Kapitel 13

 

Auf dem Prototypen schaute Timothy Wiley über die Schulter zu Henry Fulton hinüber. Der ehemalige Commander hielt sich ruhig und schien sich nicht mehr darum zu kümmern, wer die Befehle gab. Wileys Blick wanderte zu dem Bajoraner an der taktischen Station, der eifrig damit beschäftigt war, Energie auf die Schilde umzuleiten für den Fall, dass die Enterprise in letzter Sekunde noch einen Angriff unternahm. Allerdings war weder von dem Sekundärrumpf, der Diskussektion oder dem wieder kombinierten Sternenschiff auch nur die geringste Spur zu entdecken; es schien so, als hätten sie jedes Interesse an den flüchtigen Maquisarden verloren. Wiley schüttelte den Kopf, er konnte sein Glück kaum fassen. Er wandte seine Aufmerksamkeit dem Schirm und dem außergewöhnlich blaugrünen Planeten zu, der rasch das Bild füllte. Es war unmöglich, Pedrum zu betrachten, ohne gleichzeitig an die Erde zu denken, denn beide Planeten wiesen das gleiche üppige Erscheinungsbild auf – grüne Kontinente, funkelnde, türkisfarbene Ozeane und helle Wolkenwirbel. Wenn es Unterschiede gab, so bestanden sie darin, dass Pedrum noch mehr Ozeane als die Erde aufzuweisen schien, weniger Kontinente und mehrere große Inseln. Wieder schaute er über die Schulter, als rechnete er damit, jemand würde ihm melden, die Enterprise käme mit feuernden Phasern aus dem Warp. Doch überall auf der Brücke herrschte Ruhe.

Sollten sie diesen Moment der Ruhe nutzen, um zur Entmilitarisierten Zone zu fliehen? Doch die Antwort blieb die gleiche wie beim letzten Mal, als er sich diese Frage gestellt hatte: Ohne Warpantrieb würden sie nur in Richtung der Entmilitarisierten Zone kriechen können, eine leichte Beute für Starfleet. Nein, es blieb bei Pedrum und einem neuen Leben, verbunden mit der Erwartung jenes Tages, an dem die Kameraden des Maquis eine Rettungsmannschaft losschicken würden. Wenigstens sah der Planet von Sekunde zu Sekunde einladender aus, und Wiley sagte sich immer wieder, dass sie die Eingeborenen daran hindern konnten, den Diskus zu entdecken – wäre er nur nicht so groß wie ein Stadtviertel und so hoch wie ein Wolkenkratzer.

Er runzelte die Stirn. »Voraussichtliche Ankunftszeit?«

»Acht Minuten«, antwortete der Offizier an der Funktionsstation.

»Und noch immer kein Zeichen von der Enterprise

»Nein, Sir.«

Wiley zuckte die Achseln und beschloss, dem geschenkten Gaul nicht ins Maul zu schauen. »Fulton, haben Sie inzwischen einen Landeplatz gefunden?«

»Oh, daran mangelt es nicht. Aber Ihre Forderung, es müsste eine unbewohnte Gegend sein, macht die Sache etwas schwierig. Es gibt keine Kraftwerke, Industrieanlagen oder Gebäudeansammlungen, die uns verraten könnten, wo sich die Bevölkerungszentren befinden. Ich empfange verstreute Lebensformanzeigen, aber die Daten sind möglicherweise nicht vollständig. Anders ausgedrückt, ich kann nicht garantieren, dass sich niemand dort befindet, wo wir landen.«

»Tun Sie einfach, was Sie können.« Wiley machte sich wieder daran, die Landeanweisungen zu studieren, als plötzlich sein bajoranischer Kommunikator summte. Er tippte ihn an in dem Glauben, es müsste Linda sein. »Hier ist Blue Moon.«

»Hallo, Blue Moon«, sagte eine tiefe Stimme, die definitiv nicht Linda gehörte. »Ich sage es Ihnen nicht gern, aber die junge Frau ist tot.«

Wiley richtete sich ruckartig auf. »Ihr Mistkerle!«

»Ich bitte um Entschuldigung«, sagte Riker, »aber Sie waren es, der sie allein hinter uns hergeschickt hat, und wir haben nichts als diese verdammten Disruptoren. Uns blieb keine Wahl. Aber ich rufe nicht deswegen an – wir möchten Ihnen einen Handel anbieten.«

»Trauen Sie ihnen nicht!«, rief Fulton.

