In der Entmilitarisierten Zone zwischen dem Gebiet der Föderation und dem der Cardassianer brannte der verwüstete Planet New Hope noch immer. Drei Stockwerke unter der Erde unterbrach eine blasse, schlanke Bajoranerin, die in diesem Leben einfach die Architektin genannt wurde, die Entschlüsselung des Berichts einer Maquis-Zelle aus der Nähe von Spencerville. Sie blickte erschöpft von der Arbeit hoch und fühlte sich angespannt und nervös, ohne zu wissen, weshalb, bis ihr unterirdischer Schlupfwinkel von einem heftigen Treffer auf der Oberfläche des Planeten erschüttert wurde. Die Lichter flackerten, und Teile der Decke stürzten herab – große Brocken aus Schlamm und geschmolzenen Mineralen.
Die Cardassianer waren mit ihren Thermalwaffen zurückgekehrt!
Sie stürzte aus der Tür und stieß mit einer ihrer menschlichen Verbündeten zusammen; die blonde Frau stolperte, hielt sich an ihrem Arm fest und starrte sie mit leerem Blick an. Als die Wände um sie herum schmolzen, packte die Bajoranerin die andere Frau bei den Schultern und schüttelte sie durch, bis die Angst in ihr durch Wut ersetzt wurde.
»Lassen Sie mich los!«, rief die Frau. »Sehen Sie nicht, dass wir angegriffen werden!«
»Ein zufälliger Angriff«, sagte die Architektin. »Sie kennen unsere exakte Position nicht.« Es war schwierig, überzeugend zu klingen, während der Boden bebte und erhitzter Schlamm von der Decke tropfte. Die Bajoranerin versuchte die Tatsachen zu leugnen, doch es gelang ihr nicht – ihr Unterschlupf war verraten worden, und sie mussten ihn aufgeben, wenn sie nicht lebendig begraben werden wollten!
»Also gut, wir evakuieren!«, rief die Architektin. »Holen Sie alle zusammen und bringen Sie sie zu den Schlitten.«
»Die Schlitten.« Die blonde Frau nickte, als hätte sie alles verstanden.
»Ja! Ich werde unterdessen unsere Unterlagen vernichten. Gehen Sie schon!« Die Architektin schob die Frau den Korridor entlang und rannte dann in die entgegengesetzte Richtung. Es würde nicht genug Zeit bleiben, um alle Sicherheitskopien zu vernichten – die Karten, Geheimberichte und Forschungsergebnisse, die sich im Lauf der Monate angesammelt hatten –, doch einen Großteil davon würde sie immerhin in den Brennofen schaufeln können. Die Daten waren verschlüsselt, doch viele davon bezogen sich auf Spencerville, und das letzte, was sie wollte, war, dass die Unterlagen über diese Operation in falsche Hände gerieten.
Mit einem zischenden Geräusch landete ein Tropfen des schmelzenden Deckenmaterials auf ihrer Wange. Sie schrie auf und sprang zurück, als die gesamte Decke über ihr nachgab. Nach Luft keuchend streifte sie die glühenden Trümmerstücke von ihrer Kleidung und zog sich aus dem zusammenbrechenden Korridor zurück. Sie begriff, dass sie alles würden zurücklassen müssen – keine der Unterlagen konnte sie jetzt noch vernichten! Die Aufzeichnungen würden zwar vermutlich unter dem Schlamm begraben werden, doch ihr missfiel ganz einfach die Vorstellung, irgend etwas zurückzulassen, das die Cardassianer finden mochten.
»Architektin!«, rief einer ihrer Kameraden von der Treppe her. »Kommen Sie!«
Sie war hin und her gerissen zwischen ihrem Pflichtgefühl und den natürlichen Fluchtinstinkten, als weitere Teile der Decke herabbrachen. Jetzt musste sie um ihr Leben rennen. Mit einem Satz warf sie sich in das aus glänzendem Titan bestehende Treppenhaus und stolperte hinter ihren Kameraden her. Wenn sie nur den gesamten Untergrundkomplex zum Einsturz bringen könnte – mit einer Bombe oder etwas anderem. Die Architektin überlegte immer noch, wie man den Unterschlupf vernichten könnte, als zwei Cardassianer nur einen Absatz unter ihr im Treppenhaus materialisierten. Sie schaffte es gerade noch, in Deckung zu gehen, doch Jason, der Mann, der zurückgekommen war, um sie zu holen, hatte keine Chance. Er versuchte, seine Waffe zu ziehen, doch daraufhin erschossen ihn die Cardassianer sofort.
