Kapitel 16

 

Die schlanke Bajoranerin saß auf einer Klippe oberhalb der Kylatir Meadows, die von den Cardassianern vor mehr als dreißig Jahren ausgebeutet und verwüstet worden waren. Jetzt verwandelte sich die Ebene langsam wieder in ihren Naturzustand zurück, mit saftigen Wiesen, Wildblumen und schlammigen Strömen. Hier und dort erhoben sich Hügel aus Abraumgestein wie verschorfte Wunden über die Umgebung.

Aus dem Lager hinter ihr hörte sie die Stimmen der anderen Maquisarden, ungefähr zur Hälfte Bajoraner und Menschen, und allesamt von den Cardassianern um ihr Land gebracht. Sie redeten wieder über sie, verärgert darüber, dass die allmächtige Architektin sie über eine Woche lang auf Bajor hatte lagern lassen, während niemand außer den Propheten wusste, was in der Entmilitarisierten Zone vorgehen mochte. Schlimmer noch, sie hatte niemandem gestattet, Freunde oder Familie zu besuchen, obwohl sich alle danach sehnten.

Ja, gestand sich die Architektin ein, sie hatte sich einfach verkrochen. Sie genoss die kurze Unterbrechung bei der Planung von Morden, um die Blüte der Wildblumen auf einer Wiese zu bewundern. Also zum Teufel mit den anderen. Schließlich hatten die Maquisarden sie haben wollen, und nicht andersherum. Starfleet hatte sie ihnen in die Arme getrieben, und sie hatten sie festgehalten – aber sie war immer noch sie selbst. Während die meisten der anderen in diese gewalttätige Existenz gezwungen worden waren, nachdem man ihnen ihre Heime genommen hatte, hatte sich die Architektin aus freiem Willen dem Maquis angeschlossen. Ihm zuliebe hatte sie ihr früheres Leben und ihre bescheidenen Besitztümer aufgegeben, und daran sollten sie sich gefälligst erinnern.

Sie trat gegen einen am Boden liegenden Stein und schaute zu, wie er den Hang hinabrollte. Diese abgelegene Gegend, in der sie das Shuttle gelandet und ihr Lager errichtet hatten, war in früheren Zeiten, als die Cardassianer Bajor besetzt hatten, als Hochburg der Widerstandsbewegung bekannt gewesen. Die Einheimischen hatten ihnen Lebensmittel und Kleidung überlassen, machten ansonsten aber einen großen Bogen um sie, weil sie instinktiv erkannten, dass sie noch immer im Kampf standen. Offenbar hatten sie diesen gehetzten, nervösen Blick an sich, den Blick von Menschen, die mit dem Tod auf Tuchfühlung standen.

Die Architektin hatte hier eine Woche lang darauf gewartet, irgendwelche Gerüchte über eine Schiff der Galaxy-Klasse zu hören, das man Starfleet abgenommen hatte. Solche Nachrichten würden sie selbst hier draußen erreichen, aber sie hatten nichts, absolut gar nichts gehört. Sie betrachtete die friedliche Wiese noch ein paar Minuten lang, obwohl sie wusste, dass sie das Unvermeidliche nicht länger hinausschieben konnte. Sie mussten zurückkehren, denn sonst würde die gesamte Bewegung demoralisiert werden. Sie erhob sich, strich die Pollen von ihrer Hose und ging zur Lichtung zurück.

Eine Gruppe von Maquisarden brach die Zelte ab und belud das Shuttle, doch die anderen, es mochten etwa ein Dutzend sein, starrten ihr lediglich düster entgegen, als sie näher kam. Einige glaubten noch immer, es sei ihre Schuld gewesen, dass man sie auf New Hope ausgehoben und hierher vertrieben hatte, wobei wichtige Unterlagen in die Hände der Gegner gefallen waren. Wenn sie das unbedingt glauben wollten, sollte es ihr recht sein. Im Grunde genommen war es auch tatsächlich ihr Fehler gewesen, denn die Aktionen ihrer Zelle hatten sich als ungewöhnlich erfolgreich erwiesen und den Cardassianern höllische Angst eingejagt. Die Tatsache, dass die Cardassianer eine beachtliche Armee losgeschickt hatten, um sie zu jagen, bestätigte diesen Sachverhalt nur. Doch beim nächsten Mal würde sie auch darauf vorbereitet sein.

Die Architektin hätte diese Gedankengänge mit ihren Kameraden teilen können, aber sie war es leid, aufmunternde Reden zu halten. Sie deutete auf die Unterseite ihres mitgenommenen Shuttles und sagte: »Ich dachte, ich hätte euch angewiesen, die Phaserwerfer auszubauen.«

»Ach, kommen Sie«, brummte einer der Menschen. »Weshalb sollten wir voll funktionsfähige Phaser wegwerfen und uns damit selbst entwaffnen?« Ein paar der anderen murmelten zustimmend.

