezimmer. Nate stand unter der Dusche, und ich konnte durch die beschlagene Scheibe gerade so erahnen, wie er sich träge die Haare shampoonierte. Dass er nicht einmal mitbekam, wie ich den Raum betrat, zeugte für mich von zu viel Restmüdigkeit.

Nate bemerkte mich wirklich erst, als ich die Glastür zur Dusche öffnete und mich zu ihm gesellte. Wobei »bemerken« nicht ganz richtig ist. Ich bin heilfroh, dass die Erinnerung an seine Mimik in dem Moment noch immer gestochen scharf ist. Die erschrocken aufgerissenen Augen, das plötzliche Zusammenzucken, als meine Hand sich an seinen Arm legte. Entweder war er tief in Gedanken gewesen oder schon wieder beinahe eingeschlafen, während das warme Wasser seine Haare vom Shampoo befreite und dann weiter seinen Körper hinabgeflossen war.

Ich konnte nicht anders als zu lachen und sein Gesicht in meine Hände zu nehmen. Er machte es mir nicht allzu schwer, seinen Kopf zu mir zu ziehen und ihn zu küssen. »Das hast du davon, wenn du einfach aus dem Bett schleichst. An einem Feiertag. Und eindeutig viel zu früh.« Ehe er etwas erwidern konnte, küsste ich ihn erneut. Und was auch immer er hatte sagen wollen, es war ihm definitiv nicht wichtig genug, um sich von mir zu lösen.

Ich bin nicht einmal mehr sicher, ob wir so etwas wie die üblichen Neujahrswünsche überhaupt ausgetauscht haben. Ich glaube sogar, dass wir diesen obligatorischen Unsinn einfach ausließen. Viel wesentlicher war Nates Erkenntnis, die er gewann, als meine Lippen längst über seinen Kiefer zu seinem Hals gewandert waren. »Das ist die Konsequenz für zu frühes Aufstehen?« Er lachte sogar, während er das sagte, und der kehlige Unterton, der darin mitschwang, verriet deutlich, dass ihm diese Konsequenz gefiel. Als hätte ich sein Gefallen nicht längst gespürt und ertastet.

»Mh«, machte ich, und hatte vorgehabt, ihn darüber aufzuklären, dass mein Besuch in der Dusche nicht die eigentliche Konsequenz sein sollte, sondern dass ich nur vorgehabt hatte, ihn auf diese Weise wieder zurück ins Bett zu locken.

So weit kam ich gar nicht. Nate hatte mein »Mh« offenbar als unmittelbare Einladung verstanden, legte seine Hände an meine Hüften und zog mich noch näher an sich, während er mich einen halben Schritt nach hinten dirigierte, bis mein Rücken an die kalte Fliesenwand stieß.

»Was, hier?«, lachte ich  ein bisschen halbherzig, zugegebenermaßen. Ich war längst viel zu abgelenkt von Nates Lippen an meinem Hals und seinen Händen, die mich mit sehr zielsicheren Argumenten bedachten.

»Bitte sag mir, dass du nicht hier bist, um nur deine Haare zu waschen«, raunte er.

»Nein, aber ... Sex in der Dusche? Hast du das mal probiert?«

Sein schwaches Kopfschütteln bemerkte ich nur, weil meine Hand sich in seine Haare gegraben hatte. »Ich dachte, das könnten wir jetzt bereinigen.«

Was soll ich sagen? Ich mochte den Gedanken, dass Nate noch nie Sex in einer Dusche hatte. Und dass ich diejenige sein durfte, mit der er erfuhr, wie überbewertet und unbequem das ist. Ich muss noch immer lachen, wenn ich daran denke, wie er versucht hat, mich an die Wand gedrückt hochzuheben, ehe er zur Einsicht kam, dass es mehr Sinn hätte, wenn ich mich einfach umdrehte. Diese Position hielt er länger durch, hatte allerdings unterschätzt, dass er einfach deutlich größer war als ich, und seine Oberschenkel irgendwann heißer brannten als die Leidenschaft, die das Unterfangen noch übriggelassen hatte.

Wir glucksten beide, als er schließlich aufhörte, sich in mir zu bewegen, seine Stirn an meine Schulter legte und frustriert schnaufte. »Du bist zu klein. Wir brauchen einen Tritt oder ...«

Ich lachte und drehte mich wieder zu ihm um. »Wenn ich mich richtig erinnere, hat der Küchentisch eine gute Höhe. Wir könnten ihn einfach holen, oder ...«, hob ich lieber schnell an, ehe Nate sich zu solchen Dummheiten wirklich verleiten ließ. »Oder wir kapitulieren vor der Dusche. Eigentlich wollte ich dich sowieso nur zurück ins Bett holen.« Mit meinen Zähnen fing ich seine Unterlippe sanft ein, und wie auch sonst genügte das vollkommen, um Nate völlig egal werden zu lassen, was ich mit ihm machte. Solange ich es nur machte.