An ihrem Platz war sie für die Cardassianer nicht sichtbar; sie zog zum ersten Mal die neue Disruptorpistole. Wie Blue Moon ihr gesagt hatte, besaßen diese Waffen keine Betäubungseinstellung. Als sie auf die Cardassianer hinabschaute, wirkten deren knochige Schädel über ihren Körpern wie das Zentrum einer Zielscheibe, und die Bajoranerin feuerte, ohne auch nur eine Sekunde zu zögern. Sie traf einen der Cardassianer mit einem kurzen Feuerstoß, doch der andere verschwand außer Sicht. Als sie nach unten rannte, um ihn zu erwischen, bemerkte sie die schimmernde Reflexion eines Transporterstrahls. Der Mann war entkommen und hatte seinen toten Kameraden zurückgelassen, doch nun wussten die Todesschwadronen, dass sich hier unten eine Maquis-Zelle befand.
Rasch durchsuchte sie den toten Cardassianer, wobei sie sich bemühte, die Brandwunde in seinem Schädel zu ignorieren. Sie schob seine Waffe in ihre Tasche, schlug dann seine Jacke zurück und entdeckte einen wahren Schatz – einen Waffengürtel mit vier Granaten.
Ohne genau hinzusehen, schnappte sie sich eine der Granaten und machte sich dann auf den mühseligen Weg zurück in das Stockwerk, das sie gerade verlassen hatte. Die Luft war kaum noch atembar, und selbst die Titanwände hatten sich infolge der Hitze verfärbt. Die Architektin schaffte es kaum, die Tür zu öffnen, und als es endlich gelang, wurde sie von einem Schwall heißer Luft zurückgetrieben. Trotzdem drückte sie auf den Auslöser der Granate, hielt sich am Geländer fest und schleuderte die Bombe so weit wie möglich in das Inferno hinein. Dann rannte sie so schnell sie konnte die Treppe hinab und übersprang bei jedem Schritt drei oder vier Stufen, bis sie stolperte und auf dem Boden des Treppenhauses landete.
Dort rollte sie sich zusammen und wartete darauf, durch die Explosion der Bombe verschüttet zu werden, doch nichts geschah. Dann sah sie, wie ein leichter Luftzug die Tür über ihr zuschlug. Sie hatte aber noch nie einen Luftzug in einem dieser Tunnel registriert.
Gas! Die Bajoranerin erhob sich unsicher und verspürte einen stechenden Schmerz in ihrem rechten Knöchel. Nachdem ihr das Gas nun den Zugang zum oberen Stockwerk verwehrte, musste sie sich eingestehen, dass die Unterlagen tatsächlich in Gefahr waren. Zwar enthielt der Stapel isolinearer Chips keinen Klartext, doch wenn die Cardassianer die Verschlüsselung knackten, würden sie sich vermutlich über die zahlreichen Schnappschüsse aus Spencerville wundern.
Die Architektin verwünschte ihre miserable Planung, während sie aus dem Treppenhaus in die kühle, dunkle Luft der Schlittenbahn humpelte. In der Blütezeit von New Hope hatte man den Müll tief unter der Erde deponiert, und zum Transport hatten man schienengebundene Loren benutzt, die aus irgendwelchen Gründen Schlitten genannt worden waren. Wenn man sich nicht an dem Gestank und den versteinerten Müllresten störte, die an den Innenwänden klebten, stellten die Schlitten ein billiges, effizientes und einsatzbereites Transportsystem dar, dessen Existenz die Cardassianer längst vergessen hatten.
Oder zumindest hoffte das die Architektin.
Sie gesellte sich zu den drei verängstigten Kameraden im letzten Wagen und registrierte erleichtert, dass die beiden anderen Schlitten bereits abgefahren waren. Während sie das Fahrzeug bestieg, überlegte sie, dass der Wagen eher einem Ruderboot als einem Schlitten glich, obwohl sie sich mit beidem so gut wie gar nicht auskannte.
