I ch lasse Knusper wieder in einen langsamen Trab fallen. Meine letzte Hoffnung, Anschluss an die anderen Sättel zu finden, erlischt flackernd wie ein feuchter Kerzendocht.
Es wird Zeit, diese Tatsache zu akzeptieren und mich stattdessen darüber zu freuen, dass ich zumindest einen Freund in dieser Reisegesellschaft habe. Einen Freund und einen barschen Beschützer, der einen König getötet hat, um mich zu retten. Das ist mehr, als ich je erwartet hätte.
Nachdem ich ein paar Minuten schweigend vor mich hin gebrütet habe, schließt Segl zu mir auf, wie ich es erwartet hatte. «Ignoriert Polly. Sie ist nur eifersüchtig.»
Ich schenke ihm einen ironischen Seitenblick, gebe vor, ich wäre nicht verletzt und es würde mich gar nicht kümmern. «Sie ignorieren. So wie du gestern Frilly ignoriert hast?»
Seine Wangen röten sich, und er starrt nach vorne. «Was? Nein, da ist nichts passiert. Sie brauchte nur eine zusätzliche Decke, das war alles.»
«Entspann dich. Ich ziehe dich nur auf.»
Segl sieht sich um, als befürchte er, jemand könnte uns hören und etwas anderes glauben als die unschuldige Wahrheit. Ich verstehe seine Sorge, denn königliche Sättel sind genau das – für die Könige bestimmt. Sie dürfen mit niemand anderem zusammen sein. Und selbst das leiseste Gerücht könnte Frilly und Segl vernichten – was ich nicht zulassen werde.
«Gibt es irgendwelche Mädchen, die zu Hause sehnsüchtig auf dich warten?», frage ich, weil ich mehr über sein Leben außerhalb der Armee wissen will. Über seinen Alltag, wenn er keine Rüstung und kein Schwert an der Seite trägt.
Segl lächelt wieder auf diese jungenhaft charmante Art und lehnt sich leicht zu mir. «Nur ein paar», witzelt er. «Drei oder vier. Aber sie verzehren sich bei Weitem nicht so sehr nach mir, wie ich es gerne hätte.»
Ich kichere. «Ach, wirklich? Nun, ich hoffe, du bist nett zu ihnen.»
«Ich bin sehr nett zu ihnen. Dieser Junge aus den Baracken hat durchaus einige Tricks auf Lager.»
Mir entfährt ein weiteres Lachen. «Willst du mir deine Tricks verraten?»
Segl öffnet den Mund, doch in diesem Moment erscheint wieder Digby mit grimmiger Miene auf meiner anderen Seite. «Du wirst der Favoritin des Königs keine Tricks verraten», blafft er genervt. «Willst du, dass König Midas dir den Kopf abschlägt und in Gold verwandelt, Junge?»
Segl wird bleich, dann schüttelt er den Kopf. «Nein, Sir.»
Mit einem Seufzen sehe ich meinen stoischen, immer mürrischen Wächter an. «Sei kein solcher Spielverderber, Dig.»
«Ab in die Kutsche», antwortet er barsch.
«Nein, vielen Dank», entgegne ich freundlich.
Er seufzt angesichts meiner Sturheit, und ich lächele über seine Verärgerung. Es ist kein Trinkspiel, aber noch nie hatte ich solchen Spaß mit Digby. Und er redet mehr mit mir als jemals zuvor. Ich betrachte das als glorreichen Sieg.
Während unsere Gruppe weiterreist, unterhält Segl mich mit Geschichten darüber, wie es war, mit vier älteren Brüdern aufzuwachsen. Er lenkt mich damit so sehr ab, dass ich den Schmerz in meinen Schenkeln kaum noch spüre.
Die Wolken rollen über uns hinweg wie die Brecher einer aufgewühlten See, die eisige Gischt aufwirft. Die Pferde, die ganz vorne gehen, bahnen für den Rest von uns eine Spur durch den Schnee. Es ist schwierig und kraftraubend, die verharschte Decke aufzubrechen, selbst für unsere abgehärteten Pferde, also tauscht Digby die Reiter an der Spitze regelmäßig aus.