Wiley runzelte die Stirn und dachte, wie sehr er Linda, Vylor und all die anderen Freunde vermissen würde, die er bei dieser verkorksten Mission verloren hatte. »Reden Sie, aber ich muss Sie warnen – Ihre kostbare Enterprise ist nirgendwo in Sicht, und wir landen in sieben Minuten. Ich weiß nicht, womit Sie verhandeln könnten.«

»Hiermit«, sagte Riker. »Wenn Sie sich von dem Planeten fernhalten, wird Admiral Nechayev den Befehl, uns zu vernichten, widerrufen.«

Jetzt war Wiley gezwungen zu grinsen. »Und Sie lassen uns zur Entmilitarisierten Zone zurückkehren, ohne irgendwelche Anklagen gegen uns zu erheben?«

Für einen Moment herrschte Stille. »Sie wissen, dass ich das nicht versprechen kann.«

»Ich habe ein Gegenangebot – Sie kommen herauf und helfen uns, dieses Ding zu landen, und dafür lasse ich Sie am Leben.«

»In Ordnung«, sagte Riker etwas zu rasch.

»Noch etwas.« Wiley beugte sich in seinem Sessel vor. »Sie haben zwei unserer Disruptor-Pistolen. Bevor Sie heraufkommen, möchte ich, dass Sie zu einem Transporterraum gehen und diese Waffen auf die Brücke beamen. Nur dann wird Ihnen gestattet, den Turbolift zu verlassen.«

Wieder gab es eine Pause. Schließlich erwiderte der Commander: »Wenn wir die beiden Disruptoren heraufbeamen, werden Sie wissen, dass wir Ihre Bedingungen akzeptieren. Riker Ende.«

 

Riker seufzte und ließ sich gegen die Wand des Kontrollraums sinken, von dem aus man den leeren Shuttlehangar überblicken konnte. Sowohl Admiral Nechayev als auch Geordi schauten ihn erwartungsvoll an, als wollten sie hören, wie er zugab, ein verdammter Narr gewesen zu sein, weil er gedacht hatte, mit den Maquisarden verhandeln zu können.

Er hob eine der Disruptor-Pistolen. »Haben diese Dinger so etwas wie eine Überladungsmöglichkeit, so wie unsere Phaser, damit wir sie als Bomben verwenden könnten?«

Geordi hob seinen Disruptor vor das VISOR und studierte ihn gründlich. »Oh, es gibt schon eine Überladungseinstellung. Nur ist dieses Ding so erbärmlich konstruiert, dass wir keine Explosionszeit festlegen können.« Er ließ die Waffe wieder sinken und schüttelte den Kopf. »Es ist einfach zu riskant, Commander.«

Nechayev mühte sich in eine sitzende Position, und ein wenig von dem alten Feuer blitzte wieder in ihren Augen auf. »Wo ist Captain Picard? Er macht auch nie etwas richtig.«

Riker wollte etwas erwidern, überlegte es sich dann aber anders. Statt dessen überprüfte er den Verband an seiner Schulter, die noch immer schmerzhaft pochte. In dem Erste-Hilfe-Koffer befanden sich effektive Schmerzmittel, doch er befürchtete, sie könnten ihn außer Gefecht setzen. Er war auch ohne Drogen schon müde genug.

»Wir müssen sie aufhalten«, beharrte Nechayev. »Wir dürfen nicht zulassen, dass sie den Diskus auf einem Planeten landen, der durch die Erste Direktive geschützt wird. Die Föderation wird den angerichteten Schaden nie wieder ausbügeln können.«

»In Ordnung«, sagte Riker entschlossen. »Ich gehe nach oben und helfe ihnen, den Diskus zu landen.«

Die Admiralin starrte ihn an, und er hob abwehrend die Hand. »Sobald ich an der Steuerung sitze, bin ich auch für die Landung verantwortlich. Das heißt, ich kann mich über den Computer hinwegsetzen und uns dort herunterbringen, wo sie uns niemals finden werden. Auf dem Grund eines Ozeans oder an einer der Polkappen. Wenn jemand eine bessere Idee hat – ich bin ganz Ohr.«

Geordi und Nechayev blickten sich an, doch niemand sagte etwas. Schließlich stand Geordi auf und klopfte sich den Staub von der Hose.

»Bleiben Sie hier, Admiral?«, fragte er.