Die blonde Frau blickte sie erschöpft an. »Wo ist Jason?«
Die Architektin schüttelte den Kopf und schaute nach unten, während sie ein Seil um ihre Hüften befestigte, das als Sicherheitsgurt dienen sollte. »Er kommt nicht mehr.«
»Nein!«, rief die Blonde und sprang auf. Ihre Freunde versuchten sofort, sie auf ihren Platz zurückzuziehen, was sie so sehr in Anspruch nahm, dass sie die vier Cardassianer nicht bemerkten, die ein Stück von der Verladerampe entfernt materialisierten. Zum Glück waren ihre Stimmen gut zu hören, während es eine Weile dauerte, bis sich ihre Augen an die düstere Umgebung gewöhnt hatten.
»Runter!«, zischte die Bajoranerin und stieß die Frau vor ihr zu Boden. »Los! Bringt den Wagen in Fahrt!«
Am vorderen Ende des Schlittens sprang ein kräftiger Maquisarde auf, packte den Bremshebel und riss ihn zurück. Der Wagen setzte sich abrupt in Bewegung und rumpelte die Schienen entlang, angezogen vom ersten magnetischen Glied in der Kette. Zwei der Cardassianer fuhren herum und feuerten mit ihren Waffen in Richtung des Geräusches. Die Strahlen prallten von den Schachtwänden ab. Die Architektin erwiderte das Feuer mit ungezielten Schüssen aus ihrem Disruptor, womit sie zwar keinen Schaden anrichtete, aber immerhin dafür sorgte, dass die Eindringlinge in Deckung gingen.
Während sich der Schlitten nervtötend langsam fortbewegte, feuerte die Bajoranerin weiter, um den Angreifern keine Möglichkeit zu einem gezielten Schuss zu geben. Einer der Cardassianer sprang auf und schoss wild um sich; ihre Strahlen kreuzten sich über den Schienen und explodierten in einem schimmernden Bogen, der die düstere, unterirdische Müllhalde erleuchtete.
Als die Cardassianer in Deckung gingen, erinnerte sich die Bajoranerin an ihre Gasgranaten. Sobald der Schlitten etwas schneller wurde, zog sie eine der Granaten aus ihrem Gürtel, drückte den Zünder ein und schleuderte sie so weit sie konnte. Die Granate landete auf der Verladerampe und detonierte mit einem leisen Zischen. Die Cardassianer brachen zusammen, bevor sie auch nur erkennen konnten, was sie erwischt hatte. Das Gas war vermutlich nicht tödlich, dachte die Architektin, denn die Cardassianer machten gerne Gefangene, die sie dann zu ihrem Vergnügen folterten.
Das klapprige Fahrzeug beschleunigte und schoss in die Dunkelheit hinein. Die Bajoranerin spürte, wie ihre Zähne zusammenschlugen, als sie über defekte Schwellen der alten Gleisanlage polterten, um Kurven schlingerten und den Schacht entlangrasten, von einem Magnetfeld zum nächsten getrieben. Ob sie aufwärts oder abwärts fuhren, ließ sich höchstens am übelkeiterregenden Druck auf ihren Magen erkennen.
Früher einmal hatte sie diese wilde Fahrt genossen, doch heute empfand sie nur Reue und ein entsetzliches Gefühl des Verlustes. Der Verlust von Jason schmerzte sie, auch wenn der Tod zu einem konstanten Faktor in ihrem Leben geworden war; doch auf einer tieferen Ebene beklagte sie den Verlust ihrer Naivität und ihren dummen Glauben, sie wären im Untergrund von New Hope sicher gewesen. Die Cardassianer durchwühlten sogar die von ihnen selbst verwüsteten Gebiete noch einmal auf der Suche nach dem Maquis. Wie sollten sie so einen Gegner bekämpfen? Vielleicht war es nicht nur Feigheit seitens der Föderation gewesen, sondern auch eine zumindest pragmatische Lösung, als sie die Kolonisten im Stich ließ, um mit diesen wildgewordenen Barbaren Frieden schließen zu können.