Die Bajoranerin stemmte die Hände in die Hüften und starrte den Mann an. »Warum? Weil wir in die Entmilitarisierte Zone zurückkehren wollen, ohne festgenommen zu werden. Zumindest ich will nicht in Gefangenschaft geraten. Vielleicht seid ihr anderen ja bereit aufzugeben.«

Der Mann trat drohend einen Schritt vor. »Das dürfen Sie nicht über uns sagen. Wir sind auch schon bestens zurechtgekommen, bevor Sie hier auftauchten.«

»Dann lasst mich hier zurück.« Die Architektin sah ihn herausfordernd an. »Ich kann mich von Wurzeln und Beeren ernähren und dabei ein besseres Leben führen als mit euch zusammen. Aber wenn ihr wollt, dass ich mit euch zurückgehe, dann entfernt jetzt sofort die verdammten Phaser aus dem Shuttle!«

Dann hob sie eine leere Werkzeugkiste auf und schleuderte sie vor ihnen auf die Erde. »Und legt eure Disruptor-Pistolen in diese Kiste, damit wir sie sammeln und vergraben können!«

Als sich niemand rührte, um die Meuterei zu beenden oder weiterzuführen, trat eine blonde Frau zögernd vor. Ihre Augen waren noch immer gerötet von den Tränen, die sie um ihren Mann vergossen hatte, der auf New Hope zurückgeblieben war. »Die Architektin hat recht«, sagte sie. »Wenn wir die Blockade von Starfleet passieren wollen, dürfen wir keine einzige Waffe an Bord haben. Wir müssen wie Zivilisten erscheinen.«

Sie löste ihr Holster und warf den Disruptor in die Kiste. Zögernd taten es die anderen ihr gleich, selbst der Mann, der die Architektin herausgefordert hatte.

»So ist es schon besser«, sagte die Anführerin in einem ruhigeren Ton. »Mir gefällt das auch nicht, aber wenn wir in einem Föderationsgefängnis verrotten, können wir gar nichts ausrichten. Davon abgesehen wissen wir, dass Starfleet ziemlich aufgebracht ist wegen des Frachters, der sie vor zwei Wochen hereingelegt hat.«

Ein paar der Maquisarden kicherten, und einige von ihnen gingen zum Shuttle, um die Phaser zu demontieren. Die Architektin seufzte und ließ die angespannten Schultern etwas sinken. Sie überlegte, ob es eine andere Möglichkeit gab, den Maquis zu verlassen, als den Propheten zu begegnen.

 

Am nächsten Tag näherte sich das Shuttle mit Warp eins der Entmilitarisierten Zone, und die Architektin beugte sich über die Schulter der Pilotin, einer Bajoranerin, die sogar noch jünger war als sie selbst. Beide beobachteten einen großen, blinkenden Punkt auf dem Schirm der Kurzstreckensensoren und überlegten, ob er sie einholen würde, bevor sie die Entmilitarisierte Zone erreichten.

»Sie haben die Geschwindigkeit erhöht«, sagte die Piloten. »Sie sind definitiv auf Abfangkurs gegangen.«

»Sie funken uns an«, meldete die Kopilotin und drückte ihre Kopfhörer fester ans Ohr. Ihre Augen weiteten sich vor Schreck. »Sie identifizieren sich als Enterprise

Die Architektin zuckte zusammen. Wenn sich die Enterprise hier befand, war die Mission höchstwahrscheinlich gescheitert.

»Ganz ruhig bleiben«, sagte sie zu den beiden Frauen im Cockpit. »Ich ducke mich unter das Instrumentenpaneel und bleibe außer Sicht, während ihr den Funkruf beantwortet – mit Bildübertragung. Denkt daran, wir sind Zivilisten, die von einem Besuch auf Bajor während der Feiertage zurückkehren.«

Die Architektin ließ sich auf Hände und Knie nieder und schob sich unter die Konsole der Kopilotin, von wo aus sie alles beobachten, aber nicht vom Aufnahmegerät erfasst werden konnte. Die anderen ihrer Gruppe waren sicher im Passagierabteil eingeschlossen und hatten die strikte Anweisung, unter keinen Umständen ins Cockpit zu kommen. Außer Sicht, nickte die Architektin der Pilotin zu, die das finster blickende, bärtige Gesicht Will Rikers auf den Schirm holte.

»Hier spricht das zivile Schiff Qoaka auf dem Rückweg von Bajor«, meldete die Pilotin.