»Ja«, antwortete sie verdrossen. »Ich sterbe lieber allein, als zusammen mit Verrätern wie den Maquisarden.«

»Ich verstehe«, sagte Riker. Er nickte Geordi zu, und die beiden gingen zur Tür des Kontrollraums.

»Sie wissen ja, dass Sie sich hier einschließen können«, sagte Geordi zu Nechayev.

»Machen Sie sich wegen mir keine Sorgen«, antwortete sie, »tun Sie einfach, was Sie zu tun haben. Wenn Sie gerettet werden, dann sagen Sie in Ihrem Bericht die Wahrheit. Dieser ganze Zwischenfall war mein Fehler.«

»Aber, Admiral. Zumindest ein Teil der Verantwortung liegt …«

»Gehen Sie schon, Commander«, unterbrach sie ihn müde.

Riker nickte und wünschte sich, er hätte wirksameren Trost anzubieten. Geordi öffnete die Tür, und die beiden gingen die Treppe hinunter, durchquerten den leeren Hangar und marschierten durch die Doppeltüren auf den Korridor hinaus. Sie wiederholten damit praktisch den Weg, den sie erst vor ein paar Stunden – die ihnen wie Jahre erschienen – zurückgelegt hatten, um zum Transporterraum zu gelangen. Geordi legte die beiden Disruptor-Pistolen auf die Transporterplattform und trat hinter die Kontrollen.

»Ich werde sie direkt vor den Kommandosessel beamen«, erklärte der Ingenieur. »Sagen Sie ihnen, sie sollen sich davon fernhalten.«

Riker drückte auf den Kommunikator, den er zwischen den Fingern hielt, und sprach dann hinein. »Wir beamen jetzt die Disruptoren hoch. Halten Sie Abstand zum Kommandosessel.«

»In Ordnung«, antwortete der Mann, der Blue Moon genannt wurde. »Und keine Tricks.«

»Die Tricks sind uns ausgegangen«, sagte Riker. »Wir beamen jetzt.« Er nickte Geordi zu, der die Kontrollen betätigte. Einen Moment später waren die Disruptoren verschwunden, und damit waren sie wieder unbewaffnet.

»Wir haben sie«, meldete der Anführer der Maquis. »Ich hoffe ernstlich, dass Sie beide zur Vernunft gekommen sind. Auf diesem Planeten zu überleben wird nicht leicht werden, und wir könnten gute Leute brauchen. Und vielleicht ist es ja tatsächlich möglich, dass Angehörige der Föderation und des Maquis miteinander auskommen und zusammenarbeiten können.«

»Das bezweifle ich«, knurrte Riker. »Aber wir werden es versuchen«, setzte er rasch hinzu.

»Gut. Dann transportieren Sie sich jetzt direkt auf die Brücke. Der Bereich vor dem Kommandosessel ist frei.«

Der Commander nickte Geordi zu, der die Transporterkontrollen auf fünf Sekunden Verzögerung einstellte. Dann stiegen sie auf die Plattform und warteten darauf, dass ihre Molekularmuster aufgelöst, im Computer gespeichert und auf der Brücke wieder zusammengesetzt wurden.

Riker war nicht sonderlich überrascht, als er sechs Disruptor-Pistolen auf sich und Geordi gerichtet sah. Er blieb still stehen und vermied jede plötzliche Bewegung. Die Maquisarden schienen nur nach einem Vorwand zu suchen, um auf ihn schießen zu können, und das galt insbesondere für den großen Bajoraner an der taktischen Station.

»Wie ist die Lage?«, fragte Riker und gab sich dabei alle Mühe, so zu klingen, als wäre er ein Mitglied des Teams.

»Wir befinden uns auf Standard-Annäherungskurs«, antwortete der Offizier an der Funktionsstation. »Den Orbit erreichen wir in zwei Minuten, und der Eintritt in die Atmosphäre beginnt in drei Komma vier Minuten.«

Riker machte einen vorsichtigen Schritt in Richtung der Steuerung, wobei er damit rechnete, dass jemand mit einem nervösen Zeigefinger ihn durchbohrte. Als nichts geschah, sagte er: »Wenn Sie in den Orbit gehen, müssen Sie bereits einen Landeplatz ausgesucht haben.«