Die Bajoranerin spähte in die Dunkelheit hinaus und glaubte, in der Ferne ein gelbliches Licht schimmern zu sehen. Obwohl es so aussah, als würde die Flucht gelingen, empfand sie keine Erleichterung. Alles, woran sie gearbeitet hatte, war nun gefährdet, und wenn sie hier lebendig herauskam, musste sie ganz von vorn beginnen. Doch sie nahm an, dass ein Schiff der Galaxy-Klasse immer irgendwie von Nutzen sein würde, sofern sich wenigstens dieser Teil der Operation als erfolgreich erweisen sollte.
Ihr eigener Anteil jedenfalls war gescheitert. Aller Wahrscheinlichkeit nach würde es jetzt nicht gelingen, hunderttausend Cardassianer auf einen Schlag auszulöschen. Die Stadt würde nicht zerstört, die Familien nicht getötet werden, und man würde den Cardassianern auch nicht beweisen können, dass sie nicht fähig waren zu behalten, was sie gestohlen hatten. Die Architektin schnappte in dem stickigen Schacht nach Luft und spürte, wie sich der Schlitten in eine Kurve legte und langsam abbremste. Sie würde keine hunderttausend Cardassianer abschlachten, und sie wusste nicht, ob sie deswegen lachen oder weinen sollte.
Sie fühlte sich müde und weit über ihre Jahre hinaus ausgelaugt. In diesem Alter sollte sie eigentlich die kommende Generation unterrichten, vielleicht sogar ihre eigenen Kinder, doch statt dessen lief sie um ihr Leben … wieder einmal. Manchmal kam es ihr so vor, als wäre sie in einem Albtraum gefangen, an einem Ort des niemals endenden Krieges. Dennoch war es ihre eigene Entscheidung, hier zu sein, und immer dann, wenn sich die Möglichkeit geboten hatte, glücklich zu sein, hatte sie selbst diese Chance von sich gewiesen. Sie blinzelte die Tränen zurück und schloss die Augen.
Der Geruch allein verriet ihr, dass sie sich Grube sechs näherten, dem Endpunkt dieser Linie. Sie vermied es, in das links neben ihr gähnende Loch zu blicken, den größten Komposthaufen des Universums, der auch jetzt noch, Dekaden, nachdem er bis zur Höchstgrenze aufgefüllt worden war, faulen Gestank verbreitete. Sie wappnete sich gegen den Aufprall, mit dem ihr Schlitten gegen den vor ihm stehenden krachte. Kräftige Arme zogen sie aus dem Gefährt heraus. Die Architektin war dankbar für die Hilfe, denn ihr verletzter Knöchel schwoll bereits an. Sie stützte sich auf die Schulter von einem der Leute und humpelte zu dem Shuttle hinüber, das in Grube sieben wartete, wo die Maquisarden die Abfälle durch den Einsatz von Mikroben in eine harte Masse verwandelt hatten. Jetzt war der Untergrund so fest und glatt wie der Boden eines Salzsees.
Sie verzog das Gesicht vor Schmerz, als sie die Leiter hinaufkletterte und die überfüllte Kabine des Shuttles betrat. Die Maquisarden machten Platz für ihre verletzte Kommandantin und schoben sie auf einen Fensterplatz in der zweiten Reihe. Zehn erschöpfte Leute drängten sich an Bord und kauerten sich zusammen, wo immer sie einen Platz fanden. Die Tür hatte sich noch nicht ganz geschlossen, als der Pilot die Triebwerke zündete.
Sie jagten den Schacht hinauf, den die Maquisarden zwischen zwei der Schlittenstollen angelegt hatten. Normalerweise wäre die Bajoranerin jetzt in ein Gespräch vertieft und würde dem Flug selbst nicht die geringste Aufmerksamkeit schenken, doch diesmal waren ihre Augen auf das winzige Bullauge fixiert, hinter dem die Felsen vorbeihuschten. Sie fürchtete, die Cardassianer könnten auch diesen Tunnel mit ihren Thermalbomben zerstört haben und das Shuttle würde vom Schlamm verschluckt werden. Am liebsten hätte sie sich vergewissert, dass der Pilot seine Sensoren im Auge behielt, doch sie hatte nicht mehr genug Energie, um den Kopf vom Fenster abzuwenden. Gesicht und Hände der Architektin wiesen Brandwunden auf, und ihr Haar war gleichzeitig angesengt und schlammverkrustet. Sie war froh, dass niemand sie ansprach.
