Kapitel 3

 

Geordi LaForge nahm den runden Filzhut und setzte ihn Data in einem verwegenen Winkel auf den Kopf. »Jetzt können Sie richtig Pool spielen.«

»Mir leuchtet nicht ein, wieso ich durch das Tragen eines Hutes besser Billard spielen sollte«, erwiderte der Androide.

»Pool«, korrigierte Geordi. »Das sind zwei verschiedene Spiele.«

»Ich bezog mich auf die umfassendere historische Einstufung; Pool ist dabei nur eine Variation«, sagte Data.

»Sie brauchen auch eine Sonnenbrille«, meinte Geordi und schob die dunklen Gläser vor Datas gelbe Augen. »Jetzt können Sie wirklich richtig Pool spielen.«

Data ließ den Preis für Hut und Brille auf seine Rechnung setzen, und sie verließen den Laden, um die große Mall von Starbase 211 entlangzuschlendern, die kurioserweise die Bezeichnung Milchstraße trug. Sie befanden sich auf dem Rückweg zu einer Pool-Halle, an der sie eben vorbeigekommen waren und die direkt neben einem Laden mit Holobüchern lag.

»Ich glaube, der Betrag, den ich für Hut und Brille bezahlt habe, war außergewöhnlich hoch«, beschwerte sich Data.

Geordi lachte. »Und das fällt Ihnen jetzt ein. Kommen Sie schon, Data, wir haben Urlaub! Es gehört zur Tradition, mit Geld um sich zu werfen, wenn man Urlaub hat.«

Der Androide blieb unbeeindruckt. »Geld zu verschwenden gehört nicht zu den Lastern, die ich kultivieren möchte.«

»Okay«, stimmte Geordi ihm zu, »aber ich kann mir auch nicht recht vorstellen, dass Sie sich in einem Strandhaus auf Pacifica zur Ruhe setzten. Wofür also wollen Sie Ihr Geld ausgeben?«

Der Androide rückte seinen Hut gerade. »Vielleicht für ein Geschenk für Spot. Sie schien etwas ungehalten, weil sie in einem Tierheim bleiben musste.«

»Sie können sie doch jeden Tag besuchen, solange wir Urlaub haben.«

»Das schon«, meinte Data, »aber wenn wir noch auf der Enterprise wären, könnte ich wie sonst auch mit ihr zusammen wohnen. Ich muss zugeben, ich begreife den Reiz des Urlaubs nicht, der doch nur dazu dient, die normale Routine zu unterbrechen.«

»Genau das ist der Punkt«, sagte Geordi etwas frustriert. »Wir tun andere Dinge, schlafen an anderen Orten, treffen andere Menschen, und wenn wir zu unserer normalen Routine zurückkehren, fühlen wir uns deswegen besser.«

»Gibt es wissenschaftliche Daten über dieses Phänomen, oder handelt es sich schlicht um unbelegte Vermutungen?«

Geordi lachte und schüttelte den Kopf. »Wir sind da.«

Sie blieben vor einer Ladenfront stehen, deren Fenster verdunkelt waren und keinen Blick ins Innere gestatteten. Für Geordi hatte das freilich keine Bedeutung – die Infrarotsensoren seines VISORs konnten die Kühle der Pooltische inmitten der Wärmestrahlung der Lebewesen erkennen, die um sie herumstanden oder sich darüber beugten. Er lächelte.

»Sieht aus, als wären dort auch Frauen. Versuchen Sie sich zu amüsieren, ja?«

Als wolle er die Antwort übernehmen, begann der Kommunikator des Androiden zu piepen. »Data«, meldete er sich.