»Einen hübschen, breiten Strand«, sagte Henry Fulton. »Blue Moon wollte die Eingeborenen nicht aufschrecken, daher landen wir in einer Gegend, die unbewohnt erscheint. Wo ist der Admiral?«

»Sie hat Ihr Angebot abgelehnt«, erwiderte Riker. »Ich schlage vor, ich übernehme die Steuerung und LaForge die Maschinenraumkontrolle. Dort können wir uns am besten nützlich machen.«

Der Mann mit dem roten Schnurrbart nickte. »Cronin, Sie stellen sich mit Ihrem Disruptor hinter den Commander. Zögern Sie nicht, ihn niederzuschießen, wenn er irgend etwas unternimmt, das unsere Landung gefährdet. Außerdem möchte ich meinen eigenen Mann an der technischen Station belassen.«

»Soll mir recht sein«, sagte Geordi. »Ich setze mich dort drüben hin, wo ich aus dem Weg bin.«

Riker versuchte seine Enttäuschung darüber zu verbergen, dass Geordi nicht an der Maschinenraumstation sitzen würde. Er hatte darauf gezählt, dass sein Schiffskamerad irgendeine Fehlfunktion vortäuschen würde, die Rikers Eingreifen notwendig machte. Er wartete geduldig, bis der Maquisarde die Steuerung verließ, nahm dann Platz und studierte die Datenanzeigen. Alles wirkte geradezu unangenehm normal. Um genau zu sein, der Datenstrom sah genauso aus wie damals, als er sich Kitjef II näherte, eine Sekunde, bevor Fulton seine Betäubungsgranate zündete und sie alle in diesen Albtraum stürzte.

»Sieht alles ganz gut aus«, meinte er und schaute zum Schirm hoch. Er fragte sich, wo zum Teufel die Enterprise steckte. Jetzt wäre der richtige Zeitpunkt für das Schiff, um hier aufzutauchen. Doch unglücklicherweise sah er nichts als einen jungfräulichen Planeten voller Leute, deren Weltbild in Kürze völlig auf den Kopf gestellt werden würde.

Dann vernahm er Fultons schneidende Stimme: »Im Grunde haben Sie überhaupt nichts zu tun, Commander. Überlassen Sie die Landung einfach dem Computer. Sie sitzen nur als eine Art Rückversicherung dort, für den Fall, dass etwas schiefläuft.«

»In Ordnung«, sagte Riker und legte die Hände auf den Rand der Konsole. »Wir gehen in den Orbit, aber dort werden wir nicht lange bleiben. Ich würde empfehlen, dass jedermann Platz nimmt. Nach allem, was ich weiß, ist der Eintritt in eine Atmosphäre eine ziemlich holperige Angelegenheit, ganz gleich, wer das Schiff steuert.«

Er hoffte, Cronin würde sich mit seinem Disruptor weit genug entfernen, damit er die Kontrollen manipulieren konnte. Doch der Maquisarde rückte eher noch näher, und Blue Moon ging zum Kommandosessel, setzte sich und behielt ihn ebenfalls im Auge.

Riker holte tief Luft und musterte die Datenanzeigen. »Wir haben den Orbit erreicht. In dreißig Sekunden verlassen wir ihn wieder, wenn wir in Landephase eins eintreten.«

Stolz fügte Fulton hinzu: »Die Modifikationen des Prototypen kommen jetzt zum Tragen. Alle Systeme arbeiten im grünen Bereich.«

Im nächsten Moment wurden sie von einem plötzlichen Schlag durchgeschüttelt. Der Bildschirm wurde von statischen Entladungen verzerrt und erlosch, der Diskus stieß und schlingerte, bis er es schaffte, sich wieder auszurichten. Riker fuhr herum und sah Cronin, der schwankend wieder auf die Beine kam und seinen Disruptor auf ihn anlegte.

»Warten Sie!«, rief er. »Ich habe das nicht gemacht!« Während er noch seine Hände in die Luft streckte, wurden sie von einem weiteren Schlag getroffen, der Cronin von den Beinen riss und ihn mit dem Kopf voran gegen Rikers Sessel schleuderte. Er blieb bewusstlos liegen. Riker hätte jetzt mit Leichtigkeit den Disruptor an sich bringen können, doch er starrte wie gebannt auf die Datenanzeigen. Dann sah er zum Schirm hinüber, wo der Horizont von Pedrum schwankend näher rückte – sie taumelten ohne Kontrolle durch die Atmosphäre!

