»Fanny! la!« Beide Mädchen ließen ihre Arbeit sofort liegen und eilten zur Köchin. »Wir haben dreißig Gäste zum Dinner heute abend und fünfzig für einen Empfang morgen. Fanny, du kümmerst dich ums Gemüse – Kartoffeln, Karotten, Bohnen, Artischocken und Sellerie dann wäschst du den Salat Ia, du spülst das Dinnerservice. Wenn du damit fertig bist, gehst du zu Frederick und Robert und sagst ihnen, sie sollen das Silber polieren.«
Ia spülte und trocknete vorsichtig das kostbare Porzellan. Heute abend findet wohl ein sehr wichtiges Dinner statt, dachte sie und betrachtete das Wappen der Tregowans auf einem Teller. In den vier Wochen, die sie jetzt hier war, wurde zum erstenmal dieses Dinnerservice benutzt. Aufregend fand sie allerdings hauptsächlich die Vorstellung, endlich einmal mit Frederick sprechen zu dürfen.
Nachdem sie das Geschirr fein säuberlich aufgestapelt hatte, machte sie sich auf die Suche nach Frederick. Da sie ihn nirgends fand, nahm sie ihren ganzen Mut zusammen und ging durch den Korridor im Keller zu den Zimmern der männlichen Dienstboten. Leise klopfte sie an Fredericks Tür.
»Ja?« Ihr Herz machte beim Klang seiner Stimme einen Sprung.
Sie öffnete die Tür und stammelte: »Frederick, ich ...«
»Was willst du hier? Weiblichen Dienstboten ist es strikt verboten, hierherzukommen. Du fliegst raus, wenn das jemand erfährt«, sagte er und rückte seine Krawatte zurecht. Ia spähte schüchtern ins Zimmer. An einem Haken an der Wand hing Fredericks prächtige blaue Samtlivree mit den glitzernden Goldborten. Es roch angenehm nach Pomade und Tabak. »Die Köchin will, daß du und Robert das Silber poliert.«
Frederick warf wütend die Kleiderbürste aufs Bett. »Wofür hält sie sich eigentlich? Wir bekommen unsere Befehle ausschließlich von Mr. Phillpott. Sag das diesem fetten Weibsbild.« las Augen füllten sich mit Tränen. »Komm her, Schätzchen, weine nicht.« Er streckte ihr die Hand hin. »Na, komm her. Ich beiß dich nicht.« Ia warf hastig einen Blick über ihre Schulter, schlüpfte dann schnell ins Zimmer und schloß die Tür hinter sich. Frederick gab ihr ein großes weißes Taschentuch. »Laß dich von der alten Kuh nicht fertigmachen. Putz dir die Nase und schenk mir ein Lächeln.«
Ia sah ihn dankbar an und lächelte.
»Mein Gott!« rief Frederick und starrte sie verblüfft an. Ia erschrak. »Bitte, lächle wieder, Ia«, sagte er leise, hob ihr Gesicht zu sich empor und küßte sie. Ein ungeheures Glücksgefühl durchströmte Ia, ihre Knie wurden weich. Niemand hatte sie je geküßt, nicht einmal ihre Mutter. Frederick trat zurück und musterte sie eindringlich. Mit der Hand berührte sie sacht ihre Lippen. In ihren Augen lag ein sanfter Ausdruck, der sie noch schöner machte.
»Das muß unser Geheimnis bleiben«, sagte er lachend und schlüpfte in seine Livreejacke.
»Ja, Frederick«, wisperte sie.
»Kannst du dir heute nachmittag freinehmen?«
»Nein, ich glaube nicht. In der Küche ist die Hölle los.«
»Versuch’s wenigstens für eine Stunde.«
»Wie soll ich das schaffen?« fragte Ia verzweifelt.
»Ich warte beim Musikpavillon im Park auf dich«, antwortete er ungerührt.