»Hier ist der Captain. Ich muss sofort mit Ihnen über einen freiwilligen Einsatz sprechen. Ich bin in Konferenzraum sechs, Deck vier des Fitness-Center.«

»Ja, Sir«, antwortete Data. »Commander LaForge ist bei mir. Wünschen Sie seine Anwesenheit?«

Picard zögerte einen Moment. »Ich hatte gehofft, Mr. LaForge die volle Urlaubszeit zugestehen zu können, doch andererseits sollte ich ihm vielleicht die Wahl überlassen. Also gut, melden Sie sich beide bei mir. Picard Ende.«

 

Lieutenant Worf beobachtete den andorianischen Fakir mit wachsendem Interesse und überlegte, ob er tatsächlich vorhatte, sich auf ein Bett aus Laser-Stiften zu legen. Neben dem Bett aus Stiften stand auch noch eine Kiste mit kristallisiertem Bimsstein; die glänzenden Bruchstücke sahen beeindruckend aus, doch Worf argwöhnte, dass sie zu einer Art Kiesel rundgeschliffen worden waren und wohl kaum noch scharfe Kanten besaßen. Die Stifte hingegen waren eine andere Geschichte; sie pulsierten gleichmäßig und schienen nur darauf zu warten, durch Stahl, Kunststoff oder Fleisch zu schneiden. Der Klingone nickte grimmig angesichts der Vorstellung, den Rücken einer Person einem Bündel von Schneidwerkzeugen auszusetzen. Wenn die andorianische Religion derartige Opfer verlangte, musste sie Geister von großer Noblesse hervorbringen, schloss Worf beifällig.

Der blauhäutige, in einfache Leinengewänder gekleidete Fakir sprach in einer langweiligen, monotonen Art zu seinem Publikum, wobei er sich immer wieder höflich verneigte. Das Publikum bestand aus etwa zwanzig Personen, die sich auf dem Hof vor dem Eingang des Osstan-Terrariums versammelt hatten. Ursprünglich hatte Worf beabsichtigt, das Terrarium zu besuchen, das eine Sammlung von Reptilien aus allen Teilen der Galaxis beherbergte, die in ihrer natürlichen Umgebung entsprechenden Räumlichkeiten untergebracht worden waren. Wenn er Glück hatte, würde er sogar Zeuge der Fütterung eines tangolesischen Hechid, die nur sehr selten in Gefangenschaft anzutreffen waren.

»Nun mach schon«, brummte Worf.

»Ja, leg endlich los!«, rief ein kleiner Saurianer, der links von ihm stand. Der Alien verdrehte seinen langen Hals in Worfs Richtung und bleckte die Zähne, was vermutlich ein Lächeln darstellen sollte.

»Lassen Sie ihn doch in Ruhe seine Vorstellung geben«, sagte eine wohlbekannte Stimme. Worf fuhr herum und erblickte Deanna Troi, die ein blaues, trägerloses Abendkleid trug. Ihr dunkles Haar fiel in weichen Wellen über die bloßen Schultern herab.

»Hallo, Deanna«, sagte er. »Sie sehen beeindruckend aus.«

Sie trat einen Schritt näher und flüsterte: »Vielen Dank, Worf. Ich besuche in einer Stunde ein Konzert. Und was tun Sie, wenn Sie nicht gerade gegen einen armen Mann hetzen, der nur versucht, seine Religion zu erläutern?«

Worf räusperte sich verlegen. »Ich wollte nicht ungeduldig klingen.«

Deanna lächelte. »Er macht diese Vorführung doch nur, damit Sie sich auch seinen Sermon anhören. Aber wie es aussieht, fängt er jetzt an.«

Worf schaute hinüber und sah, wie der Andorianer langsam zu der Kiste mit kristallisiertem Bimsstein ging. Er neigte den Kopf, als wolle er seine Antennen auf eine unsichtbare Kraft zwischen den Bruchstücken ausrichten. Dann stieg er mit bloßen Füßen in die Kiste und wanderte auf dem Bimsstein hin und her. Aus dem Publikum erklangen vereinzelt anerkennende Rufe, doch Worf war nicht sonderlich beeindruckt – er wusste, dass dieser Trick nur ein Anheizer für die Nummer mit den Laserschneidern war.

»Was haben Sie nach dieser Vorstellung vor?«, fragte Deanna, die Worfs Aufmerksamkeit weitaus stärker gefangen nahm als der Fakir.