»Was war das?«, rief Blue Moon.

»Gegnerisches Feuer«, antwortete der Bajoraner. »Sie müssen gerade aus dem Warp gekommen sein.«

Zu wenig und zu spät, dachte Riker. Aber wenigstens hatten sie ihm einen echten Grund geliefert, die Kontrolle zu übernehmen. »Wir sind vom Kurs abgewichen!«, erklärte er. »Ich gehe auf manuelle Steuerung.«

Bevor irgend jemand Einwände erheben konnte, begann der Diskus heftig zu schlingern. Gleichzeitig setzten strukturelle Vibrationen ein, die Rikers Zähne schmerzen ließen. Das Deck verwandelte sich in ein Trampolin, und mehrere Leute wurden zu Boden geschleudert. Riker rechnete fest damit, dass das Schiff in Stücke gerissen würde, doch der Diskus hielt lange genug zusammen, um ihm eine leichte Korrektur zu ermöglichen und die Nase hochzubringen. Das machte zwar bei ihrem Absturz durch die Atmosphäre kaum einen Unterschied, bewies aber zumindest, dass die Steuerung immer noch ansprach.

»Strukturfestigkeits-Feldsysteme, Massenträgheits-Absorbersysteme und die Kraftfelder versagen!«, schrie Fulton. »Wir sind ab vom Kurs – ohne Kontrolle!«

Das trifft es genau, fühlte sich Riker versucht zu sagen. »Hören Sie auf herumzujammern und versuchen Sie, den Bildschirm wieder in Gang zu bringen!«

»Machen Sie schon!«, bekräftigte der Captain.

Eine weitere Serie markerschütternder Vibrationen durchlief das Schiff, doch der Offizier an der Funktionsstation hing wie festgeklebt an seiner Konsole, bis der Schirm wieder arbeitete. Die Hitze des Eintritts verzerrte das Bild, doch Riker konnte die Wolken erkennen, die sich unter ihm wie Inseln aus Meeresschaum auf einer blassen See ausbreiteten. So plötzlich, wie sie begonnen hatten, hörten die Erschütterungen wieder auf; sie bohrten sich in eine Wolkenbank und wurden von undurchdringlichem Nebel eingehüllt.

Jetzt wurde das Schiff von atmosphärischen Turbulenzen durchgeschüttelt, und Riker konzentrierte sich auf seine Kontrollen, um den Diskus mit Hilfe der Manövrierdüsen abzubremsen und einigermaßen auszurichten. Er schaffte es, ihren Abstieg zu verlangsamen, doch gleichzeitig fürchtete er sich vor dem, was er vor sich entdecken mochte, wenn sie wieder aus den Wolken herauskamen.

»Fulton!«, rief er. »Gibt es hier irgendwo einen Landeplatz?«

»Eine Insel – das ist alles, was ich erkennen kann! Berge! Passen Sie auf!«

Mehrere der Maquisarden auf der Brücke schnappten nach Luft, als sie durch die Wolken brachen und zwei grünbewachsene Berge vor ihnen aufragten. Die Spitzen der Berge waren schneebedeckt, und zwischen ihnen floss ein azurblauer Strom dahin. Riker sah jedoch nur den Tod und über Tausende von Kilometern verstreute Wrackteile vor sich. Dann entdeckte er ein paar Lehmhütten am Ufer des Flusses und versuchte verzweifelt, wieder etwas an Höhe zu gewinnen. Kein Zweifel, die Erste Direktive stand kurz davor, auf katastrophale Weise missachtet zu werden.

Riker bemühte sich um innere Ruhe und versuchte sich vorzustellen, er säße an den Kontrollen eines ziemlich großen und recht eigenwilligen Shuttles. Er musste dieses Ding fliegen, sagte er sich, nicht einfach nur landen. Die Berge rückten drohend näher, und er löste jede einzelne Manöverdüse auf der Steuerbordseite aus, wodurch der Diskus seitlich abkippte. Er beobachtete, wie die Berge unter dem Bauch des Diskus verschwanden, und wollte lieber nicht darüber nachdenken, wie dicht sie davorgestanden hatten, in die Felsen hineinzukrachen.

Als sich das Schiff wieder ausrichtete, sah Riker den blauschimmernden Horizont und begriff, dass er tatsächlich auf eine große Insel hinabblickte. Und wo eine Insel war, da gab es auch Wasser, eine Menge Wasser.