Zweifellos umkreisten cardassianische Schiffe den Planeten, doch sie sah sich im Moment nicht in der Lage, darüber nachzudenken. Außerdem musste der Pilot es lediglich schaffen, in den Warp zu gehen, dann konnten sie aus der Entmilitarisierten Zone entkommen und sich auf Föderationsgebiet flüchten. Das brachte zwar auch wieder Probleme mit sich, doch die wirkten neben der Aussicht, von cardassianischen Todesschwadronen gejagt zu werden, eher unbedeutend.
Sie durchbrachen das Tarnnetz, das einen Bombenkrater bedeckte, der sich rund hundert Kilometer außerhalb der Stadtgrenzen befand. Der Himmel wirkte selbst hier draußen noch immer braun, stellte die Architektin verwundert fest, doch zumindest war er nicht von Rauch und Flammen durchzogen. Als sie weiter aufstiegen, wurde der Himmel tatsächlich blau, und jetzt schien es so, als könnten sie dem Albtraum wirklich entkommen.
Das Shuttle schwenkte in einem Ausweichmanöver hart zur Seite, und die Passagiere wurden von den Sitzen geschleudert. Die Bajoranerin schrie vor Schmerz auf, als sie auf ihrem Knöchel landete, biss dann aber die Zähne zusammen und kroch wieder auf ihren Platz zurück. Was es auch immer gewesen sein mochte, dem der Pilot hatte ausweichen müssen, seinen Zweck hatte das Manöver jedenfalls erfüllt, denn sie waren immer noch in einem Stück. Das Schiff nahm Fahrt auf und bohrte sich durch die Stratosphäre. Alles, was die Architektin durch das Bullauge sehen konnte, waren blendende Sonnenstrahlen. Sie schloss die Augen. Falls ein Photonentorpedo sie in letzter Sekunde noch erwischen sollte, wollte sie ihn zumindest nicht kommen sehen.
Fast war sie überrascht, als sie die Erschütterung verspürte, die den Eintritt in den Warp begleitete. Warp eins war das beste, was das alte Personenshuttle noch schaffte, aber für den kurzen Sprung bis in Föderationsgebiet sollte es wohl reichen.
Und wenn sie das geschafft hatten, würde das nächste Problem darin bestehen, durch die Blockade der Föderation wieder in die Entmilitarisierte Zone zurückzukehren.
Captain Picard wollte wieder auf und ab wandern, rief sich dann aber rasch selbst zur Ordnung. Man konnte von Glück sagen, dass der Boden der Gefechtsbrücke mit unempfindlichen Tripolymeren bezogen war, sonst hätte er mit seiner ständigen Lauferei schon längst eine Spur hineingegraben. Er wünschte sich seine eigene Brücke und sein eigenes Schiff zurück, noch dringender aber wünschte er sich einen funktionsfähigen Warpantrieb.
Data hatte die gesamte Rumpfmannschaft für die Reparaturarbeiten abgezogen und lediglich Picard, Worf und Fähnrich Tate auf der Brücke zurückgelassen. Da die Energie noch immer schwankte, hatte sich die Triebwerksektion nicht aus der Thresher-Staubwolke entfernt, seit die Reparaturarbeiten vor mehreren Stunden begonnen hatten. Mit Schilden, die nur drei Prozent Leistung erbrachten, ohne Warpantrieb und ohne ausreichende Energie, um die Phaser oder auch nur die Funkstation zu versorgen, konnte man es dem Captain kaum vorwerfen, dass er keine weiteren Risiken eingehen wollte. Doch irgendwo dort draußen befand sich ein Schiff, das er zerstören sollte, und während sie hier festsaßen und sich die Wunden leckten, entfernte sich dieses Schiff immer weiter.
Er schlug mit der Faust in die Handfläche und registrierte einen Moment später, dass Worf ihn beobachtete. Der Klingone senkte den Blick rasch auf seine Instrumente, und Picard begann trotz seines ursprünglichen Vorsatzes wieder damit, auf und ab zu wandern. Sie hatten von Admiral Nechayev den direkten Befehl erhalten, den Diskus zu vernichten, und trotzdem hatten sie ihn entkommen lassen. Mit intaktem Warpantrieb hätten sie ihn jagen können. Und selbst wenn sie nicht in der Lage gewesen wären, den Diskus direkt anzugreifen, hätten sie zumindest Starfleet von den Vorgängen in Kenntnis setzen können. Doch nicht einmal das hatten sie geschafft.