»Ich möchte die Fütterung des tangolesischen Hechid sehen«, erklärte er. »Der Hechid selbst ist nur eine träge Echse, doch er besitzt einen Symbionten, den Machud, der in seinem Maul lebt. Der Machud wirft ein membranartiges Netz über ihre gemeinsame Beute; wenn man der Fütterung dieser Wesen beiwohnt, wird man Zeuge einer ganz außergewöhnlichen Teamarbeit.«

Deanna brachte ein höfliches Lächeln zustande. »Ich verstehe. Wenn Sie entschlossen sind, Echsen bei der Fütterung zuzuschauen, dann haben Sie wohl kein Interesse, ein bynarisches Oktett zu hören.«

»Ein bynarisches Oktett?«, fragte der Klingone zögernd. Atonale Musik mit endlosen Wiederholungen war nicht unbedingt das, was er sich unter mitreißender Unterhaltung vorstellte. Er hatte zwar des Öfteren das Bedürfnis, seiner wachsenden Neigung zu Deanna Troi nachzugeben, doch mindestens ebenso oft wurden die Unterschiede zwischen ihnen nur allzu deutlich.

Bevor er antworten konnte, vernahm Worf spärlichen Applaus. Er wandte sich um und sah, wie der Andorianer aus der Bimssteinkiste stieg. Mit düsterer Miene ging er langsam zu dem Bett aus Laserstiften hinüber, blieb davor stehen und musterte die pulsierenden Nadeln. Als der Andorianer Anstalten machte, sich auf dem Bett niederzulassen, merkte Worf, wie Deanna Troi etwas näher rückte und seinen Arm ergriff. Ihre Aufmerksamkeit war ganz auf den Fakir gerichtet, als dessen blaue Haut in Kontakt zu den glühenden Stiften geriet.

In diesem Moment piepte Worfs Kommunikator. Stirnrunzelnd wich er ein paar Schritte von der Menge zurück und antwortete: »Worf hier.«

»Picard. Tut mir leid, Ihren Urlaub zu unterbrechen, Lieutenant, aber wir müssen eine wichtige Angelegenheit besprechen.« Der Captain erklärte ihm, wie er zu dem Konferenzsaal gelangen konnte, und beendete den Funkkontakt mit den Worten: »Beeilen Sie sich.«

»Ja, Sir«, antwortete Worf. Er tippte auf den Kommunikator, um die Verbindung zu beenden, und bemerkte dann, dass Deanna ihn neugierig ansah.

»Was war denn los?«

»Ich weiß nicht. Der Captain will mich sofort sehen. Es scheint, als wäre mein Urlaub schon vorbei.« Er verbeugte sich steif vor der Betazoidin und warf einen raschen Blick über die Köpfe der Menge. »Ein andermal?«

»Ein andermal«, erwiderte sie nachdenklich.

 

»Ich sage Ihnen, irgend etwas geht da vor, und uns lässt man im dunkeln.« Deanna Troi stemmte die Hände in die schmalen Hüften, die durch den Schnitt des Abendkleids noch betont wurden. Ihre Haltung drückte deutlich aus, dass sie wissen wollte, was Beverly Crusher wegen dieser Verschwörung zu unternehmen gedachte.

Die Ärztin seufzte und hängte ihr eigenes schwarzes Abendkleid in den Schrank zurück. Ihr Gefühl sagte ihr, dass sie nicht dazu kommen würde, das hübsche Kleid zu tragen, und selbst wenn sie es anzöge, würde niemand da sein, um es zu bewundern.

»Woher wollen Sie wissen, dass man uns im Unklaren lässt?«, fragte sie Deanna.

»Ich habe den Basiscomputer nach dem Aufenthaltsort mehrerer Personen befragt. Der Captain, Will, Worf, Geordi, Data – sie alle befinden sich in Konferenzraum sechs im Fitness-Center. Sie waren als einzige in Ihrer Unterkunft.«

Die Ärztin entschied, zunächst nach der offensichtlichsten Erklärung zu suchen. »Wenn sie alle im Fitness-Center sind, können sie sich dann nicht zu einem Spiel oder zum Training getroffen haben?«

»Das glaube ich nicht. Ich habe Anspannung in der Stimme des Captains gespürt.«

Das erinnerte Beverly an etwas. »Es gibt noch eine andere Möglichkeit. Vize-Admiral Nechayev befindet sich auf der Basis, und als ich Captain Picard zuletzt gesehen habe, war er bei ihr. Die ganze Geschichte könnte etwas mit dem Admiral zu tun haben.«