»Ich habe einen Strand entdeckt!«, rief Fulton. »Er ist nicht so gut wie der erste, aber er wird reichen.«

»Überspielen Sie mir die Koordinaten«, verlangte Riker. Er hatte nicht die Absicht, den Diskus auf einem Strand zu landen, nicht auf einer Insel, die eindeutig bewohnt war. Außerdem gab es noch eine andere Variable – die Enterprise. Seit der Captain auf sie gefeuert hatte, war klar, dass sich die Enterprise jetzt im Orbit befand. Er konnte den Diskus also mitten im Ozean landen und mit einiger Berechtigung darauf hoffen, dass sie alle hochgebeamt würden. Riker setzte sich diese Möglichkeit zum Ziel und hob die Nase des Diskus ein wenig höher, damit sie über die Küstenlinie hinausgleiten konnte.

»He!«, brüllte Fulton. »Das ist nicht der Kurs auf den Strand!«

Riker streckte die Hände in die Luft. »Wollen Sie übernehmen? Nur zu, tun Sie sich keinen Zwang an.«

»Nein, nein, fliegen Sie weiter!«, befahl Blue Moon. »Fulton, tun Sie einfach, was er sagt!«

Bevor Riker seine Hände wieder auf die Kontrollen legen konnte, tauchten sie in ein Gewitter ein. Blitze zuckten über den Schiffskörper, und das Deck sackte unter ihnen weg. Ganz gleich, wie heftig Riker die Steuerung bearbeitete, sie verloren stetig an Höhe. Auf dem Schirm erkannte er ausgedehnte Feuchtgebiete, die sich unter ihnen erstreckten, hier und dort durch Dörfer und bebaute Felder unterbrochen. Mit jeder Sekunde rückte das Sumpfgebiet näher, und genau dort wollte er definitiv nicht herunterkommen.

In seiner Verzweiflung zündete er die Impulstriebwerke, und die Untertasse bäumte sich auf wie ein Mustang beim Rodeo. Alle, Riker eingeschlossen, wurden zu Boden geschleudert, und der Diskus schoss mehrere Sekunden lang fast senkrecht nach oben. Mit einem schrecklichen, metallischen Ächzen kam er am Scheitelpunkt zum Stillstand, schwebte einen Moment über den Regenwolken und ging dann in den Sturzflug.

Der Commander kroch zu seinem Sessel zurück, ohne das Stöhnen der verletzten Leute rings um ihn wirklich wahrzunehmen. Er feuerte jede Manöverdüse ab, um das Schiff aus dem Sturzflug zu holen, doch er schaffte es nur, den Absturz in eine tödliche Spirale zu verwandeln. Statt gegen den Spiralflug anzukämpfen, unterstützte er die Schiffsbewegung und verwandelte die Spirale in eine Reihe immer größer werdender Kreise, bis sie aus dem Sturzflug heraus waren und dicht über die Wipfel der Bäume hinwegglitten.

Der Diskus hatte jetzt praktisch keine Flughöhe mehr, und ihm blieb nichts anderes übrig, als die Nase so lange oben zu halten, bis sie über dem Ozean waren. Doch zuerst einmal musste er den Ozean finden! Als Riker auf den Schirm starrte, spürte er plötzlich das kalte Metall eines klingonischen Disruptors in seinem Nacken.

»Ich weiß, was Sie vorhaben«, sagte Henry Fulton. »Aber das wird nicht klappen. Bringen Sie sie jetzt runter!«

Aus den Augenwinkeln konnte Riker Geordi sehen, der auf dem Boden lag und offenbar bewusstlos war. Dass Geordi ihn in Wirklichkeit im Schutz seines VISORs beobachtete, merkte er erst, als der Ingenieur ihm verstohlen ein Zeichen gab, indem er einen Finger hob. Die anderen Maquisarden schienen bewusstlos zu sein oder zumindest infolge ihrer Verletzungen nicht einsatzfähig, daher stellte Fulton die einzige Bedrohung dar. Riker legte das Schiff in eine scharfe Kurve, so dass der Commander ins Stolpern geriet und sich auf sein lädiertes Bein stützen musste. Während Fulton noch um sein Gleichgewicht rang, sprang Geordi auf, stürzte zu dem Mann hinüber und packte den Arm mit der Waffe.