Picard kam nicht umhin, sich zu fragen, ob er bei einem anderen Gegner ebenso gehandelt hätte. Hätte er Romulaner oder Borg verfolgt und bekämpft, bis der letzte Schild zusammengebrochen und der letzte Torpedo abgefeuert worden wäre? Oder hätte er genauso gezögert? In der Untertasse befanden sich seine Freunde, seine Kameraden und eine Vorgesetzte – er konnte sie vernichten, doch nicht ohne zu zögern. Sein Zögern war eine nur allzu menschliche Reaktion.
Picard seufzte. Neben allem anderen wartete er auch noch auf das Eintreffen seiner eigenen Diskussektion, doch es konnte noch Stunden dauern, bis sie am Ziel ankam. Die Diskussektion würde ihm waffentechnische Vorteile verschaffen, andererseits aber auch seine Energiereserven belasten. Und mehr als Impulsgeschwindigkeit würde er durch sie auch nicht bekommen. Aber trotz allem konnte er auch nicht noch länger hier herumsitzen und gar nichts tun.
Picard schob das Kinn vor und tippte seinen Kommunikator an. »Picard an Data. Statusbericht.«
»Captain, die Reparaturen am Warpantrieb sind zu dreiundsiebzig Prozent vollendet, und die Arbeiten an mehreren anderen kritischen Subsystemen nähern sich ebenfalls dem Ende. Unsere Arbeit wird durch den Mangel an qualifizierten Technikern etwas beeinträchtigt. Außerdem fehlen auch bestimmte Replikatoren-Codes, so dass wir gezwungen waren, einige Komponenten zu verwenden, die für andere Geräte bestimmt waren.«
»Wieso haben wir nicht alle Codes?«
»Sie gehören zum Inventar der Diskussektion.«
»Natürlich, die Diskussektion«, knurrte Picard. »Data, wir verfügen doch über volle Impulskraft?«
»Ja, Sir. Allerdings wäre es angesichts der gegenwärtigen Energiefluktuationen nicht ratsam, die Impulstriebwerke einzusetzen. Dadurch könnten unvorhersehbare Einwirkungen auf Schilde, Sensoren, Kommunikationseinrichtungen und Waffensysteme ausgelöst werden.«
»Wir müssen dieses Risiko eingehen«, sagte Picard. »Ich will diesem Diskus auf der Spur bleiben.«
»Sir«, warnte Data, »ohne Warpantrieb sind die Chancen, die Diskussektion einzuholen, minimal.«
»Die haben aber auch keinen Warpantrieb, und außerdem haben wir ebenfalls ein paar Treffer gelandet. Vielleicht mussten sie auch stoppen. Machen Sie mit den Reparaturarbeiten weiter, Data, aber halten Sie die Impulstriebwerke in Bereitschaft – es könnte sein, dass ich darauf zurückkomme. Picard Ende.«
Der Captain trat hinter Tate und blickte über ihre schmalen Schultern. »Fähnrich, gibt es irgendwelche Hinweise auf die Diskussektion?«
»Nein, Sir. Die Langstreckensensoren liefern noch immer keine Daten.«
Wohin würden sie fliegen?, überlegte Picard. Zurück in die Entmilitarisierte Zone? Nein, das wäre zu weit ohne Warpantrieb. So tief, wie sie sich in Föderationsgebiet befanden, würden sie möglicherweise versuchen, sich zu verstecken. »Welcher Planet der Klasse M liegt am nächsten?«, fragte er Tate.