Deanna zuckte die Achseln und schaute an ihrem Kleid hinunter. »Nun, ich bin vielleicht nicht ganz passend für einen Besuch im Fitness-Center gekleidet, aber ich möchte mich trotzdem dort mal umsehen. Kommen Sie mit?«

»Klar«, sagte Beverly. »Ich könnte eine Massage brauchen.«

Dank ihres untrüglichen Richtungssinns führte Deanna Troi Dr. Crusher problemlos durch die wimmelnde Starbase. Sie benutzten eine ganze Reihe von Turbolifts, die sie aufwärts, abwärts, seitwärts und diagonal beförderten, und in weniger als drei Minuten hatten sie das Fitness-Center erreicht und den Konferenzraum auf Deck vier ausfindig gemacht.

Beverly warf einen Blick über die Brüstung auf die dichtgedrängten Reihen weißer Spielfelder unter ihnen. »Eine Runde Squash wäre auch nicht übel.«

»Ein andermal«, erwiderte Deanna. Die Counselor blieb vor einer Tür stehen, die sich genau in diesem Moment öffnete. Data trat heraus. Der Androide war damit beschäftigt, einen Filzhut auf seinem Kopf zurechtzurücken.

»Netter Hut«, meinte Beverly und schaute an ihm vorbei in den Konferenzraum, wo sie den Captain, Will Riker und andere Mitglieder des Kommandostabs erblickte, und dazu noch ein halbes Dutzend Offiziere der unteren Ränge. Deanna hatte recht – man hatte nur sie beide ausgeschlossen.

Data nahm den Hut wieder ab und klemmte ihn unter den Arm. »Ein Souvenir für Spot.«

Die Ärztin schaute Picard direkt an. »Nun, wir haben auch Souvenirs. Warum sind wir nicht eingeladen worden?«

»Das war meine Entscheidung«, sagte der Captain und ging auf sie zu. Als er zu einer Erklärung ansetzen wollte, wurde ihm bewusst, dass die anderen Crewmitglieder noch anwesend waren.

»Sechzehn Uhr, Andockbucht siebenundzwanzig«, sagte er. »Die Besprechung ist beendet.«

Die Offiziere verließen den Raum, wobei Will Riker Deanna Troi ausgiebig musterte und dann leise zu ihr sagte: »Tolles Kleid.«

»Kommen Sie herein«, sagte der Captain und bedeutete der Ärztin und der Counselor, den Konferenzraum zu betreten. »Kann ich Ihnen etwas anbieten?«, fragte er mit einer Handbewegung zum Nahrungsmittelspender.

»Wir wollten uns nicht aufdrängen, falls es sich hier um ein privates Treffen gehandelt hat«, sagte Beverly.

Der Captain räusperte sich. »Lassen Sie es mich erklären. Während die Brücke repariert wird, ist eine Testmission für den Sekundärrumpf angesetzt worden. Wir benötigten lediglich vierzehn Freiwillige, und es blieb mir überlassen, wen ich fragen wollte. Natürlich haben sich die ersten vierzehn, die ich gefragt habe, auch freiwillig gemeldet. Es tut mir leid, wenn Sie beide sich ausgeschlossen fühlen, doch ich war der Ansicht, dass Sie Ihren Urlaub brauchen, und außerdem ist während dieser Mission keiner von Ihnen zwingend erforderlich. Wir werden auch keine Krankenstation haben, doch Martinez ist als Pfleger ausgebildet und wird mit allem Notwendigen ausgerüstet.«

Mit knappen Worten erzählte er ihnen vom Prototypen der Diskussektion, der geplanten Bruchlandung auf einem Planeten und dem anschließenden Start in die Atmosphäre, wo sie von einem Traktorstrahl erfasst werden sollte. Für Beverly klang das alles fast überzeugend, insbesondere der Umstand, dass sie nur eine Rumpfmannschaft benötigen würden, doch sie war sich gar nicht so sicher, ob Jean-Luc selbst von der Durchführbarkeit der Mission tatsächlich überzeugt war.

»Sind Sie sicher, dass Sie bei diesem Unternehmen keinen Arzt brauchen?«, fragte sie.