Ia wußte nicht, wie sie in die Küche zurückgekommen war. Mit pochendem Herzen und einem merkwürdig erregten Gefühl in der Magengegend lehnte sie sich gegen die Spüle. Er hat meinen Namen gekannt, dachte sie verwundert. Ganz benommen vor Glückseligkeit half sie Fanny beim Gemüseputzen.
Ia arbeitete mit doppelter Geschwindigkeit. Sogar Mrs. Longman lobte sie für ihre Tüchtigkeit. Um vier hatte sie das Geschirr vom Mittagessen gespült und weggeräumt. Alle Vorbereitungen fürs Dinner waren getroffen.
»Mrs. Longman könnte ich ...« Ia rang nervös die Hände. »Wäre es Ihnen recht, wenn ich schnell etwas einkaufen gehe?«
»Einkaufen? Was willst du denn einkaufen?«
»Meine Mutter hat Geburtstag«, log Ia. »Ich möchte ihr ein kleines Geschenk kaufen.«
Da lächelte Mrs. Longman Ia zum erstenmal an. »Na, du bist aber ein braves Mädchen. Heutzutage denkt doch niemand mehr an seine Mutter. Ja, Ia, du darfst gehen. Du warst heute außerordentlich tüchtig. Aber bleib nicht länger als eine Stunde, hörst du?« Dann machte es sich Mrs. Longman mit einem Stück Biskuitkuchen und einer Tasse Tee, den sie mit einem ordentlichen Schuß Whisky anreicherte, in einem Sessel bequem.
Ia flog förmlich die Treppen hoch, klatschte sich etwas Wasser ins Gesicht, bürstete ihr Haar und schlüpfte in ihr Sonntagskleid, das ihr um die Brust herum etwas eng geworden war. Ein paar Minuten später schlüpfte sie zur Hintertür hinaus und lief die Park Lane entlang zum Hyde Park.
Beim Musikpavillon blieb Ia keuchend stehen. Elegant gekleidete Damen und Herren lustwandelten über den Rasen.
»Ia, hier bin ich«, hörte sie plötzlich Fredericks Stimme. Er stand hinter einem Busch. »Hier, du Dummkopf. Ich will nicht, daß uns jemand sieht, nicht mit dem gräßlichen Kleid, das du trägst. Hast du denn nichts Besseres zum Anziehen?«
»Nein. Ich hatte einen Rock und ...«
»Wenn du mit mir ausgehen willst, mußt du dich hübscher anziehen.«
»Ich bekomme meinen Lohn erst in sechs Wochen«, sagte sie und errötete vor Scham und Enttäuschung. Sie konnte Fredericks Reaktion verstehen. Er sah einfach atemberaubend aus. Er trug einen schwarzen Anzug, dazu ein weißes Hemd mit einer modischen Krawatte und hatte einen feschen Bowler auf dem Kopf. Über seinen Bauch spannte sich eine goldene Uhrkette. Beschämt sah Ia an sich hinunter und zupfte an ihrem zu kurz gewordenen Kleid herum.
»So lasse ich mich mit dir nicht sehen, und damit basta!«
»Ich habe noch etwas Erspartes.«
»Dann kauf dir was Anständiges zum Anziehen, sonst siehst du mich nie wieder.«
»Ja, Frederick. Du hast recht. Ich kaufe mir Stoff und nähe mir ein hübsches Kleid. Ich kaufe mir auch einen Hut«, fügte sie eifrig hinzu.
»Ja, mach das. Blau steht dir gut.« Er küßte sie schnell auf den Mund. »Ich verschwinde.«
Sekunden später war er in der Menschenmenge untergetaucht. Verzagt machte sich Ja auf den Heimweg und dachte besorgt an ihre Ersparnisse. In sechs Wochen bekomme ich meinen ersten Lohn, dann kann ich das ausgegebene Geld wieder ersetzen, tröstete sie sich. Dieser Gedanke heiterte sie auf. Die Erinnerung an Fredericks prächtiges Aussehen ließ sie lächeln. Singend hüpfte sie die Kellertreppe hinunter.