Sofort stellte er das Wasser ab. Mit dem Abtrocknen beeilten wir uns, hin und wieder unterbrochen von einem Kuss oder einer Berührung, ehe wir es endlich zum Bett schafften, wo Nate sich nach seinen Anstrengungen im Badezimmer nur noch auf die Matratze legen und genießen musste. Ich möchte meinen, dass er sich diese Art der Kapitulation ausgesprochen gern gefallen ließ. Nicht zuletzt sein Grinsen war ein untrügliches Zeichen, als ich irgendwann atemlos wieder von ihm abstieg und mich neben ihn auf die Matratze fallen ließ.

»Völlig überbewertet«, resümierte er noch mal und bedachte mich mit einem Blick zwischen Belustigung und der Frage nach einer Wiederholung. »Wer kommt darauf, in einer Dusche Sex zu haben?«

Ich kicherte, rollte mich auf die Seite, um ihn besser ansehen zu können, und strich ihm die feuchten Haare von der Stirn. »Es war mir eine Ehre, dich desillusionieren zu dürfen«, sagte ich feierlich und beugte mich für einen Kuss zu ihm.

»Vielleicht kann ich mich bei Gelegenheit revanchieren.« Seine Arme hatten sich längst wieder um mich gelegt. Fingerspitzen folgten dem Verlauf meiner Wirbelsäule und zogen einen Schauer mit sich.

»Mit Sicherheit«, sagte ich, legte mein Kinn an seine Schulter und überlegte nach einem Ziel. »Autos sind auch so ein Klassiker, von dem man sagt, sie wären überbewertet.«

Nate lachte laut auf. »Oh Gott, ja. Sind sie.«

»Na dann ... Wenn sich die Gelegenheit mal bietet, hast du eine Aufgabe.«

Daraufhin hat er gegrinst, mich geküsst und gemeint, dass es ihm ein Vergnügen sein wird.

Ich bin nicht einmal sicher, warum ich das aufschreibe. Das sollte gar nicht hier rein, aber ich mag diese Erinnerung. Ich habe das nicht aufgeschrieben, weil ich darauf hoffe oder gar erwarte, dass dir diese kleine Abmachung wieder einfällt, und du mich umgehend zu unserem Mietwagen schleifst.

Aber was hast du noch vergessen, Nate? Scheiße, dein Koffer ist riesig. Wäre nicht ein bisschen Platz da drin übrig gewesen für wenigstens einen kleinen Teil von diesem Nate, den ich kenne?

Okay, das klang pathetisch. Ich habe nur einfach das Gefühl, dass du nichts mehr von dem weißt, was mir wichtig ist. Die Kleinigkeiten. Das Wesentliche. Einfach alles.

Mein Handy sagt mir, dass es kurz vor vier ist. Ich habe nicht einmal versucht, zu schlafen, weil ich weiß, dass es keinen Sinn hätte. Wie ist es bei dir? Schläfst du wirklich? Tief und fest?

Wie, Nate? Wie machst du das?

Ich versuche ganz ehrlich, mich nicht reinzusteigern, nur ist das nicht so leicht. Ich bin müde, ich bin wütend, und ich kann nicht schlafen, während im Erdgeschoss Stille herrscht. Du fehlst mir, Nate. Und daraus, dass du schläfst, kann ich nur den Schluss ziehen, dass es dir nicht so geht. Oder dass es dir egal ist. Ich finde beide Optionen einfach nur beschissen. Und eine dritte fällt mir nicht ein.

Bitte sag mir, dass es eine dritte gibt und ich nur zu kaputt bin, um die zu sehen.

Gerade überlege ich, dir morgen anzubieten, nicht mit zur Hochzeit zu kommen. Allerdings weiß ich nicht, was ich damit anrichte. Und eigentlich will ich auch gar nicht einsehen, dass es sein könnte, dass du es dir anders überlegt hast. Dass es dir vielleicht recht wäre, wenn ich es satthätte.

Sag mir bitte einfach, dass ich mich irre, okay? Dieser Zustand gerade ist anstrengend, für dich doch mit Sicherheit auch. Ich bin müde. Und dein Verhalten gibt mir viel zu viel zu Denken.

Ich will nicht mehr grübeln. Ich will auch nicht mehr sauer sein.

Ich will nur falsch liegen.