Picard bemühte sich, zuversichtlich zu klingen. »Wir werden nicht sehr weit fliegen, nur bis Kitjef II, und wir werden die ganze Zeit über mit der Starbase in Verbindung stehen. Ich hoffe zudem, dass sich nur Data beim Eintritt in die Atmosphäre an Bord befinden muss. Anfangs hatte ich selbst gewisse Bedenken, doch da Starfleet entschlossen ist, den Test durchzuführen, können wir das ebenso gut auch selbst übernehmen. Schließlich verfügen wir über eine Sekundärrumpfsektion, die momentan nicht benötigt wird.«

»Na schön«, sagte Beverly und erhob sich. »Aber seien Sie bitte vorsichtig.«

Counselor Troi hingegen war nicht bereit, die Geschichte einfach so hinzunehmen. »Captain, weshalb sollten Sie die Streichung des Urlaubs einfach akzeptieren? Diese vierzehn Leute gehören zu den meistarbeitenden auf dem Schiff; sie sind genau diejenigen, die den Urlaub am dringendsten nötig haben. Ich könnte eine offizielle Beschwerde beim Admiral einreichen.«

»Tun Sie das bitte«, meinte der Captain lächelnd. Er nahm seinen Seesack und setzte sich in Richtung Tür in Bewegung, wo er einen Moment stehenblieb. »Tun Sie mir den Gefallen und versuchen Sie, Ihren Urlaub zu genießen. Sie beide brauchen ihn und haben ihn sich verdient. Dort draußen wird Ihnen jedenfalls nicht viel entgehen.«

»Nur Ihre Gesellschaft«, bemerkte Beverly.

»Ja, das tut mir leid«, sagte der Captain mit einer Miene, als wäre er wirklich traurig. Dann nickte er knapp und ging hinaus auf den Korridor.

»Er hat mehr Bedenken wegen dieser Mission, als er uns erzählt hat«, meinte die Betazoidin. »Er hat uns keine Möglichkeit gegeben, uns freiwillig zu melden, weil er uns schützen wollte.«

Die Ärztin nickte zustimmend. »Ich weiß. Aber wenigstens nimmt er Martinez mit. Nun, uns bleibt jetzt nichts als zu hoffen, dass sie alles hinter sich bringen, ohne dass irgend etwas schiefgeht.«

»Sie haben recht«, meinte Deanna und klang dabei nicht sehr überzeugt. Sie warf einen Blick auf die Uhr und fragte: »Hätten Sie Lust, sich ein bynarisches Oktett anzuhören? Das Konzert fängt jetzt an.«

Beverly lächelte höflich. »Warum nicht?«

 

Captain Slarn nickte ruhig und legte die Fingerspitzen aneinander. Captain Picard entdeckte einen Anflug von Mitgefühl in seinen grauen Augen, was man durchaus als Kompliment seitens des alten Vulkaniers betrachten konnte. Slarn war hundertfünfzig Jahre alt und dafür bekannt, eine Starbase mit straffer Hand zu leiten, obwohl es auf 211 freizügiger zuzugehen schien als auf den meisten anderen Basen.

Captain Picard hatte seinen Besuch mit einer Erklärung eingeleitet, weshalb weder er noch viele seiner Stabsoffiziere bei den Besprechungen hinsichtlich der Brückenreparaturen zugegen sein würden. Und mittlerweile steckte er mitten in einem Bericht über den Zwischenfall mit dem Pakled-Frachter.

Der ehrwürdige Vulkanier hob die Hand, um die Erzählung zu unterbrechen, und Picard gehorchte nur zu gern. »Der Rest ist belanglos und reflektiert nur Ihre grundlose Angst wegen dieser Affäre. Es genügt zu sagen, dass sich Ihre Vorgehensweise durchaus im Rahmen des Üblichen bewegt hat. Bei unserem Umgang mit dem Maquis befinden wir uns erheblich im Nachteil. Wir möchten sie weder töten noch sie uns weiter entfremden, doch andererseits haben wir gegen sie Partei ergriffen. Aus ihrer Perspektive haben wir sie betrogen, und nun fühlen sie sich berechtigt, uns ihrerseits zu betrügen.«