Die beiden Männer kämpften um den Disruptor, wobei sich ein Strahl löste, der in den Hauptschirm einschlug. Er explodierte und überschüttete die beiden mit Splittern phosphoreszierenden Kristalls. Geordi und Fulton wankten kämpfend über die Glasscherben, und jeder versuchte nach Kräften, die Oberhand zu gewinnen. Schließlich verdrehte Geordi Fultons Handgelenk, bis der Mann vor Schmerz aufschrie und die Waffe fallen ließ. Dann holte der Ingenieur zu einem harten Fausthieb aus, traf Fultons Kinn und schickte ihn bewusstlos zu Boden. Schwer atmend hob Geordi den Disruptor auf.

Damit hatten sie allerdings bestenfalls einen Pyrrhussieg errungen, denn jetzt flogen sie blind, und das dicht über dem Boden. Geordi wirbelte herum und richtete seine Waffe auf jemanden, und als Riker sich umdrehte, sah er, dass Blue Moon seinen eigenen Disruptor gezogen hatte.

»Nicht schießen!«, rief Riker. »Es sei denn, Sie wollen unbedingt sterben.«

Der rothaarige Mann kratzte sich am Kopf. »Was kann ich tun, um zu helfen?«

»Gehen Sie an die Wissenschaftsstation – stellen Sie fest, in welcher Richtung der Ozean liegt.«

Blue Moon starrte ihn an und umklammerte nervös die Waffe. Offensichtlich begriff er, dass Riker nicht vorhatte, den Diskus zu landen, sondern ihn im Ozean zu versenken. Der junge Mann schaute sich um und sah, dass alle seine Kameraden entweder angeschlagen oder bewusstlos waren. Mit einem Ausdruck der Erleichterung in seinem Gesicht schob er den Disruptor ins Holster zurück und humpelte zur Wissenschaftsstation. Geordi begab sich zur Funktionsstation.

»Also gut«, sagte Blue Moon, »Sie sind schon nah dran, aber Sie müssen auf Kurs zweihundertachtzig Grad Azimuth gehen.«

Riker führte die Kurskorrektur durch. »Danke. Ich wollte, ich könnte Ihnen versprechen, dass man Ihnen mildernde Umstände zubilligt, aber ich fürchte, im Moment kann ich überhaupt keine Versprechungen machen.«

»Ich verstehe«, sagte der Anführer der Maquis. »Jedenfalls ziehe ich es vor, bei klarem Bewusstsein zu sterben.«

Gewohnheitsmäßig schaute Riker zum Bildschirm hoch, doch dort war nichts zu sehen außer durchgeschmorten Schaltkreisen und herabbaumelnden Resten laminierten Kristalls. Er versuchte, die Nase des Schiffes oben zu halten, doch die Gravitation hielt sie unentrinnbar im Griff.

»Die Küste haben wir hinter uns«, erklärte Blue Moon, »aber wir brauchen tieferes Wasser.«

Riker schüttelte den Kopf, während er nutzlose Kommandos eingab. »Wir werden nehmen müssen, was wir kriegen können – ich kann hier nichts mehr machen.«

Er wappnete sich gegen den Aufprall, doch der kam nicht so rasch, wie er erwartet hatte. Als ein paar weitere Sekunden verstrichen, begann der Commander leichter zu atmen bei dem Gedanken, dass sie sich mittlerweile weit über dem Ozean befinden mussten.

»Okay«, meldete der Maquisarde, »wir haben eine Tiefe von zwei Kilometern.«

»Und eine Flughöhe von einem Meter«, fügte Geordi hinzu.

Riker stützte sich an der Konsole ab, als der Diskus mit solcher Gewalt auf der unruhigen See auftraf, dass eine mehrere hundert Meter hohe Wasserwand emporgeschleudert wurde. Dann prallte der Diskus wie ein flacher Stein von der Meeresoberfläche ab, und die drei Männer wurden aus ihren Sitzen geworfen. Riker lag mit ausgestreckten Armen und Beinen auf dem Deck und klammerte sich an die Befestigung seines Sessels, als sich die Diskussektion in das größte Rennboot der Galaxis verwandelte.

Nach einer Zeit, die ihnen wie eine Ewigkeit erschien, kam die Untertasse endlich zum Stillstand und dümpelte auf den Wellen, und der Planet Pedrum besaß plötzlich eine neue, glänzende Insel.