Im Verlauf der Nacht wird es immer eisiger, bis die Kälte sogar meine schmerzenden Beine betäubt. Der Wind frischt auf, und die Böen sind so brutal, dass Segl nicht einmal damit angibt, dass er in Bezug auf den Sturm recht hatte.
Bald schon stemmen sich alle gegen den Wind, die Körper tief über die Pferde gebeugt, die Gesichter und Köpfe mit Stoff umhüllt, um die schneidende Kälte abzuwehren.
Digby galoppiert an meine Seite. Sein schwerer Mantel weht hinter ihm. «Ab in die Kutsche», sagt er, und diesmal ist es ein Befehl.
Ich gebe mit einem Nicken nach. Es wäre wirklich dämlich, die Gelegenheit nicht auszunutzen, aus dieser windigen Eiseskälte zu entkommen. Der Himmel hängt wie eine dräuende Warnung über uns, ermahnt uns, uns vorzubereiten – bevor die Wolken freigeben, was auch immer sie in ihren Bäuchen verbergen. Und so gerne ich auch an der frischen Luft reite, möchte ich doch lieber nicht mitten in einen Blizzard geraten.
Mit Segl an meiner Seite lenke ich Knusper in Richtung meiner Kutsche. Ich springe von seinem Rücken und tätschele ihm den pelzigen Hintern.
Dann werfe ich Segl einen schuldbewussten Blick zu und deute auf die Kutsche. «Du bist dir sicher, dass du nicht …»
Aber er schüttelt den Kopf. «Mir geht es gut. Wir Soldaten aus dem Sechsten sind ein zäher Haufen. Die Kälte bemerken wir nicht einmal», lügt er mit einem Augenzwinkern. Sein Atem bildet wabernde Wolken vor seinem Mund. «Nun steigt schon ein, bevor Ihr Euch noch verkühlt.»
Mein Kutscher hält gerade lange genug an, dass ich einsteigen und zitternd die Tür hinter mir zuziehen kann. Dann setzt sich die Kutsche auch schon ruckelnd wieder in Bewegung. Ich lasse mich auf den Sitz fallen, reibe mir die Beine und schüttele die Hände aus, um die Schmerzen in meinen Muskeln zu lindern und ein wenig Wärme zurück in meine Gliedmaßen zu zwingen.
Durch das Fenster beobachte ich im dämmrigen Licht des verhangenen Mondes und der schwankenden Laternen, wie das Wetter immer schlechter wird.
Es dauert keine Stunde, bis der Sturm mit Macht über uns hereinbricht. Die Winde heulen und wüten so heftig, dass die Fenster klirren und die Kutsche schwankt, als drohe sie umzustürzen. Ich rutsche auf die andere Seite der Sitzbank, um ein Gegengewicht zu bilden.
Dann prasselt der Hagel herunter. Eisklumpen hämmern auf das Dach wie das Trommeln von hundert Fäusten, so laut, dass ich das Klappern der Hufe und das Knirschen der Kutschenräder nicht mehr hören kann. Nichts scheint mehr zu existieren außer diesem Wolkenbruch aus gefrorenen Geschossen, die aus dem Himmel stürzen.
Während ich nach draußen starre, kaue ich an den Fingernägeln. Mir gefällt es gar nicht, dass die Wachen und die Pferde das durchstehen müssen. Es muss wehtun, diese Hagelkörner abzubekommen.
Ich bin erleichtert, als wir den Pfad verlassen und auf ein kleines Wäldchen zuhalten. Es sind zwar keine riesigen Pechkiefern, doch die Bäume sind groß genug, um einen gewissen Schutz zu bieten – der Göttlichkeit sei Dank!
Ich dachte, wir hätten uns bisher schon langsam bewegt, doch jetzt geht es noch zehnmal langsamer voran. Mit dem Hagel und den schneidenden Böen brauchen wir fast eine Stunde, um den Waldrand zu erreichen.