Der alte Vulkanier warf einen Blick durch das kreisrunde Fenster, das zu klein war, um mehr als ein Guckloch in die Unendlichkeit zu sein, hinaus auf die Sterne. »Ein Verwandter von mir dient an der cardassianischen Grenze und sendet mir hin und wieder einen Bericht. Er schätzt die Situation optimistischer ein als ich, allerdings ist er auch erheblich jünger. Die Maquisarden in ihren Grenzen zu halten, klingt wie eine gefährliche Aufgabe mit sehr geringen Erfolgsaussichten. Wenn man den Frieden mit Cardassia als oberstes Ziel betrachtet, bestünde die logische Handlungsweise darin, den Cardassianern bei der Vernichtung des Maquis zu helfen. Die Bedürfnisse der vielen wiegen schwerer als die Bedürfnisse der wenigen.«

Picard rieb sich das Kinn. »Wir sind noch nicht bereit, die Maquisarden auszuliefern, doch ich muss eingestehen, dass wir ihnen auch nicht geben können, was sie wirklich haben wollen – jene Gebiete, die wir den Cardassianern überlassen haben.«

Der Vulkanier zog eine Augenbraue hoch. »Andererseits spricht viel für die Theorie, dass die Cardassianer gar nicht fähig sind, in Frieden zu leben, weshalb unsere Versuche, sie zu beschwichtigen, auf einer Fehleinschätzung beruhen. Dies ist eine der Situationen, in denen ich diejenigen, die bei Starfleet die Richtlinien der Politik bestimmen, keineswegs beneide.«

»Ich auch nicht«, sagte Picard in Gedanken an die bevorstehende Mission. Er konnte sich an keine andere Zeit während seiner Karriere bei Starfleet erinnern, in der man ihn hintereinander mit derart unerwünschten Aufgaben betraut hätte. Erst die Grenzpatrouille und nun die Bruchlandung einer Diskussektion! Vielleicht würden ihn beide Missionen ja überraschen und sich als Gewinn herausstellen, doch im Grunde bezweifelte er das.

Captain Slarn warf einen Blick auf seinen Computerschirm. »In Dock siebenundzwanzig ist alles vorbereitet. Mein Stabsoffizier versichert, dass Sie genug Raum haben werden, um den Sekundärrumpf abzutrennen, während die Diskussektion angedockt bleibt.«

»Das ist beruhigend«, antwortete Picard und bemühte sich, seine Besorgnis nicht durchklingen zu lassen. »Und was ist mit dem Prototypen?«

»Befindet sich bereits in Sensorreichweite und nähert sich mit voller Impulskraft. Ankunft in neununddreißig Minuten.« Der Vulkanier erhob sich hinter seinem Schreibtisch. »Zumindest müssen Sie sich keine Sorgen wegen Ihrer Brücke machen, Captain Picard. In maximal achtundvierzig Stunden haben wir die Baryonenreinigung und die Reparaturen durchgeführt und auch die neuen Module eingebaut. Ich fürchte allerdings, dass Ihre Brücke dadurch nicht grundsätzlich erneuert wird – im Einsatz werden Sie kaum einen Unterschied zu ihrer alten Brücke bemerken.«

Picard grinste erleichtert. »Ausgezeichnet. Vielen Dank.«

Slarn berührte einen Schalter, und die Tür seines Büros öffnete sich. »Gehen wir? Soweit ich weiß, wartet Admiral Nechayev nicht gern.«

»Oh, Sie kennen sie gut?«, fragte Picard, während sie den Korridor entlanggingen.