Es war halb zwei Uhr früh, als Ia völlig erschöpft den letzten Topf säuberte. Sie trocknete sich die Hände ab, knipste das Licht aus und überließ die Küche den Kakerlaken.
»Psst ...«
Ia spähte den düsteren Korridor entlang, der von einer einzigen Lampe erhellt wurde.
»Ia, komm her«, flüsterte Frederick.
Sie lief zu ihm, er packte ihre Hand und zog sie in sein Zimmer. »Aber, wo ist ...« Seine Lippen verschlossen ihren Mund und brachten sie zum Verstummen. Gierig betasteten seine Hände ihren Körper. Dann hob er ihren Rock hoch und streichelte ihre Oberschenkel.
»Wo ist Robert?« keuchte Ia.
»Fort mit seinem Liebchen. Mach dir keine Sorgen, er kommt so schnell nicht zurück.« Fredericks Stimme klang merkwürdig heiser. »Mach die Beine breit. Ja, so ist’s brav.«
Völlig willenlos ließ Ia alles mit sich geschehen. Als seine Hand fand, was sie suchte, stöhnte Ia leise auf. Wortlos drängte er sie zum Bett, drückte sie auf die Matratze, schob ihren Rock hoch, riß ihr den Schlüpfer vom Leib und warf sich auf sie. Grob und ohne ihr schmerzvolles Aufstöhnen zu beachten, drang er in sie ein und fluchte, als er ihren Widerstand spürte. Dann wurden seine Bewegungen immer heftiger, und Ia fürchtete, von seinem Körpergewicht erdrückt zu werden. Keuchend holte sie Luft, als er plötzlich aufstöhnte, zitternd auf sie sank und heftig atmend liegen blieb.
Ia starrte erschreckt zur Decke und wußte nicht, was sie tun sollte.
»Verdammt!« brummte er schließlich. »Das war Spitze! Ich hatte keine Ahnung, daß du noch Jungfrau warst. Wer hätte das gedacht?«
»Ich habe mich für einen Gentleman aufbewahrt.«
»Für einen Gentleman! Das ist ein Witz.«
»Ich halte dich für einen richtigen Gentleman, Frederick«, sagte sie schüchtern.
Er stand abrupt auf, nahm ihre Hand und zog sie vom Bett. »Tut mir leid, daß ich dein Höschen zerrissen habe. Am besten, du ziehst nächstes Mal keins an.« Er lachte. »Verschwinde jetzt, Puppe«, sagte er und gab ihr einen Klaps auf den Po. »Und sprich mit niemandem darüber, hörst du? Sonst landen wir beide auf der Straße.«
Ia schlich leise die Hintertreppe hinauf. Fanny schlief. So leise wie möglich befeuchtete sie einen Waschlappen und wusch die merkwürdige Feuchtigkeit zwischen ihren Beinen ab. Erschreckt betrachtete sie das Blut auf dem Lappen. Hoffentlich ist das normal, dachte sie, schlüpfte in ihr Nachthemd und kroch unter die Bettdecke.
Lange lag sie wach, starrte in die Dunkelheit und schwelgte in ihrem Glücksgefühl. Sie konnte kaum glauben, daß es passiert war, daß Frederick sie begehrt hatte. So ein feiner Mann wie er. Alles an ihm war perfekt, sogar sein Name. Nur ein Gentleman hieß Frederick. Wie glücklich sie war, von ihm erwählt worden zu sein. Der Akt an sich hatte ihr wenig bedeutet und ihr nur Angst eingejagt. Wie schnell es vorbei gewesen ist, wunderte sie sich. Und dafür bezahlten Männer? Blöde Kerle, dachte sie und lächelte.
Jetzt würde sie freudig ihre Ersparnisse ausgeben. Warum sollte sie nach Amerika fahren? Ihr neues blaues Kleid würde sie mit Spitzen verzieren. Vielleicht würde sie eines Tages darin heiraten. Träumerisch überlegte sie, wie viele Kinder sie wohl haben würden und welche Namen sie ihnen geben sollten.