Die vordersten Reiter tauchen gerade unter die Bäume ein, als meine Kutsche ins Schwanken gerät. Ich werde unsanft von der Bank geworfen, knalle gegen den Sitz gegenüber und stoße mir den Hinterkopf an der Wand an.
«Dreck», fluche ich und reibe mir den Hinterkopf, während ich versuche, wieder auf die Bank zu klettern. Die Kutsche holpert ein weiteres Mal, und wieder rutsche ich fast vom Sitz. Doch diesmal stütze ich mich an den Wänden ab und schaffe es, mich oben zu halten.
Das Gefährt hält an, vielleicht absichtlich, vielleicht wird es vom dichten Schnee aufgehalten. Dann ist Digby da. Er öffnet die Tür und mustert mich, um zu sehen, ob es mir gut geht.
«Alles in Ordnung», versichere ich ihm.
«Die Kutsche hat sich festgefahren», erklärt er und hält die Tür auf.
Ich klettere hinaus. Meine Füße sinken in den Schnee ein, er reicht mir fast bis zu den Knien.
«Alles gut?», ruft Segl, der gerade Knusper heranführt.
Ich kann nur nicken, weil der heulende Wind sowieso jedes Wort von meinen Lippen reißen würde. Mithilfe des Steigbügels hieve ich mich nach oben. Sobald ich sitze, ergreift Segl die Zügel und führt unsere Pferde durch die dicke Schneeschicht, sodass ihre schweren Hufe einen Pfad ins Weiß brechen.
Ich blinzele in den Wind. Ein Blick zurück verrät mir, dass auch die anderen Kutschen feststecken. Der Schnee, der hier fast einen Meter tief ist, gibt die Räder nicht mehr frei.
Wachen drängen sich um die Kutschen, rufen sich gegenseitig Anweisungen zu, während sie versuchen, die Pferde loszumachen und den Sätteln zu helfen. Dann führen sie alle zu der Deckung des Waldrandes.
Sobald Segl und ich die Bäume erreicht haben, sind wir vor dem Hagel geschützt. Natürlich finden vereinzelte Körner ihren Weg durch die Äste, aber bei Weitem nicht mehr so viele.
Die Wachen schlagen Holz und stapeln es auf, geben ihr Bestes, schnellstmöglich eine Feuerstelle einzurichten. Als sie versuchen, ein Lagerfeuer zu entzünden, steigt dichter Rauch auf; das feuchte Holz widersetzt sich den Flammen. Schließlich stapft Digby heran, so streng wie immer. Ein Schlag seines Feuersteins lässt Funken fliegen, die das Anfeuerholz auflodern lässt … als wage es nicht, sich seinem Befehl zu widersetzen.
Segl führt Knusper zu den anderen Pferden, ich sitze noch immer im Sattel. Hier ist der Schnee weggeräumt worden, damit die Tiere sich ausruhen können. Ein Heuballen liegt für sie bereit.
Ich steige ab und mache mich daran, bei der Versorgung von Knusper zu helfen, aber Segl besteht darauf, dass ich mich hinsetze und aufwärme, während er sich um die Pferde kümmert. Er zeigt auf einen der gefällten Stämme direkt am Feuer, das langsam an Kraft gewinnt. Ich setze mich, erschöpft und zitternd. Selbst mein Knochenmark scheint steif gefroren zu sein. Die anderen Sättel kommen langsam heran und setzen sich auf die anderen Stämme rings ums Feuer. Sie schmiegen sich aneinander, um sich zu wärmen.
Ich beobachte, wie die Wachen Holz aufschichten und Zelte aufbauen, Baumstämme herumwuchten und einen Windschutz aus Schnee anlegen. Keiner von ihnen steht auch nur für eine Sekunde still, während ich am schwachen Feuer zittere und meine bebenden Hände in den Handschuhen den Flammen entgegenstrecke.
Die Wachen stapeln leichte Ziegel neben dem Feuer. Sobald sie heiß geworden sind, wird man sie in die Schlafsäcke schieben, um uns die Füße zu wärmen.