»Den Admiral?« Der Vulkanier hielt nachdenklich inne. »Um diese Frage zu beantworten, wäre eine Definition des Begriffs ›jemanden gut kennen‹ vonnöten. Ich kenne den Admiral gut genug, um bestimmte Ansichten über sie zu haben.«

»Zum Beispiel?«

»Admiral Nechayev ist eine sehr fähige Offizierin«, antwortete Slarn. »Sie ist entschlussfreudig, intelligent und voller Tatendrang. Vor zwanzig Jahren war sie mein kommandierender Offizier auf der Ganymed-Kolonie. Nechayev ist einer der geradlinigsten Menschen, die ich kenne – man könnte fast glauben, sie sei auf Vulkan aufgewachsen. Wie die meisten meines Volkes schätze ich sie sehr hoch ein.«

Halb im Scherz fragte Picard: »Wie lautet das Geheimnis, mit ihr auszukommen?«

»Machen Sie nie einen Fehler.«

Picard seufzte. »So ungefähr habe ich mir das schon gedacht.«

Der Vulkanier trat an ihm vorbei in den Turbolift, und Picard folgte ihm. Ein paar Minuten später durchschritten sie den großen Terminal mit der hohen Kuppeldecke, deren Simulation funkelnde Meteore zeigte, die durch den Himmel jagten. Der Anblick so vieler aufgeregter Reisender hob Picards Stimmung und erinnerte ihn daran, dass sie zu Starbase 211 zurückkehren würden – wenn nicht jetzt, dann eben zu einem späteren Zeitpunkt.

Der Captain nickte Riker, Data, LaForge, Worf, Tate und den anderen handverlesenen Mitgliedern seiner Freiwilligentruppe zu, die bereits vor ihm im Dock 27 angekommen waren.

»Darf ich Sie mit Captain Slarn bekanntmachen, dem Kommandanten der Starbase 211«, begann Picard die Vorstellung. Die Männer begrüßten sich und tauschten ein paar Floskeln aus, doch Picard stellte fest, dass er ständig die Uhr im Auge behielt. Er trug noch immer seinen Seesack bei sich, da er noch keine Zeit gefunden hatte, sich auf der Starbase häuslich einzurichten, und nun fragte er sich, ob er wohl auf dem Prototypen ein exaktes Duplikat seiner Unterkunft vorfinden würde.

»Ich hatte eigentlich erwartet, dass Admiral Nechayev uns verabschieden würde«, bemerkte er.

Riker nickte in die entgegengesetzte Richtung. »Da kommt sie schon.«

Alle wandten sich um und blickten Nechayev entgegen, der ein schlanker, dunkelhaariger Mann folgte, der leicht hinkte. Das muss ihr neuer Adjutant sein, dachte Picard. Um sein Knie trug er ein elektronisches, an ein Armband erinnerndes Gerät, auf dem gelegentlich ein paar Lichter aufblinkten. Der Captain fragte sich, ob der Mann ein künstliches Kniegelenk besaß. Wegen des Hinkens und der Seesäcke, die er schleppte, hatte er Mühe, mit der stramm marschierenden Admiralin Schritt zu halten.

Nechayev bedachte die Crew mit einem knappen Nicken. »Rühren. Es freut mich zu sehen, dass Sie alle pünktlich sind. Dies ist mein Adjutant, Commander Henry Fulton. Das ist Captain Picard, Commander Riker …« Sie stellte der Reihe nach alle Mannschaftsmitglieder vor, die sie kannte, und Picard beendete dann die Liste.

Captain Slarn nickte der Admiralin höflich zu. »Ich hoffe, Ihrem früheren Adjutanten, Commander Rightwell, ist nichts Unangenehmes widerfahren.«

Für einen Moment wirkte Nechayev fast ein wenig wehmütig. »Rightwell war achtzehn Jahre bei mir, doch dann brauchte er eine Position, die weniger Stress und Reisen mit sich bringt. Davon abgesehen befasse ich mich mehr und mehr mit Langzeitplanungen, und Commander Fulton versteht sich ausgezeichnet auf Computermodelle und Simulationen. Warten Sie ab, bis Sie sehen, was er für die Angriffssimulation ausgeknobelt hat.«

»Ich kann es kaum erwarten«, meinte Picard mit einem tapferen Lächeln. »Haben Sie in diesen Säcken noch weitere Ausrüstung für uns?«

»Wohl kaum«, erwiderte Fulton. »Wir haben Kleidung und Toilettensachen bei uns, genau wie Sie.«

»Kleidung«, wiederholte Picard und warf einen verstohlenen Blick auf Nechayev, die offensichtlich darauf wartete, dass er die unausweichliche Schlussfolgerung zog. »Sie kommen mit uns?«