»Sie führen keinen Waffen mit sich, oder?«

»Nein, Sir«, antwortete die Bajoranerin mit strahlendem Lächeln, »nur Besucher der Festlichkeiten.«

Riker klang zweifelnd, aber vielleicht war er auch einfach nur müde, als er antwortete: »Laut der Übereinkunft mit den Cardassianern sind Waffen in der Entmilitarisierten Zone nicht erlaubt. Bitte unterbrechen Sie die Fahrt, senken Sie die Schilde und bereiten Sie sich darauf vor, gescannt zu werden. Es wird nur einen Moment dauern.«

»Verstanden«, sagte die Pilotin mit einem erleichterten Seufzen.

Auf ein Nicken der Architektin hin holte sie das Schiff aus dem Warp und stoppte die Maschinen. Die Enterprise schob sich wie ein rächender Goliath, der gekommen ist, um David zu erschlagen, in den Weg des winzigen Schiffes. Die Architektin konnte sich vorstellen, wie Data das Shuttle gründlich scannte und die negativen Ergebnisse meldete.

Schließlich schenkte der Commander der Pilotin ein Lächeln. »Wie ich sehe, führen Sie keine Waffen mit sich. Wir entschuldigen uns für die Unterbrechung.«

»Das ist schon in Ordnung«, erwiderte die Pilotin. Die Architektin sah, dass ihr Bein zitterte.

»Oh, da ist noch etwas«, fügte Riker hinzu. »Mein Chefingenieur würde gerne einen Moment mit Ihnen sprechen.«

Als der Commander beiseite trat, sah die Architektin zur Pilotin hoch und schüttelte den Kopf. Sie konnte sich nicht ausmalen, weshalb Geordi LaForge mit ihnen reden wollte, es sei denn, um sie vor einem technischen Problem zu warnen, das sie während des Scannings entdeckt hatten. Die Pilotin schaffte es, das freundliche Lächeln aufrechtzuerhalten, während ihr Bein wie ein Schilfrohr in einem Sturm zitterte.

Ein Mann mit einem sanften Gesicht und einem VISOR erschien auf dem Schirm und verbeugte sich entschuldigend. »Wenn Sie auf dem Weg in die Entmilitarisierte Zone sind, würden Sie dann bitte eine Botschaft weiterleiten?«

Die Pilotin nickte eifrig. »Gewiss. An wen?«

»Das weiß ich nicht so genau«, antwortete Geordi mit einem Achselzucken. »Ich möchte nicht unterstellen, dass Sie Verbindungen zum Maquis haben, aber die Botschaft ist für alle Maquis-Sympathisanten bestimmt, die Sie vielleicht kennen oder die Ihnen begegnen.«

Die Architektin hielt den Atem an und biss sich auf die Lippen. Eine schreckliche Vorahnung dessen, was jetzt kommen würde, erfüllte sie.

»Der Frachter Shufola«, begann Geordi, »wurde im Kampf zerstört. Die gesamte Besatzung ist tot.«

Die Kopilotin schnappte nach Luft, und die Pilotin behielt ihr eingefrorenes Lächeln auf dem Gesicht, doch ihr Bein hörte auf zu zittern und stand jetzt so ruhig wie ein Baumstamm. Glücklicherweise befand sich die Architektin außer Sicht, so wischte sie die Träne nicht ab, die über ihre Wange herabrann.

»Mehrere von ihnen starben im Kampf gegen die Cardassianer«, sagte Geordi. »Sie wollten, dass sich jemand ihrer erinnert, und dies ist das Beste, was wir unter den gegebenen Umständen tun können.«

»In Ordnung«, krächzte die Pilotin. »Ich gebe die Nachricht weiter, wenn ich jemandem begegne, der daran interessiert ist. Können wir jetzt weiterfliegen?«

»Gewiss«, sagte der Ingenieur. »Entschuldigen Sie die Unannehmlichkeiten. Enterprise Ende.«

Auf dem Schirm tauchten wieder die Sterne und das gewaltige Flaggschiff der Föderation auf. In einem plötzlichen Lichtausbruch ging die Enterprise auf Gegenkurs und verschwand in der Ferne. Die Pilotin schlug mit der Faust auf die Konsole, und die Kopilotin bedeckte ihr Gesicht und weinte.

Die Architektin erhob sich müde und fühlte sich, als hätte sie sich in eine bejahrte Witwe verwandelt. Sie strich das kurzgeschnittene Haar zurück und blickte durch das Fenster des Shuttles auf die Sterne hinaus, die sich bis in die Unendlichkeit erstreckten. Dieser Sektor unterschied sich in nichts von anderen Gebieten des Alls, abgesehen von der Tatsache, dass gute Männer und Frauen bereit waren, für ihn zu sterben.