Riker fühlte sich halb betäubt und konnte kaum glauben, dass sie eine derart wilde Fahrt überlebt haben sollten. Er rollte sich zur Seite und knurrte: »Junge, Junge, ich hoffe nur, wir müssen so was nie wieder machen.«

»Ich wüsste auch nicht, warum«, meinte Geordi zustimmend.

Der Commander erhob sich mühsam auf die Knie. »Bevor wir die Luken absprengen und dieses Ding versenken, sollten wir versuchen, mit der Enterprise Kontakt aufzunehmen. Sie muss sich im Orbit befinden.«

»Das erledige ich.« Geordi humpelte die Rampe hinter dem Kommandosessel hinauf, stieg über den bewusstlosen Körper des Bajoraners und übernahm dessen Platz an der taktischen Station. Er tippte einige Befehle ein und wartete ein paar Sekunden, dann runzelte er die Stirn. »Sie antworten nicht. Ich probiere es mit einem Notsignal.«

Eine weitere Minute verging, und noch immer musterte Geordi düster seine Instrumente. »Ich verstehe das nicht – sie antworten einfach nicht.«

»Nun, irgend jemand hat uns abgeschossen«, knurrte Riker. »Vielleicht ist die Sendeanlage ja auch hinüber. Sollte mich wundern, wenn überhaupt noch irgendwas funktioniert.«

»Hören Sie«, sagte der Mann, der Blue Moon genannt wurde, »ich habe Ihnen geholfen, den Diskus weit von den Siedlungen entfernt abzusetzen, daher sind Sie mir etwas schuldig. Können Sie meine Leute ans Ufer beamen, bevor Sie das Schiff versenken? Oder ist es wirklich nötig, dass wir alle sterben?«

Riker schaute zu Geordi hinüber, der die Achseln zuckte. »Wenn die Transporter noch arbeiten, könnten wir alle zur Insel hinüberbeamen, aber wie soll uns die Enterprise dort finden?«

»Hier müssen sich irgendwo ein paar Signalbojen befinden.« Riker erhob sich, um den Ausrüstungsschrank zu überprüfen, da hörte er ein Stöhnen, und als er sich umwandte, sah er, dass der große Bajoraner langsam das Bewusstsein wiedererlangte. Riker hob rasch einen Disruptor vom Boden auf, und Geordi zog seine Waffe und wich ein paar Schritte zurück. Der Bajoraner blinzelte sie wütend an und griff nach dem Disruptor an seinem Gürtel.

»Halt!«, befahl Blue Moon und richtete die eigene Waffe auf seinen Kameraden. »Keine Auseinandersetzungen mehr – wir sitzen alle im gleichen Boot, und zwar buchstäblich. Commander Riker hat uns in einem Stück heruntergebracht, so wie er es versprochen hatte, und er wird uns zum Land hinüberbeamen, bevor er die Untertasse versenkt. Das werden Sie doch, Commander?«

Bevor Riker antworten konnte, geschah etwas sehr Sonderbares. Vier schimmernde Transportersäulen tauchten im Zentrum der Brücke auf und materialisierten zu humanoiden Gestalten. Erleichtert ließ Riker den Disruptor sinken, weil er es als sicher annahm, dass es sich um einen Rettungstrupp von der Enterprise handelte. Nach all dem Durcheinander sah es ganz so aus, als hätte er es doch noch geschafft, Pedrum vor einer Verletzung der Ersten Direktive zu bewahren und dabei auch noch sein eigenes Leben zu retten. Ende gut, alles gut, dachte er.

Doch die vier Gestalten, die auf der Brücke des Prototypen materialisierten, waren weder Menschen noch Starfleet-Offiziere.

»Cardassianer!«, brüllte der Bajoraner, sprang auf und eröffnete das Feuer mit seinem Disruptor.

Er schnitt einen der drahtigen Cardassianer in zwei Hälften, doch die anderen drei richteten ihre Waffen auf ihn und verwandelten seine Brust in einen glühenden Feuerball. Kreischend und wild um sich schießend stolperte der Bajoraner die Plattform hinunter, und die Cardassianer feuerten weiter auf ihn, wodurch Riker, Geordi und Blue Moon genug Zeit erhielten, um zu zielen und das Feuer zu erwidern.

Eine Sekunde später lagen alle vier Cardassianer tot am Boden, mit schwelenden Körpern und Augen, die blicklos aus ihren tiefen Knochenhöhlen nach oben starrten.