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Queenie irrte sich. Georges Kutsche polterte quer durchs Moor nach Bodmin, zum Besitz seiner Schwester Maude Loudon.

Maude und er waren früher unzertrennlich gewesen, doch seit seiner Heirat vor zehn Jahren hatte sich ihre Beziehung abgekühlt. Maude war immer gegen Etty gewesen. Um des lieben Friedens willen hätte Maude Gefühle heucheln können, die sie nicht empfand, doch das widerstrebte ihr, und mit der ihr eigenen Offenheit hatte sie aus ihrer Ablehnung kein Hehl gemacht. Sie wußte, daß sie im Recht war und daß ihr Bruder in der Wahl seiner Frau einen schrecklichen Fehler gemacht hatte, denn in Maudes Augen war Etty ein hohlköpfiges Wesen, das George unweigerlich zugrunde richten würde.

Es hätte keine gegensätzlicheren Frauen geben können. Etty lebte nur für die Gesellschaft. Ihre Leidenschaften waren ihre Kleidung, ihre Schönheit, der Klatsch und Männer. Maude dagegen widmete ihr Leben ihrem Mann, ihren Kindern und der Jagd – nicht unbedingt in dieser Reihenfolge. Maude wäre es nie in den Sinn gekommen, die Führung ihres Hauses einem Verwalter und einer Haushälterin zu übertragen. Maude kontrollierte täglich die Speisekammer, wußte genau, wie viele Gläser Marmelade und Eingemachtes in den Regalen standen, und zählte persönlich die Laken und Kissenbezüge. Es war Maude, die die Haushaltsbücher führte und ihr kleines Reich mit Effizienz regierte. Sie wußte, wer auf ihrem ausgedehnten Besitz krank oder in Schwierigkeiten war. Sie kannte die Namen und Geburtsdaten aller Kinder, die nach ihrer Ankunft in Loudon House geboren worden waren. Ihre Pächter verehrten sie; ihre Kinder fürchteten sie.

Seit zwanzig Jahren sorgte sie für ihren Mann Marmaduke, kurz Marmie genannt, und für alles, was ihm wichtig war. In dieser Zeit hatte sie ihm elf Kinder geboren, wovon neun überlebt hatten. Die spärliche Freizeit, die ihr blieb, widmete sie der Jagd. Stolz prahlte sie mit der Behauptung, daß es keinen Knochen in ihrem Leib gäbe, den sie sich nicht auf der Jagd gebrochen hätte. Es war ihre Hoffnung, daß ihr Leben einmal ein schnelles und ordentliches Ende auf der Jagd finden möge. Jetzt war sie vierzig, eine stämmige, in ihrer Pflichterfüllung zufriedene Frau, und nichts erinnerte mehr an das hübsche, schlanke Mädchen, das vor so vielen Jahren Gwenfer verlassen hatte.

Als sich die Kutsche Loudon House näherte, fragte sich George, warum er hierher reiste. Etty würde sein Vorhaben nicht gutheißen. Jetzt hegte er starke Bedenken wegen seines spontanen Entschlusses, denn er hatte vor seiner Schwester immer Angst gehabt, wie er sich eingestehen mußte. Wie würde sie ihn empfangen? Warum wandte er sich mit seinen Problemen ausgerechnet an Maude? Seine schönen Gesichtszüge verfinsterten sich, während er angestrengt nachdachte – was nicht zu seinen hervorragenden Eigenschaften zählte. Blutsbande, das war es. Blut ist dicker als Wasser, jeder wußte das. Diese Erkenntnis heiterte ihn auf, und der finstere Ausdruck verschwand von seinem Gesicht.

Als er eine halbe Stunde später im Salon von Loudon House seiner Schwester gegenüberstand – die jetzt zehn Jahre älter und von matronenhafter Korpulenz war, jedoch ebenso unfreundlich und selbstzufrieden wirkte wie bei seinem letzten Besuch fühlte er sich wieder einmal völlig verunsichert.

»George, mein lieber Freund«, brach Marmie das beklommene Schweigen und ging mit ausgestreckter Hand auf seinen Schwager zu. Er hatte ihn während der vergangenen Jahre vermißt, denn für Marmie war George ein guter Schütze, ein angenehmer Gesellschafter und ein wackerer Zechkumpan.

»Marmie, lieber Sportsfreund. Du bist ganz der Alte geblieben.« Dankbar griff George nach der ausgestreckten Hand. »Du auch, George, alter Junge.«

»Wenn ihr zwei mit eurer gegenseitigen Bewunderung fertig seid, könnte uns George vielleicht höflichkeitshalber mitteilen, was ihn nach all den Jahren hierhergeführt hat«, sagte Maude scharf, so scharf, daß beide Männer sofort schuldbewußt auseinandergingen.

»Ich stecke etwas in der Klemme«, begann George. Maude starrte ihn kalt an. »Ich bin gekommen, um deinen Rat einzuholen«, fügte er hastig hinzu.

Es gab nichts, was Maude lieber tat, als Ratschläge zu erteilen. Ihre Lippen verzogen sich zu einem schmalen Lächeln, denn Maude war zu lebenserfahren, um nicht zu ahnen, daß ihr Bruder etwas von ihr wollte.

Maude hieß George in einem Ohrensessel vor dem prasselnden Kaminfeuer Platz zu nehmen. Mit einem erleichterten Seufzer setzte er sich und akzeptierte dankbar den großen Whisky, den Marmie ihm reichte. Er spürte, wie die drückende Last der Verantwortung von seinen Schultern genommen wurde, und entspannte sich. Er hatte recht gehabt, hierherzukommen: Maude würde alles arrangieren, so wie sie es schon als Kind getan hatte.

Maude setzte sich in einen Sessel George gegenüber und ergriff die Initiative.