»Hatte ich vergessen, das zu erwähnen?«, fragte sie lächelnd. »Um nichts in der Welt würde ich das versäumen wollen.« Sie wandte sich an den Vulkanier. »Ich wünschte nur, Sie könnten auch mit uns kommen, Slarn. Für einen guten Mann habe ich immer Verwendung.«

»Es gibt hier bereits genug für mich zu tun.« Der Kommandant trat einen Schritt zurück und hob die Hand zum traditionellen vulkanischen Gruß. »Glück und langes Leben.«

»Vielen Dank.« Admiral Nechayev nickte und marschierte die Rampe zur Luftschleuse hinauf, während Fulton hinter ihr herhumpelte. Worf, Data und die Übrigen folgten ihnen, und schließlich standen Picard und Riker allein im Dock.

»Nummer Eins«, sagte Picard grimmig, »ich habe eine spezielle Aufgabe für Sie. Sie verlangt den Einsatz all Ihrer Talente.«

Der bärtige Offizier nickte düster. »Sie wollen, dass ich mich um Admiral Nechayev kümmere und sie bei guter Laune halte.«

Picard verzog das Gesicht. »Drücken wir es so aus: Sie werden mein Verbindungsoffizier zum Admiral sein. Sie kümmern sich um sie, und ich werde dafür sorgen, dass wir keine Fehler machen.«

 

Timothy Wiley lag schlafend auf einer fadenscheinigen Matratze in einem Lagerraum auf dem verwüsteten Planeten New Hope, doch er träumte, er befände sich in der Offizierskajüte einer seetüchtigen Yacht und läge in einer sanft schwingenden Hängematte. Und statt des nach verbranntem Gummi riechenden Gestanks von New Hope nahm er in seinem Traum ein angenehm salziges Aroma wahr, genau wie dort auch anstelle der unterirdischen Finsternis helles Sonnenlicht durch weißgestrichene Bullaugen hereinströmte.

Er schlummerte in seiner Hängematte und bemerkte das Mädchen, das sich hereinschlich, erst, als sie sich über ihn beugte und ihr Duft mit dem des Meeres verschmolz. Sie strich mit ihren Händen über seine Brust und versuchte, ihn zum Aufstehen zu bewegen.

»Kommen Sie«, sagte sie leise. »Wachen Sie auf.«

Wiley kam es so vor, als würde er ihre Stimme kennen, doch er wusste, dass er sich in einem Traum befand. Träge griff er nach der Erscheinung und berührte eine Hand aus Fleisch und Blut. Überrascht ließ er seine Hand an ihrem Arm heraufwandern, über die kräftige Schulter und die glatte Haut von Hals und Wangen.

Sie schob seine Hand sanft beiseite. »Sie müssen jetzt gehen.«

Das ist die Architektin, dachte Wiley. Er griff nach ihren muskulösen Schultern. »Nur einen Kuss, bitte. Um mich daran zu erinnern, warum wir das alles tun.«

Die Architektin entzog sich seinem Griff und stand auf. Ihre schlanke Gestalt zeichnete sich als Silhouette vor dem durch den Türspalt hereinfallenden Licht ab. »Der Frachter ist früher als geplant zurückgekehrt. Ihr Erfolg bei der Enterprise hat die nächste Phase des Plans beschleunigt. Sie müssen sofort gehen.«

Wiley rappelte sich auf und knöpfte sein Hemd zu. »Ich möchte Sie wiedersehen! Ich werde versuchen zurückzukommen.«

»Es ist nicht gesagt, dass ich dann noch hier bin«, antwortete die Architektin. »Ein Bote wartet oben auf Sie. Kommen Sie nicht zu spät.« Und mit dieser Ermahnung war sie verschwunden.

Timothy Wiley schluckte schwer bei dem Gedanken, dass er die hübsche Bajoranerin vielleicht nie wiedersehen würde. Wenn Krieg die Hölle war, so war er doch auch eine sonderbare Art von Himmel, in dem einzelne Momente besonders intensiv erlebt wurden. Er wusste, dass er die Architektin nie vergessen würde – und dass er versuchen würde, eines Tages zu diesem Höllenloch zurückzukehren.