Tate zog den Schiffscomputer zu Rate. »Das dürfte Pedrum sein. Der gesellschaftliche Entwicklungsstand der Bevölkerung entspricht dem der Erde zu Beginn der Eisenzeit. Kontaktaufnahme ist untersagt, und die Bestimmungen der Ersten Direktive gelten in vollem Umfang.«
»Bringen Sie uns mit halber Impulskraft aus dieser Wolke heraus«, befahl Picard, »und nehmen Sie dann mit voller Impulskraft Kurs auf Pedrum. Es ist zwar nur eine Vermutung, aber wenigstens unternehmen wir etwas, um sie zu finden.«
»Ja, Sir.«
»Mr. Worf, können Sie Starfleet inzwischen erreichen?«
»Nein, Sir«, knurrte der Klingone. »Die Subraum-Funktionen sind weiterhin gestört.«
»Versuchen Sie es weiter.« Picard richtete seine Aufmerksamkeit auf den Schirm und beobachtete, wie sich die magentafarbenen Staubwolken vor dem Fahrt aufnehmenden Sekundärrumpf der Enterprise teilten. Er konnte sich vorstellen, wie es von außen aussehen mochte, wenn die Warpgondeln die Schlieren des phosphoreszierenden Staubs durchschnitten. Zweifellos gab es hier Schönheit, doch auch zuviel Gefahr, und er hoffte, die Thresher-Staubwolke niemals wiederzusehen.
Die Türen des Turbolifts glitten zur Seite, und Guinan trat mit einem Tablett voller dampfender Becher auf die Brücke.
»Ist es euch gestattet, auf der Brücke Kaffee zu trinken?«, fragte sie.
»Nein«, riefen Beverly und Deanna unisono. Allerdings klangen beide so, als wäre die Versuchung groß, diese Regel zu übertreten. Bei Licht betrachtet, hatten sie zu wenig Mannschaftsmitglieder für einen Flug dieser Länge und ohne Warpantrieb mitgenommen.
Guinan zuckte die Achseln. »Ich dachte, ich frage einfach mal.«
Beverly Crusher drehte sich auf dem Kommandosessel. »Gherink, ich brauche die Position des Planeten der Klasse M, der der Thresher-Staubwolke am nächsten ist.«
Die Ärztin tippte mit einem Finger gegen ihre Lippe. »Und, Deanna, führen Sie ein Kurzstreckenscanning der Wolke und der näheren Umgebung durch. Wir sind jetzt nah genug, um etwas entdecken zu können.«
»Aye, Sir«, erwiderte die Counselor und richtete sich unwillkürlich an ihrem Platz an der Steuerung etwas auf.
»Ich versuche noch mal, sie anzufunken«, erklärte Beverly, erhob sich und ging zur Funktionsstation hinüber.
Schließlich reagierte der Computer auf Gherinks Anfrage, und sie musterte die Angaben. »Der nächstgelegene Planet der Klasse M trägt den Namen Pedrum. Er ist bewohnt, und hier werden eine Menge Warnungen in Bezug auf die Erste Direktive aufgeführt.«
»Dann müssen die Bewohner über eine recht primitive Zivilisation verfügen«, antwortete Beverly. »Hoffen wir, dass sich alle davon fernhalten.«
»Warten Sie einen Moment«, sagte Deanna, die ihren eigenen Datenschirm begutachtete. »Die Sensoren zeigen etwas – es könnte ein Schiff sein – hinter der Staubwolke an, das sich uns mit voller Impulsgeschwindigkeit nähert.«
»Was für ein Schiff?«
»Kann ich nicht genau sagen«, gab Deanna zu, »die Interferenzen der Wolke beeinflussen unsere Sensoren. Es könnte auch eine Reflexion sein, aber es sieht aus wie ein Schiff.«
Beverly änderte die Einstellung des Hauptschirms, und zum ersten Mal konnten sie einen genaueren Blick auf die Thresher-Staubwolke werfen, die, einem bösen Omen gleich, wie ein Ball aus farbiger Zuckerwatte im All schwebte. Guinan hätte nichts dagegen gehabt, ein Kleid in diesen Farben zu besitzen, aber sie wollte auch nicht im Innern der Wolke festsitzen und nichts anderes mehr sehen können.
»Was ist mit dem Schiff?«
»Hat gerade die Wolke durchdrungen«, antwortete Deanna. »Sie fliegen weiterhin in unsere Richtung, praktisch auf Abfangkurs.«
»Noch immer keine Identifikation?«
»Nein, Sir.«
»Taktische Station, es wird zwar nichts nützen, aber versuchen Sie trotzdem, es anzufunken.«
»Ja, Sir«, antwortete Mason. »Grußfrequenzen sind offen.« Einen Moment später schüttelte er den Kopf. »Keine Antwort.«
Gherink wandte den Blick von ihrer Station ab, um den Hauptschirm und den Captain im Auge zu behalten. Sie näherten sich einem Schiff, das wahrscheinlich zu ihnen gehörte, bei dem es sich vielleicht sogar um die andere Hälfte der Enterprise handelte, und doch waren diese Minuten, in denen sich die beiden Schiffe mit Impulsgeschwindigkeit einander näherten, voller Spannung. Gherink setzte immer wieder die Sensoren ein, doch noch immer wurden die Signale durch die Staubwolke gestört.