Die Männer arbeiten zügig und effizient. Mich überrascht, wie schnell alles erledigt ist. Bald schon sind alle ums Feuer versammelt, und Zelte stehen in den Lücken zwischen den Bäumen.
Der Hagel prasselt herab. Eiskörner prallen von Rinde und Ästen ab, hinterlassen Wunden im Holz. Jeder Aufprall klingt wie eine kleine Explosion. Die Äste stöhnen unter dem Druck des Windes.
Es war nur eine Frage der Zeit, bis schließlich ein Sturm herangerollt kam. Wir können uns glücklich schätzen, dass uns überhaupt so viele milde Nächte vergönnt waren.
Links von mir entdecke ich Segl, damit beschäftigt, mein Zelt aufzubauen. Ich gehe zu ihm. Er befestigt gerade die Plane am Boden, um sie im Anschluss straff zu ziehen.
«Brauchst du Hilfe?», frage ich laut, um den Hagel zu übertönen.
Aber Digby tritt mit meinen zusammengerollten Pelzen im Arm an uns heran. «Nein. Ihr werdet nicht helfen.»
«Wir dienen Euch, Lady Auren. Nicht andersherum», erklärt mir Segl.
«Das ist gut. Ich habe nämlich keine Ahnung, wie man ein Zelt aufbaut», witzele ich und bringe Segl damit zum Lachen.
Sobald er das Ding aufgebaut hat, verteilen er und Digby eilig die Pelze darin und hängen eine Laterne auf, die Licht und ein wenig Wärme spendet, obwohl mein Zelt am dichtesten am Feuer steht.
Ich fühle mich wegen der Sonderbehandlung ein wenig schuldig – schließlich weiß ich, dass die Wachen und die anderen Sättel jeweils zu sechst oder siebt in einem Zelt schlafen müssen. Und ich habe eins ganz für mich allein … Aber zumindest können sie ihre Körperwärme teilen.
Ich atme meine Ration vom Reiseproviant quasi ein und schütte einen Becher gewärmten Wassers hinterher. Dann ziehe ich mich früh in mein Zelt zurück. Die Nacht wird noch einige Stunden dauern, doch so, wie der Sturm tobt, werden wir für eine ganze Weile nicht auf die Straße zurückkehren können.
Segl, der auf einem Baumstumpf neben der Zeltklappe sitzt, hebt die Plane für mich an. Dort draußen wird er Wache halten, während ich mich ausruhe. «Sieht so aus, als hättet Ihr diese Wette verloren, hm?»
«Ah, aber ich habe die Wette ja gar nicht angenommen , oder?»
Segl schüttelt lachend den Kopf. Die Tatsache, dass er stets gut gelaunt ist, egal, was um ihn herum auch geschieht, bezeugt seinen guten Charakter. «Diesmal hattet Ihr Glück. Das nächste Mal lasse ich Euch nicht so einfach vom Haken.»
«Danke für die Warnung. Und gute Nacht.»
«Gute Nacht, Milady.»
Ich schlüpfe ins Zelt und binde die Zeltklappe zu, bevor ich eilig mein Kleid abstreife und stattdessen ein dickes Nachthemd aus Wolle anziehe. Dann vergrabe ich mich in meinen Pelzen. Meine Stiefel stelle ich zum Trocknen neben die Laterne.
Der heiße Ziegelstein an meinen Füßen fühlt sich himmlisch an, aber ich weiß, dass die Wärme nicht lange anhalten wird. Nicht, wenn der Hagel weiterhin so aufs Zelt niederprasselt und der Wind alle schützenden Schichten um mich herum scheinbar mühelos durchschneidet.
Das Wetter hat sich sieben Tage lang gehalten, aber jetzt ist es zerborsten; in eine Million Stücke zerbrochen, die als scharfe Scherben vom Himmel regnen.
Draußen tobt der Sturm, wie eine dunkle Warnung.
Eine Warnung, die ich besser ernst genommen hätte – doch das werde ich erst verstehen, wenn es schon zu spät ist.