»Ich habe von Oswalds Tod erfahren, George. Eine schreckliche Tragödie. Wir waren beide schockiert. Aber unter den gegebenen Umständen hielt ich es fürs beste, fernzubleiben. Ich wäre natürlich gern zur Beerdigung gekommen, jedoch ...« Sie machte eine anzügliche Pause. »Nun, du kennst ja die Situation.« Maude war noch nicht bereit, ihre ablehnende Haltung aufzugeben.

»Dein Brief ... ich danke dir. Das war sehr freundlich ...« Maude wartete ungeduldig, daß George endlich mit seinem Anliegen herausrückte, und trommelte nervös mit ihren Fingern auf die Sessellehne. »Es geht um Etty«, platzte er schließlich heraus und sah sie mit einem leidvollen Blick an.

Maude versteifte sich und richtete sich kerzengerade auf. Ihr üppiger Busen wogte, als sie tief Luft holte, um ihre Nerven zu beruhigen. Ihr Mann füllte hastig noch einmal die Gläser.

»Ich bezweifle, daß ich dir bezüglich dieser Person einen Rat geben kann.« Maudes Stimme war stählern vor Kälte.

George sah den Groll im Gesicht seiner Schwester und wußte, daß er mit Maude niemals über seine Angst um Etty sprechen konnte – ihm wurde bewußt, wie töricht dieser Gedanke gewesen war. Hilflos und voller Verzweiflung hatte er in den letzten Tagen mit ansehen müssen, wie Etty immer tiefer in einem Meer von Kummer versank, aus dem er sie nicht zu retten vermochte. Er hatte sich an Ettys Launenhaftigkeit erinnert, die ihn oft verärgert und gleichzeitig ergötzt hatte. Jetzt befürchtete er allerdings, daß diese Launen nur Vorboten einer depressiven Stimmung gewesen waren. Er nahm einen großen Schluck Whisky. Es hatte keinen Sinn, Maude diese Gedanken anzuvertrauen.

»Nun, eigentlich geht es nicht um Etty, sondern um Alice.« Zufrieden bemerkte er, wie sich Maude entspannt zurücklehnte.

»Alice?«

»Etty trauert schrecklich um Oswald. Sie möchte nicht ... es ist schwierig für sie ... Es scheint ihr Qualen zu bereiten, ihre Tochter um sich zu haben ... wenigstens im Augenblick«, fügte er hastig hinzu.

Maude preßte die Lippen zusammen, was ebenso Mißbilligung wie Verständnis bedeuten konnte. George sah seine Schwester unsicher an, und als sie nichts sagte, redete er weiter.

»Alice ist jetzt allein auf Gwenfer, Maudie. Ich muß zu Etty und halte es für besser, das Kind zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht mitzunehmen.«

»Hat Alice Mumps gehabt?«

»Mumps? Ich habe keine Ahnung. Da müßte ich das Kindermädchen fragen.«

»Wir haben hier Mumps. Die Hälfte der Kinder auf dem Gut und zwei meiner eigenen sind krank. Wenn sich die anderen anstecken, kann es Monate dauern, bis wir nicht mehr unter Quarantäne stehen. Und dann muß ich Letitia nach London begleiten; um sie in die Gesellschaft einzuführen.«

»Letitia ist Debütantin? Großer Gott, ist sie schon so alt? Wie die Zeit verfliegt.«

»Ja, George, die Zeit verfliegt, und Nichten und Neffen werden erwachsen«, sagte Maude anzüglich, als wollte sie ihn für seine lange Abwesenheit tadeln. »Sie ist siebzehn, und wir hegen große Erwartungen für sie. Aber ich wollte eigentlich sagen, daß Alice sofort zu uns kommen kann, wenn sie schon Mumps hatte. Wenn nicht, muß sie warten, bis die Krankheit abgeklungen ist, was frühestens Ende des Sommers sein wird. Kann sie bis dahin in der Obhut ihres Kindermädchens bleiben?«

»Du nimmst sie also zu dir?«

»Aber natürlich.«

»Ich weiß nicht, für wie lange es sein wird, Maude. Ich weiß nicht, wie lange Ettys Trauer dauern wird ...« George zuckte mit einem hilflosen Ausdruck die Schultern.

»Die Zeit spielt keine Rolle, George. Alice kann für immer bei uns bleiben. Sie ist unsere Nichte, und daher ist es unsere Pflicht, uns um sie zu kümmern, nicht wahr, Marmie?«

»Versteht sich von selbst, George, alter Junge. Blutsbande und das alles« sagte Marmie mit rauher Stimme. Georges’ Nachricht betrübte ihn, denn er hatte immer eine Schwäche für Etty, das hübsche kleine Ding, gehabt. Sie war ein hohlköpfiges Wesen, gewiß, aber wer wollte schon eine geistreiche Frau? Allein der Gedanke an ihren Busen trieb Marmie den Schweiß auf die Stirn, und er wischte sich mit einem weißen Taschentuch darüber.

»Das wäre also erledigt.« Endlich schenkte Maude George ein breites Lächeln. Sie hätte gern hinzugefügt, daß sie keine Ressentiments gegen Alice hatte, denn das arme Kind konnte schließlich nichts dafür, daß Etty seine Mutter war. Sie hätte ihrem Bruder auch gern gesagt, daß sie wußte, daß Alice nicht nur vorübergehend, sondern auf Dauer zu ihr kommen würde. Maude hatte immer vermutet, daß Ettys Lebhaftigkeit und Launenhaftigkeit Anzeichen eines exzentrischen Wesens waren. Doch die Verzweiflung ihres Bruders hielt sie ausnahmsweise davor zurück, ihre Meinung auszusprechen. »Du bleibst natürlich über Nacht«, sagte sie statt dessen.