Die Ärztin saß steif im Kommandosessel und schüttelte den Kopf. »Das können zwar unsere eigenen Leute sein, aber trotzdem stimmt hier irgend etwas nicht. Taktische Station, fahren Sie die Schilde hoch.«
»Ja, Sir, Schilde sind oben.«
Guinan kam es so vor, als würde Beverly etwas leichter atmen, seit sie diesen Befehl gegeben hatte. »Funktionsstation, bringen Sie das Schiff auf den Schirm.«
»Ja, Sir«, antwortete der Fähnrich an der Funktionsstation. »Kommt auf den Schirm.«
Sobald der Offizier das Blickfeld soweit eingeengt hatte, dass nichts mehr außer dem näher kommenden Schiff zu sehen war, richteten sich alle auf der Brücke unwillkürlich auf. Sie starrten auf ein Spiegelbild ihres eigenen Schiffes – eine Diskussektion ohne Sekundärrumpf. Obwohl sie erwartet hatten, ein derartiges Schiff hier anzutreffen, war die tatsächliche Begegnung eine unheimliche Erfahrung.
»Können wir das Schiff identifizieren?«, fragte Beverly.
»Ja, Sir«, erwiderte der Fähnrich. »Es ist jetzt weit genug von der Wolke entfernt, um eine positive Identifikation zu ermöglichen. Das ist der Diskus-Prototyp.«
»Warum antworten sie dann nicht auf unsere Funkrufe?« Beverly verließ den Kommandosessel, ging zum Schirm hinüber und musterte das Bild mit verschränkten Armen. »Wo ist der Sekundärrumpf?«
»Die Sensoren melden Lebensformen an Bord des Diskus!«, rief Gherink. »Insgesamt zehn.«
»Sie leben also«, sagte Beverly. »Nun, das ist eine gute Nachricht. Wie lange noch bis zum Zusammentreffen?«
»Fünf Minuten«, kam die Antwort von der Funktionsstation.
»Wir nähern uns sehr schnell«, sagte Deanna. »Erbitte Erlaubnis, die Geschwindigkeit zu reduzieren.«
Beverly nickte. »Gehen Sie auf ein Drittel Impulskraft. Und funken Sie sie weiter an.«
»Ein Drittel Impuls«, wiederholte Deanna.
Mit einem erleichterten Seufzen meldete der Fähnrich an der Funktionsstation: »Sie sind ebenfalls auf ein Drittel Impulskraft gegangen.«
»Maschinen stopp«, befahl Beverly. »Wir wollen ihnen nicht zu nahe kommen. Und andocken können wir ja ohnehin nicht.«
Der riesige, vom Bug bis zum Heck blinkende Diskus füllte den gesamten Schirm aus.
»Die Entfernung beträgt jetzt tausend Kilometer«, sagte Deanna. »Also innerhalb Transporterreichweite.«
»Öffnen Sie alle Kanäle und legen Sie die Verbindung auf den Schirm«, befahl Beverly. »Diskus-Prototyp, hier ist die Enterprise. Bitte beantworten Sie unsere Funkrufe. Ich wiederhole, bitte beantworten Sie unsere Funkrufe.«
Wie als Antwort erschien ein körniges Bild auf dem Schirm. Admiral Nechayev lag bewusstlos und blutbedeckt vor dem Kommandosessel. Der Bildausschnitt vergrößerte sich und zeigte einen anderen Starfleet-Offizier, der schwankend hinter dem Kommandosessel stand. Ansonsten war auf der Brücke niemand zu sehen.
»Ich bin Commander Henry Fulton!«, sagte der Offizier keuchend. »Wir brauchen sofort Hilfe. Können wir … können wir in Ihre Krankenstation beamen?«
»Ja«, antwortete Beverly, ohne zu zögern. »Bereiten Sie das Senken der Schilde vor.«